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Hier ist was im Busch! Und ich habe jetzt schon eigentlich keinen Bock mehr. Alles nervt. Das ganze Haus ist voll mit Handwerkern, die die Treppen rauf- und runtertrampeln, als wären die Kinder der Strehlers wieder bei uns eingezogen, die mir früher immer mächtig auf den Sack gegangen sind, wenn sie morgens um kurz nach sieben aus dem zweiten Stock zur Schule runtergebollert sind wie eine Büffelherde. Dazu kommen Bauingenieure, die Weißhelme, die ganz wichtig-popichtig irgendwelchen Wohnungskäufern den Umbau der Barmbeker Klinkerbauwohnungen zu hellen Wohnlandschaften schmackhaft machen sollen. Dann die Kaufinteressenten. Und überhaupt diese ganzen schmierigen Typen von diesem Verkaufs-Konsortium, Casa Albano , das extra für das Verscherbeln der Wohnung gegründet wurde. Baufirma. Anwaltsfirma. Immobilienfirma. Alle unter einer Decke. Manchmal magst du einfach nicht mehr. Sowieso schon. Und dann wird es auch noch unheimlich.

Irgendwas stimmt nicht mit dem Fernsehmann.

Ich fürchte, er hat sich mit den Falschen angelegt.

Das Ganze fing vor etwa zwei Wochen an, als ich mein Altpapier in unsere blaue Tonne vorm Haus bringen wollte. Ich hatte eh schon eine Scheißlaune, weil ich Material dabeihatte, bei dem ich nicht weiß, ob man das einfach so ins Altpapier geben kann, mich aber auch nicht traue, bei der Müllentsorgung anzurufen und zu fragen. Weil, Grauzone ist Komfortzone. Und wenn die mir am Telefon gesagt hätten, dass ich kein Käsepapier in die blaue Tonne werfen darf, weil da Plastikanteile drin sind, dann hätte ich da jetzt noch eine halbe Stunde gesessen und die Innenfolie vom Außenpapier getrennt.

Außerdem habe ich Dörtes alte Zeitschriften dabei, die neuerdings bei mir auf dem Sofatisch liegen und die ich in der Zweitverwertung beim Fernsehen zum Apfelsinenschälen drunterlege: Da sind diese popelartigen Klebereste für Pröbchen dran. Überhaupt! Darf man Zeitschriften mit Pröbchen ins Altpapier geben, oder versauen fünf Gramm Nachtcreme von Elizabeth Arden den Papierbrei? Es ist möglicherweise kein Zufall, dass sich manche Hochglanzprospekte oder -journale nicht gut umblättern lassen, vielleicht ja, weil das Papier einen zu nachhaltigen Feuchtigkeitshaushalt hat. Horst hat mir allerdings mal erzählt, dass das meistens noch in der Altpapierstraße aussortiert wird, und da stell ich mir vor, dass die Fließbandarbeiter dort mühsam und fluchend Klebestreifen von Kartons abreißen, wie wenn Leute im Schlachthof Schweinehälften abschwarten. Ich würde durchdrehen! Wie schnell würde ein Fließband laufen, an dem hundert Leute stehen, die Preisschilder von Ikea -Gläsern abrubbeln, also wenn es so was gäbe. Das ist doch zum Verrücktwerden. Ich bin natürlich ganz froh drum, dass uns Endkonsumenten dieser Mist abgenommen wird. Und trotzdem mag ich es nicht, wenn meine «böse» Papierware so ganz nackt obenauf liegt in der Tonne.

Ich nahm also meinen Pizzakarton, in dem man noch die letzten Randstücke klötern hörte (Dörte!), und einen Versandkarton, auf dem noch die Begleitbrief-Folie klebte, und wollte sie ganz nach unten in den dunklen Schlund der blauen Tonne durchdrücken. Aus den Augen, aus dem Sinn. Und dabei passierte es: Ich zog eine braune Papiertüte aus dem Biomarkt nach oben, um meine Ware drunterzuschieben, als daraus plötzlich mehrere zerrissene Papierfetzen fielen. Nicht mal klein gerissen. Einfach nur zweimal in jede Richtung durch, auf DIN A6 etwa. Und sofort sah ich, man konnte ja gar nicht anders, die Adresse.

