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Selbstbefähigung

Vollkommene Meditation erweitert Ihr Gewahrsein, und mit dieser Erweiterung nimmt die eigene Macht zu. Macht, die auf Gewahrsein beruht, ist nicht nur möglich, sondern entspringt einem automatischen Prozess. Darin liegt ein Geheimnis. Die typischen Vorstellungen von einer mächtigen Person kreisen um soziale Merkmale wie Geld, Status und eine leitende Position. Wie wir leider im Laufe der Geschichte gesehen haben, neigen die wenigen, die große Macht erlangen, dazu, diejenigen, die weniger Macht haben oder sich machtlos fü hlen, als minderwertig zu behandeln.

Die eigentliche Quelle der Macht ist geheimnisvoll, und wenn reiche und prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich ehrlich äußern, können sie oft selbst nicht erklären, wie sie ganz nach oben gelangt sind. Die meisten sagen dann, dass das Glü ck eine große Rolle gespielt hat – sie waren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wenn wir den Faktor Glü ck aber einmal beiseitelassen, kommen wir schnell zur Selbstbefähigung, mit der wir uns nachstehend etwas näher befassen wollen.

Vielleicht sind Sie mit Ihren bisherigen Lebensentscheidungen zufrieden, das wäre ein Zeichen dafü r, dass die Dinge gut fü r Sie laufen. Die meisten Menschen betrachten ihre Lebensentscheidungen rü ckblickend als eine Mischung aus guten und schlechten Entscheidungen. Wie groß die Erfolge eines Menschen auch sein mögen, sie stehen in keinem Verhältnis zu dem, was möglich wäre, wenn man von einem unendlichen Potenzial ausgeht. In der vollkommenen Meditation definieren Sie Ihre Erwartungen neu, indem Sie Ihrer Quelle des vollkommenen Bewusstseins näher und näher kommen. Dann beginnt die Selbstbefähigung auf sich achtzugeben, was bedeutet, dass Sie sich auf natü rliche Weise auf die Bewusstseinsebene ausrichten, die fü r jede Situation oder Herausforderung das richtige Ergebnis organisiert. Wenn Ihre Wü nsche mit positiven Zielen in Einklang stehen, ist das ganze Thema der Befähigung gelöst.

Vollkommene Meditation

Lektion 14: Geringster Aufwand

Ja oder Nein zu sagen, ist wahrscheinlich die grundlegendste Wahl, die Menschen jeden Tag treffen. Diese Entscheidung muss immer wieder gefällt werden, und Menschen, die oft Nein sagen, machen den anderen das Leben schwerer. Ständig Ja zu sagen, ist aber auch nicht unproblematisch. Im Endeffekt wiederholen wir hauptsächlich Entscheidungen, die wir in der Vergangenheit schon oft auf dieselbe Weise getroffen haben. Aus Gewohnheit zu handeln, ist willkürlich. Eltern werden ärgerlich, wenn ein Kind jedes neue Essen mit »Das mag ich nicht« ablehnt, und ihre frustrierte Antwort lautet dann meist: »Du hast es ja noch nicht einmal probiert.« Wenn wir als Erwachsene Neues und Unbekanntes ablehnen, kehren wir im Grunde genommen zu der kindlichen Gewohnheit zurück, ohne Nachdenken Nein zu sagen.

Hier kommt das Thema Widerstand ins Spiel. Wenn Sie in Ihrem Leben auf keine Widerstände stoßen, gibt es viel weniger Gründe, Nein zu sagen. Woher kommen die Widerstände? Wir ärgern uns über Menschen, die sich uns widersetzen, und wehren uns. Wir sollten aber besser dem verborgenen Widerstand in uns selbst Aufmerksamkeit schenken. Die folgenden Punkte sind im Grunde unbestreitbar:

Andere Menschen akzeptieren einen eher, wenn man sich ihnen nicht widersetzt.

Um zu bekommen, was man will, muss man oft anderen etwas geben, was sie wollen.

Zusammenarbeit führt zu besseren Ergebnissen als nicht zusammenzuarbeiten.

Sie können nicht verhindern, dass jemand anderes so auf Sie reagiert, wie er reagieren möchte.

Es fällt leicht, Nein zu Dingen zu sagen, die neu und unbekannt sind.

Jeder muss sich im Leben mit diesen Punkten auseinandersetzen, aber wenn man das Wesen des Bewusstseins versteht, verändert sich jeder Punkt auf der Liste. Weil das Bewusstsein vollkommen ist, leistet es sich selbst nie Widerstand . Das Meer kann stürmisch werden, doch egal wie unruhig der Wellengang auch ist, das Meer wehrt sich nicht gegen sich selbst. Es geht einfach in einen neuen Modus über, stürmisch statt ruhig. Das Bewusstsein ruft alle Arten von Stürmen im menschlichen Verhalten hervor. Wir müssen uns nicht einfach mit Gewalt, Auseinandersetzungen, Kontroversen und Konflikten abfinden, wie sie sich in der Menschheitsgeschichte immer wieder abgespielt haben. Das alltägliche Leben stellt Sie vor die Möglichkeit, zu kämpfen oder nachzugeben, sich an einem Streit zu beteiligen oder zur Seite zu treten. Es gibt kein Verhaltensmuster, das allen Situationen gerecht wird. Völker jubeln über einen Sieg im Krieg und verehren im nächsten Atemzug einen Pazifisten wie Gandhi.

