KAPITEL ELF
ARIA
schwieg, während Braith ihre Handgelenke verband. Seine Berührung war sanft, seine Finger wie Federn auf ihrer wunden, zerschundenen Haut. Auch wenn ihre Tränen versiegt waren, fühlte sie sich völlig erschöpft und absolut erledigt. Er war jetzt wieder freundlich zu ihr, aber sie wusste nicht wieso. Keiner von ihnen hatte in den letzten Stunden auch nur ein Wort gesprochen. Warum war er zu ihr zurückgekommen? Warum war er nicht mehr hinter Max her? Letztlich waren ihr die Gründe eigentlich egal, solange Max verschont blieb. Sie hatte Braith alles versprochen, wonach ihn verlangte, und sie hatte das auch so gemeint.
Ob es ihr Versprechen war, das ihn zu ihr zurückgebracht hatte? Sie würde nicht riskieren, dass er seine Meinung noch einmal änderte. Sie hatte seine Freundlichkeit und sein Verständnis für sie überschätzt und nicht erwartet, dass sein Verhalten sich umdrehen könnte, allerdings hatte sie ihm bisher auch noch keine Ohrfeige verpasst.
Sie nahm an, dass sie froh sein konnte, dass er sie nicht auf der Stelle umgebracht hatte.
Als er damit fertig war, sie zu verbinden, ruhte seine Hand noch auf ihrer Faust. Sie erhob ihren Kopf, und ihr Blick traf seine hinter der Brille versteckten Augen.
„Warum?“, fragte sie.
Vor lauter Angst, ihn in eine erneute Raserei zu stürzen, schluckte sie heftig, aber sie musste diese Frage einfach stellen. „Warum hast du mich damals von dem Podest geholt? Warum hast du mich gewählt, wo du doch bisher noch nie einen Blutsklaven hattest?“
Seine Hand drückte leicht die ihre, bevor er sich vom Boden erhob und sich neben sie setzte. „Wie ich sehe, haben die Leute geredet.“
Sie zuckte mit den Schultern und fummelte ängstlich an ihrem Verband herum. „Ich denke, dass die meisten neugierig sind.“
„So wie du?“
„So wie ich“, bestätigte sie.
Er zog sich einen Moment lang zurück und schwieg, während er den Blick starr auf die Tür gerichtet hatte. „Ich hatte bisher nie einen Blutsklaven, weil ich es bevorzuge, von denen zu trinken, die sich freiwillig dazu bereit erklären. Viele meiner Art genießen die Macht und die Kontrolle, ich aber nicht. Das habe ich noch nie.“
Ihre Finger noch am Verband, drehte sie sich zu ihm um und betrachtete sein wohlgeformtes Gesicht. Er hatte ihr Blut weggewischt, aber sie konnte immer noch den allmählich schwindenden roten Abdruck erkennen, den ihre Hand auf seinem Gesicht hinterlassen hatte. Sie schämte sich ein bisschen dafür, was sie getan hatte, sie hätte ihn nicht schlagen dürfen, aber sie konnte ihr Temperament noch nie gut im Zaum halten. Das hätte Max fast das Leben gekostet.
„Gibt es viele Freiwillige da draußen?“
Sie fühlte, wie seine Blicke zu ihr und über sie wanderten. Sie hatte nur eine vage Vorstellung davon, wie sie aussehen mochte. Ihre Augen mussten blutunterlaufen sein, sie konnte die Schwellung fühlen. Sie nahm an, dass auch ihr Gesicht verdreckt und geschwollen war. Ihr Haar war in heilloser Unordnung und fiel ihr wild ins Gesicht. Ihr Aussehen hatte sie nie sonderlich interessiert, und es war ihr auch jetzt nicht wichtig. Es gab einen Grund dafür, dass sie hier war, auch, wenn er damit zögerte, das zuzugeben, und sie war sicher, dass das nichts mit ihrem Aussehen zu tun hatte.
„Ja.“
Sie nickte, das eigenartige Stechen in ihrem Magen, das sie empfand, als er ihr bestätigte, was sie ohnehin schon wusste, gefiel ihr gar nicht. Was stimmte nur nicht mit ihr? Vor kaum einer Stunde hatte sie ihm noch ins Gesicht geschlagen, und jetzt war sie aufgebracht bei dem Gedanken an ihn mit einer anderen Frau. Sie verlor den Verstand, so als hätte sich ein Schalter umgelegt, und sie war überrascht festzustellen, dass es ihr gleichgültig war. Es interessierte sie nicht mehr.
