KAPITEL FÜNF
„DAS
ist eine Dusche.“
Aria schaute überrascht auf und erfreute sich am Klang dieses Wortes. Der Prinz lehnte lässig im Türrahmen des Badezimmers, die Arme vor seinem gewaltigen Brustkorb verschränkt. Obwohl seine Brille, schon so vertraut, an ihrem üblichen Platz war, konnte sie fühlen, wie seine Augen flink ihren Körper scannten. Sie trat einen kleinen Schritt zurück, bis ihre nackten Fersen den kalten Boden der Apparatur berührten, die er gerade als Dusche bezeichnet hatte. Diese hier war anders als das riesige Ding in seinem Zimmer. Es war eine kleine Kabine mit einer Tür aus milchigem Glas, die es unmöglich machte, mehr als grobe Umrisse dahinter zu erkennen.
Er schritt ohne Eile in ihre Richtung, mit seinem kräftigen Körper, machtvoll und elegant und der furchteinflößenden Beweglichkeit, die seiner Spezies innewohnte. Aria legte ihren Kopf zurück und schaute ihn in stiller Ehrfurcht an. Sie hatte ihn seit letzter Nacht nicht mehr gesehen, aber sie realisierte jetzt seine wirkliche Größe, seine Autorität und seine raue, männliche Schönheit. Tatsächlich erschien er ihr heute noch überwältigender und machtvoller als gestern.
Er ging auf sie zu, legte seine Hand gegen die Mauer neben ihrem Kopf und griff mit der anderen um sie herum in die Kabine. Gegen ihren Willen spürte sie, wie ein eigenartiges Prickeln von ihrem Körper Besitz ergriff. Sie lehnte sich instinktiv in seine Richtung und atmete seinen männlichen Duft nach Gewürzen und Erde ein, doch sie roch auch noch etwas anderes an ihm, intensiv und kräftig. Sie empfand es als ungebändigt und wild. Es hätte sie ängstigen sollen, stattdessen musste sie dagegen ankämpfen, noch näher an ihn heranzurücken, ihn zu berühren und sich dem Geruch ganz hinzugeben. Ihre verräterischen Finger zuckten, in dem jähen Bedürfnis ihn zu berühren.
Aria sprang überrascht ein Stück zur Seite, als plötzlich Wasser aus dem Duschkopf sprühte und die Rückseite ihrer nackten Beine berieselte. Sie drehte sich um. Von Unglauben erfüllt, fiel ihr die Kinnlade herunter, während sie auf das Wasser starrte, das aus der Düse strömte. Der Prinz drehte an den beiden Knöpfen darunter und veränderte damit mühelos Menge und Temperatur des Wassers.
„Beeindruckend“, flüsterte sie.
„Ich denke, das ist es.“
Sie zuckte zusammen, als sie seine Hand fühlte, die zart über ihr Haar strich. Sie drehte sich zu ihm um, unfähig, zu sprechen, als er eine Strähne locker um seinen Finger drehte. Sie war nicht dazu in der Lage, sich von ihm wegzubewegen, konnte sich nicht dazu bringen, ihm ihr Haar zu entziehen. Sie konnte lediglich in stummer Überraschung dastehen, während er die Strähne schon halb um seinen Finger gewickelt hatte, bevor er seinen Blick wieder auf ihr Gesicht richtete.
„Du wirst es genießen, Arianna.“
Für einen Moment lang wusste sie nicht, ob er meinte, dass sie ihn
genießen würde oder die Dusche. Und im Augenblick war sie sich selbst auch nicht sicher, war doch das Dringendste, was sie gerade wissen wollte, wie sich wohl dieser
Mund anfühlte. Oje, sie verlor wirklich den Verstand. Die Gefangenschaft machte seltsame Dinge mit ihr. Feind! Erinnerte sie sich selbst eindringlich. Er war der Feind
- aber er fühlte sich im Moment überhaupt nicht wie ihr Feind an.