Diese gegensätzlichen Impulse werden weiter bestehen und ohne eine tiefere Vision im Kriegszustand verharren. Das Bewusstsein ist seinem Wesen nach geordnet und organisiert. Es entfaltet seine Kraft nach dem Prinzip des geringsten Aufwandes. Wir sehen dies in der perfekten Organisation einer Zelle, die kein Molekül Sauerstoff und Nährstoff verschwendet. Die Natur als Ganzes funktioniert durch die Gesetze der Bewegung, der Wärme, der Schwerkraft usw., die alle eines gemeinsam haben: Sie nehmen den kürzesten Weg von A nach B, weil er den geringsten Aufwand erfordert. Der fallende Apfel, der der Legende nach Isaac Newton sein »Aha!«-Erlebnis über die Schwerkraft bescherte, fiel nicht im Zickzack oder machte einen anderen Umweg. Gerade Linien sind in der Natur die Norm, solange keine Hindernisse im Weg stehen.

Der geringste Aufwand ist nicht nur effizient. Er ist die wirkungsvollste Weise, ein Ziel zu erreichen. Er erzeugt nur wenig Reibung und überwindet Hindernisse so rasch wie möglich. Überträgt man dies in den Alltag, verändert sich die Sichtweise auf die Selbstbefähigung. Sie können jede Wahl so anpassen, dass sie im Einklang mit der geringstmöglichen Anstrengung steht:

Sagen Sie nicht Nein beziehungsweise seien Sie nicht abwehrend, ohne sich vorher zu entspannen, sich zu zentrieren und Ihr tieferes Gewahrsein reagieren zu lassen. Wenn es eine Chance gibt, zieht es das tiefere Gewahrsein vor, das richtige Ergebnis mit dem geringsten Aufwand zu erzielen. Handeln Sie nicht impulsiv.

Wenn Sie sich in einer stressigen Situation befinden, sollten Sie sich fragen, ob Ihnen der Weg des geringsten Widerstandes offensteht. Wenn ja, schlagen Sie ihn ein.

Lernen Sie, öfter zuzulassen und loszulassen, anstatt auf etwas zu bestehen und zu versuchen, die Kontrolle zu übernehmen.

Ziehen Sie Konsens und Zusammenarbeit vor.

Schikanieren Sie niemanden, zwingen Sie niemandem etwas auf und streichen Sie »Weil ich es sage, deshalb« aus Ihrem Antworten-Repertoire.

Holen Sie sich so viel Input von außen wie möglich von Personen, die mindestens genauso gewahr sind wie Sie selbst.

Meiden Sie Menschen, die sich kaum je an die obigen Prinzipien halten.

Es ist wichtig zu beachten, dass »geringstmögliche Anstrengung« nicht generelles Ja-Sagen oder geistige Faulheit bedeutet. Der Hauptgrund dafür, dass wir nicht bereit sind, sie als Weg zu Bewusstsein und Selbstbefähigung anzunehmen, liegt in der sozialen Konditionierung. In unserer Gesellschaft herrscht der Glaube vor, dass man niemals aufgeben, sich wehren, um jeden Preis zu gewinnen versuchen und den Feind besiegen soll. Vielleicht kommen einem diese Glaubenssätze erst einmal ganz plausibel vor, aber das Bewusstsein zeigt uns einen besseren Weg.

Das Prinzip des geringsten Aufwandes ist hier und jetzt anwendbar. Denken Sie jedoch daran, dass jede Kraft, die aus dem Bewusstsein entsteht, umso stärker wird, je tiefer Ihr Gewahrsein ist. Wenn Sie über einen längeren Zeitraum immer wieder meditieren und das Prinzip des geringsten Aufwandes mehr und mehr praktizieren, werden Sie der Quelle des reinen Gewahrseins näherkommen. Ihre Entscheidungen werden sich verbessern, weil Sie über die ordnende und organisierende Kraft des Bewusstseins verfügen, die Sie unterstützt.

Sobald sich Ihr Ausgangspunkt ändert, ändert sich Ihr ganzer Blick auf die Selbstbefähigung. Stellen Sie sich vor, dass Sie jetzt gleich einen Raum betreten werden, in dem Sie es mit einer Autoritätsperson zu tun bekommen. Mit einem Finanzbeamten, einem Justizangestellten oder Ihrem Chef. Sie wissen nicht, wie diese Begegnung ausgehen wird. Wie fü hlen Sie sich? Einige Menschen werden bei dem Gespräch energisch fü r sich selbst, ihre Arbeit und ihre Meinung einstehen, während andere eher kleinlaut, unterwü rfig oder nervös sind.

Sie kennen sich selbst gut genug, um zu wissen, wie Sie wahrscheinlich reagieren wü rden. Doch Ihre Selbsterkenntnis bezieht sich in diesem Fall eigentlich auf Begrenzungen. Oberflächlich betrachtet könnte die Person mit dem stärksten Ego jemandem, der ruhig und zurü ckhaltend ist, ü berlegen erscheinen. Es lässt sich aber nicht vorhersagen, wer die richtigen Entscheidungen treffen wird. Häufig passiert es, dass wir auf Machtmittel aus zweiter Hand zurü ckgreifen und versuchen, stark, erfolgreich und beherrscht zu wirken, während wir tief im Inneren ratlos sind, wie das Leben eigentlich funktioniert.

Es verwirrt uns, dass wir von der Quelle der Kraft abgekoppelt sind. Der Unterschied zwischen Verbundenheit und Nichtverbundenheit ist klar, wenn man versteht, wie das Bewusstsein funktioniert. Wann immer jemand eine Entscheidung treffen muss, ist der Prozess nicht so rational, wie oft angenommen wird.

Halten Sie einen Moment inne und denken Sie ü ber die letzte wichtige Entscheidung nach, die Sie getroffen haben. Es kann alles sein. Ein neues Haus zu kaufen oder den Arbeitsplatz zu wechseln kommt eher selten vor, aber vielleicht haben Sie den Entschluss gefasst, sich zu einem Thema zu äußern, einem Freund oder Familienmitglied Ratschläge zu geben, eine Präsentation auf der Arbeit zu halten oder eine teure Anschaffung zu machen.