An Frau

Kathrin Schöneborn

Die Elblette! Es handelte sich um einen Brief von ihrem Fitness-Studio, das sie ermutigen wollte, «a friend» mitzubringen und dafür einen Monat gratis und einen 10er-Greensmoothie-Gutschein für den «Freshpoint» in der Sportsbar abzustauben.

Das weiß ich natürlich, weil es ein wirklich einfaches Puzzle war. Vier Teile. So was gibt es von Ravensburger vielleicht schon für Einjährige. Doch dann waren da auch ein paar Fetzen, die deutlich kleiner gerissen waren, eher Scheckkartenformat, und das war für mich dann schon die etwas größere Herausforderung, und nur deshalb, aus der neu gewonnenen Freude am Puzzeln, hab ich die ganze Tüte mit in meinen Keller genommen – und los ging das!

«Du hast was

Typisch meine Schwester. Ich erzähle ihr am Telefon davon, und schon geht sie gleich wieder hoch. Dann muss sie sich nicht wundern, dass ich die Sachen zunehmend für mich behalte.

«Es hat überhaupt nichts mit Neugier zu tun. Wie oft soll ich das denn noch sagen? Es ist die Herausforderung. Es sind nämlich zwei Briefe in ähnlichen Schnipsel-Formaten und identischer Briefpapierfarbe!»

«Hörst du dich reden? Das ist illegal!»

«Woher denn?»

«Wegen Datenschutz! Postgeheimnis!»

«Silke! Die Elblette hat doch gegen das Postgeheimnis verstoßen. Ich doch nicht! Weil sie die Rechnung vom Zahnarzt, wo er seine Kosten für ihre Zahnreinigung auflistet, einfach öffentlich in die Papiertonne schmeißt.»

«Das ist nicht öffentlich!»

«Grauzone!»

«Ralf, ehrlich jetzt!»

«Wenn andere Zahnärzte über die Papiertonne erfahren, was dieser Dr. Krepp für die Zahnreinigung auflistet, dann hat die Elblette doch sein Vertrauen missbraucht. Und nicht ich.»

«Ich weiß nicht.»

«Ist so.»

Ich hatte sie schon in der Ecke, in der ich sie haben wollte. Meine Nase steckte schon genießend in meinem Kaffeebecher und atmete mir die Wärme an die Wangen.

«Ralf, was nimmt der denn?»

Guck! Also doch. Meine Schwester tut nämlich immer nur so.

«Wie bitte?»

«Für die Zahnreinigung. Ich zahl hier nämlich 115.»

«Das ist ja nun wohl wirklich privat.»

«Ralfi …»

«135.»

«Guck an. Dann fahr ich ja noch gut. Hat sie auch bleachen lassen?»

Das hat mich dann doch wieder genervt. Typisch Silke. Ich habe sie sogar angelogen in der Sache. Sie muss ja nicht alles wissen. Nicht nach so einem Vortrag! Immerhin hat die Elblette die Rechnung extra klein gerissen, und das zeigt ja auch den Wunsch nach Diskretion, und dem komme ich gerne nach. Es ist daneben aber wirklich so, dass mir diese Puzzlelei Freude macht. Würde es das von Ravensburger geben, was weiß ich, Napoleons Briefe an Josephine, 1500 Teile – ich würde wahrscheinlich zuschlagen, wobei mir das nun wirklich völlig egal ist, wie dies kleine Arschloch seine spätere Frau aufgerissen hat. Es kam nur gerade etwas darüber im Mittagsmagazin mit so einer Ausstellung irgendwo. Deswegen.