Schließlich löste er ihr Haar von seinem Finger und trat einen kleinen Schritt zurück. „Ich habe nach jemandem geschickt, der dir helfen wird.“
Sie war absolut dazu in der Lage, allein zurechtzukommen. „Das ist nicht nötig.“
„Du bist ein Gast, und als solcher steht dir auch der Komfort eines Gastes zu.“
Sie hob eine Augenbraue und musterte ihn. „Ein Gast
bin ich jetzt also?“
„Du bist das, was ich für richtig halte“, erwiderte er knurrend. Trotz der Tatsache, dass die Hitze des Wassers den Raum schnell erwärmte, lief ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Jedes Gefühl von Wärme, das sie gerade noch gespürt hatte, war wie weggewaschen, als ihr die kalte Realität ihrer Lage erneut ins Bewusstsein drang. Egal wie gut er auch riechen mochte, sie hätte das nicht vergessen dürfen, nicht für einen einzigen Augenblick. Sie war ein Idiot. „Und solange
ich es für richtig halte.“
Das dünne Kleid, das man letzte Nacht für sie herausgelegt hatte, begann durch den Dampf des Wassers, der sich schnell im Raum ausbreitete, an ihr zu kleben. Ihre Fersen berührten wieder die Wanne der Dusche, als er sich näher zu ihr hinüberlehnte. Er war nah genug, dass sie die dunklen Stoppeln sehen konnte, die sein entschlossenes Kinn übersäten. Nah genug, um die scharfe Spitze seines Eckzahns sehen zu können, als seine Lippen sich in einem Lächeln etwas nach hinten zogen. Eckzähne, von denen sie wusste, dass sie im nächsten Augenblick ihre Haut aufschlitzen und sie aussaugen konnten.
„Ein Gast zu sein ist wirklich nicht so eine schlimme Sache, Arianna, oder?“, murmelte er.
Erst als er einen Schritt zurückging, war sie endlich wieder in der Lage zu atmen. Er spielte Katz und Maus mit ihr. Sie wusste es, aber zu ihrem großen Unbehagen musste sie beschämt gestehen, dass sie nicht anders konnte, als dieser tödlichen, abscheulichen Kreatur gegenüber eine eigenartige, grausige Form der Anziehung zu verspüren.
Sie schüttelte ihren Kopf im Versuch, sich selbst aus der Verwirrung der Gefühle zu befreien, die sie erfüllte, aber sie merkte, dass sie lediglich wortlos zu ihm aufsehen konnte, während er sich weiter über sie beugte, seine Hand nur wenige Zentimeter von ihrem Kopf entfernt. Sein ausgeprägter Bizeps spannte sich, und obwohl sie seine Augen hinter den getönten Gläsern nicht sehen konnte, war sie sich sicher, dass sein Blick auf ihrem Mund ruhte.
Ein zaghaftes Räuspern zog ihren Blick auf Maggie. Sie stand mit großen, braunen, fragenden Augen im Türrahmen und schaute schnell zwischen ihnen beiden hin und her. In ihren Armen hielt sie einige Handtücher, ein paar Flaschen, von denen Aria nicht wusste, was sie beinhalteten und etwas, das nach frischer Kleidung aussah. Obwohl sie erleichtert war, dass es Maggie war und nicht Lauren oder Julia, widerstrebte ihr die Vorstellung, sich vor ihr nackt zu zeigen und sich beim Anziehen helfen zu lassen.
Der Prinz sah Maggie für einen Moment still an, bevor er sich auf den Weg machte. Er schritt zur Tür, hielt dann aber noch kurz an Maggies Seite an, um die Dinge zu betrachten, die sie im Arm hielt.
„Keine Absätze“, befahl er grimmig, „und kein Parfum oder irgendetwas anderes Blumiges.“
Maggie warf einen Blick auf die Dinge in ihrem Arm, bevor sie sich wieder zum Prinzen umdrehte. Ihre Stirn kräuselte sich, und ihre dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen. Aria schaute überrascht, als Maggie den Prinzen spöttisch ansah und den Kopf schüttelte. Aria verstand ihre eigenartige Reaktion auf die Worte des Prinzen nicht. Vielleicht war sie selbst die Einzige, die nicht diese schrecklichen Folterwerkzeuge trug, die sich hier Schuhe nannten. Aber sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da wusste sie schon, dass sie falsch lag. Maggie trug einfache, bequem aussehende Schuhe, also warum sah die Frau bei seinen Worten so verwirrt aus?
Maggie schüttelte leicht den Kopf, als wollte sie etwas von sich abschütteln, und ihre Stirn entspannte sich. Der Prinz war schon gegangen, als sie die Schuhe von dem Stapel nahm und auf den Boden warf. Sie widmete ihre ganze Aufmerksamkeit jetzt Aria, die zu müde und durcheinander war, um zu protestieren, als sie wieder geschrubbt, gewaschen und angekleidet wurde, in wieder andere Kleidungsstücke, die sie freiwillig niemals in Betracht gezogen hätte. Das seidige, grüne Kleid, das über ihre Knöchel floss, wenn sie sich bewegte, schien ihr total unpraktisch zu sein. Ihre Füße allerdings fühlten sich ohne Schuhe einfach herrlich an.
