Zum zweiten Mal! Zum zweiten Mal schon hat mich diese anonyme Nummer angerufen, erst heute Morgen und dann vor zwei Stunden. Und ich habe jetzt schon keinen Bock mehr – was soll so was? Ist doch wahr. Also ich gehe davon, dass es ein und dieselbe Nummer war, die mich versucht hat anzurufen, und ich weiß auch, dass eine Nummer einen nicht anrufen kann, wie meine Schwester Silke mich immer sofort korrigiert, als wenn das das Thema wäre. Das Einzige, was zählt, ist, dass ich nicht weiß, wer zum Geier da versucht hat, mich zu erreichen. ES MACHT MICH WAHNSINNIG ! Wer ruft heutzutage noch Leute mit Rufnummernunterdrückung an?
«Du selbst, Ralf Prange», ätzt Silke sofort am Telefon los, als ich einfach mal meine Gedanken teilen will. So viel zum Verständnis, auf das man in der Familie trifft.
«Silke, ich mach das nur noch, wenn ich recherchiere.»
«Aha.»
«Aber ganz normale Leute rufe ich doch ganz normal an. Ich versteck mich doch auch nicht unterm Türspion, wenn ich irgendwo klingel.»
«Hast du auch schon gemacht, Ralfi, weil dir dieser Typ mit der Kohlsuppe aus dem Dritten nicht mehr aufmachen wollte.»
«Weißt du was, Silke? Du bist mir heute zu anti. Tschüs erst mal!»
Wer könnte das wohl gewesen sein? Ganz ehrlich? Ich hätte es vielleicht geschafft, noch rechtzeitig ranzugehen, als ich heute Morgen vom Zähneputzen aus dem Bad zurückkam. Aber als da «anonym» auf dem Display stand, habe ich gezögert ranzugehen – nach all dem Scheiß der letzten Tage. Ich mache ja schließlich auch nicht die Tür auf, wenn ich keinen durch den Spion erkennen kann. Und es bringt mir auch nichts, wenn Silke mich darauf hinweist, dass früher jeder Anruf von jedem und jeder immer anonym war – gab ja keine Displays –, und da sei man schließlich auch rangegangen, aber die Technik sei nun mal da.
Okay – meine Oma mütterlicherseits hat es immer zweimal klingeln lassen und wieder aufgelegt, damit wir wissen, dass sie es ist, und dann nach zwei Minuten noch mal richtig angerufen. Funktionierte tadellos – bis auf das eine Mal, als mein Klassenlehrer genau die zwei Minuten nach dem Geheimsignal meiner Oma angerufen hatte – ein teuflischer Zufall! –, um mit meiner Mutter über mein Verhalten im Unterricht zu sprechen.
«Das ist gerade sehr schlecht, Herr Dr. Vogel. Wir erwarten genau in diesem Augenblick den Anruf meiner Oma und müssen die Leitung wieder freigeben.»
«Das kannst du deiner Großmutter erzählen, Ralf Prange!»
«Hä?»
Wie dem auch sei. Heute ist heute, und in einer Zeit, in der beinahe alle mir mit ihrer Rufnummer auch einen kleinen Vertrauensbeweis übermitteln, kommen einem die, die darauf verzichten, wie zwielichtige Typen vor, die was zu verbergen haben.
Anonym. Das könnten also sein: Verbrecher, Telefonabzocker, Enkeltrickwichser, irgendwelche Kinder, die Telefonstreiche machen wollen – vielleicht Butschi? –, oder eben die Polizei, die aus Ermittlungsgründen ihre Nummer unterdrückt.
Als die Horst und mich auf die Wache beordert haben, haben sie das schriftlich mit einer Vorladung gemacht. Von daher weiß ich es gar nicht hundertprozentig, ob die das gewesen sein könnten. Ich habe dann auf dem Revier angerufen. War mein erster Gedanke. Immerhin werfen die mir Verstrickungen ins Milieu vor, auch wenn Dörte meint, dass die Horst und mir nur mal einen ordentlichen Schreck einjagen wollten.
«Die haben sich wahrscheinlich ’n Spaß gemacht. Weil ihr euch vielleicht ein bisschen zu … wichtig genommen habt? Ein bisschen zu viel eingemischt?»
«Das sehe ich anders, Dörte. Die Dinge mit dem Fernsehmann sind, wie sie sind. Und wenn wir da unglücklich ins Fadenkreuz geraten …»
«Ins Fadenkreuz?»
