Tja. Komisch ist das schon, und ich habe jetzt schon keinen Bock mehr. Ich stehe mit der Polizei vor der Wohnung vom Fernsehmann, und wir verschaffen uns gerade Zutritt mit einem Schlüsseldienst. Die Beamten meinen zwar, dass Horst und ich unseren Job nun auch langsam mal getan hätten und drinnen nichts zu suchen haben, aber das finde ich dann jetzt auch irgendwie undankbar. Wenigstens mal einen kleinen Blick wagen, ob da alles in Ordnung ist. Horst und ich haben das ganze Thema doch erst aufgebracht.
Das Ding ist nämlich: Der Fernsehmann ist nun tatsächlich verschwunden! Seit ungefähr fünf Wochen schon. So lange ungefähr kommen jedenfalls schon keine Pakete mehr für ihn.
Ich meine, er bestellt jetzt nicht so massiv im Internet wie die Elblette, aber zwei, drei Sachen pro Woche waren eigentlich immer für ihn dabei. Klamotten von diesem Laden, wo sie einem schon ganze Outfits zusammenstellen, weil er braucht ja viele Outfits für seine Sendungen, dann Bücher und Elektronik, Kosmetik, auch für den Haarwuchs denk ich mal – es standen jetzt nicht auf allen Paketen die Absender –, und ganz viel Superfood, in riesigen Verpackungen. Ich denke mal an diese Goji-Beeren in Kilo-Säcken oder Kurkumapulver für Kurkuma-Shots. Oder letztes Mal hat er sich eine ganze Saft-Trinkkur bestellt.
«Was bringt so was? Darf ich mal fragen?»
Er stand vor meiner Tür und holte sein Paket ab.
«Wie bitte?»
«Diese Trinkkur. Ich hab das mal gegoogelt. Da gibt es ja die Preise vom selben Anbieter (!) von bis!»
«Ich versteh nicht ganz.»
«Mit dem Absender von freshioo , von Ihrem Paket – wenn man das googelt, sieht man ja sofort, dass die diese Saftkuren zum Entgiften machen. Das ist teuer!»
«Sie googeln meine Absender?»
«Es ist ja nun ein riesiger Schriftzug über den ganzen Karton. Dagegen ist Amazon ja direkt diskret.»
«Ja, apropos. Diskret.»
«Ja, sag ich ja. Und das wirkt gegen Gifte im Körper?»
«Ich bin ganz zufrieden. Ich mache das viermal im Jahr.»
«Und danach haut man sich doch wieder ’ne Currywurst rein und dazu ’n Bierchen. Und dann kommt die Wurst-Bier-Spirale mit Durst nach Wurst und Appetit nach’m Bierchen, eins ergibt das andere und …»
Er guckte mich an. Hochgezogene Augenbraue. Ich verstand.
«Also so ist es bei mir meistens. Wir sind ja alle keine Engel.»
Er nahm mehr oder weniger wortlos sein Paket und ging zurück ins Treppenhaus.
«Aber teuer ist das ja!», versuchte ich es noch mal. «80 Euro für drei Tage nur Säfte trinken?»
Aber da war er schon weg.
Ist doch wahr. Verzicht muss man sich offensichtlich leisten können. Wo sind wir eigentlich? Wenn du das einen ganzen Monat machst, kommst du ja auf 800 Euro Saftkosten. Wir kamen früher, also mit meiner Mutter noch und Silke und mir, mit einer Palette Apfelsaft genauso lange aus, und die hat gerade mal 14 D-Mark oder so gekostet.
Na ja. Das war jedenfalls das letzte Mal, dass ich den Fernsehmann gesehen hab. Lebend.
Und im Fernsehen selbst ist er auch nicht mehr zu sehen gewesen. Aber wenn er gekündigt hätte oder so, dann hätte ja in der Zeitung was darüber gestanden. Oder sie hätten ihn im Studio mit einem riesigen Blumenstrauß verabschiedet, kennt man doch, wenn dann alle Kollegen noch mal klatschend vom Bildrand aus dazukommen usw. Nix! In der Nachbarschaftsgruppe bei Facebook – auch nix!