Sie ging still hinter Maggie her, während sie durch den luxuriös eingerichteten Raum schritten, in dem sie die Nacht verbracht hatte, dann durch das kleine Wohnzimmer, das davor lag und schließlich zurück in den Hauptraum. Der Prinz stand vor einem der Erkerfenster und schaute in den Garten hinaus. Seine Hände waren hinter seinem Rücken zusammengelegt, und er wiegte langsam zwischen seinen Fußballen und seinen Fersen hin und her. Er sah sie nicht an, sondern zeigte einfach in Richtung Ausgang. Maggie neigte ihren Kopf, nickte Aria zu und schlüpfte durch die Tür.
„Ich habe etwas zu essen für dich bringen lassen.“
Aria waren die riesigen Berge an Essbarem schon aufgefallen, die auf einem Tablett in der Mitte des Raumes aufgestapelt waren. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, und ihr Magen knurrte laut und heftig. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie so viele köstlich aussehende Dinge gesehen. Sie blieb für einen Moment wie angewurzelt stehen, unsicher, was sie jetzt tun sollte, während sie auf die Käse-, Früchte-, Brot- und Fleischstapel auf dem Tablett starrte. Das war genug, um alle Bewohner der Höhlen für eine ganze Woche zu ernähren, vor allem, weil sie sich daran gewöhnt hatten, mit wenig Nahrung auszukommen und insgesamt mit sehr wenig zu überleben. Tatsächlich konnte sich Aria nicht an einen Tag erinnern, an dem sie nicht wenigstens ein bisschen hungrig schlafen gegangen wäre.
Dies mochte allerdings ihr erster werden.
„Arianna?“ Sie blinzelte schnell und drehte sich dem Prinzen zu, während ihr Magen weiter vernehmlich knurrte. Peinlicherweise so laut, dass sie sicher war, dass er es hören konnte. Er sah sie für einen langen Moment an, und seine Augenbrauen lugten über den dunklen Gläsern seiner Brille hervor. „Du bist hungrig, Arianna, du musst essen.“
Sie nickte stumm, konnte sich aber nicht überwinden, zu dem überfüllten Tablett zu gehen. Nicht, wenn so viele andere heute würden hungern müssen. Nicht, wenn ihre Familie
würde hungern müssen. Es schien ihr nicht richtig, nicht fair zu sein. Zum ersten Mal erlaubte sie sich, an ihre Familie zu denken.
Der Gedanke an sie war bisher einfach zu schmerzlich gewesen, und ihre Erschöpfung hatte sie am Vorabend gnädig schnell in einen tiefen Schlaf fallen lassen, bevor sie über ihren Verlust nachdenken konnte.
Ihre Familie würde krank sein vor Sorge um sie, halb verrückt wegen des Verlustes und der Vorstellung ihrer Qualen in dieser schrecklichen Situation. Armer William, er war wahrscheinlich niedergeschmettert. Ihr Vater und Daniel würden stoisch weitermachen, ihr Elend verbergen, das sie innerlich zerfressen würde, so wie sie es immer taten. Sie würden sich in Pläne für zukünftige Attacken und ihren Groll und Hass gegen die Vampire vergraben, bis es auch sie von innen heraus zerfressen würde, wie es schon so vielen ergangen war.
Aria zitterte; sie schlang ihre Arme um sich, während sie gegen die Tränen der Verzweiflung kämpfte, die sich mit Macht Bahn brechen wollten. Sie starrte den Prinzen an, aber sie konnte ihn nicht erkennen, durch die Wellen von Heimweh, die sie überfluteten. Und dann war da Max. Armer Maxwell, der irgendwo in dieser Stadt in der Falle saß, mit irgendeiner Kreatur, von der Aria stark bezweifelte, dass sie nur annähernd so freundlich zu ihm war wie der Prinz zu ihr.
