Perikles saß auf der untersten Sitzreihe, die für Archonten und Strategoi wie auch für Choregoi und die gegenwärtigen Juroren der Festspiele reserviert waren, von denen jeder ein Freiwilliger aus den Sippen der Stadt war. Als hinter der Bühne das Geschrei begann, kletterten Epikleos und er auf die Bühne und gingen auf den Lärm eines Handgemenges zu. Sie hatten irgendeine Art von Problem erwartet, da Phrynichos und seine Truppe in einem chaotischen Zustand waren. Der Mann selbst war mehr als einmal zur falschen Tageszeit aufgetaucht. Er hatte verlangt, dass man ihm erlaubte, Proben abzuhalten, und Rache an jedem geschworen, der den Zeitplan störte. Jedes Mal war er fortgeschickt worden, während die Luft um ihn mit seiner Wut zu knistern schien. Ihre eigenen Proben waren gestört worden, und manchmal fragte Perikles sich, ob es genau darum gegangen war. Es bedeutete, dass sich beim ersten Anzeichen von Ärger die ganze Truppe versammelte und bereit zu einer Rauferei war.
Anaxagoras hatte jemanden am Handgelenk gepackt und drückte mit der freien Hand dessen Kopf herunter, sodass der Mann so gut wie vornübergebeugt war. Wer auch immer es war, er kämpfte mächtig dagegen an, bis Epikleos einsprang und dessen anderen Arm packte. Der Kopf des Mannes fuhr hoch, und Perikles konnte ihn nur anstarren.
Er hatte Attikos nicht mehr gesehen, seitdem er ihn gut mit einer Peitsche gezeichnet zu einem anderen Schiff geschickt hatte. Mit einiger Befriedigung hatte er zugesehen, wie ihn jeder Schlag getroffen hatte. Damals hatte Thetis ihm nicht gehört. Tatsächlich hatte sie niemandem gehört. Dennoch war die Bestrafung dafür, dass Attikos versucht hatte, eine Frau zu vergewaltigen, milde ausgefallen. An Land, in Friedenszeiten, hätte Attikos an eine Anschlagtafel auf der Agora gebunden und von Vorübergehenden gesteinigt werden können. Oder man hätte ihn dort gelassen, bis er vor Durst gestorben wäre. Unter Kriegsrecht hatte Kimon sich stattdessen entschlossen, ihn auspeitschen und versetzen zu lassen. Es war eine Art Gnade gewesen. Perikles hatte nicht erwartet, den sehnigen Affen von einem Mann wiederzusehen.
»Attikos! Was machst du denn hier?«, fragte er.
Gleich als Anaxagoras begriff, dass Perikles den Mann kannte, ließ er ihn los. Epikleos jedoch, der etwas mehr über ihn Bescheid wusste, hielt ihn weiter fest.
»Man hat mich von meinem Schiff verwiesen, aber das wusstest du bestimmt«, sagte Attikos. »Hat sich herumgesprochen, dass ich deine Familie gekränkt hätte, und da wollte mich niemand haben. Eine Weile hab ich mich als Ruderer durchgeschlagen, nur um ein Auskommen zu haben. Keine Arbeit für einen Hopliten, nicht wahr? Der Kapitän war gegen mich, und plötzlich ging das überall herum, und niemand hatte einen Platz mehr, nicht für mich.«
Perikles blickte ihn an und zuckte mit den Schultern. »Was geht mich das an? Ach, lass ihn los, Epikleos. Er ist keine Bedrohung – und er gehört nicht zu Phrynichos.«
»Was geht …?«, sagte Attikos mit angewidert hochgezogener Lippe. »Du sprichst ja fein, Söhnchen, oder? Dein Vater hat mir den Auftrag gegeben, dich in der bösen alten Flotte zu beschützen, wo Männer versuchen könnten, dich zu ihrer Frau zu machen, oder um fremde Barbaren davon abzuhalten, dir deine Leber zu zerschneiden wie deinem Bruder. Und das hab ich auch, stimmt’s? Und was hab ich davon, dass ich auf diesen Jungen aufgepasst hab? Man hat mich ausgestoßen, mit einem schwarzen Fleck auf meinem Namen, sodass jedermann mich schief anschaut.«
»Ich hab dich auf Skyros getragen«, schnappte Perikles. »Ich habe dein Leben gerettet, Attikos. Und was hast du damit angefangen? Du hast versucht, einer Frau Gewalt anzutun. Einer, die meine Ehefrau wurde.«
Angesichts dieser Information drehte Anaxagoras sich ruckartig um. Perikles wartete auf ein Zeichen von Überraschung in Attikos’ Miene, aber vergebens. Natürlich, er musste davon gehört haben, zusammen mit dem Rest der Flotte.