Und erst als dann die Sache mit der Papiertonne passierte, fiel es Horst und mir wie Schuppen von den Augen, dass er schon so lange weg ist.
«Wir haben ein Angebot für Sie, dass Sie nicht ablehnen können» – so stand es Schwarz auf Weiß auf dem zerrissenen Brief im Altpapier. Also auf Türkisch. Und deshalb zog mich Horst gleich in seine Wohnung, als ich ihm seine bescheuerte Bohrmaschine zurückbringen wollte. Ich bleibe dabei: ein Scheißgerät. Auch wenn Butschi das Bohrfutterding natürlich mit einmal kurz Rumfummeln sofort zusammengesetzt bekam. Egal.
«Türken-Mafia. Ich hab noch mal drüber nachgedacht.»
«Moin Horst.»
«Es könnte die Türken-Mafia sein.»
«Sagt man das noch? Türken-Mafia?»
«Wieso? Du sagst doch auch Chinesen-Mafia oder Russen-Mafia.»
«Ja, aber Italiener-Mafia sagst du nicht. Von daher find ich schon. Es hat auch was Abwertendes.»
«Ja, warum denn auch nicht, wenn das die Mafia ist!»
«Nein. Für die Staatsangehörigen.»
«Ja, mein Gott. Diese Grauen Wölfe vielleicht, diese Schläger-Rocker, die machen wahrscheinlich für Casa Albano die Drecksarbeit.»
«Sag mal, Horst …»
«Was denn sonst? Der arme Kerl.»
«Ich mein, zuzutrauen wär’s diesen Arschgeigen. Da gibt’s ja ganze Dokus von im Fernsehen, wie die Druck ausüben.»
«Und das ist, was du sagtest, Prange. Wenn du erst mal Promi bist!»
«Sagte ich, ne?»
«Ja.»
«Denn hab ich das ja aufgebracht.»
«Ja. Sollst du ja. Kannst du ja.»
«Ja. Und nu ist er weg. Das ist unheimlich. Aber die räumen ihn doch nicht wirklich aus’m Weg, nur weil er sich weigert, für Scientology alte Omas klarzumachen.»
Im Internet kam auch nichts mehr von ihm. Er hat sonst ja immer mal was getwittert, und dann konnte man das nachgoogeln. Mit einem Aperol an der Alster. Mehr geht nicht. «#Hamburg-Feeling XXL .» So was in der Art. Hat er fast täglich abgesetzt. Und dann, vor drei Tagen, das merkwürdige nächste Ereignis! Ich war grad im Keller an meinem Puzzle. Dörte machte oben Rouladen für uns, und ich hab einfach mal eine kleine Portion Me-Time genossen – als ich plötzlich Stimmen hörte. Eine Gruppe Menschen schlurfte die Betonstufen runter. Ausgelassene Stimmung, vereinzeltes Gelächter. Ich bin richtig erstarrt und stand schweigend hinter der Tür zu meinem Abteil, die nur bis auf einen kleinen Spalt angelehnt war. Also eigentlich wie immer, wenn ich hier unten bin und jemanden reinkommen höre.
«Und hier könnte man, wie gesagt, mit Haltebügeln schon mal bis zu acht Fahrräder unterbringen.»
Das war die Stimme vom Ökospießer. Ich glaubte es nicht. Okay, er ist jetzt auch Eigentümer. Aber es war eine gefühlte Frechheit, dass einer, der mal zu uns Mietern gehörte, hier einfach so wichtig-popichtig irgendwelche Leute durch unsere Kellerräume führte! Doch dann hörte ich auch noch die Stimme vom Grinsegesicht. Vick! Mein neuer Vermieter.
«Ja, aber was hab ich denn davon? Es kostet ja erst mal nur Geld. Und ich weiß gar nicht, ob mein Mieter überhaupt ’n Fahrrad hat.»
«Herr Prange ist doch Ihr Mieter, oder?», meinte der Ökospießer. «Der hat sein Fahrrad an der Straße stehen. Aber der beschwert sich ja auch immer, dass mein Fahrrad oben im Flur abgestellt ist. Deswegen. Es würde mehr Ordnung schaffen im Treppenhaus.»