Das echte Puzzle mit dem Affen war sowieso der absolute Reinfall. Fünfzehn Teile fehlten am Ende, und dann auch noch die, die das linke Auge ausmachen. Ein Loch auf der Stirn oder am Hals wäre ja noch vertretbar gewesen, aber wenn am Ende das ganze Auge fehlt, und der Affe guckt einen nicht einmal an zur Belohnung – dann leck mich doch am Arsch! Ich habe es dann weggeschmissen. Jetzt liegen da insgesamt drei Puzzles, an denen ich parallel arbeite, wenn ich die kleine Auszeit von Dörte brauche. Zum Beispiel der weggeworfene Fotostreifen mit Passbildern, die so kleinteilig zerrissen waren, dass ich bislang zwei Stunden im Keller tüfteln musste, um erst mal überhaupt rauszufinden, dass es Tanja Kapella war, die offensichtlich mit diesen Aufnahmen – zu Recht! – nicht einverstanden war, sodass Dörte zum ersten Mal beim Wiederraufkommen gefragt hatte, wo ich denn eigentlich die ganze Zeit schon wieder bleiben würde. Und dann rieselte da noch neben einer Homeshopping-Zeitschrift, unzerrissen, adressiert an das Ehepaar Kapella, also wahrscheinlich ein gemeinsames Hobby, ein alter Einkaufszettel aus einer alten Pizzapackung.

«Klopapier. Fleisch. Bananen. Obst. Getränke. 2 × Milch. Aufschnitt. Brot. Schöne Steaksoße.»

Wobei ich frage, warum jemand Bananen nicht zu Obst zählt, Milch nicht zu Getränken, und warum jemand «schöne Steaksoße» auf seinen Einkaufszettel schreibt. Es muss sie gewesen sein, nicht er , weil der i-Punkt bei Klopapier ein Kringel war, und Männer machen das nicht, glaube ich. Weiß ich. Aber schreibt Frau Kapella, oder besser gesagt Tanja, wie ich mittlerweile sagen muss, weil Dörte das eingefädelt hat, also schreibt Tanja das für sich selbst, damit sie nicht aus Versehen nur diesen Gummi-Curry-Ketchup von HeLa kauft, oder tut sie es eben doch für ihren Mann, von wegen «Überrasch mich mal, Fränkie», als semi-erotisches Vorgeplänkel vor einem schönen Steak-Abend zu zweit? Mich hat es auf jeden Fall schon dermaßen angetörnt, dass ich noch am selben Nachmittag los bin und zwei Nacken für Dörte und mich gekauft habe.

Ich verstehe nicht, warum die ihre Einkaufszettel nicht direkt im Supermarkt entsorgen, anstatt ihn wieder mit nach Hause zu nehmen. Vielleicht, weil manche Supermärkte keine extra Papiertonne haben oder weil zu Hause beim Auspacken aus den Tüten noch mal mit dem Auftragszettel verglichen und abgehakt wird. Egal. Ich machte Nacken, in der Pfanne, weil der Hunger härter war als der Balkongrill schnell, und Dörte hatte sich teilweise auch schon über die Kräuterbaguettes aus dem Ofen hergemacht und zupfte sich kleine Kräuterfetzen in den Mund.

«Sag mal, Ralf …»

Ihre Stimme wurde immer dünner, und dann musste sie erst mal minutenlang abhusten. Das kommt davon. Sie ist eine bezaubernde Frau, essen kann sie wie ein Scheunendrescher, und auf diese Dinger kann man ja noch so viel Kräuterbutter draufschmieren, irgendwann sitzt dir so ein fieser Krümel quer im Hals, und es ist für mich als Partner fast unmöglich, ihr ausreichend kräftig, aber dennoch liebevoll auf den Rücken zu hauen. Da kann man genauso probieren, eine Lkw-Tür leise zuzuschlagen. Ist doch wahr.

«’tschuldigung.»

«Geht’s denn?»

«Ja. Langsam. Sag mal Ralf. Wir sind ja bei den Kapellas zum Grillen eingeladen. Wollen wir da auch Nacken mitbringen?»