Sie wollte nicht darüber nachdenken, was dieses Monster dem starken, fürsorglichen Max antun würde. Jetzt, wo sie dieses Fass aufgemacht hatte, war sie nicht mehr in der Lage, es zu schließen. Sie war nicht der erfahrenste Mensch auf der Welt, aber sie hatte lange genug am äußersten Rand der Gesellschaft gelebt, um die Grausamkeit zu kennen, die von Vampiren und von gebrochenen, korrupten Menschen ausgehen konnte. Ihre Familienmitglieder wollten sie immer beschützen, aber da waren einige Dinge, vor denen sie sie einfach nicht beschützen konnten
. Max würde sicher viele dieser Dinge erleiden müssen, während seiner Zeit mit dieser Vampirfrau.
Eine leichte Berührung ihres Armes ließ sie zusammenzucken. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, fast hätte sie ihrer Impulsivität nachgegeben und gegen ihren Entführer angekämpft, aber sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich zu beherrschen, bevor sie auf ihn losgehen konnte. Wenn das passierte, würde seine Freundlichkeit sicherlich verschwinden, und auch wenn sie nie erwartet hatte ein langes Leben zu haben, so hatte sie dennoch bestimmt keine Todessehnsucht. Sie blinzelte, bis sie den Prinzen erkennen konnte und bemühte sich darum, ihn nicht merken zu lassen, wie verloren und einsam sie sich gerade fühlte.
„Ich habe gestern Abend nicht nachgedacht, Arianna. Ich bin nicht daran gewöhnt, Menschen länger als für ein oder zwei Stunden um mich zu haben. Du musst essen. Ich weiß, dass du hungrig bist.“ Ihr verräterischer Magen knurrte wieder in eifriger Reaktion auf seine Worte. Fast hätte sie das Essen abgelehnt, aber etwas abzulehnen, das sie am Ende vielleicht retten würde, das war einfach idiotisch. Seine Stirnfalten vertieften sich, seine Besorgnis wurde offensichtlich. „Komm.“
Er führte sie zu einem der Sofas und wies sie an, sich daraufzusetzen, bevor er sich dem Tablett zuwandte. Aria schaute ihm andächtig dabei zu, wie er Speisen auf einen Teller stapelte. Sie war sicher, dass er das noch für niemanden vorher getan hatte. Sie konnte nicht verstehen, warum er es nun für sie tat oder warum er sie gestern vor dem hässlichen kleinen Vampir gerettet hatte. Sie nahm an, falls er ihr jemals seinen Grund dafür enthüllen würde, sie würde ihn sowieso bezweifeln. Er drehte sich wieder zu ihr um und überreichte ihr den übervollen Teller. Da stapelten sich Speisen, die ihr zum Teil völlig unbekannt waren.
Sie starrte den Teller an, bis der Prinz ihr eine Gabel und eine Serviette reichte. Sie drehte die Gabel in der Hand und begutachtete sie. Sie hatte so ein Ding schon einmal gesehen, es sogar schon ein paarmal benutzt, aber sie war nicht geübt darin. Sie aß viel lieber mit den Händen, was hier offensichtlich nicht gern gesehen wurde.
Er legte ein kleineres Tablett auf ihrem Schoß ab und stellte den gefüllten Teller vorsichtig darauf. Mit zitternden Händen hielt Aria die Gabel ungeschickt fest. Sie stach einige Male auf eine Frucht ein, bevor es ihr gelang, sie mit dem befremdlichen Werkzeug erfolgreich aufzuspießen. Es reizte sie, kopfüber in den prall gefüllten Teller voller Köstlichkeiten zu springen, aber sie zwang sich dazu, zumindest zu versuchen, zivilisiert zu erscheinen an diesem vornehmen Ort.
Der Prinz stellte ein Glas mit einer orangefarbenen Flüssigkeit neben sie. „Was ist das?“, fragte sie und errötete, als sie bemerkte, dass sie vor dem Sprechen nicht geschluckt hatte.
Er ignorierte ihren Mangel an guten Manieren und setzte sich neben sie auf das Sofa. “Orangensaft, ich habe gehört, er solle sehr gut schmecken. Menschen scheinen ihn jedenfalls zu mögen. Wir pflanzen die Bäume im Garten und in den Gewächshäusern an.“ Aria hob das Glas hoch, roch skeptisch daran und nahm vorsichtig einen kleinen Schluck. Die Flüssigkeit war kühl, süß und erfrischend. Sie kippte den restlichen Inhalt in einem Zug hinunter. „Du stimmst zu?“
Sie lächelte ihn zaghaft dankbar an, als er sich nach vorne lehnte, um ihr Glas neu zu füllen. Sie studierte ihn neugierig. Sie konnte nicht verstehen, warum er all das für sie tat, warum er so freundlich zu einer menschlichen Rebellin war. Sie traute sich allerdings nicht, ihn zu fragen, denn sie hatte das Gefühl, dass er es nicht gutheißen würde, wenn sie es erwähnte. Stattdessen entschied sie, die köstliche Mahlzeit, die er ihr zur Verfügung stellte, einfach zu genießen.