«Ja, wer hat denn da überhaupt diesen monströsen Kleiderschrank im zweiten Stock aufgebaut?»
«Das war Herr Prange. Er ist komisch. Das Thema hatten wir ja eben schon auf der Versammlung.»
Wie bitte? Was für ’n Verräter. Und dich hab ich nach’m Straßenfest in meiner Wohnung weiterfeiern lassen!
«Wieso, der wohnt doch im Erdgeschoss?»
«Ja, das ist ’ne reine Racheaktion dieses Herrn, weil Herr und Frau Kapella ihre Fahrräder im Eingangsbereich abgestellt hatten, wo Herr Prange lebt.»
«Die Kapellas sind meine Mieter. Das ist ja interessant.»
Eine neue Stimme. Sie kam von einem aalglatten Typ. Das feuchte Schimmern seiner schmierigen Haare im fahlen Kellerlicht war durch meinen Spalt deutlich zu sehen. Rosa Hemd mit eingesticktem Polospieler. Dagegen ist mein neuer Vermieter richtig kernig. Da tun einem Frank und Tanja schon fast wieder leid.
«Ich dachte, mit diesem Herrn Prange hätte sich das alles beruhigt, hieß es doch eben noch von der Hausverwaltung. So gut wie keine Beschwerden mehr.»
Noch so ein Schlipspisser! Einer von der Casa Albano , denen ja inzwischen die Mehrzahl der Wohnungen gehört. Offensichtlich war das Ganze so eine Art verlängerte Eigentümerversammlung bei uns im Keller. Und normalerweise hätte ich mich natürlich einigermaßen darüber aufgeregt, in welchem Ton diese Arschgeigen durch unsere Kellerräume stolzieren, als wenn der Großvater vom «kleinen Lord» seine Gesindehäuser inspiziert. Wo leben wir denn? Aber mich hat etwas ganz anderes zutiefst beunruhigt: der Fernsehmann. Er war nicht dabei. Und er ist doch auch Eigentümer! Und zwar schon lange! Ist er nicht bei dieser Versammlung dabei gewesen? Oder sind ihm die Fahrradstellplätze im Keller scheißegal?
Na ja. Es wurden noch Fotos geschossen. Es wurde Maß genommen. Man ging langsam die Kellertreppe wieder hoch. Und dann wurde es dunkel.
«LICHT WIEDER AN !»
Es war wie ein Reflex. Kann man nix gegen machen. Da bin ich ganz wie dieser Pawlow-Hund. Ist so. Sehe ich ganz selbstkritisch. Zu oft habe ich das schon irgendwelchen Leuten aus unserem Haus hinterhergebrüllt. Wenn man runtergeht in den Keller, und es ist bereits Licht an, dann weiß man ja wohl, dass noch jemand da unten ist, oder man fragt wenigstens beim Hochgehen: «Ist da noch jemand?» Immer dasselbe!
«Herr Prange?»
Der Ökospießer. Und irgendwie hab ich den Moment dann doch genossen. Konnte mir richtig vorstellen, wie sie sich da alle oben im Flur wie die Salzsäulen an der Wand festgehalten haben und langsam rot anliefen. Das Licht ging wieder an, und die Kellertür wurde betont leise zugeschoben. Als ich fünf Minuten später ebenfalls nach oben ging, lauerte mir Vick schon vor meiner Wohnungstür auf.
«Herr Prange. Ich dachte mir, dass Sie vielleicht auch gleich hochkommen. Deswegen hab ich einfach mal gewartet. Guten Tag erst mal.»
«Moin.»
Er grinst. Keine Bemerkung zu dem Geläster im Keller. Wahrscheinlich lernt man so was als gehobener Vertriebsmitarbeiter eines namhaften Kartoffelpüreeherstellers auf entsprechenden Führungskräfteseminaren. Einfach nicht reagieren! Einfach überhören und weglächeln!
«Herr Prange. Dürfte ich Sie um einen Gefallen bitten?»
