9

Hab ich keinen Biss mehr? Ich fühle mich saft- und kraftlos und zu alt für diese Scheiße. Mein ganzes Leben habe ich bisher ausschließlich bei mir zu Hause in Barmbek verbracht, und dass ich jetzt parallel noch mal in einer völlig neuen Nachbarschaft bei Dörte in Bramfeld durchstarte, verunsichert mich.

Was ist meine jahrelange Barmbeker Erfahrung hier wert? Es ist fast wie bei einem Fußballer, der sein Leben lang für den HSV gespielt hat, wie Uwe Seeler oder so, und der dann kurz vorm Karriereende bei Inter Mailand anfängt und sich den guten Platz im Mannschaftsbus erst verdienen muss. So fühle ich mich, und ich habe jetzt schon fast keinen Bock mehr! Sind die denn komplett durchgeknallt da oben? Ununterbrochenes Fußgetrappel und Geschrei, Kung-Fu-Tritte, Türenschlagen – das volle Programm. In der Wohnung über Dörtes ist die Hölle los! Eine ganze Meute Arschlochkinder, die sich den ganzen Tag in so einem gespielten Jammerton anschreien.

Dörte ist grad beim Physio, weil sie es an der Bandscheibe hat, und ich fühle mich eh schon irgendwie einsam, wie so ein Hund, den man allein in der Wohnung zurückgelassen hat. In Dörtes Zuhause fällt es mir nämlich immer noch schwer, mich zu beschäftigen. Ich gucke gerade Tagesschau , und das ist zwar ein bisschen Stabilität, weil zu Hause würde ich genau dasselbe machen, aber die Fernsehbegleitbeschäftigung, die ja denselben Stellenwert hat wie das Fernsehen selbst – da fällt mir hier einfach nix ein. Ob ein Sudoku lösen, irgendwas kleben oder Socken sortieren, für all diese möglichen Fernsehbegleitbeschäftigungen mangelt es in Dörtes Wohnung am Detail. Sie hat keine vernünftigen Kugelschreiber, sondern nur Baubleistifte und dünne Eddings , und so macht Sudoku keinen Spaß. Zu Kleben ist zurzeit auch nichts, nicht mal abgebrochene Lesebrillenbügel oder kaputte Kühlschranktüreinsätze, von denen es in meiner Wohnung nur so wimmelt. Und eigene Socken zum Sortieren habe ich hier noch nicht liegen lassen. Die werden morgens fein säuberlich in einem mitgebrachten Hundekotbeutel zusammen mit der Unterwäsche aufgesammelt und in die Jackentasche gesteckt. Noch. Meine Trainingsjacke hat Dörte schon mal mitgewaschen, und das war ein schönes Gefühl von Vertrautheit. Mal sehen, was da noch alles kommt. Aber zurzeit ist es eben ein bisschen eintönig. Wahrscheinlich hat der liebe Gott dafür Fingernägel und Zähne zum Kauen erfunden – damit man was zu tun hat, wenn man nur so vor sich hin glotzt. Im Kühlschrank ist auch nichts Interessantes. Umso mehr schält sich dieser Lärm von oben in meine Schläfen. Dagegen sind der Bumser und der Hackenläufer aus der WG über meiner Wohnung sanft wie eine Klangschale. Und bei denen stand und stehe ich ja oft genug vor der Tür, um die Brüder mal wieder ein bisschen zu erden, wenn sie Krach machen. Aber hier bin noch gehemmt.

«Du, Ralf, wenn die Kinder von oben zu laut werden, gehst du einfach hoch und sagst was», meinte Dörte noch, kurz bevor sie zur Tür raus war.

«Kannst du nicht noch schnell mal ’ne Ansage machen, bei dir hat das mehr Gewicht.»

«Wieso mehr Gewicht?»

«Weil ich hier nur Gast bin. Da fehlt mir die Handhabe.»

«Geh doch einfach hoch.»

«Mach du’s doch bitte, Dörte.»

«Mein Rücken …! Und außerdem ist es momentan ja total ruhig.»

«Noch. Vielleicht einfach als Gefahrenansprache, wie die Polizei das macht. Vor Fußballspielen oder so …»

«Hä?»

«Von wegen ‹Wir wissen, dass ihr euch nachher kloppen wollt. Das ham wir aufm Schirm, Freunde›, und dann lassen sie vielleicht davon ab.»

«Die sind nicht mal fünf Jahre alt.»

«Dann bin ich eben machtlos.»