Ihr Appetit war jetzt geweckt und so konzentrierte sie sich wieder auf das Essen. Zwischenzeitlich vergaß sie sogar, dass er sie beobachtete, während sie sich immer wieder von dem großen Tablett mit all den Köstlichkeiten bediente. Ihr Magen war übervoll, und zum ersten Mal, seit sie denken konnte, war sie herrlich gesättigt, als sie schließlich ihren Teller zur Seite schob, ihren Mund an der Serviette abwischte und zufrieden seufzte.
„Bist du jetzt satt?“ Er sah sie an. Seine Stimme war voller Belustigung, ein halbes Lächeln verzog seine Oberlippe.
Aria neigte beschämt den Kopf, Hitze stieg in ihrem Gesicht auf, als ihr deutlich bewusst wurde, wie es wohl ausgesehen haben mochte, wie sie da vor seinen Augen fast die Hälfte der wohlschmeckenden Sachen auf dem Tablett in sich hineingeschaufelt hatte. Sie hatte mehr gegessen, als sie es normalerweise in drei Tagen tat.
„Ja.“
„Gut. Ich muss für eine Weile ausgehen, aber wenn du irgendetwas brauchst, dann wende dich an Maggie, sie wird es dir besorgen. Du musst nur nach ihr klingeln. Da ist ebenfalls ein Wächter, der vor der Tür stationiert ist, also ziehe eine Flucht gar nicht erst in Betracht.“
Aria zuckte zurück, sie kämpfte darum, ihr Gesicht ausdruckslos erscheinen zu lassen und ihre Empörung zu verstecken, nachdem sie nun unmissverständlich daran erinnert worden war, dass sie hier eine Gefangene war. Dass sie nie mehr frei sein würde, es sei denn, ihr würde etwas einfallen, was sie tun könnte, um ihre schrecklichen Umstände zu verändern. Er war bisher freundlich zu ihr gewesen, aber wie lange würde das wohl andauern?
Aria schluckte nervös, und ihre Hände verkrampften sich in ihrem Schoß. Obwohl sie versuchte, ihre Panik vor ihm zu verbergen, wusste sie, dass er sie spüren konnte.
„Ich werde nicht lange weg sein.“
Aria brachte ein vorsichtiges Nicken zustande. Mehr als diese kleine Geste war ihr im Moment nicht möglich, sie war zu verunsichert, um zu sprechen. Der Prinz stand langsam auf, strich sein schwarzes Hemd glatt und ergriff den Stock, der an der Couch lehnte. Kurz bevor seine große Hand sich darum schloss, bemerkte sie, dass der Knauf des Stockes einen silbernen Wolf darstellte. Sie wusste nicht, warum er das Ding benutzte, weder hinkte er noch hatte er Unsicherheiten im Gehen oder Bewegen, aber vielleicht glaubte er, der Stock ließe ihn würdiger erscheinen, oder aber er war eine Art Waffe.
Er war eleganter gekleidet als gestern, und er trug den Ring, der ihn als Prinzen des Hauses Valdhai kennzeichnete. Der ihn kennzeichnete als ein Mitglied der Familie, die die Vampire regierte und mit ihnen die ganze Welt in den vergangenen hundert Jahren. Gestern hatte er ihn nicht getragen. Was immer er heute zu tun hatte, es schien so, als sei es ziemlich wichtig und offiziell.
Der Wolf erhob sich neben ihm, seine grünen Augen funkelten, während er Aria fast eine ganze Minute lang bewegungslos ansah. Dann wendete er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Herrn zu. Der Prinz pfiff nach dem Wolf, der eifrig zu ihm taperte, bevor sie beide aus dem Raum verschwanden.
Aria blieb nichts anderes übrig, als auf dem Sofa sitzen zu bleiben, während sie ängstlich dem Klang der Endgültigkeit lauschte, den das Geräusch des sich drehenden Schlosses in der Tür verursachte.