«Ja, mal sehen. Was denn?»
«Dürfte ich mir bei Ihnen einmal die Hände waschen?»
Auch das noch. Ich weiß bei solchen Anfragen nie, ob sich jemand jetzt wirklich nur die Hände waschen will oder ob das nur so eine codierte Ankündigung ist, dass er ganz dringend aufs Klo muss. Woher soll er denn dreckige Finger gehabt haben? Und er bemerkte auch gleich, dass ich ihm auf seine Fingernägel gestarrt hab. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Dörte huschte zu uns ins Treppenhaus.
«Hast du an das Gurkenglas gedacht?»
«Nee, hab ich vergessen. Hol ich gleich. Herr Vick will noch eben bei uns auf Klo.»
«Händewaschen.»
«Ja.»
«Guten Tag.»
«Guten Tag.»
Vick ging ungeniert voran und direkt ins Bad, während Dörte stumm rumgestikulierte, warum ich denn diesen Typen bei mir ins Bad lasse, und das auch noch, wo sie doch ihre Schlabberhose mit Senfresten vom Rouladeneinschmieren anhat. Dafür braucht Dörte maximal drei, vier Handbewegungen, und sie verzerrt dabei noch das Gesicht wie dieser Pantomime-Typ früher immer in den Fernsehshows mit Rudi Carrell, als das noch eine echte TV -Sensation war. Da hat sie ein Talent.
Im Badezimmer lief kein Wasserhahn! Entweder er saß auf dem Klo oder schaute sich einfach seelenruhig im Badezimmer seines Mieters um.
«Kennen Sie eigentlich unsern Fernsehmann?»
«Wie bitte?»
Seine Stimme kam dumpf durch die Badezimmertür zurück – eindeutig aus der Toilettenecke!
«Unsern Fernsehmann! Aus dem Vierten.»
«Natürlich. So ein Promi im Haus. Aber ist der nicht meistens im Dritten?»
«Stock!»
«Ach so, ja. Na, den werde ich dann sicherlich ja auch noch persönlich kennenlernen.»
«Ach? War er denn nicht auf Eigentümerversammlung?»
«Ich weiß nicht, Herr Prange, warum … ich bin gleich wieder bei Ihnen …»
«Nein. Allgemein gefragt. Weil, er ist ja Eigentümer.»
«Okay. Nein. Er war nicht da. Hat sich von der Hausverwaltung vertreten lassen. So ein Mann hat ja auch viel zu tun.»
Und dann ging die Klospülung. Und dann hat er sich am Ende noch nicht einmal die Hände gewaschen. Der Wasserhahn wurde nicht angestellt. Was soll dann dieses Affentheater immer! Er kam raus.
«Haben Sie denn schon mal Kontakt mit ihm gehabt? Weil, ich hab ihn jetzt tatsächlich schon länger nicht mehr gesehen.»
«Machen Sie sich Sorgen?»
«Neiiiiin.»
Ich brachte ihn raus, ging in den Keller und holte das Gurkenglas, und die ganze Zeit hat das in meinem Kopf gerattert. Später beim Rouladenessen hab ich Dörte dann alles erzählt.
«Dörte! Ist es nicht komisch, dass die Hausverwaltung, die ja sowieso mit der Casa Albano unter einer Decke steckt, weil die Frau von dem einen von der Casa Albano da den ganzen Schriftverkehr macht, vorher ja auch schon, also, dass diese Hausverwaltung ausgerechnet gerade zu dem Zeitpunkt sagt, wir vertreten hier heute auf der Sitzung den Fernsehmann, wo er höchstwahrscheinlich von Motorradrockern aus der Türkei, die für die Casa Albano arbeiten, erpresst wird und seitdem spurlos verschwunden ist?!»
«Du reimst dir da wieder was zusammen, Ralf! Dann musst du eben mal Tag und Nacht durch deinen Türspion ins Treppenhaus gucken, dann läuft er bestimmt irgendwann vorbei …»
Manchmal denke ich, Dörte kennt mich gar nicht. Das habe ich doch schon längst gemacht. Da war kein Fernsehmann durchs Treppenhaus gelaufen. Aber das habe ich lieber für mich behalten. So sehr ich Dörte auch schätze und immer noch in sie verliebt bin, in solchen Dinge ist sie manchmal einfach naiv. Sie guckt ja aber auch kein Aktenzeichen XY , sondern geht lieber ins Kino. So was kommt von so was.
