57
Marni
Marni holte tief Luft.
»Es gibt einen Weg, beides zu bekommen, Steve«, sagte sie und versuchte, ihre Stimme ein wenig atemlos klingen zu lassen, damit er nicht merkte, dass sie sich am liebsten übergeben hätte. Sie konnte selbst nicht glauben, was sie vorhatte, aber ihr Überlebensinstinkt war stärker.
»Wie meinst du das?« Seine Augen wurden schmal.
»Wie du schon sagtest: Meine Tattoos sind lebende Kunstwerke. Lass mich am Leben, und du kannst dich jeden Tag daran erfreuen. Du kannst sie berühren, und sie werden warm sein. Du kannst sehen, wie sie sich bewegen, wenn ich mich bewege. Stell dir vor, du hättest ein lebendes Ausstellungsstück in deiner Galerie.«
Steve sagte nichts. Offenbar ließ er sich diese Möglichkeit durch den Kopf gehen. Seine Atmung wurde schneller. Er strich ihr zärtlich über den Rücken, und diesmal verirrte sich eine seiner Hände zu ihrer nackten Brust.
Marni biss sich fest auf die Unterlippe, um den Würgereiz unter Kontrolle zu halten.
»Ich könnte dich da unten in einen Käfig stecken. Mein ganz privates Zootier. Die Vorstellung gefällt mir.«
»Ja«, stieß Marni hervor. Sie hätte nicht gedacht, dass es ihr jemals so schwerfallen würde, ein einzelnes Wort auszusprechen.
»Ich könnte dich jeden Tag lieben.«
Tägliche Vergewaltigung. War das wirklich eine bessere Option als der Tod?
»Das ist eine sehr clevere Idee, meine Liebe. Wir könnten das ein paar Tage lang ausprobieren und sehen, wie es funktioniert.«
Seufzend drückte er sich gegen ihren Rücken. Marni spürte, wie eine seiner Hände zwischen ihre Beine glitt, und zuckte zusammen, wobei sie sich die Hüfte an dem Holzkreuz stieß. Steve zog seine Hand zurück und schlug sie fest auf ihre Pobacke.
»Es würde niemals funktionieren«, sagte er mit gefährlich leiser Stimme, »weil du nicht wirklich mitmachen würdest. Ich müsste dich mit Argusaugen beobachten. Du würdest nur darauf lauern, mir zu entkommen, und das entspricht wohl kaum dem schönen Bild, das du zu zeichnen versuchst.«
»Aber wenn du mich am Leben lässt, bin ich dir so viel schuldig …«
»Einen Mitleidsfick? Verkauf mich nicht für blöd, Marni.«
Er trat zurück und wandte sich zum Gehen.
»Außerdem würde ich dann gar nicht mehr das hier auf deiner flaumigen Haut anwenden können.«
Sie hörte ihn kramen, dann war er wieder bei ihr. Sie wollte gar nicht sehen, was er geholt hatte, aber er würde es ihr ohnehin zeigen.
Das silberne Messer blitzte und gleißte, als er es im hellen Licht drehte und ihr nur ein paar Zentimeter entfernt vors Gesicht hielt. In die geschwungene Klinge waren komplizierte Wasserzeichen eingeprägt. Marni hatte so etwas noch nie zuvor gesehen.
»Sam hat mir alles über Messer beigebracht – welche Klingen sich am besten zum Schneiden eignen und welche zum Häuten. Das sind zwei grundverschiedene Prozesse, musst du wissen, und sie erfordern völlig unterschiedliches Werkzeug. Ich erzähle dir, wie ich vorgehen werde.«
Marni schloss fest die Augen und wünschte sich, sie könnte das auch mit ihren Ohren machen.
»Als Erstes umfahre ich mit dem Messer den Umriss des Hautstücks, das ich herausschneiden möchte. In deinem Fall den Umriss von deinem prächtigen Backpiece. Dazu verwende ich eine kurze, gerade Klinge, die ich anschließend gegen die hier eintausche.« Er hielt ihr das entsprechende Messer unter die Nase.
Halt ihn am Reden.
»Aber kennst du dich denn mit dem kompletten Prozedere aus?« Marnis Haut kribbelte. Es war ein grauenvolles Gespräch, obwohl es ihr womöglich das Leben retten konnte. »Erzähl mir von Sam und was du von ihr gelernt hast.«
»Sam ist eine begabte Taxidermistin. Ich kaufe seit Jahren Stücke von ihr – ich sammle ausgestopfte Tiere.«
Marni dachte an den alten Laden für Tierpräparate in der Nähe des Preston Parks. Früher war sie oft dorthin gegangen und hatte in die Schaufenster gestarrt, bevor der Laden geschlossen wurde.
»Sie wollte ihre Fertigkeiten erweitern, und schon bald entdeckten wir unser gemeinsames Interesse für Leder. Sie zeigte mir, wie sie Tierhäute präpariert, und wir überlegten, ob man dieses Verfahren auch bei Menschenhaut anwenden könnte. Anfangs war das Ganze nicht mehr als Geplapper, doch nach und nach begriff ich, dass sie tatsächlich bereit war, so etwas zu tun. Als ich ihr mitteilte, dass ich gern ein paar Tätowierungen sammeln würde, war sie ausgesprochen eifrig bei der Sache.«
Marnis Zunge klebte am Gaumen fest. Sie konnte kein Wort hervorbringen.
»Schade«, fuhr Steve fort. »Jetzt, da sie im Knast sitzt, muss ich den Job allein zu Ende bringen.« Er fuhr spielerisch mit der Messerspitze über das Holzkreuz. »Wenn ich das Tattoo von deinem Rücken entfernt habe, werde ich es in Kochsalzlösung einweichen und anschließend mit verschiedenen Chemikalien behandeln, die die Proteine in deiner Haut aufspalten und das Fett ausschwemmen.«
Eine Woge der Übelkeit spülte über Marni hinweg. Ihr wurde schwindelig, und sie spürte, dass ihr Blutzuckerspiegel gefährlich nach unten ging. Wenn sie ohnmächtig würde, wäre es schwierig, ohne die Zufuhr von Glukose wieder zu sich zu kommen.
Steve schwafelte weiter, aber sie konnte sich nicht auf das konzentrieren, was er sagte. »… verändert den pH-Wert … ein stumpfes Messer, um die Haare zu entfernen … Sam gebeten, mir die richtige Vorgehensweise beizubringen … nur für alle Fälle …« Ihr wurde schwarz vor Augen, aber sie war fest entschlossen, nicht wegzutreten. Sie biss sich auf die Innenseite ihrer Wange und schnappte vor Schmerz nach Luft.
»Das Wichtigste, was sie mir beigebracht hat, ist das richtige Schärfen eines Messers. Es ist eine äußerst heikle Sache, die schärfste Klinge zu benutzen. Diese hier ist wie ein Diamant.«
Er nahm eine ihrer kalten, schlaffen Hände und drückte sie gegen das Holzkreuz. Noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, zog er ihr das Messer über die Handfläche. Die Klinge war längst fort, als sie den Schmerz spürte.
»Siehst du?«, fragte er. »Schärfer als ein Skalpell. Und noch dazu präziser.«
Marni schluchzte. Sie konnte sich nicht länger zusammenreißen. Heißes Blut lief ihren Arm hinab.
Steve beobachtete es wie in Trance. Dann trat er vor, streckte die Zunge raus und leckte das Blut ab.
»Oh Marni«, keuchte er. Seine Stimme war belegt vor Erregung. »Ich glaube, es wird Zeit, dass der Spaß beginnt.«