Mitten in Ihrer Entscheidungsfindung kamen Eigenschaften des Bewusstseins ins Spiel. Vielleicht haben Sie sich in der einen oder anderen Lage wiedergefunden:

Sie waren selbstbewusst und sicher, dass Sie die richtige Wahl treffen würden. Sie hatten ein bestimmtes Ziel vor Augen. Sie hatten die Kontrolle.

Oder

Sie waren zögerlich, zweifelnd und verunsichert. Sie schwankten auf die eine oder andere Weise. Sie waren sich nicht sicher, ob das Ergebnis Ihren Wünschen entsprechen würde.

Es sind diese Eigenschaften des Gewahrseins, die zeigen, wie stark Sie sich befähigt fü hlten, als Sie Ihre letzte wichtige Entscheidung fällten. Sicherlich spielten auch rationale Ü berlegungen eine Rolle, aber sie waren nur ein Teil des Ganzen. Wenn Sie sich wirklich unentschlossen fü hlten, trafen Sie die Entscheidung wahrscheinlich aus einem Impuls heraus. Wer ist schon dagegen gefeit, einen Entschluss zu bereuen?

Wenn Sie zuversichtlich und nicht zweifelnd sein wollen, wie gehen Sie dann vor? Meistens entscheiden sich die Menschen dafü r, ihre Zweifel zu verschleiern und selbstbewusster aufzutreten, als sie sich tatsächlich fü hlen. Sie weichen darauf aus, ihr Ego-Bild zu schü tzen, anstatt eine Bewusstseinsebene zu finden, auf der Vertrauen, Orientierung, Gewissheit, Zweck, Bedeutung, Kontrolle und Gelingen die Norm sind. Das Ego wird Sie nicht dorthin bringen. Deshalb ist es ein wichtiger Teil der vollkommenen Meditation, ü ber das Ego hinauszugehen.

Das Ego spielt eine so große Rolle bei unseren Entscheidungsfindungen, dass es schwer ist, sich davon zu lösen. Als Sie gerade meine Behauptung gelesen haben, dass es eine Bewusstseinsebene gibt, auf der Gelingen die Norm ist, wie haben Sie reagiert? Wenn Sie Zweifel oder Skepsis verspü rten, reagierten Sie aus dem Ego heraus. Ich meine damit nicht Egoismus, der ü bertriebenes Ego ist. Im täglichen Leben, ob Sie nun egozentrisch oder bescheiden sind, ist das Ego Ihre individuelle Sichtweise. Es umfasst Ihre Erfahrungen und Erinnerungen, Ihre Gewohnheiten und Ü berzeugungen, mit anderen Worten, die ganze Geschichte, die Sie bis zu diesem Moment erlebt haben.

Das Ausbrechen aus dem Ego ist so etwas Ungewöhnliches, dass die meisten Menschen gar keine Vorstellung davon haben, was dies bedeuten wü rde. Das ist völlig verständlich. Reines Bewusstsein hat keine Identität, kein »Ich«, das es zu verteidigen gilt. Es hat keine Verbindungen zu Erinnerungen, Gewohnheiten und alten Konditionierungen, denn nur der gegenwärtige Moment steht bei ihm im Mittelpunkt. Als Erfahrung ist reines Bewusstsein vom Standpunkt des Egos aus gesehen eine Leere. Das Ego registriert eine Erfahrung vor allem ü ber Verlangen und Eigeninteresse. »Ich will X« und »Ich will X nicht« sind vorrangige Erwägungen. Auch »Mir gefällt, wie sich das anfü hlt« und »Mir gefällt nicht, wie sich das anfü hlt« spielen eine wichtige Rolle, ebenso wie »Ist das gut oder schlecht fü r mich?«.

Wenn Verlangen und Eigeninteresse fehlen, fü hlt sich das Ego erfahrungsleer. Die Erfahrung reinen Bewusstseins beruht darauf, einfach hier zu sein, zu beobachten, zuzulassen und auf die richtige Art und Weise zu handeln, ohne Bedenken oder Eigeninteresse. Das Abstandnehmen stellt die Erfahrung auf den Kopf. Anstatt dass der Geist ständig aktiv und unruhig ist – mit gelegentlichen Momenten der Ruhe, des Friedens und der Gelassenheit – ist man immer in Frieden und gelassen, mit gelegentlichen Momenten, in denen etwas zu denken, zu sagen oder zu tun ist.

Der Kontrast ist so stark, dass viele Menschen den Zustand der ruhigen Gelassenheit ablehnen, in dem sich ihr Geist natü rlicherweise befinden möchte. Fü r sie fü hlt sich innere Ruhe an, als ob »nichts los wäre«, also suchen sie eine unmittelbare Quelle der Aktivität und Ablenkung. Ergeht es Ihnen nicht auch ab und zu so, dass Sie nichts anzufangen wissen oder sich irgendwie zapplig fü hlen? Plötzlich springen Sie ohne groß nachzudenken auf, um sich einen Imbiss zu holen, Ihre WhatsApp-Nachrichten zu lesen oder im Internet zu surfen, und zwar im Allgemeinen ohne diese Dinge wirklich tun zu mü ssen. Impulsives Verhalten entsteht aus der Weigerung heraus, einfach nur hier zu sein. Das Ego spü rt an einem Ort echter Ruhe und Gelassenheit seine eigene Unruhe, und »nichts ist los« wird zum Auslöser fü r sinnlose geistige Aktivität.