Als ich mit meinen neuen Erkenntnissen zu Horst rüber bin, hat der allerdings gleich die nötigen Schlüsse gezogen, was mir wieder Sicherheit gegeben hat.
Vorgestern saß ich dann mit Micki und Butschi gemütlich vorm Fernseher. In der Glotze war das Standbild von Butschis Playstation -Spiel zu sehen, das auf Pause gedrückt war, und es lief diese unglaublich nervtötende Musik in Dauerschleife dazu. Wir alle waren aber zu beschäftigt, um den Ton abzustellen. Butschi selbst spielte parallel ein anderes Spiel auf seinem Handy, Micki wischte mit seinem Finger einigermaßen gelangweilt durch seine Tinder -App, obwohl er immer noch glücklich verlobt ist, und ich holte mir ein kleines Update in meiner Nachbarschaftsgruppe bei Facebook , weil ich mir inzwischen selbst verordnet hatte, nur noch einmal am Tag reinzuschauen. Ich habe mich durch die letzten 24 Stunden durchgescrollt, nix Besonderes: Eine Eisdiele, die dichtgemacht hat und wo jetzt wohl irgendeine «Sushi-Factory» reinkommt, vom selben Betreiber (ich wünsche viel Glück!), und zwei Sonnenuntergänge durch die hängenden Äste einer Trauerweide am Stadtparksee aufgenommen. Leute, geht’s noch? Macht es beruflich! Mietet euch für die Vernissage eine Ausstellungshalle oder wartet, bis die Sushi-Factory ihren Geist aufgegeben hat, aber nervt mich nicht mit diesen Fotos. Meine Zeit ist begrenzt!
«Was los, Prange?»
«Wieso, Micki, was denn?»
«Stöhnst du so genervt. Keine geilen Bräute?»
«Ich bin hier am Recherchieren, was glaubst du denn? Ich bin nicht bei Tinder !»
«Sag ich auch, wenn Freundin fragt.»
Und er lachte so in sich rein, und irgendwie kann man ihm ja auch gar nicht böse sein mit seinem etwas «kernigen» Frauenverständnis, weil er am Ende des Tages ja doch eine unglaublich treue Seele ist. Neulich habe ich ihn erst wieder mit seiner Verlobten getroffen, als sie von Polen nach Hamburg kam, um mit Micki ein Auto für seinen künftigen Schwiegervater zu kaufen. Da war er dann wie ausgetauscht und wackelte auf der Automeile willenlos hinter ihr her. Ich hoffe mal nicht, dass ich das ausstrahle, dass das zu Hause bei mir zugehen soll wie in der Baubude und Micki in meiner Wohnung nur mir zum Gefallen den Macker raushängen lässt. Außerdem habe ich jetzt auch eine Lebensgefährtin, und die ist meistens nebenan am kleinen Fernseher, wenn ich die Jungs zu Hause habe, und dann möchte ich nicht, dass sie so was hört. Das färbt auf mich ab, und am Ende muss ich dann noch abends diskutieren, obwohl das alles von Micki kommt. Egal. Ich habe weitergescrollt und las auf einmal:
«Hat hier jemand Erfahrung mit Casa Albano
? Die haben unser Mietshaus am Wiesendamm gekauft, und jetzt stehen da schon zwei Baucontainer davor.»
(Katja BiBa)
Ich dachte, ich gucke nicht richtig. Und drunter haufenweise Kommentare von wegen «Erst machen sie die Balkone neu und größer, und dann kloppen sie die Miete rauf» oder «Bei uns haben sie sogar die Luft überm Haus dazugekauft und aufgestockt».
«Was ist das?», fragte Micki.
«Ja, was, was?»
«Luft kaufen.»