»Damals war sie nicht deine Ehefrau – und ich dachte, sie wollte es. Sie wirkte ganz so. Schau, es war mein Fehler, das hab ich nie geleugnet. Und es waren auch meine Striemen auf meinem Rücken! Aber du hast mir mehr als das verpasst. Du hast mir meinen Namen genommen, meinen Platz in der Flotte – alles, was ich mir vorher erworben hatte. Man hat mich rausgeworfen! Kein Platz zum Liegen, keiner zum Sitzen, noch nicht mal bei den Ruderern. Am Hafen ausgesetzt wie ein verdammter Krüppel, während Archon Kimon ohne mich davonsegelt. Also, da du an meiner herabgesetzten Stellung schuld bist: Hier bin ich.«
Attikos schaute sich im Theatergebäude mit seinen Sitzreihen auf der anderen Seite um. Er schnaubte und rieb sich die Nase. »Sieht so aus, als ob du ganz gut auf die Beine gekommen bist. Reich wie Krösus, während ich am Hungern bin. Mir scheint, du könntest deinen Vater ehren und mir Arbeit geben – vielleicht als Wache. Die Straßen sind nachts gefährlich, jeder weiß das. Ich verlange nicht viel, nur Arbeit. Das ist alles!«
Irgendwie war Attikos beim Sprechen zorniger geworden, sodass er beinahe mit einem Schrei aufhörte. Einen Moment lang überlegte Perikles, was sein Vater von ihm erwarten würde. Er vermutete, dass Xanthippos so ungerührt wie ein Stein gewesen wäre. Er hatte nie viel Sympathie für schwächere Menschen gehabt oder für jene, die ihr Los beklagten, anstatt einfach weiterzumachen und es zu verbessern. Doch er konnte sehen, dass Attikos um einiges dünner war, als er sich an ihn erinnerte. Er hungerte tatsächlich, und da war ein Anflug von Angst in ihm unter all dem Gepolter. Für jemanden ohne Familie, ohne einen guten Namen, konnte die Stadt ein harter Ort sein.
Aischylos war hergekommen, um zu sehen, was seine Theaterprobe aufhielt. Als er die Stimmung mitbekam, hatte er zunächst nichts gesagt, aber nun wurde er ungeduldig und runzelte die Stirn. »Ich könnte ihm die Aufgabe geben, Kulissen zu bemalen oder den Kran zu bedienen.«
»Nein«, erwiderte Perikles.
Aischylos kannte ihn nicht so gut wie er. Attikos hatte ihm nicht vergeben, und der Mann hegte seinen Groll auf ewig.
»Es gibt immer Arbeit in Athen«, sagte Perikles. »Bei den Töpfern, oder am Hafen Sand und Asche zu schleppen oder neue Wohnhäuser zu bauen.«
In einer inneren Schicht seines Gürtels hatte er eine Tetradrachme stecken. Er fischte sie heraus und warf sie ihm zu. Attikos fing sie auf.
»Das ist es also, ja?«, sagte Attikos, der die Münze hochhielt. »Nach allem, was ich für dich getan habe? So viel kostet dein gutes Gewissen? Du kannst mir nicht mal Arbeit geben? Du kleiner Hurensohn!«
»Das reicht mir jetzt mit dir«, sagte Anaxagoras und zog ihn fort.