«Ich denk, wir sind eingeladen?»

«Ja. Auf Getränke, denk ich mal.»

«Wir bringen doch sowieso schon ’ne Flasche Wein mit. Dann noch das Fleisch. Auch noch Briketts? Was stellen die denn dann? Sitzauflagen?»

«Das wird bestimmt wieder ganz nett.»

Ja. Sicher doch. Solange er am Ende nicht wieder kotzend durch seine Wohnung rennt.

«Du, Dörte? Wir könnten sonst statt Wein auch mal ’ne schöne Steaksoße mitbringen.»

«Find ich gut. Ham die aber bestimmt schon.»

«Wein hat ja auch fast jeder noch irgendwo zu Hause. Und den bringt man trotzdem mit.»

«Du bringst doch nur immer Wein mit, weil der aus dem Karton ist, den du nicht magst.»

«Ein Fehlkauf. Mach ich nicht wieder. Ist aber jetzt auch gar nicht Thema. Ich glaube, man könnte Tanja tatsächlich mit ’ner schönen Steaksoße glücklich machen.»

«Guck! Jetzt sagst du auch schon Tanja.»

«Ich muss mich dran gewöhnen. Wie an Mango. Ess ich ja auch mittlerweile. Aber ich hab da so ’n Riecher, dass sie das gut findet.»

Und dann habe ich tatsächlich, weil mich die ganze Thematik interessierte, eine schöne Steaksoße gekauft. Und wenn es früher bei unserem Edeka gerade mal fünf Sorten Steaksoße von zwei Herstellern gab, die sich hartnäckig über Jahre in der Kühlschranktür gehalten haben, gibt es heutzutage eine größere Steaksoßenauswahl als Babygläsersorten. Der Markt spielt verrückt, und ich habe für die Kapellas die teuerste Steaksoße gekauft, die ich für 8,99 Euro auftreiben konnte. Die kleinste Steaksoßenflasche der Welt. Handcrafted. Und Frau Kapella ist fast durchgedreht.

«Das ist ja wirklich mal ’ne schöne Steaksoße!»

«Dacht ich so, ne?»

«Fränkie. Guck mal, was Ralf für ’ne Steaksoße dabeihat.»

«Donnerwetter.»

«Das ist mal ’ne schöne Steaksoße.»

Und je länger der Grillnachmittag wurde und je mehr Weißweinschorle beide intus hatten – wobei purer Weißwein mit Eiswürfeln bei den Kapellas auch als Schorle durchgeht, obwohl beide ihre Gläser leer saugen, bevor irgendein Eiswürfel auch nur angeschmolzen ist –, desto heftiger wurden Tanjas gelallten Vorwürfe an ihren Mann.

«Dasma ’ne Steaksosssse, Fränkie. Kuktier dasma an. Der Mann weissss, waschöne Steaksoße is …!»

Und immer wieder wurde drauf rumgeritten, dass Frank Kapella aus der letzten Einkaufszettelaufforderung nach schöner Steaksoße offenbar nicht mehr gemacht hat als eine Sommeredition von Kühne für 1,49 €. Es war mir fast ein bisschen unangenehm.

Vor einer Woche dann habe ich in meinem Keller ein zerrissenes Metro -Anschreiben mit 50-Euro-Gutschein auf Gartenmöbel an Herrn Horst Rohde wieder zusammengesetzt. Und da war ich wirklich enttäuscht und habe vielleicht etwas zu spontan bei ihm geklingelt.

«Was schmeißt du denn den schönen Metro -Gutschein weg? Den hätt ich ja vielleicht auch noch brauchen können.»

«Ich weiß gar nicht, was du meinst, Prange.»

«Im Altpapier. Der Metro -Gutschein.»

«Wühlst du jetzt schon im Altpapier von fremden Leuten rum?!»

«Wir kennen uns ja wohl.»

«Von Leuten rum?»