Es dauerte einen Moment, bis sie ihre Gedanken sammeln konnte, aber als es so weit war, sprang sie auf ihre Füße und begann schnell das Apartment zu durchkreuzen. Er hatte sie allein gelassen, hatte ihr ermöglicht, alles zu durchsuchen, hinterließ sie, um eine Waffe zu finden und zu verstecken. Dummer, dummer Vampir, dachte Aria, während sie den Raum durchkämmte. Aber je gründlicher sie suchte, desto deutlicher musste sie feststellen, dass er vielleicht doch nicht so dumm gewesen war. Hier war nichts zu finden, mit dem sie sich hätte verteidigen können.
Sie lief durch die Bibliothek und dann durch ein anderes kleines Wohnzimmer, das offenbar seines war. Zögernd stoppte sie am Eingang zu seinem Schlafzimmer. Hier stand ein dunkles Bett mit Holzrahmen, einer tiefroten Decke und einer Menge Kissen. Die Einrichtung war maskulin, und obwohl sie bei einigen Möbelstücken nicht sicher war, wozu sie dienten, nahm sie an, dass sie seine Kleidung verbargen. Sein Geruch hing deutlich in dem Raum und an seinen Sachen. Sie atmete tief ein und verlor sich in seinem Duft, auch wenn sie gleichzeitig etwas suchte, womit sie ihn vernichten konnte.
Ja, sie war offensichtlich verwirrt, und sie glaubte nicht, dass sie wieder klar im Kopf würde, bevor sie sich aus diesem Ort befreien konnte.
Indem sie ihren Blick von der Kleidung nahm, wanderte er zu seinem massiven Bett. Ein eigenartiges Kribbeln, eines das ihr völlig unbekannt war, begann sich in ihrem Bauch auszubreiten. Es erhitzte sie von innen heraus, und sie war plötzlich überschwemmt von dem Verlangen, ihn wiederzusehen, seine Stimme zu hören und von Angesicht zu Angesicht seinen ungezähmten Geruch einzuatmen.
Statt ihre Suche hier fortzusetzen, zog sie sich aus dem Raum zurück und entfloh damit der ungewohnten Hitze, die er in ihr verursachte. Sie war in ihrem Leben noch nie vor etwas geflohen, und jetzt lief sie weg vor einem Geruch und vor Gefühlen? Sie hatte sich nicht allzu viele Sorgen darüber gemacht, das Risiko einzugehen, ein Blutsklave zu werden, und nun verwandelte sie der Anblick seines Raumes in einen schlotternden Angsthasen. Es war totaler Wahnsinn und doch konnte sie ihre Füße nicht davon abhalten, sich stetig weiter von diesem Raum zu entfernen.
In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie konnte gar nicht schnell genug in ihr Zimmer kommen. Mit zitterndem Körper lehnte sie sich gegen die Tür und atmete heftig ein und aus. Sie begann sich selbst zu verachten, und doch war dieses Gefühl nicht stark genug, das wachsende Verlangen, das durch ihr Innerstes tobte, zu überdecken. Sie wusste nicht so recht, wonach sie verlangte, aber ihr war überdeutlich, dass es mit ihm zu tun hatte, und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
Ihre Finger zitterten, als sie sich dazu zwang, von der Tür wegzutreten und sich der Aufgabe zuzuwenden, die sie überhaupt in dieses Zimmer gebracht hatte. Sie hatte den Raum, in dem sie die letzte Nacht verbracht hatte, schon am Abend gründlich durchsucht, aber sie tat es nun noch einmal. Sie war erschöpft gewesen, kaum in der Lage wach zu bleiben, als sie hierhergebracht wurde. Es war durchaus möglich, dass ihr etwas entgangen war.
Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf das antik aussehende Nachttischchen neben dem Bett, auf dem sie geschlafen hatte. Das Bett unterschied sich wesentlich von dem harten Boden der Höhlen und des Waldes, an den sie gewöhnt war, sogar die Heuballen, auf denen sie manchmal schlief, waren nicht vergleichbar mit der Weichheit dieses Bettes. Als sie die dicke Matratze und die fülligen Kissen betrachtete, entschied sie, dass sie fast so gut waren wie die Dusche, aber doch nicht ganz. Sie versuchte, nicht an ihre Familie und deren Bedingungen zu denken, als sie das hölzerne Tischchen ergriff und es umkippte. Sie versuchte, nicht an den Hunger und das Unbehagen zu denken, das sie empfanden, als ihr Blick auf die grazilen Tischbeine fiel.
