KAPITEL VIERZEHN
BRAITH
bewegte sich nicht von der Tür weg, und hielt auch Arianna bei sich. Er würde sie nicht einmal in die Nähe von Jericho, noch Jericho in die Nähe der Tür gehen lassen, bis er sicher war, dass er seinem Bruder trauen konnte, was möglicherweise nie geschehen würde.
„Was ist hier passiert?“, fragte Jericho.
„Dasselbe könnte ich dich fragen“, erwiderte Braith scharf.
In Jerichos grauen Augen erschien der Hauch eines Schmunzelns, bevor sie schnell wieder ernst und streng wurden. Braith hatte Recht gehabt, sein Bruder war erwachsen geworden. Jerichos Benehmen war immer sorglos und unbeschwert gewesen. Das war es jetzt nicht mehr. Eigentlich sah er hochgradig verwirrt und mehr als nur ein wenig fassungslos aus. Sein Gesicht und sein Körperbau waren schmaler geworden, wahrscheinlich weil er nicht mehr den uneingeschränkten Zugang zu Nahrung hatte, wie er es im Palast gewohnt gewesen war. Doch obwohl er dünner geworden war, bestand sein Körper vorwiegend aus Muskeln, die früher nicht da gewesen waren. Eine frische, gezackte Narbe entstellte seine Wange. Sie war noch nicht alt und würde sicher irgendwann wieder verschwinden.
Nach weiteren fünfzig Jahren würden auch die Narben um Braith‘ Augen herum nicht mehr zu sehen sein. Nur wegen der Heftigkeit seiner Verletzungen waren diese Narben überhaupt noch sichtbar. Es war immer noch nicht sicher, dass er sein Augenlicht, ohne die Anwesenheit von Arianna, jemals wiedererlangen würde.
„Was machst du nur, Braith? Wenn sie das herausfinden, werden sie sie töten. Vater wird vielleicht sogar dich
töten.“
Arianna war bestürzt, als er das sagte und fingerte nervös an Braith‘ Hemd herum. „Und wie sieht dein Plan aus? Stellst du dir vor, dass du einfach mit ihr hier herausmarschierst? Denkst du, Vater würde das erlauben? Und was hast du vor, wenn irgendjemand Anspruch auf sie erhebt? Willst du diejenigen dann töten, um sie zu befreien?“
„Ich habe einen Plan.“
„Und der gefährdet nicht ihr Leben?“, knurrte Braith.
Jerichos Blick wanderte zu Aria hinüber. „Da ist immer ein Risiko, egal was wir tun. Jedenfalls hatten wir das Gefühl, dass das Risiko sich lohnen würde, wenn es bedeutete, sie zurückbringen zu können.“
„Du bist mir gefolgt nachdem Caleb sagte, sie sei rothaarig. Hattest du vor mich umzubringen?“
Jericho wand sich unbehaglich. „Nein. Ich bin hierhergeschickt worden, um die Situation auszuloten und herauszufinden, ob Aria überhaupt noch lebt und ob es möglich ist, sie sicher hier heraus zu bringen, ohne unser Leben zu gefährden.“
„Und wenn das nicht geht?“
„Dann sollte ich wieder verschwinden.“
Braith war irgendwie abgeschreckt von dieser Erklärung. Sie machte keinen Sinn für ihn und er konnte sie auch nicht so recht glauben. „Sie haben dich hierhergeschickt, damit du einfach wieder gehst, wenn du nichts ausrichten kannst?“
„Jack hat sich in unserer Hierarchie hochgearbeitet. Mein Vater hält viel von ihm, er würde es nicht riskieren, ihn zu verlieren, vor allem, weil er glaubt ihm vertrauen zu können.“ Arias Blick blieb misstrauisch, als sie seinen Bruder beobachtete.
„Stimmt das, Jack?“, forschte Braith streng nach.
Jericho zuckte mit den Schultern und griff in seine Manteltasche. „Ich konnte den Rebellen nicht meinen wirklichen Namen nennen, oder? Sie wissen vielleicht nicht viel über die königliche Familie, jedenfalls viele von ihnen, aber ich wollte keinem von ihnen die Chance geben, sich an meinen Namen zu erinnern. Außerdem ist Jack weniger hochgestochen, findest du nicht auch?“ Er nahm etwas aus seiner Jackentasche und ging auf sie zu. „Dein Vater hat mich beauftragt, dir das hier zu geben.“
Braith trat vor und schirmte sie mit seinem Körper vor Jerichos Hand ab. Er nahm ihm das Ding aus der Hand und ließ ein tiefes warnendes Grollen hören, als Jericho einen weiteren Schritt auf sie zu machte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war Jericho die einzige Person gewesen, der er vertraute. Das war jetzt nicht mehr so. Nicht, wenn Ariannas Leben auf dem Spiel stand. Er wollte seinen Bruder bestimmt nicht töten, aber er würde tun was nötig war, um sie zu beschützen. Erschreckt zog Jericho sich von ihnen zurück.
Aria streckte die Hand aus und nahm den kleinen Silberanhänger entgegen, den Braith ihr reichte. Sie öffnete leicht den Mund und Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie ihn betrachtete. „Das hat er dir gegeben?“, flüsterte sie.
„Damit du weißt, dass du mir vertrauen kannst und dass ich die Wahrheit sage. Dein Vater vertraut mir, Aria und du musst das auch tun.“
Mit zittrigen Fingern strich sie über den silbernen Pferdekopf. Ihre Augen richteten sich auf Braith und eine einzelne Träne entschlüpfte ihnen. „Er gehörte meiner Mutter, er würde ihn niemals jemandem geben, dem er nicht vertraut.“
Braith wischte ihr die Träne von der Wange und ergriff ihre Hand, bevor er sich wieder seinem Bruder zuwandte. „Und, kann sie dir vertrauen?“, fragte Braith herausfordernd.
„Es gibt vieles, was du nicht von mir weißt, Braith. Viele Dinge, von denen du niemals etwas gewusst hast“, informierte Jericho ihn.