»Hat sie dir erzählt, dass ich noch nicht dran war?«, schrie Attikos. »War ich aber! Und sie mochte es auch!«
Perikles wusste, dass es ihn verletzen sollte. Das Problem war, dass es das tat. Epikleos sah, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich, und nickte grimmig, während er davonschritt. Zenon ging mit ihm. Sie brachten Attikos nach draußen, und als sie zurückkehrten, schwitzten sie, und ihre Fingerknöchel waren blutig. Epikleos wies einen frischen Striemen über einem Auge auf, aber er wirkte gut gelaunt. Er warf ihm die gleiche Silbermünze zu, und Perikles, der sie zurück in seinen Gürtel steckte, lächelte mit ihm.
»Die Perser – erste Szene!«, sagte Aischylos barsch. Er deutete auf einen seiner Schauspieler, der auf ein Papyrusblatt starrte. »Setz deine Maske auf und leg die Notizen weg! Ihr solltet inzwischen alle eure Texte gelernt haben. Es sind nur noch drei Tage hin, ehe alle diese Sitze voll sind – und ich werde mich nicht von eurem Auftritt beschämen lassen. Noch mal, von Anfang an!«
Perikles kehrte zu seinen Räumen im alten Haus seines Vaters zurück, das nicht weit weg von der Pnyx lag. Die gesamte Straße war bei der Invasion zerstört und dann mit all der Geschwindigkeit und der Energie seines Volks wiederaufgebaut worden. Das neue Gebäude bestand aus Eiche, Ziegeln und Mörtel. Es war luftig und neu, mit einer Dienerschaft von sechs Leuten, um Essen zu kochen und es vor Dieben zu schützen, während er fort war.
Er konnte nicht schlafen. Er musste weiter an Attikos’ zornigen Besuch denken, und er hatte die gut gemeinten Einladungen in eine Taverne mit Aischylos und den anderen ausgeschlagen. Besonders Epikleos hatte sich über seine düstere Stimmung Sorgen gemacht, aber mehr als Gesellschaft brauchte Perikles Ruhe, um nachzudenken. Natürlich hätte er auch zu dem Anwesen zurückkehren können, wo seine Mutter und seine Frau wie zwei in einem Sack gefangene Katzen ständig am Miauen und Kratzen waren … Nein, in dem Stadthaus, wo er im Dunkeln an die Decke starrte, war er glücklicher.
Während der Stunden nach Mitternacht waren die Straßen sehr still. Allenfalls mochte eine Gruppe von Betrunkenen lachen oder singen, während sie sich auf den Weg nach Hause machten. Das Geräusch von laufenden Schritten war anders, und es brachte Perikles dazu, sich auf die Ellbogen zu stützen und angespannt zu lauschen. Attikos hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, dass die Stadt gefährlich sein konnte, besonders nachts. Die skythischen Wachen sorgten für den Frieden bei Gerichtsverhandlungen oder Treffen der Volksversammlung. Abgesehen davon hatte jeder Mann eine Hand auf dem Knauf einer Klinge und ein Auge auf diejenigen, die denselben Weg gingen. Keine Frau oder Tochter ging nachts ohne echte Gefahr nach draußen. Die Bordelle beim Hafen betrieben ihr Gewerbe im Dunkeln, aber freie Frauen eilten bei Sonnenuntergang nach Hause.
Perikles lauschte mindestens zwei oder drei Läufern, die die Straße an seinem Haus entlangstürmten. Er neigte seinen Kopf in die Richtung von etwas, das wie Schreie in der Ferne klang. Es reichte aus, dass er nach einer sauberen Chitontunika und Sandalen tastete. Der Raum war so dunkel, dass er die Hand nicht vor Augen sehen konnte, aber er zog sich an, so wie er sich erinnerte, und gürtete sich mit einem grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht eine Kopisklinge um. Er konnte seine Narben als eine Erhöhung auf seiner Wade und eine gezackte Linie von seiner Schulter bis hinab zu seiner Brust fühlen. Erinnerungen an alten Schmerz.
Draußen konnten mehr laufende Schritte vernommen werden. Etwas passierte, und die Sklaven seines Hauses begannen, als Antwort darauf wach zu werden. Unten blühte Licht auf, und er ging die Treppe hinab. Die Dienerschaft verließ sich darauf, dass er jede Bedrohung abwehrte. Sie öffneten die Tür zu der Dunkelheit dahinter und ließen die Kälte der Nacht herein.