«Du nimmst das nicht ernst genug!»
Vielleicht ist sie ein bisschen eifersüchtig auf Horst, weil wir uns öfter austauschen und diese Polizeierfahrung zusammen gemacht haben. So was schweißt zusammen, gewissermaßen. Wir sind auch Nikolaus und Knecht Ruprecht und bei uns im Haus so was wie das Dreamteam aus dem Hochparterre, habe ich das Gefühl. Obwohl ich selbst mit Horst immer wieder an Grenzen stoße und dann erst mal Ruhe vor ihm brauche. Aber wenn die Sache geklärt ist, habe ich den Kopf auch freier für Dörte. Auf jeden Fall habe ich heute Vormittag bei denen in der Abteilung, die den Fall Fernsehmann behandelt, angerufen und gefragt.
«Prange mein Name. Haben Sie heute Morgen bei mir angerufen?»
«Einen Augenblick.»
Klöter. Und dann über zehn Minuten lang keine Telefonschleife, sondern den Hörer einfach danebengelegt, und ich musste mir eine Ewigkeit dieses Bürogeklimper, Getippe, Getacker, diffuse Sprechfunkdurchsagen und Gemurmel anhören, bis ich irgendwann die Nerven verloren und in meinen Hörer gebrüllt habe.
«Hallo! HALLO ! WAS IST DENN JETZT ? GEHEN SIE WIEDER ANS TELEFON !»
Dann, endlich.
«Hören Sie?»
«Ja?»
«Nein.»
Und dann hatte sie auch schon aufgelegt. Wer war es dann? Es ist zum Verrücktwerden! Je stärker man sich mit dieser ungelösten Frage beschäftigt und abwägt, welche Indizien für welchen möglichen Anrufer sprechen würden, desto besessener wird man. Irgendwelche Fernsehmann-Entführer? Oder die neue Hausverwaltung? Oder, mein neuester Verdacht, der mir kürzlich durch den Kopf schoss? Hat der Glotzer vom Balkon gegenüber vielleicht mit der Sache etwas zu tun? Oder warum taucht er gerade dann auf und observiert unser Haus, als der Fernsehmann verschwindet? Dörte meint, ich schaue zu viel Aktenzeichen , das würde abfärben. Aber genau so muss es diesem Staatsanwalt aus dem JFK -Film gegangen sein. Jahrelange Ermittlungen, und am Ende immer noch die offene Frage «Wer hat Kennedy erschossen?».
Diese ungelöste Frage arbeitet wie ein pochendes Furunkel in meinem Kopf, als wäre das so ein cold case wie im Fernsehen, bei denen mit ein bisschen zeitlichem Abstand tatsächlich wieder Bewegung ins Spiel kommt. Dann liege ich im Bett, bin kurz vorm Einpennen, und dann – booom! – rattert das plötzlich wieder in meinem Kopf.
«Wer hat mir das Stoff-Häschen vor die Tür gestellt?»
Zum Beispiel. Es war nämlich so, dass neulich ein kleines Stoffhäschen auf meiner Türmatte neben einem Tütchen Geleegummis stand – und ganz allein wird es da wohl nicht hingelaufen sein. Nur der Hase – und ein kleiner anonymer Zettel: «Muttu naschen». Von Dörte war er nicht, die mag keine Nagetiere, da macht sie keine Unterschiede, und Häschen sind auch nur Schadnager mit einem Lächeln, sagt sie. Horst will es ebenfalls nicht gewesen sein, meine Schwester auch nicht, und in der WhatsApp -Gruppe im Haus wollte ich nicht fragen. Manchmal gehen die Leute, die so was als kleine Aufmerksamkeit verschenken, davon aus, dass man sofort erkennt, von wem das ist, weil vielleicht dem Ganzen eine süße kleine Kuschelhäschen-Vorgeschichte mit Häschenwitz-Sprache vorausgegangen ist, von der ich nur leider überhaupt nichts mehr weiß. Und dann wäre es peinlich und verletzend. Und seitdem grüble ich, wem ich vielleicht einen Gefallen getan habe oder wer vielleicht auf Häschensprache steht. Oder hat da einfach nur einer einen geschenkten Hasen mit Häschensprache-Zettel an mich weiterverschenkt? Oder einfach nur schnell entsorgt, weil der Naschkram vielleicht scheiße schmeckt? Oder waren das dieselben Leute, die ich schon auf dem Kieker hab und die mir eine Warnung geben wollen? Weil ich vielleicht zu viel nachfrage? Die italienische Mafia legt den Leuten schließlich tote Haustiere vor die Tür oder Pferdeköpfe ins Bett …! Was weiß ich denn schon über die Bräuche der Grauen Wölfe? Bei Google steht nix. Ich weiß es nicht! Und ich werde es wohl nie erfahren!