„Das sehe ich, aber kann er dir trauen, kann ich
dir trauen?“
Jericho nickte. Wenn es dir so sehr um ihre Sicherheit geht, wie ihrem Vater und mir, dann Ja, dann kannst du mir trauen.“
Braith beobachtete ihn sorgfältig, immer noch nicht ganz von seinen Worten überzeugt. „Was sollte passieren, wenn du sie oder dich selbst nicht sicher hier herausbekommen würdest?“
Jericho lehnte sich zurück, faltete seine Hände auf dem Rücken und sprach mit traurigen und ernsten Augen: „Wenn ich nicht dazu in der Lage sein sollte, sie und mich hier sicher herauszubekommen, dann sollte ich zurückgehen, damit David hierherkommen kann.“
„Wie bitte?“ Arias Kopf schnellte bei diesen Worten herauf, ihre Stimme klang schrill.
Jericho stand mit hängenden Schultern da, schwieg für einen Moment und fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. „Er wird es nicht darauf ankommen lassen, uns beide zu verlieren. Wenn ich dich nicht befreien kann, soll ich in die Wälder zurückkehren, und er wird sich selbst im Austausch für dich anbieten.“
Zischend atmete Aria aus, den Anhänger hielt sie fest in ihren Händen. „Das ist doch verrückt! Warum sollte er das tun?!“
„Weil er dich liebt. Du bist sein Kind. Weil er lieber sein eigenes Leben opfert, bevor du für den kümmerlichen Rest deines Lebens als Blutsklavin leben musst.“
Aria schüttelte schnell mit dem Kopf. „Nein, das kann er doch nicht machen! Tausende von Leben hängen von ihm ab. Meins ist nichts im Vergleich dazu. Nichts
! Das muss er doch wissen! So etwas Dummes kann er doch nicht tun!“
Jericho betrachtete sie nur stumm. Braith war nicht in der Lage, die Bedeutung der Worte einzuordnen, die Jericho gerade von sich gegeben hatte. Ein Vater, der sein Leben für das seines Kindes hergab, das war unfassbar für ihn. Er starrte auf Ariannas Gesichtsausdruck, bemerkte das sture Zusammenbeißen ihrer Zähne und das Feuer in ihren leuchtenden Augen. Er nahm eine Flut von Stärke und Mut in ihr wahr, die er bewundernswert, aber auch als etwas beängstigend empfand. Sie war tollkühn, eine Gefahr für sich selbst, und sie musste vor der Grausamkeit in der Welt beschützt werden. Sein
Leben für sie zu geben, schien ihm nicht so unglaublich weit hergeholt. Es war eine befremdliche Erkenntnis. Etwas, das er noch niemals zuvor empfunden hatte und das er auch nie zu erleben erwartet hatte.
Für sie würde er alles tun. Sogar sehen.
Diese Erkenntnis erschütterte ihn bis ins Mark. Es überschwemmte sein Innerstes, als er ihre Hand ergriff. Er fühlte, dass dies der Grund dafür war, dass er in ihrer Anwesenheit sehen konnte. Auf ihm unbekannte Weise hatte irgendetwas in ihm ihre Seele als zu ihm gehörend erkannt. Und dann, weil er so unbedingt das Gesicht dieser strahlenden Seele sehen wollte, hatten seine Augen endlich so weit funktioniert, dass er sie auf der Bühne erblicken konnte. Er würde immer
in der Lage sein, sie sehen zu können, und er würde immer in der Lage sein, sie zu finden.
„Natürlich weiß er es eigentlich besser“, stimmte Jericho ihr zu. „Aber es ist ihm egal, wenn es um dich geht. Wenn ich nicht in der Lage wäre, dich zu retten, dann sollte ich es bei Max versuchen und mit ihm in die Wälder zurückkehren. Lebt Max noch?“
„Ja“, flüsterte Aria mit von Gefühlen getränkter Stimme.
„Katrina hat ihn“, wurde er von Braith informiert.
Jericho nickte. „Sie macht vielleicht Schwierigkeiten, aber ich bin sicher, dass ich zu ihm durchdringen kann. Dein Vater wird nicht hierherkommen müssen.“
„Er wollte sich auch für Max opfern?“, hauchte sie.
Jericho schüttelte den Kopf. „Nein, dein Vater macht sich Sorgen um Max, er ist ein wichtiges Mitglied der Rebellion, aber er würde nicht wegen ihm hierherkommen. Du bist seine Tochter, Aria, er liebt dich, und du bist viel bedeutender für die Rebellion, als Max es ist.“
Aria schüttelte heftig mit dem Kopf. „Nein, das bin ich nicht!“, protestierte sie. „Max ist ein starker Kämpfer, er kann Menschen für die Sache um sich versammeln, und er kennt die Wälder genauso gut wie ich!“
„Niemand kennt die Wälder so gut wie du“, murmelte Jericho.
„Es macht trotzdem keinen Sinn“, flüsterte sie.
„Als die Tochter deines Vaters, einem Mann, den die Rebellen offensichtlich bewundern und dem sie folgen, wärst du viel eher als Max dazu in der Lage, die Rebellen im Kampf anzuführen“, erklärte Braith behutsam.
Aria biss sich auf die Unterlippe, ihr Blick schnellte zu ihm auf. „Ich will das nicht; ich will das alles
nicht.“
Sie sah so verloren aus, so ängstlich und traurig. Er hatte sie noch nie so gesehen. Auch schmutzig und verdreckt war sie von einer Aura der Aufsässigkeit umgeben gewesen, die er bewundert hatte. „Ich weiß, aber wir müssen jetzt irgendwie damit umgehen.“
Sie drehte sich zu Jericho zurück. „Mein Vater muss wissen, dass diese Mission der reine Selbstmord wäre, dass sie mich nicht befreien können, was immer sie auch versuchen.“
Jerichos Blick wanderte zu Braith. „Das ist ein Risiko, das er eingehen würde, wenn es bedeutete, dass er nur die kleinste Chance hätte, dein Leben zu retten. Daniel ist dazu in der Lage, die Führung der Rebellen im Camp zu übernehmen, während William und ich die Leitung der Rebellen außerhalb des Camps unter uns aufteilen könnten, wenn dein Vater hierherkommen müsste.“
Aria wich alle Farbe aus dem Gesicht. „William?“, stieß sie hervor. „Du hast William hier in die Nähe gebracht? Was hast du dir dabei gedacht
, Jack?! Was hat mein Vater
sich dabei gedacht!“
„Es wird ihm gut gehen“, versicherte ihr Jericho.