Perikles trat auf die gepflasterte Straße hinaus. In diesem Moment wirkte sie sehr still, obwohl er sehen konnte, wie in anderen benachbarten Häusern Lampen entzündet wurden und sich Lichtkreise ergossen. Er holte tief Luft und roch Rauch.
»Athene bewahre uns«, flüsterte er, während er sich nach dessen Herkunft umsah.
Die Stadt war aus Holz, Ziegeln und Mörtel gemacht. Ganze Straßen hatten sich in ein Inferno verwandelt, als die Perser ihre Feuer gelegt hatten. Seitdem hatte immer die Angst geherrscht, dass eine Familie eine Tonlampe umwerfen könnte und alle ihre Nachbarn in ihren Betten sterben würden.
Die Akropolis stand wie ein Wachposten über der gesamten Stadt, von allen Stadtvierteln aus sichtbar. Perikles fuhr herum, um im Dunkeln eine mögliche Bedrohung zu sehen, als jemand herbeigerannt kam. Er zog seine Kopis und sah einen Mann, der beinahe hinfiel, als er vor ihm zusammenzuckte.
»Was ist los?«, wollte Perikles wissen.
»Feuer!«, stieß der Mann hervor, dann beschimpfte er denjenigen, der ihm einen Schreck eingejagt hatte.
Doch Perikles wurden plötzlich die Knie weich. Die Kopis in seiner Hand war vergessen. Als er an der sich zurückziehenden Gestalt vorbeigeblickt hatte, war ihm in der Ferne ein Funken am Fuß des großen Felsens aufgefallen. Perikles war diese Straße monatelang jeden Tag gegangen, und er kannte sie so gut wie jeden anderen Teil der Stadt. Das Theater. Er begann zu rennen.
Um ihn herum schien die Stadt aufzuwachen, während er sich dem seltsamen Licht näherte. Aus der Ferne war es ein lebendiges Ding, das sich ohne Muster bewegte und spiegelte. Als er ankam, waren überall um ihn herum bereits Haufen von Menschen beschäftigt. Sie bewegten sich in panischen Sprüngen, schrien vor Kummer oder standen einfach mit ihren Händen über den Mündern da.
Perikles eilte zum Straßeneingang, wo die Leute in nur ein paar Tagen eintreten würden, um die Festspielstücke zu sehen, Tragödien wie auch Satyrspiele. Er stöhnte auf – das Feuer war im Herzen des Theatergebäudes. Er konnte sehen, wie es sich zu den Seitenflügeln ausbreitete, und er wusste, dass da die Masken waren, die bewacht wurden. Wo waren die Wachen?
Er kam aus seiner Trance und wusste, dass er hineingehen musste, wenn auch Flammen herausschlugen und sich noch weiter verbreiteten. Es war beinahe wie ein Tier mit Zungen und Klauen, das Monate an Arbeit zerriss. Er fühlte Hass in sich aufsteigen. Da sah er Epikleos an sich vorbeieilen.
»Perikles! Den Göttern sei Dank! Wir bilden eine Eimerkette bis zum Fluss. Wenn wir zwei- oder dreihundert von uns in eine Reihe bekommen, können wir für Wasserzufuhr sorgen.«
»Was ist mit Sand?«, fragte Perikles. »Gleich da drüben ist ein Hof mit Bauvorräten.«
»Zeig ihn mir«, sagte Epikleos.
Sie drängten sich durch die Menge und rannten vierzig oder fünfzig Schritte zu einem versperrten Tor. Ein Wachmann stand dort mit einem Speer in Händen. Er sah nervös aus.
»Tritt zurück, Sohn«, sagte Epikleos.
Der Wachmann versuchte, seinen Speer zu erheben, aber Perikles stieß ihn aus dem Weg, und Epikleos trat das Tor auf, sodass die Hauptverriegelung zerbrach. Obwohl der Mann sie beschimpfte, liefen sie hinein. Dort gab es Vorräte für das Anfertigen von Mörtel. Perikles packte die Griffe eines kleinen Handwagens, der bereits schwer mit einer Mischung von Asche und feuchtem Sand beladen war.
»Wir brauchen mehr«, sagte er.