Man kann von niemandem erwarten, dass er von heute auf morgen von der Ebene des Egos auf die Ebene der grenzenlosen Möglichkeiten springt – ein solcher Sprung ist mehr oder weniger unvorstellbar. Aber wir können auf die Grundwahrheit zurü ckgreifen, dass das Bewusstsein ü berall ist und an allem teilhat. Es nimmt an der Art und Weise teil, wie wir unser Leben fü hren, und bietet uns so einen Mittelpunkt, der völlig menschlich und doch viel weiter ausgedehnt als das Ego ist. In dieser Mitte treffen Sie, das Individuum, auf die ordnende Macht des Bewusstseins, auf die Kraft, die den gesamten geistigen Körper ü berwacht. Von hier aus stehen alle Vorteile des erwachten Lebens zur Verfü gung.

Die menschliche Matrix

Wenn uns gesagt wird, dass das vollkommene Bewusstsein uns in allem, was wir tun, unterstü tzt, haben wir das Recht zu fragen: »Was tut es heute fü r mich?« Dies ist keine egoistische oder anmaßende Frage. Wenn Sie Ihr Leben unter die Lupe nehmen, stellt sich heraus, dass das Bewusstsein nicht nur jeden Tag eine Menge fü r Sie tut – sondern alles. Bis hierhin habe ich Vergleiche zwischen weniger und mehr Kraft verwendet, in Wahrheit jedoch mü ssen Sie sich nicht mit anderen vergleichen. Da das Bewusstsein vollkommen ist, kann es Ihnen nicht weniger oder mehr Kraft geben. Es bietet jedem alles. Es ist wie Lebendig-Sein. Wer lebendig ist, ist einfach lebendig – und nicht nur halb oder zu einem Zehntel. Das Leben existiert als Einheit. Mikroben verfü gen genauso darü ber wie Wale, Graumulle, Leguane und Sie.

Als menschliche Wesen sind wir in ein Netzwerk eingebettet, das die Existenz bis hinunter zur Ebene des kleinsten Gedankens und des kleinsten subatomaren Teilchens organisiert, lenkt und verwaltet. Ich nenne dieses Netzwerk die menschliche Matrix . Sie liegt genau zwischen dem reinen Bewusstsein und dem Ego. In der menschlichen Matrix hat das Bewusstsein auf unser Leben zugeschnittene Strukturen konstruiert. Fü r andere Lebewesen gibt es eine andere Matrix. Ein Pottwal, dessen gesamter geistiger Körper darauf ausgerichtet ist, Tausende von Metern unter der Meeresoberfläche zu tauchen, um Riesenkalmare zu finden und zu fressen, lebt genauso in einer Matrix wie wir. Wir können nicht behaupten, dass die Matrix eines Pottwals einfacher oder primitiver ist als unsere.

Wenn das Bewusstsein eine Matrix schafft, weiß niemand genau, wie das geschieht. Zunächst einmal ist der Prozess unsichtbar. Zweitens hinterlässt er nur sehr wenige Spuren. Chemische Reaktionen innerhalb einer Zelle sind perfekt organisiert, aber nach ein paar Tausendstelsekunden sind sie schon wieder verflogen. Ein Gedanke ü berbringt eine sinnvolle Botschaft, nur um danach spurlos zu verschwinden. Die menschliche Matrix ist dynamisch, verändert sich ständig, etwas, das sich enorm zu Ihrem Vorteil auswirkt. Sie sind von der vollkommenen Kraft des Bewusstseins umgeben, das von selbst fü r Sie arbeitet, und es weiß alles darü ber, was Sie brauchen.

Jedes Mal, wenn Sie einen neuen Wunsch oder eine neue Absicht haben, reagiert die ganze Matrix. Ich habe viel Zeit damit verbracht, die Verbindung zwischen Quantenphysik und Bewusstsein zu erforschen. Meine Faszination dafü r kann ich auf ein Zitat des bedeutenden englischen Physikers Sir Arthur Eddington zurü ckfü hren, der sagte: »Wenn das Elektron vibriert, erschü ttert das das Universum.« Dasselbe gilt fü r die menschliche Matrix. Jeder noch so kleine Wunsch, den man hat, durchdringt das Bewusstsein und bewirkt eine Veränderung in seiner lebenden Struktur.

Wir sehen die organisierende Kraft nicht, die hinter allem steht, was wir denken, sagen und tun. Wir können auch nicht Intelligenz auf einem Gehirnscan sehen, aber trotzdem existiert sie. Kein Messgerät kann quantifizieren, wie viel Liebe man empfindet, doch jeder, der sich verliebt hat, spü rt ihre enorme Kraft. Die menschliche Matrix gibt es seit Hunderttausenden von Jahren, und sie hat sich mit jedem Fortschritt des Homo sapiens weiterentwickelt. Mathematik, Literatur und Wissenschaft waren schon Tausende von Jahren vor ihrem Entstehen im höheren Gehirn unserer steinzeitlichen Vorfahren angelegt. Unser Gehirn ist aus DNA aufgebaut, die zu 85 Prozent mit der DNA einer Maus, zu 98 Prozent mit der DNA eines Gorillas und zu 99 Prozent mit der DNA eines Schimpansen, unseres nächsten genetischen Verwandten, ü bereinstimmt.

Innerhalb dieses winzigen Unterschiedes ist die menschliche Matrix konstruiert worden. Niemand weiß, wie das möglich ist, denn sich bei der Erklärung nur auf die DNA zu stü tzen, ist irrefü hrend und unangemessen. Den Homo sapiens gibt es nach neuesten Erkenntnissen seit rund 300 000 Jahren, während Schimpansen schon seit 18 Millionen Jahren auf dieser Erde weilen. Schimpansen verfü gen ebenfalls ü ber ein höheres Gehirn, aber die Schimpansenmatrix hat sozusagen kein Potenzial fü r Mathematik, Literatur und Wissenschaft. Schimpansen verfü gen ü ber die Matrix, die fü r sie vollständig ist, und wenn es zu einer evolutionären Weiterentwicklung kommt, geht diese sehr, sehr langsam vor sich. Wir können davon ausgehen, auch wenn wir es nie mit Sicherheit wissen werden, dass urzeitliche Schimpansen sich bereits sehr ähnlich wie die heutigen Exemplare verhalten haben.