„Gut?“, sprudelte es aus ihr heraus, und sie ließ Braith los, als sie wütend einen Schritt nach vorne trat. „Willst du, dass er umgebracht wird?“
„Aria …“
„Hör mir auf mit ‚Aria‘!“, entgegnete sie und ging plötzlich auf Jericho los. Braith war derartig überrascht von ihrem plötzlichen Angriff, dass er nicht sofort einschritt, um zu versuchen, sie aufzuhalten. Sie stand direkt vor Jericho und schlug ihm unerbittlich gegen die Brust, während der vor ihr zurückwich. Ihre gebrochene Ausstrahlung war verschwunden, und sie strahlte nur reine Wut aus. „Was habt ihr beiden
euch dabei gedacht!?“
Jericho ergriff ihre Finger und hielt sie fest, während sie versuchte, sie wieder zurückzuziehen. Ein kratziger, frustrierter Laut entfuhr ihr, dann wand sie sich heraus und trat ihm, so fest wie sie konnte, gegen sein Schienbein. Jericho sprang zurück, und Aria funkelte ihn böse an.
„Verdammt noch mal, Aria“, bellte er sie an.
„Du kannst froh sein, dass ich dieses dumme Kleid anhabe und mein Bein nicht noch ein Stückchen höher bekomme!“, zischte sie zurück.
Jericho starrte sie wutentbrannt an, und sie stand ihm in nichts nach. Braith trat nach vorne und ergriff Jerichos Arm. Er glaubte nicht, dass sein Bruder ihr etwas antun würde, offensichtlich schien er sie wirklich zu mögen und zu bewundern. Sie schienen ein fast geschwisterliches Verhältnis miteinander zu haben, aber Braith mochte es nicht, wenn er sie berührte. Er mochte die Vorstellung nicht, dass irgendein
anderer Mann sie berührte, selbst wenn es sein Bruder war.
„Also“, sagte Braith kühl. „Wer, zum Teufel, ist William?“
Aria verschränkte die Arme vor der Brust. Missfallen quoll aus jeder ihrer Poren, und sie machte ein finsteres Gesicht. „Mein Bruder“, antwortete sie.
„Ihr Zwillings
bruder“, betonte Jericho.
Braith konnte nicht ganz verstehen, warum sie derartig aufgebracht war. „O. k.“, sagte er ruhig.
Endlich richtete Arianna ihre Aufmerksamkeit auf Braith. Die Verzweiflung in ihren Augen überraschte ihn. „William und ich sind unzertrennlich, wir sind nur selten getrennt unterwegs. Der einzige Grund dafür, dass er bei der Jagd nicht bei mir war, war eine Verwundung, die er sich bei einem Überfall, zwei Tage zuvor, zugezogen hatte. Er ist mein Zwilling, ohne ihn fühle ich mich unvollständig, und er fühlt sich ohne mich unvollständig. Wir sind uns sehr ähnlich.“
„Sie sind beide hitzköpfig und unbesonnen“, erklärte Jericho weiter, als Braith immer noch nicht ganz verstand, was sie zu sagen versuchte. „Ich persönlich denke, dass es an den Haaren liegt.“
„Du bist ein Arsch!“, fauchte sie, drehte sich auf der Stelle um und stürmte davon. „Mein Vater und du, ihr seid beide
Idioten! William wird sich niemals von hier fernhalten.“
Sie schoss auf die Tür zur Bibliothek zu, wo sie stoppte und unsicher stehenblieb. Ihre Arme schlang sie sich um den Leib, und sie sah zerrissen und verloren aus.
„Das ist der Grund, warum dein Vater ihn geschickt hat.“
Sie drehte sich zu Jericho um.
„Zumindest kann dein Vater hier ein Auge auf ihn werfen, kann ihn bewachen lassen, sodass er nicht ausbrechen kann und uns alle in Gefahr bringt. Wenn er William zurückgelassen hätte, gäbe es keine Möglichkeit, auf ihn aufzupassen und ihn zu überwachen.“
Arias Blick flackerte. Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte bestätigend. „Du hast Recht“, flüsterte sie. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung, kam auf Braith zu und legte ihre Hand in seine. Er nahm nicht an, dass sie sich der Tatsache bewusst war, dass sie gerade Trost bei ihm suchte, aber diese Feststellung erfreute ihn. Sie sah einen Moment lang zu ihm auf und betrachtete sein Gesicht. „Was sollen wir nur tun?“
Er hatte keine Antwort für sie, aber Jericho schon. „Wir machen jetzt einen Plan, wie wir dich hier herausbekommen.“
Ariannas Augen füllten sich mit Bestürzung, und Braith fühlte ein heftiges Stechen in seiner Brust. Sein ganzes Sein schreckte allein vor dieser Idee zurück. Er wusste, dass sie gehen sollte, dass sie irgendwohin musste, wo sie in Sicherheit war, er war sich nur nicht sicher, ob er in der Lage sein würde sie gehen zu lassen.
***
Aria starrte stumpf hinaus in die Gärten. Sie hatte sich nicht von dem Sitz am Fenster wegbewegt, seit Jack und Braith gegangen waren, um an dem Bankett teilzunehmen. Sie waren beide verpflichtet, dort zu erscheinen, und keiner von ihnen war bereit, sie auch nur in die Nähe des Banketts zu lassen. Braith nahm nicht an, dass Max mitgebracht wurde, aber er war nicht willens, es darauf ankommen zu lassen. Niemand wusste, wie Max reagieren würde, wenn er entdeckte, dass Jack ein Mitglied der königlichen Familie war, und sie konnten ihre Anwesenheit nicht gebrauchen, um die Situation noch komplizierter zu machen.
Das einzige Problem war, dass sie noch keinen Plan gemacht hatten, bevor sie aufgebrochen waren, und nun fühlte sie sich verloren, durcheinander, zerrissen zwischen ihrer Familie und einem Mann, von dem ihr immer klarer wurde, dass sie ihn liebte. Sie wusste nicht, wann sie begonnen hatte, ihn zu lieben. Sie nahm an, dass es in der Nacht passiert war, als er sich nach Laurens Angriffen um sie gekümmert hatte. Das Gefühl war durch die Offenbarung seiner wunderschönen, verwundeten Augen noch zementiert worden.
Aber was bedeutete das? Wo stand sie? Wo standen sie?