“Also warum ich? Warum hast du mich
gewählt?“
Er fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. Es war schon zerzaust gewesen, jetzt stand es in alle Richtungen ab. Er erhob sich und lief zum Fenster hinüber, bevor er sich wieder umdrehte und durch den Raum schritt. Er sah aus wie ein eingesperrtes Tier, als er unruhig hin und her lief. Spannung und Kraft strahlte er aus, und zum ersten Mal sah sie ihn als das, was er war. Er war nicht einfach nur ein Mann oder ein Vampir und ganz sicher war er nicht ihr Feind. Tatsächlich war er jemand, den diese Situation genauso durcheinander und verunsichert hinterließ wie sie.
„Weil ich dich auf diesem Podest gesehen habe.“
Verwirrt durch diese Antwort runzelte Aria die Stirn, und wusste nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. Was sollte das
denn bedeuten? Natürlich hatte er sie auf diesem Podest gesehen, so wie jeder andere, der an diesem Tag dort gewesen war. „Ich verstehe nicht.“
„Nein, natürlich nicht“, murmelte er. Er kam auf sie zu, kniete sich vor sie und ergriff ihre Hände. „Ich habe dich hierhergebracht, weil ich das erste Mal seit fast hundert Jahren in der Lage war, etwas zu sehen, und dieses ‚Etwas‘ warst du
, Arianna.“
Sie sah ihn verwirrt an, ihre Hände lagen reglos in den seinen. Ihr Blick studierte sein Gesicht und landete dann auf den dunklen Gläsern. Ihre Gedanken wanderten zu dem Stock und zu Keegan, der immer in Braith‘ unmittelbarer Nähe zu finden war.
„Du bist blind“, hauchte sie und war über diese Tatsache genauso erschrocken wie darüber, dass ihr das bisher noch nicht aufgefallen war. Aber er konnte doch nicht blind sein! Wie hatte er ihr denn das Lesen beibringen können? Und wie konnte es sein, dass sie seinen Blick auf sich gespürt hatte, wie hatte er ihre Nähe zu Max bemerken können, wenn er blind war? „Das kann doch nicht sein!“
Er schüttelte den Kopf und drehte sich, um aus dem Fenster zu sehen. „Ich verstehe es auch nicht“, gab er zu. „Aber aus irgendeinem Grund habe ich dich da auf diesem Podest sehen können, und als mein anfängliches Erstaunen darüber, dass ich wirklich wieder jemanden sehen konnte, etwas nachließ, stellte ich fest, dass ich nicht nur dich, sondern auch die Dinge um dich herum wahrnehmen konnte.“
„Also kommt deine Sehfähigkeit wieder?“
„Nein.“ Er drehte sich zu ihr um. „Ich kann nur etwas sehen, wenn ich mit dir zusammen bin, wenn du in meiner Nähe bist. Wenn ich diesen Raum verlasse und nicht in deiner Gegenwart bin, kann ich immer noch nichts sehen.“
Arias Herz schlug heftig in ihrer Brust. Sie wusste nicht, was sie von diesem Geständnis halten oder was es bedeuten sollte. Unter rasendem Herzschlag berührte sie den Rahmen seiner Brille. Er wich ihr nicht aus und hielt sie auch nicht auf, als ihre Finger nach dem Brillenrand griffen. Aufgeregt biss sie sich auf die Lippe und zog ihm die Brille von der Nase.
Seine Augen waren geschlossen, aber sie konnte die feinen weißen Narben erkennen, die sie umrahmten. Sie hatten hundert Jahre Zeit gehabt zu heilen, auch für einen Vampir eine lange Zeit, aber sie waren immer noch da und entstellten seine ansonsten perfekte männliche Schönheit. Voller Mitgefühl strich sie mit ihren Fingern über die Narben. Was auch immer diese Male verursacht hatte, musste schrecklich gewesen sein, wenn es eine solche Art von bleibendem Schaden anrichten konnte.
„Lass sie mich sehen, Braith.“ Ihre Worte waren nur ein Flüstern, war sie doch völlig besetzt von dem plötzlichen Bedürfnis, in seine Augen zu sehen.