«Du bist hier doch auch nicht nur Gast. Du bist teilweise schon gesichtsbekannt im Treppenhaus.»

«Dörte, ich fühle mich noch wie in so einem Polizeiaustauschprogramm, weißt du?»

«Nee, jetzt grad mal nicht.»

«Ich bin zum Austausch hier, aber ich darf niemanden verhaften.»

«Ach Mensch, Ralf.»

Sie küsst mich von hinten am Nacken. Das macht sie, glaub ich, immer, wenn sie mich bescheuert findet oder so. Dann ist das ein liebevoller Kuss, aber mehr so «Ach mein süßer Tüddel». Und raus war sie zur Tür.

Das Problem bleibt, da kann sie es noch so viel leugnen, wie sie will. Ich bin hier Gast! Noch mehr als Dörte es in meinem Haus in Barmbek ist. Ist so. Ehrlich.

Aber sie war ja auch schon bei uns auf dem Straßenfest und anschließend zusammen mit der ganzen Nachbarschaft bei mir in der Wohnung, als das draußen zu regnen anfing und alle noch weitersaufen wollten. Das hatte natürlich was Offizielles. Wie die Einführung einer Infantin, oder wie das heißt, in die höhere Gesellschaft. Dörte guckt manchmal so eine Serie auf Netflix , von daher weiß ich das. Und da musste ich jetzt auch nicht ans Glas schlagen und sagen: «Liebe Nachbarn, das hier ist Frau Krampitz. Dörte Krampitz. Sie ist hier als Paketbotin von Hermes gesichtsbekannt und wird hier in Zukunft mit meinem Einverständnis Mahnungen gegen Lärm- und Geruchsbelästigung sowie unerlaubt abgestellte Gegenstände im Treppenhaus ausstellen.» Das wissen die auch so. Das weiß ich von Horst.

In diesem Augenblick wird in der Wohnung über Dörte etwas Schweres in eine der Rigipswände gerammt, vermute ich. Es erinnert mich ein bisschen an die Strehlers-Gören von früher in unserem Haus. Außerdem stinkt es seit Stunden von irgendwo im dritten Stock nach ausgekochtem Pansen oder so ähnlich, fast so, wie wenn die Nazi-Oma in meinem Haus frische Suppe macht und Markknochen mit reingibt. Dörtes Hausgemeinschaft scheint eine Art Paralleluniversum zu meiner Nachbarschaft zu sein.

Nicht nur, dass es in jedem Haus mit Kindern auch immer ein paar Arschlochkinder geben wird, selbst wenn Butschi sich jetzt als freundlicher kleiner Kumpel erwiesen hat, nein, selbst ein Ökospießerpärchen haben sie bei Dörte im Haus, und auch mein Nachbar Horst Rohde aus Barmbek scheint in etwa deckungsgleich mit der Dame zu sein, die in Dörtes Haus unterm Dach wohnt. Es ist rein verrückt. Die Dame trägt ebenfalls Lederschluppen und sieht eigentlich, bis auf ihre Perlensticker, aus wie … Horst an schlechten Tagen. Auch mit diesem Rundrücken und insgesamt der Ausstrahlung eines kleinen Kneipenschlägers aus Nordengland, der ja tagsüber durchaus charmant sein kann und mit Mutterwitz ausgestattet, aber mit zunehmendem Alkoholgenuss plötzlich Bock auf Schlägerei bekommt und Leuten ganz fies in die Eier kneift.

Eines Tages stand die Perlensticker-Dame vor Dörtes Wohnungstür und war mein erster Nachbarschaftskontakt überhaupt in Dörtes Haus. Ohne Begrüßung legte sie sofort los.

«Mein Handy sagt, mein Paket ist hier?»

«Guten Tag. Welcher Name?»

«Wer sind Sie denn überhaupt? Wo ist denn Frau Krampitz?»

«Die hat Schicht.»

«Was nehmen Sie denn hier Pakete an, wenn Sie hier gar nicht wohnen?»

«Ich wohn ja immer mal hier.»

«Aha? Steht nicht am Klingelknopf.»

«Ich bin der Lebensgefährte. Ich wohn eigentlich in Barmbek-Süd.»

«Ooooh, Baaambek! Baaambek-Süd sogar. Dooonnerwetter.»

Sie versuchte irgendwas an mir nachzuäffen, was ich überhaupt nicht von mir preisgegeben hatte. Und einen Moment dachte ich wirklich, die will mir gleich was aufs Maul geben. Fast schon zitternd griff ich hinter mich und nahm das Paket, das ich eine Stunde vorher angenommen hatte.