Wenn sie hierbliebe, würde sie ihre Freunde, ihre Familie und ihre Freiheit für immer verlieren. Und sie würde sterben müssen, vielleicht früher als gedacht. Wenn sie gehen würde, wäre sie wieder bei ihren Lieben, zurück in dem Leben, das sie so sehr vermisst hatte, aber sie würde einen großen Teil von sich hier zurücklassen. Ein Stück, von dem sie annahm, dass sie es nie wiederfinden würde. Tatsächlich war sie sich dessen sicher.
Sie dachte, die Entscheidung müsse ihr leichtfallen: ihr Zuhause, ihr Leben und ihre Familie oder das Leben an einem Ort, den sie nicht verstand, der grausam und beängstigend war. Und doch war es nicht einmal annähernd einfach. Nicht, wenn es bedeutete, dass sie Braith nie wiedersehen würde, ihn nie wieder halten und spüren würde. Dieser Gedanke hinterließ sie zerrissen zwischen Freiheit und einem kurzen, aber süßen Leben. Sie hatte das Gefühl weinen zu müssen, aber die Tränen wollten nicht fließen. Ihre Augen waren so leer und trocken wie die Wüste. Während der leise Sound der Musik aus dem Bankettsaal zu ihr hochdrang, saß sie stundenlang da, unfähig, sich zu bewegen.
Die Sonne war schon vor einer ganzen Weile untergegangen. Es war spät, als Braith zurückkam. Unbemerkt war sie eingeschlafen, bis sie spürte, dass er seine Arme um sie legte. Er hob sie geschmeidig vom Fenstersitz hoch, drückte sie an seine Brust und trug sie aus dem Zimmer.
„Braith?“, flüsterte sie, obwohl sie wusste, dass er es war. Sie würde ihn immer erkennen.
„Schlaf weiter, meine Liebste.“
Sie schmiegte sich enger an seine Brust, erregt von seinen Worten, fasziniert von seiner Kraft und verzückt von seinem Geruch. Ihre Finger schlängelten sich in seinen Mantel, öffneten die Knöpfe seines Hemdes und schoben es beiseite. Sie legte ihre Handfläche gegen seine kräftige Brust, auf seine eigenartig kühle Haut. Sie seufzte zufrieden, als sie mit ihrer Hand über seine nackte Haut fuhr und konnte sich nicht vorstellen, dass sie jemals müde würde, ihn zu berühren.
Er setzte sie vorsichtig auf seinem Bett ab und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, um sich dann widerstrebend von ihr zurückzuziehen. Sie sah mit halb geschlossenen Augen zu, wie er seinen Mantel auszog, ihn beiseite warf und ins Badezimmer verschwand. Sie lauschte seinen Bewegungen und kämpfte gegen den Schlaf, der sie zu übermannen drohte.
Bevor sie sich versah, war er zurück und legte seine Hand auf ihre Schulter. „Möchtest du, dass ich dir dein Kleid ausziehe?“
Ihr Mund wurde trocken, und ihr Herz sprang in ihrer Brust, als sie zwischen Besorgnis und Aufregung schwankte. An Schlaf war angesichts seiner Frage nicht mehr zu denken. Erst jetzt wurde ihr klar, dass Maggie nicht mehr zurückgekommen war. Er musste ihr gesagt haben, dass sie heute Nacht nicht mehr gebraucht würde. Wollte sie, dass er ihr das Kleid auszog? Die Befreiung ihrer Rippen würde wunderbar sein, aber die Intimität war beunruhigend.
Sie trug Unterwäsche unter dem Kleid, die fast so verhüllend war wie die Nachthemden, und sie wollte die Schnüre wirklich gerne loswerden. Und, um die Wahrheit zu sagen, genoss sie die Art, wie er sie berührte. Sie schluckte heftig, bevor sie nickte. Ein Lächeln huschte über seinen vollen Mund, es war so selten und flüchtig, dass es ihr den Atem raubte.
„Du hast also entschieden, den Spieß nicht mehr vor mir zu verstecken?“
Ihr Gesicht verfärbte sich. Sie hatte den Spieß völlig vergessen, aber nach den Ereignissen des heutigen Tages hatte sie sich ohne ihn nicht mehr sicher gefühlt.
„Du wusstest davon?“, warf sie ihm vor.
Sein Lächeln war zurück und wie immer bei den seltenen Malen, da er richtig lächelte, erschien das Grübchen wieder auf seinem Gesicht. Sie hätte es hinreißend gefunden, hätte seine Frage sie nicht so erschüttert. „Ich wusste davon.“
„Seit wann?“
“Von Anfang an.“ Sie sah zu ihrer Brust hinunter, zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete ihr Dekolleté. Sie hatte eine Menge Zeit vor dem Spiegel verbracht, um sicherzugehen, dass der Spieß vollständig versteckt war.
Braith lehnte sich über sie, und sein Geruch nach Gewürzen und etwas fast Erdigem hüllte sie ein. Die Wärme seines Körpers erhitzte den ihren, und ein Schauer durchlief sie angesichts seiner Offenbarung. Seine Lippen waren nur Zentimeter von ihrer Wange entfernt. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, weil sie sich so sehr nach seiner Berührung, seinen Küssen sehnte. Ihre Finger umfassten seine Oberarme, sie musste sich an etwas festhalten, um geerdet zu bleiben in diesem Meer des Verlangens, das sie zu überwältigen drohte. Sein Bizeps spannte sich unter ihrer Berührung, und seine Haut glitt über die kräftigen Muskeln.
„Ich genieße es auch, dort hineinzusehen.“
Ihre Augen flogen wie wild zu ihm auf. Sie hatte das Gefühl, sie müsste empört auf seinen Kommentar reagieren. Stattdessen fühlte sich ihr verräterischer Körper an wie elektrisiert. „Ich … Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“
„Das wäre das erste Mal.“
Zumindest das verursachte etwas Ärger in ihr. Er schmunzelte, ja, es war wirklich ein Schmunzeln, als sie ihn verärgert anstarrte. „Warum hast du ihn mir dann nicht weggenommen?“, fragte sie nach.