Epikleos verschwand und begann sich Menschen auf der Straße zu greifen, um sie in Richtung des Hofs zu dirigieren. Binnen Momenten hatte eine kleine Menschenmenge mit Schaufeln und allem, was sie finden konnten, ein halbes Dutzend der Wagen hoch beladen.
Perikles zuckte zusammen, als er einen Spaten nahm und das dunkle Material auf die Flammen bei der Theatertür warf. Er war sich nicht völlig sicher, wie Mörtel gemacht wurde, nur dass man dafür vulkanische Asche aus der neuen Stadt benutzte, aus der Zenon stammte. Er stieß ein Gebet hervor, als das Material auf den Flammen landete, dann nickte er, als es sie erstickte. Es hatte einmal gebrannt; es konnte nicht noch einmal brennen.
»Mehr! Schmeißt es da drauf!«, schrie er die Menschenmenge an.
Sie hatten endlich eine Aufgabe, und sie hoben die grobkörnige Mischung mit ihren Händen auf, wenn sie sonst nichts hatten. Die kleinen Handwagen waren leer und wurden in Augenblicken für eine weitere Lieferung zurückgekarrt, während der Besitzer auftauchte und drohte, sie alle wegen Diebstahls vor den Rat zu bringen. Perikles sah, wie Aischylos aus der Dunkelheit auftauchte und leise mit dem Mann sprach. Danach herrschte Stille.
Die Eimerreihe erstreckte sich von der Straße bis zum Fluss außerhalb der Stadt hinab. Perikles konnte sich vorstellen, wie das Wasser hergebracht wurde, von einer Hand zur anderen, aber es gab noch kein Anzeichen dafür, nur eine Reihe von Athenern, Männern wie Frauen, die aus ihren Betten gerissen worden waren und ihr Bestes gaben, um das Feuer an seiner Ausbreitung zu hindern. Ihr Mut rührte ihn, bis er begriff. Sie wollten nicht zulassen, dass sich das Feuer bis zu ihren eigenen Heimen ausbreitete. Sie hatten sie wiederaufgebaut, und das mehr als einmal. Sie konnten es nicht noch einmal tun.
Die Lawine an Asche und Sand, die auf die Flammen geworfen wurden, erlaubte es Perikles, dass er über verkohltes, rauchendes Holz durch den Haupteingang hineinkommen konnte. Er hustete und bedeckte seinen Mund mit einer Hand, während die Welt um ihn herum verschwamm. Vor ihm brannte noch immer das Feuer. Er konnte es sehen, wie es Leinwand und Holz in breiten Linien auffraß und schwarzen Rauch ausstieß, der sich wie Öl auf Wasser bewegte. Alle Masken wurden in den Seitenflügeln der Bühne aufbewahrt. Die Bühne! Er sah dort Flammen lecken und trat auf sie, wobei er zur Akropolis über sich hinaufsah. Der Fels würde überleben, aber er konnte nicht zulassen, dass das Feuer die Sitzbänke erreichte.
Als er zurückblickte, füllten Flammen den Eingang und schnitten ihn ab. Er konnte sich auf die Bühne selbst zurückziehen, sogar zu den Sitzreihen, wenn er es musste. Das Feuer breitete sich aus, und er hatte sich von den anderen abgeschnitten, weil er zu früh hineingerannt war. Wo blieb das Wasser?
Er hörte jemanden einen Schmerzensschrei ausstoßen und fuhr herum. Die Flammen spendeten Licht, sodass er einige Bereiche der Seitenflügel sehen konnte, während andere im Dunkeln blieben. Er erkannte die Gestalt von Phrynichos an seinem Umfang, als der Mann um sich schlug und schrie. Feuer leckte an ihm empor, und der Saum seines Gewands stand bereits in Flammen.
Ohne nachzudenken, stürzte Perikles heran und schlug auf Phrynichos’ Kleider ein, während der Mann jammerte und versuchte, ihn abzuwehren. Der Stückeschreiber landete ein paar Hiebe, aber er war sechzig und sanft im Vergleich zu demjenigen, der auf ihn einklopfte. Als Phrynichos endlich begriff, dass Perikles ihm zu helfen versuchte, war er zu erschöpft, um zu sprechen, und ließ Perikles einen Teil seines Gewichts tragen, während er über verkohlte Balken auf die Straße hinausstieg.