Die menschliche Matrix hat sich im Vergleich dazu extrem schnell entwickelt. Wenn der Steinzeitmensch das Potenzial fü r Mathematik, Literatur und Wissenschaft hatte, wusste er es nicht, so wie ein Zweijähriger keine Ahnung hat, dass er das Potenzial zum Lesen hat. Als Sie lesen lernten, haben Sie nachgeholt, was Ihnen evolutionär zusteht. Ihr Bewusstsein entfaltete sein Potenzial Schritt fü r Schritt. Doch diese Schritte kamen aus der Vergangenheit. Die Fähigkeit zu sprechen, zu lesen und rational zu denken ist ein Erbe – wir erlangen es automatisch, einfach dadurch, dass wir geboren werden.

Als Sie erwachsen wurden, wurden Sie zur Bezugsperson fü r die Evolution in der Gegenwart. Indem Sie auf den Schultern unserer Vorfahren stehen, können Sie die menschliche Matrix – oder mindestens Ihren Anteil davon – dorthin bewegen, wo Sie möchten. Wohin soll es also als Nächstes gehen? Es gibt keinen allgemeingü ltigen Wegweiser fü r sieben Milliarden Menschen, die jede Minute Entscheidungen treffen. Betrachten wir das Ganze aus der Distanz, so gibt es ü ber die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg Verbindungen zwischen den Menschen. Diese Verbindungen sind unser unsichtbares Potenzial, und sie machen uns zu einer einzigartigen Spezies des Bewusstseins. Wir können unseren eigenen evolutionären Weg bestimmen.

Wenn Sie einen Moment innehalten und Ihre Hand betrachten, können Sie direkt nachvollziehen, wie das Bewusstsein funktioniert. Die menschliche Hand hat siebenundzwanzig Knochen, die gleiche Anzahl wie die Hand eines Schimpansen. Der Hauptunterschied besteht darin, dass im entspannten Zustand der Hand der Daumen am Handteller anliegt – das ist der berü hmte opponierbare Daumen, von dem die Evolutionisten sprechen. Schimpansen und andere höhere Primaten haben ebenfalls einen gegenü bergestellten Daumen, den sie zum Schälen von Bananen, zur gegenseitigen Körperpflege und zur Herstellung eines primitiven Werkzeugs aus einem Zweig verwenden, mit dem sie nach Maden in einem Baum stöbern.

Was den opponierbaren Daumen beim Menschen zu einem evolutionären Wunder macht, ist in unseren Knochen nicht zu erkennen. Das Wunder geschah im Bewusstsein und ist daher unsichtbar. Der opponierbare Daumen ermöglichte es dem Menschen, feine Detailarbeit zu leisten, so wie wenn ein Kü nstler einen Kupferstich anfertigt, indem er mit einem Stichel feine Linien auf eine Kupferplatte kratzt. Ein berü hmter Kupferstich ist ein Selbstportrait von Rembrandt als junger Mann. Sein fein säuberlich gezeichnetes flaumiges Haar umschließt seinen Kopf wie ein wirrer Heiligenschein. Die Radierung wäre schon bemerkenswert genug, ohne zu wissen, dass das Original nur etwa fü nf Zentimeter breit ist (Sie können es online ansehen, indem Sie als Suchbegriffe zum Beispiel »Selbstportraits Rembrandt« eingeben; es ist dasjenige, bei dem er ü ber seine linke Schulter schaut, entstanden um 1630). So geschickt Schimpansen auch sein mögen, sie werden es Rembrandt niemals gleichtun können – und auch nicht einem Straßenkü nstler, der mit seinen Spraydosen eine triste Backsteinmauer in einer Großstadtgasse verschönert.

Die Detailgenauigkeit, die erforderlich ist, um einen Diamanten zu schneiden, ein Kamee-Porträt anzufertigen oder venezianische Spitzen herzustellen, erfordert unbedingt einen opponierbaren Daumen. Trotzdem ist er letztendlich nur ein Werkzeug, das dem Bewusstsein nü tzlich ist. Ohne das Bewusstsein ist das Werkzeug nutzlos beziehungsweise in der Familie der Primaten nur von begrenztem Nutzen.

Wenn man alle Bereiche des menschlichen Lebens betrachtet, kann man erkennen, wie einzigartig die menschliche Matrix ist und wie sie uns umfängt.

DIE MENSCHLICHE MATRIX

Alles, was das Bewusstsein uns gegeben hat

Zwei Sachen an dieser Liste sind besonders erstaunlich. Das erste ist ihre Komplexität. Kein anderes Lebewesen nutzt das Bewusstsein in einer solchen Vielfalt. Das zweite ist ihre Einheit. Das Bewusstsein tut alles auf einmal. Diese beiden Merkmale – Vielfalt und Einheit – zusammen definieren die Vollkommenheit . Es wäre besser, wenn wir keine abstrakten Begriffe wie Vollkommenheit verwenden mü ssten, doch es gibt einen Grund dafü r. Ganzheit ist keine Erfahrung. In der menschlichen Matrix wird alles zur gleichen Zeit koordiniert, aber Erfahrungen treten einzeln, getrennt auf.

Hier ist eine Ü bung, die Ihnen die verborgene Macht der Vollkommenheit aufzeigt: Lesen Sie den folgenden Satz. Zählen Sie während des Lesens, wie oft der Buchstabe e enthalten ist, und versuchen Sie gleichzeitig, den Inhalt des Satzes zu verstehen.

Nach bester Schätzung gibt es in unserem Körper zwischen hunderttausend und einer Million Arten von Proteinen; so ganz genau weiß es niemand.