Er zuckte mit den Schultern und legte seine Hand an ihre Seite. Sie vergaß vollkommen, dass sie böse mit ihm war, da seine Anwesenheit ihren Zorn zerschmelzen ließ. Selbst durch das Gewebe konnte sie die Hitze seiner Hand spüren, die sich in ihre Haut brannte. Ihre Brust begann vor Erwartung zu kribbeln, und sie schmiegte sich instinktiv näher an ihn. Seine Pupillen waren geweitet, und der amüsierte Ausdruck verschwand aus seinen Augen, als er auf ihren Mund sah. Aria wimmerte fast vor lauter Verlangen, welches durch ihren Körper schoss. Sein Blick richtete sich auf ihre Lippen, um von da aus genussvoll und hungrig Zoll für Zoll ihren Körper zu erkunden, sodass sie sich ausgeliefert fühlte und schmerzlich nach etwas verlangte, das sie nicht verstand, von dem sie aber instinktiv wusste, dass er es ihr würde geben können. Nur er konnte das Verzehren lindern, das in ihr zu lodern begonnen hatte.
„Ich wollte herausfinden, was du damit tun würdest.“
Seine Blicke waren zu den ihren zurückgekehrt, und er lehnte sich dichter an sie. Aria schluckte, fast hätte sie ihn weggeschoben, sie brauchte Platz zum Atmen. Sie war überwältigt, und ihr Kopf war wirr von der Faszination, die er auf sie ausübte. Mit ihrem Daumen begann sie, das verlockende Fleisch unter dem dünnen Material seines Hemdes zu streicheln.
„Ich hatte vor, ihn gegen dich einzusetzen.“
„Ich weiß.“
„Also …“
„Ich habe gewartet, ich war neugierig, aber wenn ich damals von deiner wahren Identität gewusst hätte, hätte ich ihn dir vielleicht viel früher weggenommen.“
Sie hatte erwartet, dass er bei der Erinnerung daran, wer sie wirklich war, von ihr abrücken würde, stattdessen berührten seine Lippen die ihren, als er sprach. Diese sanfte Liebkosung bei jedem Wort ließ ihr Herz kräftig gegen ihre Rippen schlagen. Es war wie Folter, diese Berührung, die doch keine war. Sie wollte, dass er damit aufhörte und sie endlich wieder richtig küsste und doch genoss sie diese süße Folter.
„Du hast also ernsthaft in Erwägung gezogen, ihn durch mein Herz zu treiben?“
„Anfangs“, gestand sie. „Und es gab ein oder zwei Situationen, in denen es eine verlockende Vorstellung war.“
Sein Lachen war tief, und es rollte angenehm aus seiner Brust. „Dieses Gefühl war durchaus gegenseitig.“
Sie konnte nicht anders, als ihn anzugrinsen. „Das kann ich mir vorstellen. Allerdings war die Verlockung, Caleb damit abzustechen, noch viel größer.“ Seine Belustigung verschwand so plötzlich, dass sie vor Überraschung nach Luft schnappte. „Braith …“
„Ich werde ihn nicht in deine Nähe lassen.“ Seine Stimme klang rau und streng, und aus seinen Augen leuchtete Brutalität. Seine Lippen waren nicht mehr neckisch und verspielt, sondern zu einem schmalen Strich zusammengekniffen.
„Ich … Ich dachte auch nicht, dass du das tun würdest“, stammelte sie.
„Caleb ist nicht wie ich oder Jericho. Er vereint das Schlimmste unserer Rasse und auch eurer in sich. Ich werde dafür sorgen, dass du ihm nicht noch einmal unter die Augen treten musst.“
„Ist das der Grund dafür, dass du mich fortgeschickt hast, als er vorbeikam?“
Sie spürte seine Muskeln, die sich unter ihrer Hand verkrampften. Aria verstärkte ihren Griff um ihn, als seine Augen für einen Moment lang rot aufleuchteten. Sie erstarrte, überrascht von seinem Kontrollverlust und der unausweichlichen Erinnerung an das, was er war und wozu er fähig war. Beklommenheit kroch in ihr hoch. Sie war unfähig, sich von ihm zu lösen, da sie etwas in ihm spürte, das nichts mit seinem Hunger nach ihr zu tun hatte. Nur für einen kurzen Moment war seine Verletzlichkeit offen zutage getreten. Ihr Herz schlug für den Mann, der unter diesen erbarmungslosen Bedingungen leben musste, der mit seinem Bruder nichts gemeinsam hatte und schon gar nicht mit seinem entsetzlichen Vater. Der Mann, der ihr vorlas, ihre Wunden versorgte und sie mit solcher Zartheit und Ehrfurcht berührte.
Liebe loderte in ihr auf, und wegen der Heftigkeit der Gefühle, die sie in ihrer Brust spürte, traten ihr Tränen in die Augen. Sie war ganz erfüllt von dieser Liebe, sie hüllte sie förmlich ein, wuchs und verstärkte sich immer mehr.
„Ich schicke dich weg, damit er es nicht mehr sieht!“
„Was nicht mehr sieht?“
„Wie sehr ich dich brauche, wie viel stärker du mich machst und wie sehr dein Verlust mich zerstören würde.“
Die Tränen rannen nun ihre Wangen hinab, und er wischte sie zärtlich mit seinem Daumen weg. Seine Finger streichelten ihre Wange, und ein Sturm von Gefühlen füllte auch seine Augen. „Was soll ich nur mit dir machen, Arianna?“, hauchte er.
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Antworten für ihn, und es gab auch keine für diese Situation, in der sie beide sich befanden. Sie wollte einfach nur mit ihm zusammen sein, jetzt, in diesem Moment und alles vergessen, was sie auseinanderzureißen versuchte. Mit einer federleichten Berührung glitten ihre Finger über seine angespannten, vollen Lippen. Er erzitterte in Reaktion darauf, und seine Augen verdunkelten sich vor Verlangen.
„Lass mich dich aus diesem Ding befreien.“ Seine Hände waren sanft auf ihrer Haut, während er die Schnüre löste und ihr damit zum ersten Mal seit Stunden wieder erlaubte, frei zu atmen, indem er ihre schmerzenden Rippen endlich befreite. „Warum trägst du dieses Ding, wenn deine Rippen in dieser Verfassung sind?“, murmelte er verärgert.
„Du hast es ausgesucht“, erinnerte sie ihn.