Genauso wie ich nie erfahren werde, wer mir damals einen Sack Kartoffeln an die Türklinke gehängt hat. Hing da einfach. An einem Donnerstag vor zwei Wochen. Auch kein Absender und nix. Nur Kartoffeln. Wahrscheinlich ein Blindgänger und für jemand anders gedacht. Erstens, weil ich in der Öffentlichkeit nicht als Kartoffeltyp gelte, denke ich, weil ich auf Nachfrage kein Problem damit habe zuzugeben, dass ich Team Kroketten bin und echte Kartoffeln nur in Verbindung mit Senfeiern zu mir nehme. Und zweitens, weil ich selbst nur einmal in meinem Leben Kartoffeln verliehen habe: Als die Stehlers noch hier wohnten und spontan Kartoffelpuffer machen wollten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die nach Jahren extra noch mal nach Barmbek fahren, um mir endlich meine Kartoffeln zurückzubringen – weil, dann klingelt man doch oder lässt einen Zettel da! Oder ist das Ganze viel größer als ein schnöder Sack Kartoffeln? Nämlich auch ein Zeichen, eine Warnung! Erst die Kartoffeln, neulich der Naschhase, und jetzt diese Anrufe. Das kann doch kein Zufall sein. Und es macht einen fertig!
Ich spüre erst, dass die Anspannung aus meinem Nacken weicht, als Dörte mich beruhigend massiert. Wieder mal.
«Ralf, manche Sachen bleiben offen und für immer ungeklärt. Ist doch scheißegal, wer da angerufen hat. Wenn’s wichtig ist, dann probiert er’s ja wohl noch mal.»
Von wegen. Alles schon erlebt. Als ich seinerzeit mit der Familie meiner Schwester auf Mallorca war und nach zehn Tagen zurückkam und meinen Briefkasten geleert habe, als Allererstes, noch mit dem Koffer im Flur, hab ich sofort die Postbenachrichtigungsscheine zwischen den sonstigen Umschlägen und Kataloggutscheinen und einer Postkarte von Horst aus dem Erzgebirge entdeckt. Einschreiben, Abholfiliale bla bla bla. Ich bin sofort losmarschiert, noch mit Mallorcasand am Rücken, weil die Dusche im Hotel keinen ordentlichen Strahl hatte und alles an meinem Sonnenöl kleben geblieben ist – es war zum Ausrasten! –, und komme kurz vor Feierabend bei der Postfiliale an, die es damals noch gab, um mein Einschreiben abzuholen.
«Prange mein Name. Ich komm wegen dem Einschreiben ….»
Okay. Fehler. Ich gehe immer davon aus, dass die Leute bei der Post genauso aufgeregt auf mich warten, wie ich aufgeregt bei denen in die Filiale komme. Also von wegen «Leute, da ist ja endlich dieser Prange, der sein Einschreiben abholen will». Aber nee.
«Abholschein?»
«Ich hab sogar zwei.»
«Ja, einer reicht. Aber ich seh schon. Das Ding ist schon wieder an den Absender zurückgeschickt worden.»
«Wieso das denn?»
«Sieben Tage Aufbewahrungsfrist.»
«Ja toll. Können Sie mir denn sagen, an wen das zurückging?»
«Steht hier nicht.»
«Das muss doch bekannt sein! Damit ich da mal anrufen kann! Ich will doch wissen, was es war!»
«Wie gesagt, aber das ist auch bekannt, nach sieben Tagen wird das zurückgeschickt.»
«Ach! Und dann soll ich vorher ’ne Rundmail an ganz Deutschland schicken, dass ich in Urlaub fahre und in der Zeit leider keine Einschreiben entgegennehmen kann?»
«Es sei denn, Sie fahren kürzer als eine Woche.»
Der Postmitarbeiter schaute mich aus toten Augen an, aber ich hielt dem Blick stand. Es hätte wahrscheinlich nicht viel gefehlt, und ihm wär ein Spuckefaden aus dem Mund gelaufen – dann kam aber doch noch eine menschliche Regung.