«Ich hab nicht rumgewühlt. Dieser Gutschein wollte ja fast schon gesehen werden. Dann musst du eben noch was anderes drüber machen. Wie andere Leute auch.»

«Ich hab ja alle Gartenmöbel. Was soll ich damit?»

«Wieso bist du überhaupt bei der Metro ? Bist doch gar nicht selbstständig.»

«Das geht dich doch gar nix an. Ich hab … Verbindungen.»

Manchmal frage ich mich, ob in der Metro nur Leute einkaufen, die «Verbindungen» haben und gar kein eigenes Geschäft. Meine Schwester Silke auch. Weiß der Geier, wo die ihre Metro- Karte herhat. Und die hätte doch die 50 Euro brauchen können. Dann hätte sie sich eine Relaxliege kaufen können und mich mit einem von diesen Riesen-Tilsitern ausbezahlt, auf die ich schon lange scharf bin. Ist doch wahr. So was kann man ja auch mal ins Treppenhaus legen, nicht immer nur den Scheiß, den man loswerden will. Schöner Gutschein. Freut sich jeder.

«Und du hättest ja mal Bescheid sagen können, dass du dir gestern für 22,90 € Burger und sonst was vom Lieferdienst gegönnt hast.»

«Gar nicht. Woher denn?»

«Meinst du, ich hab die Quittung mit Lieferanschrift an der Papiertüte nicht gesehen?»

«Wo?»

«In der blauen Tonne. Unter den Zeitungen mit der Fahrradschmiere von dem Schwulen von oben.»

«Herr Durm …»

«Zweimal Blue Cheese Burger mit Süßkartoffelpommes und Trüffelmayo.»

Verächtlich ratterte er aus dem Kopf Dörtes Bestellung runter. Ich war baff.

«Was macht diese Frau noch aus dir? Trüffelmayo, und da hättest du mich ja auch mal fragen können.»

«Was denn fragen?»

«Ob ich was mitbestellen möchte, weil als Single komm ich nicht übern Mindestbestellwert. Da muss ich mich überfressen, damit das hier umsonst ankommt!»

Es war eine Mischung aus Scham und Empörung, die ich da empfand. Aber am meisten hab ich mich über mich selbst geärgert, dass ich Dörte bei der Einweisung in meine Wohnung nicht unterrichtet habe, dass man in diesem neugierigen Haus das Altpapier auf Briefmarkengröße kleinreißen muss. Wütend ging ich zurück in den Keller. Und noch bevor der Groll verraucht war, fand ich das Puzzle vom Fernsehmann im Altpapier, und ich wollte schon gar nicht richtig nachgucken, weil mir das alles zu viel wurde, aber da war dieser am Computer geschriebene Satz, in Weinrot auf weißem Papier, der mich aufhorchen ließ.

«Dass Sie am Ende alles verlieren»

Ein einzelner Schnipsel mit diesem Halbsatz. Also nicht ganz. In der Zeile drunter stand noch das einzelne Wort « bereuen . Punkt.» Der Rest war abgerissen. Und sonst nix. Keine weiteren Teilchen. Ich wühlte mich noch eine ganze Weile durch die Tonne, aber das Einzige, was ich fand, war ein weiterer Schnipsel mit der angerissenen Anschrift vom Fernsehmann. Der arme Hund.

«Wer droht ihm da?»

Ich zog Horst ins Vertrauen, weil wir papiertonnentechnisch offenbar sowieso unter einer Decke stecken und ja auch so was wie eine gemeinsame Vergangenheit mit dem Fernsehmann haben, seit er Horst den Schlüssel zu seiner Wohnung anvertraut hatte und wir uns das eine oder andere Mal etwas genauer in der Promibude umgeschaut haben, als er in Urlaub war oder auf Dreh. Bin ich nicht stolz drauf. Aber man ist ja Nachbar. Und irgendwer muss schließlich aufpassen.

«Wieso drohen?»

«Wieso denn nicht? Bereuen? Alles verlieren?»