Seine Stirn legte sich in Falten, und er starrte sie einen Moment lang an. „Ich wusste nicht, dass da diese Schnüre dran sind. Mir gefiel die Farbe, und ich dachte, es würde dir gut stehen. Du hättest nein sagen können.“
Langsam atmete sie ein und aus und füllte so das volle Volumen ihrer Lungen. „Maggie hat das vorgeschlagen, aber ich hatte das Gefühl, es würde nicht gut aussehen, wenn ich mich gegen das Kleid entscheiden würde, das du für mich ausgesucht hast. Maggie ist ein nettes Mädchen, aber ich traue niemandem in diesem Palast.“
Fluchend setzte er sich zurück, seine Hand lag beruhigend auf ihrem Arm. Er sah sie nicht mehr an, sondern starrte in die Dunkelheit. Sie wusste, dass er abwog, ob es das Beste für sie sei, ihn zu verlassen, und der Gedanke verursachte ihr Panik. Es war das Beste, wenn sie ging; für sie beide. Aber es war gleichzeitig das Letzte, was sie tun wollte.
Er streichelte ihren Arm und hob sie mühelos hoch, um sie auf ihre Füße zu stellen. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund sah Aria ihn an. Seine vollen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Er streifte ihr das Kleid von den Schultern und ließ es zu ihren Füßen auf den Boden gleiten. Hitze stieg in ihr auf. Sie duckte sich weg und stieg aus dem Stoffhaufen heraus.
Der Griff des Spießes lugte aus ihrer Unterwäsche hervor, die sie immer noch verhüllte. Sie spürte Braith‘ Finger verlockend auf ihrer Haut, während er den Spieß aus seinem Versteck befreite und ihn eine Weile lang anschaute. Den Spieß vor ihr hin- und herdrehend, leuchteten seine Augen vor Belustigung. „Der Fuß des Nachttischchens?“
„Jep.“
„Du zerstörerischer kleiner Mensch.“ Er hielt den Spieß noch einen Moment lang fest, bevor er ihn zwischen Daumen und Zeigefinger zerbrach. Aria staunte bei dieser Demonstration seiner Kraft. Zugegeben, es war nicht der stabilste Spieß gewesen, aber er hatte ihn mit nur einer Hand zerbrochen, als sei es ein Kinderspiel. Sie wusste, dass Vampire stark waren, aber sie hatte das Gefühl, seine Kraft war so enorm, dass sie sie bisher nicht einmal im Ansatz kennengelernt hatte.
Sie stellte es sich beängstigend vor und hoffte, sie müsste nie das ganze Ausmaß dieser Kraft erleben.
Plötzlich bemerkte sie, dass seine Beine nackt waren und er nur noch ein Paar Shorts trug. Ihr Mund wurde trocken, und ihr Herzschlag beschleunigte sich mit ihrer wachsenden Aufregung. Seine Oberschenkel waren wohlgeformt, und die Muskeln zeichneten sich deutlich ab, als er sich bewegte. Ihr Puls raste, als er sein Hemd aufknöpfte und den Stoff von seinen Schultern hinuntergleiten ließ. Sie starrte ihn an, das war ihr bewusst, aber sie konnte nicht anders, als die perfekte Form der Muskeln über seinem Bauch, seine breiten Schultern und seine Brust zu bewundern. Dunkle Haare zogen sich über diese Brust hinab, bis sie in eine Zone verschwanden, die unter seinen Shorts versteckt lag. Ihr Gesicht brannte noch heißer, als ihr klar wurde, dass sie die Spur dieser Haare den ganzen Weg, bis zu ihrem Verschwinden, mit den Augen verfolgt hatte.
Es schien, als habe jemand sich überlegt, den perfekten Mann zu erfinden, und nun stand er
als dieser Mann vor ihr. Und er sah sie mit einem Blick aus seinen gesenkten Lidern an, sodass ihr ganz flau im Magen wurde. Heilige Scheiße, diese Sache wuchs ihr über den Kopf. Sie hatte keine Erfahrung mit so etwas. Sie hatte Männer mit nackten Oberkörpern in den Wäldern gesehen, und auch nackte männliche Beine waren ihr nicht unbekannt, aber keiner dieser Oberkörper oder keins dieser Beine hatte diesen überwältigenden, elektrisierenden Effekt auf sie gehabt. Sie fühlte sich wie ein Kind, und gleichzeitig wurde sie sich schmerzlich ihres Frauseins bewusst.
„Arianna?“
Sie sah aus halb geschlossenen Lidern zu ihm auf und kämpfte damit, ihre Verlegenheit unter Kontrolle zu halten, womit sie allerdings kläglich scheiterte.
„Meine Freunde nennen mich Aria“, sagte sie, weil ihr nichts anderes zu sagen oder zu tun einfiel.
Mit sanfter Hand streichelte er ihre Wange und hob ihr Gesicht zu ihm auf, sodass sie ihn ansehen musste. „Wir sind mehr als Freunde, findest du nicht auch?“ Seine Stimme war tief und erfüllt von Leidenschaft.
Es waren keine Worte mehr in ihr übrig, sie war nicht in der Lage, etwas dazu zu sagen, denn er sprach die Wahrheit. Sie waren mehr als nur Freunde, und in diesem Moment hätte sie alles getan, worum auch immer er sie gebeten hätte.
Sie trat näher an ihn heran, legte ihre Hände auf seine nackte Brust und bewunderte die breite muskulöse Fläche, während sie ihre Finger darübergleiten ließ. Er blieb unbeweglich unter ihrer Berührung stehen, ließ sie ihn erforschen, solange sie mochte. Sie sehnte sich danach, ihn überall zu berühren, aber ihre Finger erstarrten an einer Grenze auf seinem Bauch, gerade an der Schwelle zu seinen Shorts.
Er zog sie an sich, küsste sie auf die Stirn und hielt sie fest an sich gedrückt. „Du bist wunderschön, Arianna.“
Überrascht blinzelte sie. Das hatte noch niemand zu ihr gesagt, und auch wenn sie wusste, dass das nicht wahr war, konnte sie das Prickeln, das seine Worte in ihr auslösten, nicht stoppen. Es sah sogar aus, als hätte er es so gemeint.
„Nein, Braith, aber danke …“
„Doch, Arianna, für mich bist du die schönste Frau auf der ganzen Welt.“
Tränen stiegen wieder in ihr hoch, während sie ihm forschend in die Augen sah, aber alles, was sie wahrnehmen konnte, waren die Ehrlichkeit und die Sehnsucht, die sie ausstrahlten. Ihre Hände liebkosten seine Haut, und plötzlich fühlte sie deutlich die Liebe in sich aufblühen. Sie konnte sich gegen die Flutwelle der Gefühle, die sie erneut überwältigte, nicht wehren. Sie sah ein Leuchten in seinem Blick, das sie verdutzte und das mehr beinhaltete als nur rein körperliches Begehren. Dann wurde ihr plötzlich klar, was er so verzweifelt von ihr begehrte.