Sie werden wahrscheinlich schnell feststellen, dass Ihr Geist sich weigert, zwei Dinge gleichzeitig zu tun – er möchte, dass Sie entweder den Satz auf seine Bedeutung hin lesen oder zählen, wie oft der Buchstabe e erscheint. Das ist die Begrenzung der linearen Erfahrung. Und doch hat in jedem Augenblick Ihres Lebens die Vollkommenheit des Bewusstseins keine Schwierigkeiten, alles zu bewältigen, was ich auf der vorherigen Seite aufgelistet habe, von körperlichen Vorgängen bis hin zu Emotionen, rationalem Denken und so weiter – die Gesamtheit der menschlichen Matrix. Sie leben innerhalb der menschlichen Matrix auf dem Gipfel dessen, was das Bewusstsein auf der Erde zu erreichen vermag. Diese Erkenntnis definiert radikal neu, wer Sie sind.

Wenn Sie verstehen, was Vollkommenheit ist, sind normale Erwartungen lächerlich unzulänglich, um die Kraft zu beschreiben, die in Ihnen und außerhalb von Ihnen existiert. Tatsächlich gibt es kein Innen und Außen. Die Vollkommenheit des Bewusstseins regiert ü ber die Schöpfung ohne Rü cksicht auf Begrenzungen. Diese unsichtbare Struktur, die menschliche Matrix, erweitert die Bedeutung der vollkommenen Meditation. Wir mü ssen Meditation als etwas Allumfassendes betrachten, das sich auf alles in der menschlichen Matrix auswirkt. Auch hier hilft die Analogie des Ozeans. Einer der ü berraschendsten – und beunruhigendsten – Aspekte des Klimawandels ist, wie schnell die Weltmeere von kleinen Veränderungen betroffen sind. Es gibt alarmierende Nachrichten, laut denen bereits mehr als ein Drittel der Korallenriffe auf unserem Planeten schwere Schäden erlitten haben oder abgestorben sind.

Niemand ahnte frü her, dass eine Erwärmung der Meere um einige Grad Celsius derart drastische Auswirkungen haben könnte. Das Great Barrier Reef vor der Ostkü ste Australiens leidet unter der massenhaften Vermehrung korallenfressender Seesterne: Der sogenannte Dornenkronen-Seestern gilt als einer der Hauptverursacher des großen Riffsterbens. Außerdem fü hrt die erhöhte Wassertemperatur zum Absterben des lebensnotwendigen Algenbewuchses der Korallen.

Auch die Meeresströmungen verändern sich durch den Klimawandel, und aufgrund der ausbleibenden Fischschwärme wirkt sich das auf die Fischerei aus. Peruanische Sardellenfischer zum Beispiel bekommen ein El-Niño-Jahr, das von wärmeren Temperaturen und stärkeren Regenfällen geprägt ist, wirtschaftlich stark zu spü ren.

Wir alle kennen die Berichte ü ber schmelzende Eiskappen an beiden Polen und ü ber Eisbären, die ertrinken, weil sie die größer werdenden Abstände zwischen den Eisschollen nicht mehr ü berwinden können. Wir wissen, dass riesige Brocken der antarktischen Eiskappe in naher Zukunft abbrechen, schmelzen und so den globalen Meeresspiegel erhöhen könnten. Tiefliegende Inseln wie die Malediven im Indischen Ozean sind bereits bedroht.

Die Ozeane absorbieren sowohl Treibhausgase als auch Wärme. Wenn das System ü berlastet wird, fü hrt dies zu einer Versauerung der Meere (ein wichtiger Faktor beim Absterben von Riffen). Einige weisen auf die Möglichkeit hin, dass die Erdatmosphäre fü r menschliches Leben zu giftig werden könnte, und auch dies hängt mit den Ozeanen zusammen.

Wenn Fische sterben, sinken ihre Ü berreste, sofern sie nicht vorher von anderen Fischen oder Möwen gefressen werden, auf den Meeresgrund, wo sie verrotten und Methangas freisetzen. Die Meerestiefen sind bisher noch kalt genug, um das Methan weit unter der Oberfläche zu binden, aber bei wärmeren Wassertemperaturen wird das Gas aufsteigen und in die Atmosphäre entweichen. Ab gewissen Mengen wirkt sich Methan tödlich auf Lebewesen aus. In der frü hen Erdgeschichte gab es große Mengen an Methan in der Atmosphäre, und der Methangehalt musste erst beträchtlich absinken, bevor Leben entstehen konnte. Nach Berechnungen von Paläontologen gab es in der Erdgeschichte fü nf Massenaussterben. Das betraf nicht nur die Dinosaurier, sondern insgesamt bis zu einer Milliarde Lebensformen. Einige dieser großen Artensterben werden heute mit einer Freisetzung von Methan aus den Ozeanen während eines Erwärmungszyklus in Verbindung gebracht.

Ganz gleich, ob Sie optimistisch oder pessimistisch hinsichtlich der Fähigkeit der Menschheit sind, den Klimawandel einzudämmen, der Ozean steht fü r die Vollkommenheit in einem Lebensbereich, und jede kleine Auswirkung des Klimawandels steht fü r die Vielfalt der menschlichen Matrix. Wir können die Ozeane visualisieren, sie kartografieren, alle Arten von Veränderungen in ihnen beobachten und messen. Die menschliche Matrix aber spiegelt die unsichtbaren Bewusstseinsströme wider, die sich in ihr bewegen. Im Gegensatz zu den sich erwärmenden Meeren, die passiv auf Wärme und Treibhausgase reagieren, weiß das Bewusstsein, was geschieht, und erfindet ständig neue Reaktionen. Diese unendliche dynamische Kraft drü ckt sich auch durch Sie aus – wie bei allem, was die Vollkommenheit betrifft, sind Sie diese Kraft.