«Prange …»

«Nee, Horst. Jetzt mal ehrlich. Er ist Promi. Zumindest in Hamburg. Und solche Leute sind immer irgendwann fällig. Entweder von der Presse oder vom Milieu.»

«Red’st einen Scheiß, Prange.»

«Dann wirst du eingeladen von irgendwelchen komischen Unternehmern in die VIP -Loge beim HSV oder auf ’ne Kreuzfahrtriesentaufe, und am Ende sitzt du in irgendeinem Puff in Lokstedt und willst eigentlich nur noch ’n Absacker trinken, und dann sind die Fotos da, und die haben dich für immer in der Hand. Wie bei Dieter Wedel in den Filmen immer.»

«Woher weißt du so was?»

«Von Dieter Wedel.»

«Aha.»

«Also den Filmen.»

Horst schüttelte den Kopf und zeigte mir den Scheibenwischer. Er wollte die Tür schon hinter sich zumachen und mich einfach stehen lassen – da drehte er sich dann doch noch mal auf seinem Absatz um und knetete nachdenklich seine Nase.

«Oder diese ganzen Typen hier, Prange.»

«Welche Typen hier?»

«Von Casa Albano . Albers. Anschütz. Ostermann. Die Wichser.»

«Ach, deswegen Alb-an-o? Die heißen so?»

«Ja. Und der Sohn von Frau Hardefeld sagt, die sind alle Scientology. Muss ja.»

«Du quatschst mit dem Sohn von der Nazi-Oma? Hab ich gar nicht mitgekriegt.»

«Kann ja wohl. Darf ich doch. Man trifft sich ja mal. Auch wenn du nicht da bist.»

«Es ist nur ungewöhnlich.»

«Der sagte auf jeden Fall, dass diese Firma Scientology ist. Hat er gegoogelt. Und man findet gar nichts.»

«Das’s doch gut.»

«Wenn du so gar nichts findest, ist das schon verdächtig, sagt er. Jedenfalls, Anschütz, der Anwalt, soll auf alle Fälle Scientology sein. Das sei bekannt.»

«Das ist bekannt?»

«Ja. Das ist wohl allgemein bekannt, sagt er.»

«Wenn das allgemein bekannt ist, dann hängen die anderen so oder so mit drin. Aber was wollen die vom Fernsehmann? Der hat die Wohnung doch schon längst gekauft damals.»

«Geht doch gar nicht mehr um die Wohnung wahrscheinlich. Du bist manchmal so naiv, Ralf Prange.»

«Eben hast du noch gesagt, dass ich keinen Scheiß reden soll, und jetzt?»

«Man muss eben eins und eins zusammenrechnen. Das kann ja auch mal ’n Moment dauern. Auf jeden Fall stürzen die sich ja immer wieder auf Promis.»

«Aha.»

«Stichwort John Travolta, Stichwort Tom Cruise.»

«Und dann unser Fernsehmann daneben?»

«Die wollen ja mit rein in die Medien, und du musst nehmen, was du vor Ort kriegen kannst. Und wenn unser Fernsehmann mit Omas auf dem Tibarg -Wochenmarkt in Niendorf Kochstudio macht oder sonst was – die hängen ihm doch an den Lippen.»

«Ja. Die hängen ihm an den Lippen.»

«Von demher. Er ist ideal.»

Wir standen beide da, und unsere Gedanken kreisten. Machte ja auch alles Sinn. Vielleicht haben sie dem Fernsehmann die Bude unter Preis verkauft. Oder seine dicke Dachterrasse war gar nicht mal genehmigt, und die Brüder haben das aber für ihn geregelt. Und jetzt wollen sie vielleicht, dass er aufm Tibarg Omas rekrutiert. Und wenn nicht, wird er es bereuen .

Als es heute dunkel wurde, gingen Horst und ich vor die Haustür und haben die komplette blaue Tonne in einen großen Müllsack gekippt und alles mit in Horsts Wohnung genommen, weil bei mir nachher noch Dörte vorbeikommen wollte, und ich will einfach auf Nummer sicher gehen.