Was ihm fehlte und was sie ihm geben konnte.
„Hast du heute Abend getrunken, Braith?“
Er schüttelte den Kopf, seine Augen schlossen sich für einen kurzen Moment, und mit seinem Daumen streichelte er ihre Wange.
„Warum nicht?“
„Ich kann nicht mehr so oft trinken, wie ich es früher getan habe“, antwortete er.
Irritiert durch seine Worte runzelte sie die Stirn, bevor sie plötzlich zu verstehen begann. „Weil man Fragen stellen würde, wenn du das tun würdest. Sie würden wissen wollen, was du mit mir vorhast. Was sollte ich dir nützen, wenn du dich weiterhin von anderen ernähren müsstest?“
Er sagte nichts, sondern sah nur an ihr vorbei auf die gegenüberliegende Wand. Sein Kiefer verkrampfte sich, während er mit den Zähnen knirschte. Sie spürte das Zittern seiner Hand, bevor er sie in ihrem Haar vergrub.
„Es ist mehr als das, Arianna.“
Sie legte den Kopf zurück, um etwas zu trinken und sah ihn dabei über das Glas hinweg an. Er war einfach großartig, mächtig, aber jetzt, in diesem Moment, ging es nur um sie beide. Es gab keine Blutsklavin und auch keinen Meister, keinen Jack oder Max, sogar die Wälder und ihre Familie traten in den Hintergrund. Es gab nur sie beide, und sie mussten sich um nichts und niemanden sorgen, nicht hier und jetzt.
„Was ist es dann?“
Er kam näher, sein Mund war nur noch Zentimeter von ihrem entfernt, und seine Augen lagen forschend auf ihr. Mit seiner Hand, immer noch in ihrem Haar, schob er ihren Kopf ein wenig zur Seite. Mit der anderen Hand fand er den heftig schlagenden Puls an ihrem Hals. Mit jeder Faser seines Körpers, nicht nur mit seinen Augen, in denen sich die Pupillen stark geweitet hatten, verströmte er Hunger.
„Dein Blut ist das Einzige, das ich begehre, seit ich dich zum ersten Mal sah. Nichts anderes kann mich vollständig sättigen.“
Ein Schluchzen blieb ihr im Hals stecken. Sie konnte nichts weiter tun, als ihn überwältigt anzusehen. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf ihre Kehle. Seine Lippen waren sanft, liebevoll, doch gleichzeitig konnte sie deutlich den Druck seiner Fangzähne spüren. Er versuchte sie vor ihr zu verbergen, sie sollte gar nicht bemerken, dass sie da waren und doch, alles in ihr war elektrisiert bei dem Gedanken an sie. Sie sollte entsetzt sein, sollte angewidert sein bei dem bloßen Gedanken daran, ihm zu erlauben, von ihr zu trinken, stattdessen konnte sie an nichts anderes mehr denken. Es war alles,
was sie wollte.
Ihr Blut pulsierte noch heftiger, und eine Gänsehaut kroch ihr die Wirbelsäule hoch. Ihre Hände ergriffen seine drahtigen Muskeln, während er samtweiche Küsse über ihren Hals und ihre Wangen verteilte, bevor er kurz mit seinen Lippen ihren Mund berührte.
Arias Knie zitterten, und sie bebte in seinen Armen, kaum in der Lage, sich auf den Beinen zu halten, als seine Zunge mit ihren Lippen spielte. Sie öffnete leicht ihren Mund und begrüßte so sein hungriges Eindringen. Sein Arm lag fest um ihre Taille. Er hob sie vom Boden und hielt sie fest an sich gedrückt. Aria legte ihre Arme um seinen Hals und hielt sich an ihm fest, während er sie behutsam auf seinem Bett platzierte und sich vorsichtig auf sie legte.
Sein Gewicht zu spüren war wundervoll, alles
an ihm war wundervoll. Sie wollte, dass dieser Moment niemals vergehen würde, dass nichts von dem, was sie jetzt spürte, jemals aufhören würde. Sie wünschte, sie könnte die Zeit anhalten, sie könnte einfach so hier mit ihm liegenbleiben und diesen wundersamen Moment mit ihm genießen. Sie wünschte, der Anblick dieser feindlichen Welt mit den fürchterlichen Dingen, die in ihr passierten, würde ihr für immer erspart bleiben. Egal was auch immer kommen mochte, sie würde diese Nacht mit ihm in vollen Zügen genießen. Sie würden diesen einen Moment des Glückes und des Friedens haben, bevor die harte Realität sich ihren Raum wieder zurückerobern würde.
Sein Kuss wurde drängender, feurig. Sie konnte seine Begierde deutlich wahrnehmen. In ihrem Kopf drehte sich alles, und ihr Körper war vollkommen außer Kontrolle. Sie klammerte sich an ihn. Er war ihr Anker in dieser ach so stürmischen Welt. Er streichelte sie zärtlich, seine Hände bewegten sich auf ihr wie eine flüsternde Liebkosung, die sie am ganzen Körper erzittern ließ. Seine Lippen lagen auf ihrem Hals, seine Zähne streiften ihre Kehle, aber er biss nicht zu.
Ihr wurde klar, dass er das auch nicht tun würde, solange sie ihm nicht die Erlaubnis dazu gab.
Sie zitterte und war den Tränen nahe. Sie drehte ihren Kopf und versteckte ihn an seinem kräftigen Hals. Sie presste ihren Mund gegen sein festes Fleisch und umklammerte seine Arme, während sie versuchte, sich wieder zu fangen, sich zu erden, obwohl ihr klar war, dass ihr das unmöglich gelingen konnte. „Es ist o. k.“, hauchte sie. „Es ist o. k.“
Zunächst schien er sie nicht zu hören, da er nicht damit aufhörte, ihren Hals zu küssen. Dann versteiften sich seine Arme, und er zog sich langsam von ihr zurück. Sie schob ihm eine seiner dunklen Locken aus dem Gesicht und betrachtete die Narben um seine Augen.