«In der Regel bringen die das Einschreiben dann ja noch mal aufn Weg. Warten Sie mal ’ne Woche.»
Das ist mittlerweile Jahre her, und ich weiß bis heute nicht, wer oder welche Institution mir ein Einschreiben hatte schicken wollen. Es kam einfach nix mehr! Eine Anzeige? Eine Geschwindigkeitsüberschreitung? Eine Räumungsklage? Irgendeine Vertragskündigung? Oder nur irgendein Scheißer, der sich einen Gag daraus macht, arglose Leute mit gefälschten Abholscheinen in die Postämter zu schicken? Okay. Letzteres wohl nicht, die Post wusste schließlich von dem Einschreiben.
Ich dachte, diese Art Post hat immer eine gewisse Portion Wichtigkeit, sodass sie persönlich übergeben werden muss. Liegt in der Natur der Sache. Wie kann man dann als Absender sagen, wenn das Ding nach einer Woche zurückkommt, «Ach komm, scheißegal, dann eben nicht. Versuch war’s wert»? Wochenlang lag ich nachts wach, weil mir alle möglichen Szenarien durch den Kopf gingen, wer mir weshalb auf diesem Wichtig-popichtig-Postweg schreiben wollte und es dann doch sein gelassen hat. Und vielleicht, eines Tages, wird dieses Geheimnis gelüftet und irgendein Mahnbescheid trudelt wie eine verschollene Flaschenpost nach Jahren bei mir ein. Das wäre schön. Ich will es doch nur wissen.
Das war in meiner Jugend schon so. Also in meiner kurzen Jugend: Bis vierzehn war ich Kind, würde ich sagen, dann Jugendlicher bis ran an sechzehn, wo dann mein Vater von diesem Besoffenen mit dem Bagger überfahren wurde, und von da an war ich im Grunde genommen Mann im Haus und in der Ausbildung zum Lebensmitteltechniker mit dem späteren Erwerb des Räucherer-Scheins. Erwachsen. Ja. Hat sich so ergeben. Egal.
Also in meiner Jugend gab es dieses Ur-Erlebnis, als meine Schwester noch zu Hause wohnte und nach dem Arztbesuch bestens gelaunt nach Hause kam, weil sie sich zur Belohnung noch eine neue Jinglers -Jeans («Nur echt mit der Fun-Glocke») gegönnt hatte.
«Ich soll dich grüßen, Ralfi.»
«Von wem?»
«Das ist das ja. Das weiß ich nicht.»
«Ja toll. Mann oder Frau?»
«’n Mädchen. Sie sagt, sie kennt dich von der Schule.»
«Woher kennst du sie denn?»
«Gar nicht. Sie hat nur mitgekriegt, dass ich Silke Prange heiß, als ich im Wartezimmer aufgerufen wurde.»
«Wo?»
«HNO . Und da fragte sie, ob ich mit Ralf Prange verwandt bin.»
Herzklopfen.
«Nee, ne? Sah sie gut aus?»
«Total hübsch. Tolle Beine.»
«Ohhh nee, ne? Wieso hast du denn nicht gefragt, wie sie heißt?»
«Wieso, stehst du auf sie?»
«Das weiß ich doch nicht! Wer ist sie denn?»
Gierig wie ein junger Rüde. Aber man wird wohl fragen dürfen. Ist doch wahr. Ich war 15 und hätte unterm Strich sowieso auf jede gestanden; ich gehörte zugegebener Weise nicht zu den ganz Coolen. Im Gegenteil. Ich war schüchtern, und ich war im Faustball-Team. Wenn man da von einem Mädchen mit tollen Beinen gegrüßt werden soll, führt das allein schon durch die Vorstellungskraft zu erotischen Wallungen. Umso stärker dann die Verzweiflung, wenn man feststellt, dass man nie die wahre Identität dieses Mädchens rausfinden wird, niemals, weil die eigene Schwester sich selbst bei einer Fotogegenüberstellung mit dem Schuljahrbuch als absolut unbrauchbar herausstellt. Auf eine Art und Weise, dass ich mich gefragt habe, was eigentlich das Gegenteil von fotografischem Gedächtnis ist! Und der Anruf in der HNO -Praxis war dann auch nur noch ein letzter Versuch, und dass die mir die Namen aller Mädchen zwischen vierzehn und sechzehn, die an dem Tag in der Praxis waren, ausdrucken würden, habe ich sowieso nicht wirklich geglaubt.