Diese blieben noch einen Moment lang geschlossen, bevor seine langen dunklen Wimpern sich nach oben bewegten. Überrascht verharrte sie bewegungslos beim Anblick seines aufgewühlten, aber festen Blickes. Seine Augen waren erstaunlich. Sie hatten ein strahlendes, umwerfendes Grau, das ihr den Atem raubte und sie wie betäubt hinterließ. Um seine Iris herum lag ein Kreis von strahlendem Blau, der sie vollständig in seinen Bann zog. Seine Augen weiteten sich, als das Licht in sie fiel und er seinen Blick auf Aria richtete. Obwohl er sie ansah, war sein Ausdruck eigenartig leer und irgendwie benommen. Ihre Finger glitten leicht über seine Narben und umkreisten sie. Ihr wurde klar, dass, trotz der Verletzungen, diese Augen die schönsten waren, die sie jemals gesehen hatte.
„Wunderschön.“ Sie nahm den kurzen Schreck wahr, der sich seiner bemächtigte, aber sie kümmerte sich nicht darum. Sie waren wunderschön, und sie konnte nicht damit aufhören, sie zu berühren, konnte nicht damit aufhören, ihn
zu berühren. „Was ist passiert?“
„Eine Explosion.“
„Der Krieg?“ Er schüttelte den Kopf, antwortete aber nicht, und sie spürte, dass er das auch nicht tun würde. Sie würde ihn auch nicht dazu drängen. Es war nicht von Bedeutung, wie es passiert war, es war nur noch wichtig, dass sie hier war, mit ihm. „Es tut mir so leid.“
„Das ist Jahre her. Ich hatte viel Zeit, mich mit dem Verlust abzufinden. Bis du in mein Leben getreten bist.“
Sie beendete ihre Suche auf seinen verletzten Augen, und beobachtete nun den ganzen Mann, der da vor ihr stand. „Was bedeutet das alles?“
Er legte seine Hand auf ihre, sein Griff war sanft auf ihren verwundeten Fingern. „Ich weiß nicht, was es bedeutet, Arianna. Ich wünschte, ich hätte mehr Antworten, aber die habe ich nicht. Ich wusste, dass ich dich nicht gehen lassen konnte, nachdem ich dich gesehen hatte, und vor allem konnte ich dich nicht mit Richard Ellis gehen lassen.“
Sie legte ihre Hände fester an sein Gesicht, lehnte sich nach vorne und drückte ihre Lippen gegen seine Stirn. Sie wünschte sich, so viel mehr tun zu können, wünschte, sie könnte den Schaden gutmachen, der ihm zugefügt worden war. Sie konnte nicht ungeschehen machen, was ihm vor all den Jahren passiert war, lange bevor sie überhaupt geboren war, aber sie konnte versuchen, die anhaltenden Qualen zu lindern, die sie jetzt in ihm wahrnahm.
„Braith“, seufzte sie, ganz verloren und verwirrt von all dem, was ihr zugestoßen war, was ihnen beiden zugestoßen war.
Sie trat einen Schritt zurück und bemerkte überrascht, dass Tränen in ihren Augen brannten. Sie hatte nicht gedacht, dass es möglich wäre, noch mehr Tränen übrig zu haben, aber so war es.
„Arianna, du musst mir zuhören. Ich habe nicht vor, dir wehzutun, wirklich nicht, aber es gibt Regeln für Blutsklaven, und es gibt Regeln für den Umgang zwischen Meistern und ihren Sklaven.“
„Ich weiß, dass ich kein hohes Alter erreichen werde“, versicherte sie ihm. „Das weiß ich schon seit Jahren. Ich habe schon dreimal mehr Tod gesehen als andere Menschen meines Alters, und ich bin ihm schon viele Male nur knapp entronnen. Ich verstehe die Regeln, Braith, und ich weiß, dass du nicht tun kannst …“
„Doch, das kann ich oder das könnte ich, aber du musst tun, was ich dir sage, Arianna. Es gab schon andere Vampire, die ihre Sklaven für ein paar Jahre behalten haben. Aber du musst gehorchen, du musst still bleiben, und du musst dich von deinem Geliebten fernhalten …“
„Max ist nur ein Freund!“, unterbrach sie ihn scharf, es machte sie verrückt, dass er weiterhin auf etwas bestand, das nicht wahr war. „Das habe ich dir schon erklärt, und ich habe es auch so gemeint. Wir waren zusammen seit unserer Kindheit, er war der beste Freund meines Bruders. Wenn ich mit meiner Unbesonnenheit nicht gewesen wäre, dann wäre Max überhaupt nicht hier. Ich kann ihn nicht leiden lassen, nur weil ich so ein Dummkopf bin, der sich nicht an Befehle hält …“
Aria brach ab und verfluchte sich im Stillen, als ihr klar wurde, was sie da beinahe ausgeplaudert hätte. Da wuchs etwas zwischen ihnen und veränderte ihr Verhältnis, aber es gab Dinge, die konnte sie niemals verraten. Auch wenn er nicht vorhatte ihr etwas anzutun, waren da immer noch andere, die alles, was möglich war, gegen ihre Familie einsetzen würden, und das durfte sie unter keinen Umständen zulassen.