«Frau Schröter?»

«Ja. Aber das ja ’n kleiner Karton!»

Sie bemerkte, dass ich ihre Enttäuschung registriert hab.

«Das is ein Charlie -Bär. Die sind sonst größer.»

Und dann lächelte sie, nahm ihren Karton und ging grußlos die Treppe hoch und sagte quasi durch die Pappe durch «Na, wollen mal sehen, was du für einer bist und wo wir für dich ’n schönes Plätzchen finden» zu ihrem kleinen neuen Liebling. Dörte hat mir dann später erzählt, dass Frau Schröter sogenannte Charlie -Bären sammelt und es sich bei dem Paket, das ich angenommen hatte, wahrscheinlich um das Modell «Graham» handelte, was Frau Schröter schon lange erwartet hatte. Ein kleiner Plüsch-Waschbär mit Krawatte. Glaubt man das? Diese Frau Schröter leitet mittlerweile den Shantychor, den ihr verstorbener Mann gegründet hatte. Und sie trägt auch seine Elbsegler-Kappe auf. Und ich könnte drauf wetten, dass er einen kleineren Kopf hatte als sie, weil das Käppi schon recht stramm bei ihr sitzt. Kurzum: Als Witwe mutierte diese Frau offenbar äußerlich zu ihrem eigenen Gatten, was in Hamburg Ost immer mal zu beobachten ist, und nur innen drinnen ist sie immer noch die verspielte Hausfrau, die kleine überteuerte Plüschteddys auf ihrer Sofakante und überall in der Wohnung auf kleinen Hockern und Schemeln platziert. Nur die Ohrstecker hat sie wohl vergessen rauszunehmen.

Was aber auch klar ist: Diese Frau Schröter steht in der Haus-Hierarchie Bramfeld meilenweit über mir. Wenn das Ganze ein Motorradklub wäre, dann wäre sie der Klubpräsident und ich höchstens dirty pack oder prospect oder hangaround – so was. Hab ich mal im Mittagsmagazin gesehen, als sie wieder mal die Hells Angels irgendwo hochgenommen haben. Und genauso wie diese Anwärter muss ich mir wohl im Haus erst mal die Sporen verdienen, um überhaupt irgendwann Pakete annehmen zu dürfen.

Oder Zettel aufhängen, von wegen «Kinderwagen bitte nicht vor die Briefkästen stellen. Danke». Da bin ich auch noch gehemmt.

Und in solchen Momenten ist die Vorstellung, dass ich vielleicht eines Tages aus meiner gewohnten Umgebung in Barmbek rausgeklagt werde, wegen Eigenbedarfs, ein einziger Horror.

Wahrscheinlich ist es der eigene Name auf dem Klingelschild, der einem endgültig den nötigen Nachbarschafts-Status verleiht, im Grunde wie mit einem Anwohnerparkplatzschein, der einen ja auch über die üblichen Parkraumnutzer erhebt.

«Auch Gäste haben Rechte, Ralfi», sagte meine Schwester neulich am Telefon, als ich mal wieder allein bei Dörte saß – sie hatte Schicht – und das ganze Haus nach ausgekochtem Pansen roch.

«Wenn du in einem Hotel als Gast bist, und nachts um zwei ist unten im Pool noch die Hölle los, dann hast du doch auch das verdammte Recht, dich zu beschweren.»

«Silke! In dem Fall melde ich mich ja beim Portier oder so. Dass er da mal hingeht und den Lauten macht. Aber so was haben die hier ja nicht. Das hier ist Bramfeld und nicht Berlin Dahlem.»

«Dann ruft man eben die Hausverwaltung an.»

«Ach, hör auf. Bis die dann was machen. Die schicken da doch keinen nach oben, von wegen, bei Ihnen stinkt’s nach Pansen . – Wer sagt das denn?  – Das sagt Herr Prange!  – Wer ist das denn? – Der ist zu Gast im ersten Stock. »

«Du übertreibst schon wieder.»

«Ist doch so. Ich zähl hier im Haus noch nichts.»

«So kenn ich dich überhaupt nicht.»

«Mir fehlt die Homebase, sagt Butschi. So was dauert.»

«Wenn die Musik zu laut wär, dann könntest du ja auch die Polizei anrufen. Anonym.»

«Silke …»

«Dann wissen die ja gar nicht, dass du nur Gast bist und deine Gastgeberin noch auf Schicht ist.»