»Hast du das Feuer gelegt?«, fragte Perikles den Mann, den er stützte.
Geschockt blickte Phrynichos ihn an. Er keuchte und war rußverschmiert, das kläglichste Wesen, das er je gesehen hatte.
»Nein! Ich liebe … nein. Warum sollte ich das …«, schnaufte er.
Perikles, der ihm glaubte, nickte. Er hatte einen Verdacht, wie das Feuer begonnen hatte. In Attikos war genug Bosheit gewesen, um sie alle zu verbrennen.
Als er so dastand, sah er, dass die Menschenkette zum Fluss endlich im Gang war. Es hatte eine ganze Ewigkeit gedauert, die ersten Ledereimer zurückzuschaffen, aber als sie kamen, konnten diejenigen ganz vorne sie über dem Feuer ausgießen und die leeren Eimer in ihren anderen Händen zurückreichen. Perikles stand da und sah mit an, wie sie den Eingang wässerten und einen Schlamm aus Asche und Sand erzeugten, der nicht noch einmal Feuer fangen würde. Die Reihe bewegte sich weiter in das Theater hinein, und die Leute schütteten Wasser auf die Flammen, als sie sich auszubreiten drohten. Es war eine mühselige Arbeit, aber wenn jemand ins Wanken geriet, nahm ein anderer in der Menschenmenge dessen Platz ein. Es hatte keinen Einfluss auf die Schnelligkeit, mit der die Eimer vom Fluss heraufschwappten. Diese wurden niemals langsamer, und es begann etwas zu bewirken.
Perikles sah, wie Zenon und Anaxagoras Plätze in der Menschenkette einnahmen. Er ging hinter ihnen dazu und löste eine Frau in einem Nachtgewand ab. Sie küsste seine Hand, und dann schleppte er bereits volle Eimer nach vorn, wieder und wieder, überrascht über ihr Gewicht. Jedes Haus in der Stadt hatte ein oder zwei der tiefen Dinger. Einige hatten Sprünge und waren leichter, während andere vor Wachs oder Öl glänzten und gute Riemengriffe besaßen. Für eine Weile hörte er auf nachzudenken und reichte sie einfach weiter und weiter.
Die Seitenflügel waren zerstört, das war klar. Das Wasser ließ die anderen Asche und Sand weiter hineinbringen, sodass sie beides über die Bühne verteilten. Die würde zumindest gerettet werden – und die Sitzreihen auf der anderen Seite. Perikles dankte jedem Gott, der ihm einfiel, dafür.
»Epikleos!«, rief er.
Er konnte seinen Platz in der Kette nicht verlassen, nicht jetzt. Doch Epikleos hörte ihn. Er tauchte auf, sein Haar stand ihm rußig zu Berge, und auch sein Gesicht war rußverschmiert. Er grinste, was seine weißen Zähne sehen ließ. »Willst du, dass ich übernehme?«, fragte er.
Perikles schüttelte den Kopf. Er beugte sich vor und blickte über den Freund seines Vaters hinweg zu der Gestalt von Phrynichos. »Die Gewänder für den Chor können wir ersetzen. Das Problem werden die Masken sein. Kannst du ins Kerameikos-Viertel laufen und eine Bestellung aufgeben? Nimm Aischylos mit. Er weiß, was wir brauchen. Wenn sie in drei Tagen hundert Masken herstellen können, zahlen wir ihnen einen Bonus, was auch immer sie verlangen.«
Er dachte an die wenigen Münzen, die er in der Geldtruhe auf dem Anwesen hatte. Es gab keine Alternative.
»Schick auch einen Boten zu einem Geldverleiher. Bei Sonnenaufgang. Verschaff mir ein Treffen, und ich werde da sein.«
»Die verlangen zu hohe Zinsen«, sagte Epikleos. »Ich habe Ersparnisse. Achtzig in Silber. Es ist nicht viel, aber es gehört dir.«
»Wir werden viel mehr als das brauchen«, sagte Perikles leise.