«Man kann wohl die Luft kaufen, was weiß denn ich, von der Behörde oder so, und dann darf man da einfach ’ne Etage oben auf so ein Haus drauf bauen.»
«Auch wenn mein Haus das ist?»
«Nein, nicht noch bei andern. Du musst schon das ganze Haus kaufen. Und dann kriegst du die Luft dazu.»
«Was kostet Luft?»
«Ich weiß es nicht. Kann ja nicht viel sein. Bis zu ’ner gewissen Höhe gehört dir die Luft über deinem Haus ja sowieso.»
«Bis Mond …»
«Irgendwo wird dann der Cut gemacht. Aber es geht nur um ein Stockwerk. Aber das ist natürlich auch Baulärm. Will keiner.»
«Szalone Niemcy!»
Er lachte und haute sich dabei auf die Schenkel.
«Das war irgendwas wieder mit Deutschland, ne?», meinte Butschi, ohne vom Handyspiel aufzuschauen. Egal. Es ist verrückt irgendwie. 258 Kommentare standen da insgesamt, und ich wollte schon das Handy weglegen und zwei Bierchen und eine Vanillemilch aus dem Kühlschrank holen, um zum gemütlichen Teil des Spätnachmittags überzugehen, als ich plötzlich den Eintrag sah von einem oder einer «Sigi Hartmann». Es ließ sich nicht rausfinden. Auf dem Profilbild war ein Hund, und mal ganz ehrlich, wer so einen beliebigen Namen hat, sollte wenigstens im Profilbild eine Geschlechterzuordnung regeln, falls man sich mal mit einer Nachricht an diese Menschen wenden muss. Egal, auf jeden Fall schrieb Sigi Hartmann:
«Bei uns im Haus wollten sie eine ältere Dame loswerden, weil die sich weigerte auszuziehen. Und die ist jetzt verschwunden!»
Und dann haben sich die Kommentare überschlagen!
«Das kann ja wohl nicht wahr sein!»
«Glaubt ihr wirklich, dass die zu so was fähig sind?»
«Wieso denn nicht? Man hört so vieles! Kranke Welt! Krankes Deutschland!»
«Vielleicht hat die Dame ja auch nur das Zeitliche gesegnet. Da schon mal drüber nachgedacht?»
«Arbeitest du auch bei der Casa Albano , oder warum nimmst du die jetzt in Schutz?»
Usw. usw. Und auch, wenn besagte Oma vielleicht wirklich nur das Zeitliche gesegnet hat, wobei ich mich schon immer gefragt hab, wer da eigentlich was segnet, nämlich die Oma das Zeitliche, oder wird sie selbst vom Zeitlichen gesegnet – es geht durch Subjekt, Objekt usw. einfach nicht deutlich hervor –, aber das nur am Rande, dann hat der ganze Zusammenhang natürlich schon auch ein Geschmäckle.
«Jetzt lass doch mal die Kirche im Dorf!»
Dörte schaltete sich aus dem Schlafzimmer heraus, wo sie Bares für Rares guckte, in unsere kleine Diskussion ein, und das zeigt, wie laut und dringlich wir das alles mittlerweile schon durchdiskutiert hatten. Ich werde dann von der Leidenschaft getrieben.
«Dörte! Unser Fernsehmann ist auch verschwunden! Vielleicht wollten sie über seinem Penthouse da oben auch die Luft drüber bebauen und hatten das im Kaufvertrag damals vergessen, weil ihnen das erst hinterher eingefallen ist oder eben weil er sich weigert, alte Omas am Tibarg zur Scientology zu kobern. Es ist doch so vieles möglich!»
Ich hörte nur noch, wie ganz langsam die Tür vom Schlafzimmer ins Schloss fiel, und damit war wohl klar, dass Dörte mit dem Fall nicht weiter vertraut gemacht werden will. Ich kann damit umgehen. Wir reden einfach ein, zwei Stunden nicht miteinander und wechseln dann meistens zu irgendeinem Essensthema, «Wusstest du, dass die Gurke eigentlich Obst ist und nicht Gemüse?», und dann kommt man wieder ins Reden, und irgendwann wird einem auch wieder beim Fernsehen der Unterarm gestreichelt. Das macht doch eine Beziehung erst aus.