Vollkommene Meditation

Lektion 15: Einssein

Wenn man einmal wirklich begriffen hat, dass Bewusstsein vollkommen ist, hat man das Geheimnis der unendlichen Kraft begriffen. Einssein klingt abstrakt. Es wäre beängstigend, sich auf dem Meer treibend wiederzufinden, mit Wasser so weit das Auge reicht. Aber die Erfahrung des Einsseins ist nicht so. Sich von Bewusstsein umgeben zu finden, so weit das Auge reicht, ist so, als befände man sich im Zentrum der Schöpfung. Wenn Sie vollständig erwacht sind, wird sich Ihre Existenz genauso anfühlen.

Sie müssen sich jedoch nicht unter Zwang gesetzt fühlen zu erwachen. Einssein drückt sich bereits durch Ihren geistigen Körper aus. Die wesentliche Aufgabe besteht darin, sich der Vollkommenheit anzuschließen, anstatt sich ihr entgegenzustellen. Aber wie tun Sie das?

Sie sind immer dann in Übereinstimmung mit dem Einssein, wenn …

Sie gerne dort sind, wo Sie sind.

Sie sich selbst vorbehaltlos annehmen.

Ihr Leben reibungslos verläuft, ohne Hindernisse und Rückschläge.

Ihre Wünsche ohne Anstrengung in Erfüllung gehen.

Sie es genießen, hier zu sein.

Sie sich von der Natur unterstützt fühlen.

Der letzte Punkt ist im Grunde der wichtigste. Von der Natur unterstützt zu werden, ist die Erfahrung eines jeden Lebewesens. Jedes Geschöpf passt genau zu seinem Lebensraum. Da diese Unterstützung so natürlich bereitgestellt wird, müssen ein Delfin, ein Erdferkel, ein irischer Setter oder ein Rhesusaffe nicht über das Einssein nachdenken. (Es wäre interessant zu wissen, ob Delfine dies tun, da sie ständig zu lächeln scheinen.) Umgekehrt widersetzen sich die Lebewesen nicht der Unterstützung der Natur und unterlaufen sie nicht. Da wir Menschen jedoch einen sehr großen Lebensraum bewohnen, in dem das Auswählen eine große Rolle spielt, haben wir auch die Wahl, uns der Unterstützung der Natur zu entziehen.

Wir tun dies, wenn …

wir kämpfen und leiden.

wir auf reine Nahrung, Wasser und Luft verzichten.

wir zulassen, dass Angst und Wut unser Verhalten diktieren.

wir zulassen, dass alte Gewohnheiten und Konditionierungen uns leiten.

wir unsere Rolle als Mitschöpfer der Realität vergessen.

Wir leben in einer Welt, in der Kinder weder von ihren Eltern noch in der Schule lernen, sich auf das Einssein auszurichten. Durch diesen Mangel gibt es immer viel Raum für Verwirrung und Zweifel. Wenn Sie nicht gewahr werden, dass die Natur Sie in allem, was Sie denken, sagen und tun, unterstützen kann, dann werden Sie nur allzu leicht Entscheidungen treffen, die Ihr Leben im Kleinen wie im Großen aus der Bahn werfen können. Die Lösung besteht jedoch nicht darin, sich mehr anzustrengen, um bessere Entscheidungen zu treffen, denn es kann immer wieder zu unvorhergesehenen Folgen kommen. Das Geheimnis besteht vielmehr darin, sich mit dem Einssein zu verbünden – mit anderen Worten, sich in vollkommener Meditation zu üben.

Verborgene Kräfte

Wir ü bersehen ständig, wie mächtig wir sind. Im Rahmen der menschlichen Matrix verläuft unser Leben innerhalb fester Grenzen. Wir scheinen nicht annähernd unendliche Kräfte zu besitzen. Aber die Kraft, aus der wir schöpfen könnten, hält sich direkt vor unseren Augen versteckt. Wir nehmen sie nicht wahr, weil unser Leben von der Stimme im Kopf dominiert wird, die unsere Gedanken erzählt. Diese Erzählung betrifft uns jedoch nicht nur marginal, sondern beeinflusst uns nachhaltig. Mit den Jahren werden wir zu dem, was wir denken, und hier liegt das Problem. Denken ist nicht dasselbe wie Gewahrsein. Oft ist Denken – vor allem, wenn man sich endlos ü ber etwas den Kopf zerbricht – sogar der Feind des Gewahrseins.

Kinderpsychologen weisen darauf hin, dass Kinder Anweisungen ihrer Eltern (»Räum dein Zimmer auf«, »Schalte den Fernseher ab«, »Geh ins Bett«) gerne einfach ignorieren. Wenn die Eltern allerdings etwas sagen, das das Kind negativ beschreibt – »Du bist nicht so lustig wie die anderen Mädchen«, »Du bist nicht sonderlich intelligent«, »Du bist ein böser Junge« –, werden diese Worte aufgenommen und bleiben dem Kind oft ein Leben lang in Erinnerung. Werden solche beschreibenden Aussagen dann gar öfters wiederholt und mit starken Emotionen versehen, kann die Wirkung verheerend sein. »Ich bin x« wird in der Persönlichkeit des Kindes verankert, was zu Schuldgefü hlen, Scham, geringem Selbstwertgefü hl und anderen Themen fü hrt, die keine Grundlage haben, außer dass die Worte von Vater oder Mutter zu den Worten werden, die das Kind in seinem Kopf hört.