„Arianna?“
Ihre Finger bewegten sich über seine Wangenknochen, hin zu seinem vollen geschwungenen Mund. Sie fuhr über seine Lippen, aber er zuckte zurück, als sie seine langen Fangzähne berührte.
„Nicht“, bat sie und verhinderte, dass er sich von ihr zurückzog. Verwirrt kräuselte er seine Stirn, aber er bewegte sich nicht weiter von ihr weg. Erschreckt stellte sie fest, dass das Gefühl ihrer Finger auf seinen ausgefahrenen Zähnen erregend und atemberaubend war. Es machte ihr überhaupt keine Angst, so wie sie angenommen hatte, so wie es hätte sein sollen
. Er war viel stärker als sie, er könnte sie mit Leichtigkeit töten und doch verspürte sie keinerlei Angst, denn es war er
. „Es ist o. k.“, sagte sie noch einmal, ihre Finger immer noch an seinen Zähnen. „Du bist hungrig, das kann ich spüren. Ich
möchte das, Braith.“
„Arianna.“ Seine Stimme war ein leises qualvolles Stöhnen, als er seinen Kopf in ihre Nackenbeuge sinken ließ. Sie spürte, wie seine Schultern bebten, seine Anspannung war schon greifbar. „Du weißt nicht, wonach du da fragst.“
„Ich frage nach dir.“ Sein Zittern intensivierte sich, und seine Hände bewegten sich nicht mehr. Er hielt ihren Kopf in seinen Händen und sah sie an. Ihr Herz war erfüllt von Liebe. Er kämpfte so heftig gegen sich selbst und hielt sich zurück, weil er befürchtete sie zu verletzen, obwohl sie ihm bereitwillig anbot, was er so verzweifelt begehrte.
„Es ist o. k.“
Sie ergriff seinen Hinterkopf und bewegte ihn sanft in Richtung ihrer Halsbeuge. Kleine Zuckungen durchfuhren ihn, als sie seine Zähne gegen ihre schnell pulsierende Ader drückte.
„Es gehört dir, Braith, ich
gehöre dir. Nimm es. Nimm mich. Ich möchte diejenige sein, die dich befriedigt.“
Er stöhnte laut auf. Sie fühlte den Moment, in dem sich in ihm plötzlich etwas veränderte, den Punkt, an dem er die Kontrolle verlor, und sein Sehnen nach ihr übernahm die Führung. Aria seufzte, ihre Finger gruben sich tief in seinen Rücken, als seine Lippen sich heiß gegen ihr Fleisch pressten, um sich dann zurückzuziehen und seine harten Fangzähne zu offenbaren. Seine Zunge fuhr kurz über ihren Hals, bevor seine Zähne ihre Haut durchstachen und sich tief in ihre Vene versenkten.
Einen Moment lang verschwamm die ganze Welt vor ihren Augen, sie konnte an nichts denken und konnte nichts wahrnehmen außer ihm. Er war überall, über ihr, in ihr, ein Teil von ihr, als er sie noch tiefer biss und seine Fangzähne vollständig in ihr versenkte.
Dann, Stück für Stück wurden sie wieder zu zwei Personen. Sie konnte seinen Hunger spüren, seinen Durst, die Faszination, die sie auf ihn ausübte, als er von ihr trank. Er trank gieriger, als er es jemals zuvor von einer anderen Person getan hatte. Auf irgendeine Weise wusste sie, auch wenn er es nicht gesagt hatte, dass es wahr war. Seine Gedanken verbanden sich mit ihrem Bewusstsein, und sie empfand seine Befriedigung. Er sehnte sich nach ihr, konnte nicht genug von ihr bekommen. Er würde niemals genug von ihr bekommen, und sie wollte auch nicht, dass er das tat.
Er presste sich an sie, und das Gewicht seines Körpers drückte sie tiefer in die Matratze. Ein verzücktes Stöhnen entfuhr ihr, und als er fester zubiss, verkrampften sich ihre Finger auf seinem Rücken. Sie spürte einen Knorpel brechen, ihren Knorpel, aber es war ihr egal. Es tat nicht weh; sie spürte nichts als das Blut, das gierig aus ihr gesogen wurde und ihre gemeinsame Ekstase, in der sie sich verloren.
Sie wusste, dass sie sich eigentlich fürchten sollte, wusste, dass dies hier weit über ihre Kontrolle hinausging, aber sie war nicht ängstlich. Sie wusste, solange sie in seinen Armen läge, würde sie nie wieder ängstlich sein. Sie konnte spüren, wie ihr das Blut den Hals hinunterlief und sehen, wie sich das Laken unter ihr verfärbte, aber auch dadurch fühlte sie sich in keiner Weise alarmiert. Stattdessen füllte sich ihr Herz mit Liebe, bis es davon übervoll war.
Erst als er leise schnurrte und noch härter zubiss, bemerkte sie, dass die Worte „Ich liebe dich“ wie ein endloser Refrain aus ihr hervorquollen und dass sie nicht aufhören konnte, bis eine Welle der Schwärze sie umfing und sie in ein großes Nichts spülte. Sie bewegte sich zwischen Bewusstsein und Ohnmacht hin und her, angenehme Erinnerungen flogen heran wie ein Regen, um dann wieder davonzugleiten. Träume kamen und gingen, und Schatten wirbelten durch ihren Geist. Braith hielt sie, wiegte sie sanft und flüsterte ihr zu, sie möge ihn nicht verlassen, aber sie hatte das Gefühl, dass er wissen müsste, dass sie ihn niemals verlassen würde. Immer wieder versuchte sie, ihm das zu sagen.
Von seinem Handgelenk bot er ihr etwas an, das sich feucht und ein bisschen klebrig anfühlte. Sie drückte ihn von sich und sagte ihm, dass sie nichts anderes wollte außer ihm, aber er brachte sie dazu, sein Handgelenk in den Mund zu nehmen und bat sie zu schlucken. Die warme Flüssigkeit war süß und schmeckte nach ihm. Aria war nicht dazu in der Lage, sein Angebot abzulehnen. Während sie gierig trank, glaubte sie, ihn sagen zu hören, dass er sie liebe, aber sie war sich nicht ganz sicher. Endlich sank sie in einen Zustand tiefster Glückseligkeit, in dem sie wusste, dass sie in seinen Armen in Sicherheit war.