«Gestank ist für die Polizei nicht dasselbe wie Lärmbelästigung. Das hatten wir doch schon mal, das Thema. Da sperren die sich.»

«Du bist mir zu anstrengend.»

«Du hast alles Recht der Welt dazu, Silke, und traust dich nicht mal, deinem Nachbarn zu sagen, dass du es unmöglich findest, dass er seine Hausfassade so hässlich in Teewurstfarben angemalt hat!»

«Das hat doch damit nichts zu tun!»

«Du wohnst da richtig, und ich bin hier nur Gast!»

«Du bist mir echt zu anstrengend.»

Und dann hat sie aufgelegt.

Sie selbst hatte mal eine holländische Skiffle-Band bei sich im Haus zu Besuch, also semiprofessionell vermietet über Airbnb oder so, als sie selbst mit ihrem Mann und den Kindern zwei Wochen in Antalya war. Kennt man ja. Und die Holländer bereisten die deutsche Westküste für diverse Jazz-Frühshoppen in deutschen Autohäusern – ein Marketingtool der deutschen Automobilwirtschaft, das offensichtlich nie ausstirbt. Egal. Die sieben Männer im besten Alter sind für fünf Nächte bei Silke untergekommen und haben sogar für eine ganze Woche bezahlt. Jetzt sind Skiffle-Bands nicht gerade die Rolling Stones und zerkloppen auf der Bühne ihre Banjos und verwüsten Hotelzimmer, aber Musiker bleiben Musiker, und da geht erfahrungsgemäß immer was schrott unter Alkohol.

Aber denkste. Es war in dem Fall tatsächlich so, dass sich nicht die Nachbarn über die Musiker beschwert haben, sondern die Gäste aus Holland über die Nachbarn. Und ich war auch noch Ansprechpartner, weil Silke für den Fall der Fälle meine Nummer hinterlassen hatte, weil sie solche Sachen von der Türkei aus ja wohl nicht regeln kann.

«Wir leben in einer globalisierten Welt, Silke.»

«Ja, aber dann häng ich in Antalya.»

«Ich hänge in Hamburg! Ich fahr dann nicht extra raus.»

«Nur fürs Gefühl, Ralfi. Du selbst sagst doch auch, dass es ’n Unterschied ist, ob die Hotline von der Telekom in Brandenburg sitzt oder irgendwo in Rumänien. Von der Nähe her.»

Okay. Es ist eine emotionale Grauzone. Ich weiß ja, was sie meint. Auf jeden Fall riefen mich die Holländer an. Es war schon fast halb zehn, und mein Fernseher lief ohne Ton, nur mit Bild, im Countdown zum heute journal , während ich mit Micki auf dem Computer über einen osteuropäischen Anbieter live Champions League geguckt hab, mit arabischem Kommentar. Ich nahm das Telefon ab, und es dauerte erst mal eine Weile, bis ich klarstellen konnte, dass ich nicht Silke bin, was ich schon eine ziemliche Frechheit fand. Am andern Ende war Bart von den Amstel Skiffle Ramblers , der sehr gut Deutsch sprach und sofort mit seinem Problem herausplatzte.

«Du musst wisse, wir zahle achthündert Öro fur dat ganze Haus. Dat is veel Geld. Und nach een lange Konzert hebben wij een klein ontspanning nodig.»

Oder so ähnlich, und je mehr er sich in Rage sprach, desto holländischer wurde es auch.

«Je buren zijn an neuken, sinds twee uur, en luisteren naar shit muziek.»

Was so viel hieß, wie sich rausstellte, dass Wencke und Reimer, die Nachbarn von meiner Schwester Silke, offenbar am offenen Fenster, seit zwei Stunden laute «Scheißmusik» von den Böhsen Onkelz hören und es dabei treiben wie die Verrückten. Na toll. Das ist ja, als wenn Delta und Omikron sich zu einem neuen Virusstamm zusammentun. Und jetzt hatte ich tatsächlich die Arschkarte, bei denen auf der Nummer von Silkes Telefonliste im Auftrag der holländischen Skiffle-Band anzurufen und das Vorliegen vorzutragen, zumal es in Antalya schon halb elf war, und Silke ab zehn ihr Handy ausschaltet. Das glaubt man einfach nicht. Ich hatte da schon keinen Bock mehr.

Es dauerte dann tatsächlich auch einige Klingeltöne, bis jemand ranging. Wencke. Auch das noch. Ich kenne sie nicht mal richtig.