Die Stimme in Ihrem Kopf lässt die Vergangenheit immer wieder aufleben. Das Problem sind nicht nur die destruktiven Dinge, die Ihnen diese Stimme vielleicht einflü stert, sondern die Tatsache, dass man sich der Gegenwart nicht richtig bewusst ist, wenn man in die Vergangenheit zurü ckversetzt wird. Ihr Geist ist woanders. Gewahrsein ist immer präsent, aber wenn Sie es nicht sind, dann macht sich die Kraft des Gewahrseins unsichtbar und wird durch den Vorhang aus Gedanken verdeckt, die »mich«, die isolierte Ego-Persönlichkeit, definieren. Vergleichen Sie einmal die folgenden beiden Sätze:

Wegen dieser Diskrepanz ist es kein Wunder, dass wir gezwungen sind, uns auf das Ego zu stü tzen – es kettet uns an die Dinge, die wir in unserem Kopf hören, und es hält unsere persönliche Geschichte am Laufen. »Ich« fü hlt sich mit den Geschichten anderer Menschen verbunden, sodass wir uns nicht so alleine vorkommen. Solange »Ich« die Dinge auf diese Weise zusammenhalten kann, scheint Nichtgewahrsein nicht so schlimm zu sein. Vielleicht bemerken Sie es gar nicht, wie die meisten Menschen.

Die Stimme in Ihrem Kopf konspiriert mit dem Ego, um Ihnen ein Gefü hl der Identität zu geben. Sie können sich im Spiegel als eine bekannte Größe sehen, zum Beispiel einen berufstätigen Mann in den Vierzigern, der stetig die Karriereleiter erklimmt, oder eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, die sich mit Putzjobs durchschlägt. Die eine dieser Identitäten ist in den Augen der Gesellschaft viel erstrebenswerter als die andere, aber beide fü hlen sich fü r die betreffende Person real und substanziell an.

Wenn Sie sich ein schöneres Leben wü nschen, macht sich Ihr Ego daran, die Geschichte, die Sie leben, zu verbessern, und seine Bemü hungen sind möglicherweise auch erfolgreich. Aber diese Art von Erfolg verschleiert nur die Tatsache, dass das Ego nie so ganz verlässlich und substanziell war. Es ist in Wirklichkeit nur ein Bü ndel von Erinnerungen, Eindrü cken, Vorlieben und Abneigungen, sozialen Konditionierungen, Ü berzeugungen und Ablehnungen. Dieses Bü ndel wurde planlos zusammengestellt, mit nicht mehr Struktur als einzelne Zeitungsseiten, die vom Wind durch eine Straße geweht werden. Und doch sind Sie davon ü berzeugt, dass diese chaotische Zusammenfü gung das ist, was Sie sind. Wo wären Sie, wenn Sie sich selbst im Spiegel betrachten wü rden und Ihre auf Ihrem Ego basierende Geschichte nicht reflektiert sähen?

Sie wären in einer viel besseren Lage.

Nichts, was das Denken hervorbringt, ist ein Ersatz fü r das Gewahrsein. Die Identität, mit der Sie sich selbst umwickelt haben, beinhaltet vieles, was falsch, schädlich und aus zweiter Hand ist. Nehmen Sie als Beispiel den Satz »Ich bin nicht … genug«. Fü llen Sie die Lü cke mit einem Wort, das etwas beschreibt, von dem Sie glauben, dass es Ihnen fehlt, zum Beispiel »Ich bin nicht intelligent genug«. Oder vielleicht nicht selbstbewusst, schlank, attraktiv, reich oder gut genug. Diese Formulierungen sind nicht einfach Selbstbeurteilungen. Sie sind in Ihre Geschichte eingebettet. Die Stimme in Ihrem Kopf ist darauf programmiert, sich an diese Urteile zu erinnern, die ihren Ursprung in der Vergangenheit haben, als Sie sich selbst als nicht gut genug, nicht intelligent genug, nicht attraktiv genug und so weiter beschrieben haben oder von Autoritätspersonen wie Ihren Eltern so beschrieben worden sind.

All dies macht deutlich, dass solche tief verankerten Selbstbeurteilungen ausgeräumt werden mü ssen. Der nächste Teil des Buches, »Die vollkommene Meditation in vielfältiger Praxis«, ist diesem Prozess gewidmet. Genauso notwendig ist es, Ihre Wahrnehmung auf das Gewahrsein im Hier und Jetzt zu stü tzen. Das in der Gegenwart existierende Selbst ist Ihr wahres Selbst. Es ist dasjenige, das mit dem vollkommenen Bewusstsein verbunden ist und schon immer war. Ihr wahres Selbst ist die Quelle aller höchsten Werte im menschlichen Leben, und Sie schaffen sich damit Ihren rechtmäßigen Platz in der menschlichen Matrix.

Es gibt keinen Grund, sich an die falsche Hilfe durch Ihr Ego und die Stimme in Ihrem Kopf zu klammern. Von dem Moment an, in dem Sie anfangen zu erwachen, wird der Prozess der vollkommenen Meditation Ihr wahres Selbst enthü llen. All die Zweifel, Ängste und Urteile, die Sie bisher erfahren haben, wurden vom Ego erzeugt. Es verstärkt immer wieder Ihre Geschichte, um seiner eigenen Absicht zu dienen, die darin besteht, zu ü berleben. Wenn Sie sich von den Begrenzungen lösen, die Ihnen so real erscheinen, werden Sie klar erkennen, dass das Ego von Natur aus urteilend, unsicher und ängstlich ist.

Der ganze Prozess des Loslösens ist relativ mü helos, weil man ein Trugbild auflöst, um zu erkennen, wer man wirklich ist. Trugbilder können beängstigend sein, aber letztlich haben sie weder Realität noch Substanz. Alles Reale und Substanzielle existiert in der Verbindung zwischen Ihrem wahren Selbst und den unendlichen Möglichkeiten, die im Bewusstsein auf Sie warten. Es ist an der Zeit, diese Verbindung zu reparieren, damit Sie die Realität selbst erfahren können.