Ich bin dann selbst aktiv geworden und hab einen eigenen Post in die Gruppe abgesetzt und gefragt, ob irgendjemand in letzter Zeit den Fernsehmann gesehen hat.
«Oder wohnt der gar nicht mehr Barmbek?
»
Leider waren die Antworten dann doch nicht ganz so zielgerichtet, wie ich mir das erhofft hatte.
«Ich fand den schon immer schmierig. Braucht kein Mensch.»
«Ich find Judith Rakers besser.»
«Alida Gundlach! Die war noch gut!»
«Der Typ lief doch immer mal über den Wochenmarkt am Wiesendamm.»
«Sorry, aber ich finde den Wochenmarkt an der Vogelweide besser. Auch der Fischmann da ist eindeutig besser!!!»
«Du hast wohl keine Ahnung von Fisch! Oder warum sagst du so was?»
«Warum denn gleich so aggro?»
«Fischfresser sind Meerestöter!! Sorry! Aber meine Meinung!»
Usw. usw., und ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir die meisten von diesen Vollidioten mächtig auf den Sack gehen. Da ist so mancher Osterbrunch mit meiner Schwester und ihrem Mann und den Nachbarn aus dem Teewurstfarben-Haus gesprächstechnisch besser strukturiert – und das soll was heißen! Vielleicht muss ich irgendwann eine eigene Barmbekgruppe ins Leben rufen. Das hier führt ja zu nix.
Abends bin ich dann noch zu Horst und habe ihm alles berichtet.
«Da ist Gefahr in Verzug.»
«Und ich mach jetzt einfach mal den Vorschlag, Horst: Wir gehen da jetzt zusammen nach oben und klingeln beim Fernsehmann. Und wenn er nicht aufmacht, dann rufen wir durch ’n Briefschlitz, dass wir gleich reinkommen. Und wenn dann immer noch nix passiert, dann gehen wir da rein und gucken nach!»
Er guckt mich an.
«Mit deinem Schlüssel zum Blumengießen.»
«Den hab ich ja gar nicht mehr, Prange.»
«Wie? Was?»
Hat der Fernsehmann damals am Ende doch mitgekriegt, dass Horst und ich uns in seiner Bude so ein büschen umgeguckt haben, als Horst den Schlüssel zum Blumengießen hatte und dann da auf einmal die Überwachungskameras angesprungen sind? Setzt so jemand sich tatsächlich nach seinem Urlaub zu Hause hin und glotzt Videos, was tagsüber in seiner Wohnung los war?
«Was weiß denn ich? Er kam vor ’n paar Wochen runter zu mir und sagte, er müsste mal vorübergehend seinen Schlüssel wiederhaben, weil er jemanden tagsüber in seine Wohnung reinlassen muss.»
«Ja, wen denn, bitte schön?»
«Was weiß ich denn?»
«Hättest ja mal fragen können. Vielleicht sind das ja genau die Typen, die ihn im Griff haben.»
Das war gestern. Wir haben dann noch am selben Abend in der Dunkelheit das Penthouse vom Fernsehmann beobachtet. Keinerlei Licht. Keinerlei Vorhangeinsatz. Heute Morgen: kein einziges Fenster auf Kipp. Und wir wollten schon gerade wieder rein, als mein Blick dann doch noch an der loungemäßigen Dachterrasse hängen geblieben ist. Und da offenbarte sich uns das letzte fehlende Puzzleteil: Die Bambusbüsche und das Pampasgras – komplett vertrocknet! Eins stand sofort fest: In diesem Penthouse war schon länger niemand mehr zugegen. Zumindest nicht lebend!