Wir haben alles in Horsts Badewanne gekippt und jeden Schnipsel genommen, jedes Dokument einzeln unter die Lupe genommen, darunter auch zwei weggeschmissene Hasen-Bilder aus Wachsmaler, die Butschi wohl im Frühjahr seiner Mama noch schnell eine Woche vor Ostern geschenkt hatte, damit der Osterhase auch ein bisschen Bares ins Nest packt. Und jetzt musste neuer Platz am Kühlschrank her. Auch herzlos irgendwie.

Und dann sahen wir ihn. Diesen einen kleinen Schnipsel. Dasselbe Papier. Dieselbe weinrote Druckerfarbe mit einem Satz auf Türkisch oder Arabisch. Also, rein optisch türkisch. Was weiß denn ich?

«Sana reddedemeyeceğin bir teklifimiz var.»

Und es ist gerade mal fünf Minuten her, dass ich Butschi auf seinem Handy angerufen habe, völlig aufgeregt und kurz angebunden, als wäre er mein Telefonjoker, und ich würde nicht neben Horst auf dessen Badewannenrand sitzen, sondern gegenüber von Günther Jauch.

«Du, Butschi, folgende Frage: Was heißt Sana wie Sahne, nur ana und dann redded, nee, reddede meiertschedschin birrrrr oder bier. Und dann tekliff imiz oder teckli fimiz var – oder so ähnlich.»

«Hallo erst mal?»

Acht Jahre alt, und schon so eine dicke Lippe.

«Ja, was heißt das?»

«Was weiß denn ich. Kann ich Türkisch?»

«Kannst du nicht?»

«Mein Vater kann das. Soll ich den später fragen?»

«Nee, lass mal lieber. Die Zeit haben wir nicht.»

«Was ist denn los?»

«Schwierig. Alles schwierig.»

Und obwohl ich das selber hasse, lege ich einfach auf, ohne noch mal Tschüs zu sagen. Horst und ich sind heiß und wollen Lösungen. Die ganze Zeit schon hat er hektisch rumgefuchtelt, um rauszufinden, was Butschi mir erzählt. Und jetzt sitzen wir vor Horsts riesigem Fernseher mit Internetanschluss, den er sich letztes Weihnachten gegönnt hatte, wie ich jetzt erfahre, und mit dem man gar keinen extra Computer mehr braucht, wenn man nur mal so ein bisschen im Internet surfen will, aber mit viel besserem Bild als auf dem Handy. Es dauert eine Ewigkeit, bis er mit der Fernbedienung jeden Buchstaben einzeln in den Google -Übersetzer eingibt. Horst sagt, er hat sich damit mal einen Flug nach Kreta gebucht, und allein der Gedanke macht mich schon wahnsinnig, wenn er nach jedem einzeln eingetippten Zeichen den Kopf von der Fernbedienung hebt, um die korrekte Eingabe auf dem Fernseher zu überprüfen. Dazu kommt noch, dass wir nicht wissen, wie wir bei reddedemeyeceğin das Ding über dem g hinbekommen. Egal. Der Wartekreisel auf dem Bildschirm kreiselt und kreiselt.

«Das Internet hast du leider nie da, wo du’s gerade brauchst, Prange.»

«Mmmh.»

«Das ist wie mit der Nordsee. Wo du dich an ’n Deich legen willst, ist Ebbe.»

«Jaha.»

Was mache ich hier eigentlich? Gleich kommt meine Lebensgefährtin nach Hause, und wenn alles so läuft, wie ich mir das vorstelle in der Liebe, war sie vorher noch beim Hähnchenwagen. Nach einem Räuspern will ich schon aufstehen, als Horsts Riesenglotze plötzlich doch noch die Übersetzung ausspuckt.

«Wir haben ein Angebot für Sie, dass Sie nicht ablehnen können.»