«Ja guten Abend. ’tschuldigung für die späte Störung. Hier ist Ralf Prange, der Bruder von Silke. Dürft ich mal Reimer …?»

Reimer kenne ich auch nicht wirklich, aber immerhin habe ich ihn schon mal bei meiner Schwester vom Klo kommen sehen, und das ist dann dieser eine Tick Vertrautheitsvorsprung gegenüber seiner Frau, und sowieso bespreche ich solche Sachen lieber Mann zu Mann.

«Reimer, ich fall am besten gleich mal mit der Tür ins Haus. Silke und Stefan sind im Urlaub, ist bekannt, oder? Und ich bin quasi Telefonbeauftragter in der ganzen Sache, ich weiß nicht, ob sie das erzählt hatte. Es wohnen zurzeit Holländer im Haus, und die haben morgen einen wichtigen Auftritt in einem Autohaus bei euch. Der neue Opel Mokka oder so, was für ’n bescheuerter Name, äh, wird als E-Mobil oder so der Öffentlichkeit vorgestellt, und diese Holländer machen dann auf so einem Frühshoppen Skifflemusik dazu, also irgendwas mit Banjos und Waschbrettern und und und – äh Musik ist auch das Thema.»

Ich musste ziemlich brüllen, weil bei den beiden immer noch in einem Höllenlärm die Böhsen Onkelz liefen, bis Reimer dann endlich leiser drehte.

«Aha …»

«Ja.»

Reimer klang jetzt nicht gerade außer Atem oder so. Wahrscheinlich ein kleines Päuschen. Vielleicht eine Zigarette dazu. Insgesamt war es eine unangenehme Situation, sich das überhaupt vorzustellen, wie er da gerade liegt.

«Auf jeden Fall haben mich die Holländer angerufen, dass ich euch bitte, das sein zu lassen.»

«Was?»

«Die laute Musik und … und das Geschrei dazu. Weißt, wie ich mein?»

«Nee.»

«Dieses … also du weißt doch wohl, was ich mein. Dann macht doch bitte wenigstens das Fenster zu.»

«Haben die sich beschwert, dass wir …?»

«Bunga Bunga…!»

«Das ham sie so gesagt?»

«Nein. Es ist aber auch die Kombination. Ihr könnt ja gerne Musik hören, aber dann bitte kein, kein …, nech? Oder macht die Musik aus und … und … weißt, wie ich mein? Ich muss denen ja was anbieten können.»

«Ist das nicht eigentlich gegen Datenschutz, wenn die bei dir anrufen und sagen, dass Wencke und ich, also …»

«Reimer. Es sind Holländer. Was soll ich sagen …»

«Also mal ehrlich? Die kommen in unser Land und wollen uns verbieten, wie wir leben?»

Donnerwetter. Er nun wieder.

«Na ja. Reimer. Unter Leitkultur würd ich das jetzt nicht unbedingt, also … was ihr da …, denkst nächstes Mal dran, ja? Wir wollen alle nur schön wohnen. Jetzt fängt bei mir heute journal an, ich muss dann mal.»

Aber weil ich ansonsten schon so weit gekommen war bei ihm und ab da sowieso alles egal war, hab ich gleich noch mal angerufen und nachgelegt.

«Ich noch mal. Noch was: Die Holländer finden euer Haus hässlich. Die Farbe. Tut mir leid.»

Aufgelegt. Herzklopfen. Geschafft. War ein schönes Gefühl.

Und während ich jetzt so drüber nachdenke, wird das Getrampel über mir unerträglich, und der Gestank aus dem Treppenhaus zieht durch Dörtes Briefschlitz immer hämmernder durch den Flur in meine Nase, in die Schläfen.

Es ist jetzt schon nach Tagesschau , und sie ist immer noch unterwegs.

Und ich denk mir: Wenn die Holländer sich als Gäste über Böhse-Onkelz -Fensterbumser beschweren dürfen, dann ich ja wohl auch in Dörtes Haus über Kinderlärm und Gestank!

Im Schutz der Dunkelheit trau ich mich geschmeidig wie ein Panther auf Socken auf den Balkon und brülle einfach in den Innenhof.

«Im dritten Stock stinkt’s nach Pansen! Lassen Sie das!»

In einigen Wohnungen geht Licht an, man hört, wie das eine oder andere Fenster geschlossen wird. Und wenigstens für einen Moment hört das Getrampel über mir auf.

Kein Mensch in diesem Haus kennt Ralf Pranges Pöbelstimme.

Leute, ich spiele wieder mit!