Und dann haben wir sicherheitshalber noch mal in unserer WhatsApp -Gruppe die Nachbarn gefragt, ob irgendjemand weiß, was mit dem Fernsehmann ist. Keinerlei Reaktion. Schon fünf Minuten später fragte die Elblette was ganz anderes, nämlich, ob man Käsepapier in die blaue oder die gelbe Tonne schmeißen muss, und das finde ich dann auch immer unhöflich, wenn man einfach mit anderen Fragen nachschießt und nicht wenigstens mal eine Stunde Abstand hält, dass sich unsere Frage nach dem Fernsehmann entfalten kann. Die Antworten auf diese bescheuerte Käsepapierfrage kamen im Sekundentakt. Nur nicht vom Fernsehmann.
Und dann haben wir die Polizei angerufen.
Horst und ich haben die Beamten im Hochparterre in Empfang genommen und sind dann zusammen mit ihnen hoch.
«Wissen Sie? Es ist schon ungewöhnlich. Der Mann ist ja sonst höchstens mal ’ne Woche weg. Prange mein Name.»
«Und er fällt ja auf im Treppenhaus. Rohde.»
«Wie bitte?»
«Rohde mein Name. Und es riecht ja auch schon langsam im Treppenhaus.»
«Ja, das sagten Sie schon am Telefon. Wir schauen jetzt einfach mal nach.»
Dann haben die Beamten bei ihm geklingelt und geklopft, was ich auch schon wieder irgendwie unverschämt finde. Man kann uns ja auch einfach mal glauben, wenn wir sagen, dass in der Wohnung keiner reagiert. Na ja. Jetzt stehen wir hier vor der Wohnungstür, und der Schlüsseldienst bohrt die Tür auf. Gefahrenabwehrgesetz! Eine Beamtin geht in die Wohnung, und der andere passt doch tatsächlich auf, dass wir zwei nicht doch noch hinter der Polizei in den Flur schleichen. Der Gestank kommt jedenfalls nicht aus der Wohnung vom Fernsehmann. Wahrscheinlich macht der Ökospießer wieder mal Kohlsuppendiät, und das alles weht aus dem Dritten bis hier in den Vierten hoch.
«Wohnung ist leer», ruft die Beamtin zu ihrem Kollegen hier vorne.
«Alles klar.»
Die Beamten schauen sich nachdenklich an. Der Herr vom Schlüsseldienst baut ein neues Schloss ein.
«Und wer bekommt jetzt den Schlüssel?»
«Den kann Ihr Nachbar sich dann bei uns im Revier abholen.»
«Soll ich das vielleicht übernehmen?», fragt Horst. «Ich hab schon früher Blumen für ihn gegossen.»
«Ach, und jetzt nicht mehr?»
«Ja, es hat sich dann nicht mehr ergeben.»
«Sehen Sie?»
«Ach, und dann kommt der arme Mann hier eventuell doch noch mal die Treppen hochgestiefelt, wenn er noch lebt», sag ich, «und muss erst noch zu Ihnen aufs Revier, um den Schlüssel abzuholen?»
«Sie haben uns doch gebeten, die Wohnung aufzubrechen! Oder haben Sie da vielleicht doch ’n bisschen übertrieben?»
«Hallo? Woher denn?»
Die andere Beamtin geht in die Hocke und sammelt mit so einem Beweismittelbeutelchen irgendwas vom Boden auf.
«Was sind denn das für Krümel hier überall?»
Und jetzt sehe ich’s auch.
«Das sind seine Streuhaare!»
«Streuhaare?»
«Streuhaare! Die fallen ihm vom Kopf, wenn er am Hetzen ist. Das hab ich schon mal beobachten können, als er das Treppenhaus runtergerannt ist, weil sein Taxi gewartet hat. Da musste ich vor meiner Tür den Hausflur saugen, damit man das nicht in die Wohnung reinträgt.»
Pause. Angestrengtes Denken.
«Also war er am Hetzen!», ergänzt Horst.
«Genau, Horst! Er ist ja quasi aus der Wohnung rausgehetzt. Und jetzt ist er seit Wochen verschwunden.»
Die Beamten blicken sich an. Nicken. Und dann schließen sie die Tür, drehen den Schlüssel im neuen Schloss herum und kleben ein Siegel zwischen Tür und Zarge. Jetzt ist es offiziell.
«Wir haben einen Fall!»
«Die Polizei hat einen Fall.»
«Ja.»