„Befehle?“ Mit ihren Worten war sein Interesse geweckt.
Sie schüttelte den Kopf, war sie doch nicht bereit, jetzt darüber zu sprechen. Sie konnte einfach nicht. „Er ist ein Freund, und er wird wegen mir sterben. Das kann ich nicht ertragen“, brach es aus ihr heraus. „Er wollte mich doch nur retten, für Daniel.“
„Daniel?“
Aria gelang ein zittriges Lächeln. „Mein Bruder.“
Mit starrem Blick und suchenden Augen betrachtete er sie. „Ich verstehe.“
„Max hätte davonkommen können, Braith. Ich habe versucht, Marys Kind zu retten, aber Max hätte sich in Sicherheit bringen können, er hätte entkommen und in die Wälder fliehen können. Er ist hier, weil er dachte, dass er mich vor all dem hier retten könnte, Max ist ein hoffnungsloser Optimist.“
„Und du nicht?“
Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Ich war immer absolut pragmatisch. Ich sagte ja schon, dass ich in meinem kurzen Leben schon viel gesehen habe und dass nur sehr wenig Gutes dabei war. Aber Max ist gut, und ich hasse die Tatsache, dass ich die Ursache dafür bin, dass seine Güte zerstört wird. Ich wollte dir nicht wehtun, ich wollte einfach nur meinen Freund sehen, um sicherzugehen, dass er in Sicherheit ist und dass er lebt, jedenfalls noch.“
Braith streckte seine langen Beine von sich und lehnte sich zurück. „Du hast mich nicht verletzt.“
Aria nickte, ihre Hände glitten von seinem Gesicht und streiften dabei kurz die Stoppeln, die bereits seinen Kiefer säumten. „Natürlich habe ich dich nicht verletzt. Ich hätte das nicht sagen sollen, ich habe das nicht so gemeint.“ Sie konnte ihn gar nicht verletzen, sie war dumm gewesen zu denken, dass vielleicht seine Verletzung der Grund dafür gewesen sein könnte, dass er so erzürnt gewesen war wegen ihr und Max. Sie musste immer daran denken, dass, auch wenn ihre Gefühle ihm gegenüber sich veränderten, seine Gefühle ihr gegenüber für sie unergründlich blieben.
„Ich wollte gar nicht tun, was ich heute getan habe. Es war nur so, Max zu sehen, hat mich so sehr an zu Hause erinnert, und ich habe ihn so sehr vermisst, dass ich an nichts anderes denken konnte, als zu ihm zu gehen. Alles, woran ich denken konnte, waren meine Wälder, das Jagen und frei Herumlaufen. Freiheit, Braith, ich habe meine Freiheit geliebt, ich habe sie genossen. Es tut mir leid, dass das, was ich heute getan habe, uns beiden Probleme bereiten könnte, aber ich konnte nicht anders, denn für einen kurzen Moment war ich wieder in den Wäldern. Ich konnte sie riechen, schmecken und um mich herum fühlen, und es war wundervoll.“
Sie brach ab, und erneut überkam sie eine Welle von Heimweh. Braith schwieg, seine Lippen öffneten sich leicht, während er sie betrachtete, und dann fühlte sie seine Finger in ihrem Haar und wie er sie an sich drückte. Aria schnappte nach Luft, als sein Mund den ihren mit einer Verzweiflung in Besitz nahm, die sie benommen und atemlos zurückließ.
Zuerst war sie so überrascht, dass sie bewegungslos an ihn gedrückt verharrte, unfähig, auf die Intensität und Leidenschaft zu reagieren, die er ihr entgegenbrachte. Dann aber war ihr Schock begraben unter einem reißenden Strom von Gefühlen, der sich mit Macht Bahn brach. Sie zitterte, erschüttert von dem Verlangen, das sie erfüllte und der Verzweiflung, die sie ergriff. Sie wollte das, sie wollte ihn
. Es fühlte sich so richtig an, so absolut und unglaublich richtig! Etwas in ihr heilte, und sie fühlte sich ganz. Sie hatte immer etwas in ihrem Leben vermisst, etwas, nach dem sie immer gesucht, auf das sie immer gehofft hatte, aber sie hatte nicht gewusst, was es war. Bis jetzt.