»Dann wird die Volksversammlung dafür stimmen müssen, für den Wiederaufbau aufzukommen!«
»Das wird sie bestimmt. Epikleos? Vereinbare das Treffen!«
Epikleos nickte und wandte sich ab. Als er verschwunden war, merkte Perikles, dass er nicht gut atmen konnte. Seine Kehle hatte sich zusammengezogen, und er war sich nicht sicher, ob es die starke Gefühlsregung oder der Rauch war oder eine Mischung aus beidem. Es kratzte ihn bei jedem Atemzug, aber er schleppte trotzdem weiter Eimer und bewegte das Flusswasser voran. Die Flammen waren beinahe erloschen, und als der Morgen dämmerte, fühlte er die leichte Berührung von Regen auf seinem Gesicht.
Die Menge blickte auf, als es zu regnen begann, und viele jubelten. Über ihnen wurde der Regen stärker, sodass die Straßen glänzten. Er wusch den schwarzen Schlamm fort in die zentralen Abflussgräben. Die Eimerkette wusste nicht, wie sie anhalten sollte, also machten sie weiter, obwohl das verkohlte Holz völlig durchweicht war. Sie waren seit Stunden dabei, und die Ergebnisse zeigten sich in ihrer Erschöpfung und ihren Umarmungen. Schließlich drehten Familien die Eimer, die sie hielten, einfach um und gingen nach Hause. Die Straße leerte sich, und die Sonne ging auf. Der Regen fiel als leichtes Nieseln. Obwohl Perikles zitterte und sich klamm anfühlte, war es die Antwort auf die Gebete, und er wandte ihm sein Gesicht zu.
Er konnte durch die Seitenflügel des Theaters auf die Bühne und die Sitzreihen dahinter blicken. Wenn sie aus Stein gewesen wären, hätte kein Feuer sie bedrohen können. Vielleicht würden sie das eines Tages sein. In der Zwischenzeit hatte er drei Tage und kein Geld, aber er würde alles wiederaufbauen müssen.
Aischylos war mit Epikleos gegangen. Perikles wanderte zu Phrynichos hinüber. Der große Mann wies immer noch braune verkohlte Flecken auf seinem Gewand auf, wo der Stoff von ihm abfiel wie Papier. Er blinzelte und versuchte den Schaden abzuschätzen, den seine Haut genommen hatte, als er Perikles sah.
»Wir brauchen Schreiner und Tücher«, sagte Perikles. »Nicht um neue Seitenflügel herzustellen, nur um das vor den Zuschauern zu verbergen, was drinnen vor sich geht. Wir können Tücher an einfache Rahmen nageln und damit auskommen.«
»Die Bühnenbilder sind alle zerstört«, sagte Phrynichos. »Jedes gemalte Stück. Jedes einzelne …« Er rieb sich die Augen und den Nasenrücken. Plötzlich sah er wie ein erschöpfter alter Mann aus. »Ich habe meine Masken, und meine Leute kennen ihre Texte. Alle meine Kopien sind fort, doch sie haben sie immer noch hier oben.« Er tippte sich gegen die Stirn. »Aber wie soll ich ohne meine Bühnenbilder ein Flussufer zeigen? Oder das Labyrinth von Kreta?«
»Wir haben drei Tage …«, sagte Perikles. In Athen gab es nur ein paar Meistermaler für Bühnenkulissen. Phrynichos schien den gleichen Gedanken zu haben, und er begann sich zu entfernen. »Ja, ich sehe, was ich tun kann …« Er fuhr ein wenig zu schnell herum und eilte davon.
Perikles begann zu lachen, dann runzelte er die Stirn. Er fragte sich, ob seine Töpfer eine Kulisse genauso schnell wie eine Vase bemalen konnten. Er dachte, dass ihnen das möglich war. Die Sonne erhob sich, und er war verdreckt von Ruß und hatte an allen möglichen Stellen Brandwunden. Blasen schwollen in dicken gelben Linien auf seinen Händen an, obwohl er vorher die Berührung der Flammen gar nicht verspürt hatte. Er war erschöpft, und ihm war schlecht, aber irgendwie fühlte er sich wie neu erschaffen.