Seitdem geistert diese Bein-Schönheit durch meinen Kopf. Immer noch. Obwohl ich nach Jahren der Durststrecke mit Dörte endlich mein Glück gefunden habe. Und meine Befürchtung, dass ich auch nie erfahren werde, wer da versucht hat, mich anzurufen, macht mich fast wahnsinnig. In solchen Situationen merke ich, wie ich Dörte ein bisschen auf den Keks gehe, wenn ich einfach nicht ablassen kann von etwas. Wenn dann noch Berni seinen üblichen Saukram beisteuert, denkt sie sich wahrscheinlich auch, in was für einem Irrenhaus sie da …
«Tüdelüdelüt!»
Der Festnetzklingelton! Mein Puls geht ab. Ich greif zum Apparat. Selbst Dörte hält die Luft an. Auf dem Display: «Anonym». Dörte nickt mir zu. Ich stelle auf Lautsprecher.
«Ja. Hier Prange …»
«Herr Prange …»
«Ja?»
«Hören Sie bitte …»
Ich erkenne die Stimme natürlich sofort. Es ist der Fernsehmann!
«Na das ist ja ’ne Überraschung. Was meinen Sie denn?»
«Ich bi… gr… Istanbu…»
Er ist schwer verständlich. Aber immerhin lebt er. Mein Herz klopft bis in meinen Hals.
«Können Sie sprechen? Behandelt man Sie gut?»
«Hören … sss… bitte …! Wa haben Sie denn blo…»
Der Empfang wird immer schlechter, dann reißt das Telefonat ab. Dörte und ich schauen uns erschrocken an. Es dauert einen Moment, bis ich diesen Schock verarbeitet habe und das Offensichtliche ausspreche, während ich mich zitternd auf meinen Küchenstuhl gleiten lasse.
«Die haben ihn tatsächlich entführt, Dörte. Deswegen war er auch so erregt.»
Sie schaut mich verunsichert an.
«Dörte, vielleicht hat er diesen einen Moment erwischt, wo er vielleicht unbeobachtet war …»
«Und dann ruft er ausgerechnet dich an?»
«Weil er meine Festnetznummer im Kopf hat. Weil die seit Jahren im Treppenhaus hängt, am Schwarzen Brett! Für die Paketleute! Falls Klingel zu leise, bitte anrufen, Festnetzmobilteil stets am Mann! »
«Ich weiß nicht, Ralf …»
«Er ist ja wohl offensichtlich in der Türkei. Versuch du mal, von da aus die deutsche Polizei anzurufen. 0049, und dann die Null weglassen? Obwohl da gar keine Null als Vorwahl ist bei 110? Oder wählt er dann für Hamburg 004940110?»
«Ralf …»
«Da gehst du doch auf Nummer sicher, wenn du schon mal die Gelegenheit hast. Und ich bin in seinen Augen ja zuverlässig. Er vertraut mir seine Post an.»
Es sprudelt nur so aus mir raus, und alles, auch wenn es noch so unglaublich erscheint, ergibt einen Sinn. Ich gucke grübelnd aus dem Fenster in den Innenhof und schaue direkt in das Gesicht vom Glotzer, der wahrscheinlich schon seinen Beobachtungsposten bezogen hat, falls er wirklich mit den Leuten unter einer Decke steckt, die dem Fernsehmann gerade den Apparat aus der Hand gerissen haben und per Rufnummernverfolgung genau wissen, wen er da wo anrufen wollte.
«Dörte, ich brauch ’ne Fangschaltung. Dann wissen wir, wo er ist.»
Ich spüre richtig, wie Dörte mit sich kämpft, mir recht zu geben zu müssen. Sie stöhnt auf und streichelt sprachlos meinen Rücken, während ich über meinen Schatten springe und noch mal bei der Polizei anrufe.
«Herr Prange, wir sind es jetzt echt langsam leid. Ihr Fernsehmann lebt. Bei uns hat er sich auch gemeldet. Und jetzt lassen Sie uns bitte in Ruhe.»
Okay. Dann ist die Sache wohl offiziell.
«Verstehe. Ich will mich auch nicht weiter einmischen.»
Ich flüstere verschwörerisch.
«Aber eine Frage hätte ich dann schon noch, interessehalber …»
«Ja …»
«Wie hat er sie aus der Türkei aus angerufen? Lässt man gar keine Null weg, sondern die erste Eins von 110, oder muss man über die Hamburger Vorwahl ohne Null?»
Aufgelegt. Glaubt man das?