Jetzt, mit seinem Mund auf ihrem und ihrem Körper, der vor Spannung nur so prickelte und einem Feuer, das in ihr größer und größer wurde, wusste sie, dass er
es war.
Er
war es, den sie vermisst hatte; er
war, wonach sie immer gesucht hatte. Er war die Ursache für ihre Unbesonnenheit und Tollkühnheit gewesen, denn ohne ihn fühlte sie sich verloren und leer, und so hatte sie nie über die Konsequenzen ihres Handelns nachgedacht. Sie wusste wohl um die Konsequenzen, aber sie waren ihr gleichgültig. Obwohl er zu denen gehörte, die sie immer gehasst, gegen die sie immer gekämpft hatte, hatte sie das Gefühl, zum ersten Mal in ihrem Leben das Richtige zu tun.
Sein langer Körper ragte über ihren hinaus, er nahm sie an der Taille und hob sie mühelos vom Boden hoch, um sie in der Mitte des Bettes zu platzieren. Ihr Herz hämmerte ihr gegen die Brust. Aufregung und Nervosität stiegen in gleichen Teilen in ihr auf, als er sich auf sie legte. Sie konnte nicht genug davon bekommen, ihn zu spüren. Seine Brust fühlte sich fest an, und seine Schultern waren fast dreimal so breit wie ihre, sein Arm umschlang ihre Taille und hob sie zu sich heran. Die Unterschiedlichkeit ihrer Körper war erstaunlich, er war fest, wo sie weich war, und so passten sich ihre Körper perfekt einander an. All ihre Kurven schmiegten sich nahtlos an seine felsenfeste Form.
Sie bog sich unter ihm; er ergriff die Gelegenheit, den ihr kleiner Seufzer ihm bot, um ihren Mund ganz in seinen Besitz zu bringen. Er schmeckte nach Gewürzen, seine Zunge glitt in einem sinnlichen Tanz in ihren Mund, der sie nach mehr verlangen ließ. Ihre Finger berührten seine nackte Haut in der Beuge seines Rückens, die das hinaufgerutschte T-Shirt freigelegt hatte. Ihre Finger spreizten sich auf seinen harten Muskeln, die sich kurz zusammenzogen, als er es sich zwischen ihren Beinen bequemer machte. Er küsste sie, bis sie atemlos war, küsste sie, bis sie nicht mehr klar denken konnte und verzweifelt nach mehr verlangte.
Seine starken Hände hoben ihr Kleid über ihre Taille. Seine Finger glitten über ihre nackte Haut, streichelten sie und wanderten dabei immer höher. Sie wollte schreien vor Lust, aber gleichzeitig schoss auch Angst durch ihren Körper. Alles war so neu und aufregend, aber als sein schwerer Körper sie in die Matratze drückte, ging ihr auch alles viel zu schnell.
Aria befreite sich aus der zauberhaften Verbindung mit seinem Mund, und die Realität prasselte mit einem Mal auf sie ein. Sie konnte kaum atmen, konnte ihren brennenden Körper und ihre leidenschaftlichen Gefühle kaum kontrollieren.
„Warte Braith, warte“, keuchte sie mühsam.
Er erstarrte, seine Finger lagen immer noch verführerisch auf ihrer Taille. Aria bebte bei dieser Feststellung, es war die intimste Berührung, die sie jemals verspürt hatte. Ein Zittern durchlief sie, als die Sehnsucht ihren Herzschlag wieder in die Höhe schießen ließ. Sie hatte sich nie so zerrissen gefühlt, hatte nie eine so überwältigende Sehnsucht und Zugehörigkeit, gemischt mit dieser pulsierenden Furcht vor dem Unbekannten empfunden. Sie konnte nicht denken, und sie brauchte verzweifelt wenigstens einen Moment, um zumindest zu versuchen, herauszufinden, was da gerade passierte.
Seine Hände lagen nun auf ihrem Gesicht und drehten es zu sich hin. Sie blinzelte ihn an und betrachtete die schönen, sorgenden Augen vor ihr. „Arianna, bist du o. k.?“
Sie schaffte es, zu nicken, brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. „Ich bin nur … Ich bin nicht … Es geht einfach zu schnell. Es ist alles zu schnell.“
Seine Augen wanderten fragend über ihr Gesicht. Dann, zu ihrer Bestürzung, schien eine Erkenntnis in ihm zu wachsen. Seine Brauen glätteten sich, und seine Augen schauten sie verständnisvoll an.