Sie kniete davor nieder und setzte sich auf ihre Fersen zurück, während sie die dünnen Stützen untersuchte. Sie würden nicht die besten Spieße abgeben, aber sie waren besser als alles, was sie in den anderen Räumen gefunden hatte. Sich nach vorne lehnend, ergriff sie eines der Beine und brach es ab. Das Holz war dünn und zersplittert, sie würde nur eine einzige Chance haben es zu benutzen, bevor es brechen würde, nur eine einzige Chance, bevor er sich im Gegenzug in ihren Hals verbeißen würde.
Ihre Möglichkeiten von hier zu fliehen waren gering, das war ihr mehr als klar, und wenn sie auch nur den Hauch einer Chance haben wollte, das zu überleben, würde sie dafür sorgen müssen, dass es eine verdammt gute Möglichkeit sein würde. Es wäre ein grandioser Coup für den Widerstand, wenn sie es irgendwie schaffen würde, den Prinzen zu vernichten. Sie ignorierte das Gefühl der Schuld, das sich bei der Vorstellung, Braith zu zerstören, in ihrem Magen ausbreitete. Es hatte hier keinen Platz.
Aria erhob sich und eilte aus dem Raum. Sie nahm das Messer, das man ihr gegeben hatte, um beim Essen das Fleisch zu zerschneiden und vier Bücher aus der Bibliothek. Sie achtete darauf, dass die Bücher aus verschiedenen Fächern waren und stellte die anderen so hin, dass die Lücken nicht auffielen. Als sie den Raum wieder betreten hatte, nutzte sie die Bücher, um den Nachttisch wieder aufzurichten, dabei achtete sie darauf, dass die Bücher von keiner Ecke des Raumes aus zu sehen waren.
Sie ging ins Bad, lehnte sich über die Toilette und begann eilig das schmale Stück Holz mit dem Messer anzuspitzen. Die Toilette war eine weitere Annehmlichkeit, die sie zu schätzen begann, besonders jetzt. Ein Gefühl der Dringlichkeit erfüllte sie, musste sie doch das Messer zurückgebracht haben, bevor er kam. Sie nahm nicht an, dass er die fehlenden Bücher entdecken würde, da waren einfach zu viele davon, aber das Messer würde er ganz sicher vermissen. Späne fielen in die Toilette, während sie das Ende des Tischbeins in eine todbringende Waffe verwandelte. Es brauchte mehrfaches Spülen, bevor alle Späne verschwunden waren. Sie hielt ihre neue Waffe hoch und begutachtete ihre Handarbeit mit Kennerblick. Es war nicht viel, und sie hätte auf jeden Fall Pfeil und Bogen bevorzugt, aber wenn der richtige Zeitpunkt kam, würde es ausreichen.
Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn sich ihr irgendwie, auf wundersame Weise, die Gelegenheit bot, den Prinzen zu besiegen, aber diesem Problem würde sie sich widmen, wenn es so weit war. Bis dahin war sie einfach froh, eine Art Waffe zu haben. Es bewirkte, dass sie sich stärker fühlte, es machte ihr Mut und gab ihr ein Gefühl der Sicherheit und Zuversicht, das sie vermisst hatte, seit sie hier im Palast gefangen gehalten wurde.
Sie stand vor dem Spiegel und versteckte den Spieß vorsichtig zwischen ihren Brüsten. Die lästige Unterwäsche, mit der sie sie überladen hatten, kam ihr nun gerade recht, als sie das Unterkleid so zurechtrückte, dass der dünne Spieß nicht zu sehen war.
Ihr Herz raste, und ihre Augen blickten wild, als sie ihr Spiegelbild im Badezimmer betrachtete. Sie musste ihre Selbstkontrolle wiedererlangen, aber sie hatte Angst, sie könnte enttarnt werden, hatte Angst vor dem, was er ihr antun würde, wenn er irgendwie herausfände, dass sie diesen Spieß versteckte. Er würde sie töten, dessen war sie sich sicher, aber sie war sich auch sicher, wenn sie keinen Versuch unternehmen würde zu fliehen, würde sie sowieso sterben. Wenn sie erfolgreich wäre, würde sie damit auf jeden Fall dem Widerstand helfen, indem sie einen der mächtigsten Vampire mit sich in den Tod nahm.
Verunsichert stellte sie fest, dass sie nicht so zufrieden damit war, wie sie es sein sollte.