„Arianna, bist du noch Jungfrau?“
Ihr Gesicht wurde heiß, und ihr Blick flog von ihm weg. Sie konnte ihn nicht mehr ansehen, sie war zu beschämt. “Warum hast du mir das nicht gesagt?“
Sie biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf in dem Versuch, die Hitze aus ihm zu vertreiben.
„Du hättest mir das sagen sollen, ich hätte uns mehr Zeit gelassen, ich hätte …“
„Stopp“, flüsterte sie, zu verlegen, um auch nur noch ein einziges weiteres Wort zu hören.
Er neigte seinen Kopf und legte seine Stirn gegen ihre. Seine Lippen waren geschwollen von ihren Küssen und schwebten über ihren. Es schien, als wollte er sie einatmen, obwohl er keine Luft benötigte. Seine Finger spielten mit ihrem Haar. „O. k.“, sagte er und drückte einen kleinen Kuss auf ihre Nase.
Er rollte von ihr herunter, presste sie an seine Seite und hielt sie im Arm. Aria war gefesselt von der Leichtigkeit, mit der er sie in den Arm nehmen konnte und von der Gelassenheit, mit der er den plötzlichen Abbruch hingenommen hatte. Seine Finger lagen federleicht auf ihren verletzten Rippen, der sanfte Druck fühlte sich sogar gut an.
„Ich verstehe nichts von all dem, was mit uns geschieht“, flüsterte sie.
Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und hob ihr Kinn zu ihm. „Das tue ich auch nicht, aber du musst das für dich behalten, Arianna. Niemand darf wissen, dass ich sehen kann.“
„Nicht einmal deine Familie?“
„Sie sehen meine Blindheit als eine Schwäche an, und es gibt viele Leute, die wollen, dass ich schwach bleibe. Wenn sie feststellen, dass ich wieder sehen kann und dass du der Grund dafür bist, werden sie dich umbringen, um meine vermeintliche Schwäche aufrechtzuerhalten. Sie verstehen vielleicht nicht, warum ich nur in deiner Gegenwart sehen kann, aber es wäre ihnen auch egal. Du darfst das niemanden wissen lassen.“
„Das werde ich nicht“, versprach sie.
Lächelnd drückte er liebevolle Küsse auf ihre Wangen. Sie wunderte sich über ihn. Sie war überglücklich über die Zärtlichkeit, die er ihr entgegenbrachte, und es verschlug ihr fast die Sprache, dass er sich so leicht von etwas abbringen ließ, von dem sie wusste, dass er es ersehnte. Er war ein Vampir, doch obwohl ihr nun klar war, dass er gewalttätig werden konnte, war er kein Monster. Das würde er niemals sein, nicht für sie jedenfalls. Das wusste sie mit jeder Faser ihres Seins.
„Was wirst du mit mir anstellen?“ Sie hasste es, danach zu fragen, aber sie musste es einfach wissen.
Sein hinreißendes kleines Lächeln raubte ihr förmlich den Atem. Seine Augen funkelten hell, und ein Grübchen tauchte auf seiner rechten Wange auf. „Was immer du gerne möchtest.“
Aria konnte nicht anders, als zurückzulächeln und zärtlich seinen Kiefer entlangzustreicheln.
„Ich weiß, dass du gerne deine Freiheit möchtest, Arianna, und das kann ich gut verstehen, aber ich kann sie dir nicht zurückgeben. Ich werde dich beschützen, solange ich kann, aber obwohl ich ein Prinz bin, gibt es Leute, die mehr Macht haben als ich. Es dauert vielleicht eine Weile, aber ich werde dafür eine Lösung finden, irgendwie. Ich werde nicht zulassen, dass sie dich töten.“
Aria nickte, seine Worte hatten sie innerlich zwar wärmen, aber leider nicht trösten können. Es gab nicht viel, was einer von ihnen tun konnte, wenn entschieden wurde, dass sie eine Bedrohung darstellte. Wenn das passierte, würde sie beseitigt werden.
„Du siehst erschöpft aus.“
„Das bin ich“, gab sie zu.
„Schlaf‘ jetzt, wir können später reden.“
Es war ihr nicht nach schlafen zumute, sie genoss es zu sehr, neben ihm zu liegen und ihn zu spüren. Sie wollte einfach dort liegen und sich an der Anmut dieser seltsamen und zerbrechlichen Situation erfreuen. Doch auch wenn sie dagegen ankämpfte, war der Schlaf schnell und tief, als er sie überwältigte.