März 1962, Sylt

Linda König drehte sich vor dem Spiegel und ließ den Rock ihres Kleides wirbeln. Ein wunderbares Kleid. Genau richtig für eine Verlobung. Ein erdbeerfarbener Rock aus feinstem Chiffon, der sich in zwanzig Stufen bauschte, mit einer trägerlosen Korsage in der gleichen Farbe, aus glänzendem Satin. Die weiße Nerzstola, die ihr Vater ihr geschenkt hatte, und die mehrreihige Perlenkette ihrer Mutter zeigten, dass Linda zu der selbstbewussten Generation gehörte, die sich im neuen Wohlstand eingerichtet hatte. Wer sie sah, würde nichts anderes denken, würde den Nerz niemals für Webpelz und die Kette nicht für Wachsperlen halten. Alles an Linda war echt. Auch das Blond ihrer Haare, die von ihrer Friseurin toupiert und aufgetürmt worden waren nach dem Vorbild von Farah Diba, der iranischen Königin, die im Oktober zur Kaiserin gekrönt werden würde. Von ihr hingen in jedem Frisiersalon Fotos, weil es kaum eine Frau gab, die nicht versuchte, die Haare so zu tragen wie sie.

Es klopfte, und ihr Vater trat ein. Lächelnd und voller Stolz betrachtete er seine Tochter. »Bist du glücklich, meine Kleine?«

»O ja, Papa! Natürlich!«

Ein weiteres Mal drehte sie sich vor dem Spiegel, diesmal, um ihrem Vater zu zeigen, wie glücklich sie ein Kleid wie dieses machte.

Robert König schien mit einem Mal skeptisch zu sein. »Liebst du Arne wirklich?«

Linda hörte auf, sich zu drehen. »Er sieht gut aus, wir passen wunderbar zusammen. Wir sind ein tolles Paar.«

»Daran habe ich keinen Zweifel, aber du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Natürlich liebe ich ihn, Papa.« Sie kam zu ihm und griff nach dem Revers seines Anzugs. »Aber du tust mir den Gefallen und ziehst zur Verlobungsfeier einen neuen Anzug an? Am besten einen Smoking.«

»Natürlich, mein Schatz.«

*

Knut Augustin trat hinter seinen Sohn, der sich abmühte, eine Fliege zu binden. »Das lass besser jemanden machen, der was davon versteht.«

Arne ließ die Hände sinken. »Du hast recht, ich kriege das nicht hin.«

»Ich lasse dem Herrenausstatter Bescheid geben.«

»Danke.«

Knut klopfte ihm unbeholfen die Schultern. »Geht’s dir gesundheitlich gut?«

»Es könnte nicht besser sein.«

»Und … sonst?«

»Was meinst du?«

»Bist du glücklich mit deiner Entscheidung?«

»Natürlich. Wir passen gut zusammen. Habt ihr euch das nicht immer gewünscht, Onkel Robert und du?«

Knut wandte sich ab, als wollte er sein Gesicht nicht sehen lassen. »Das war doch nie ernst gemeint.«

Arne stand auf und ging zu ihm. »Das sagst du mir jetzt? Nachdem ich Linda einen Heiratsantrag gemacht habe?«

Knut sah ihn erschrocken an. »Du hast deswegen …?«

Arne unterbrach ihn lachend. »War nur Spaß.«

Knut lachte erleichtert mit, verließ das Hotelzimmer und ging die Treppe hinab ins Café. Es war nicht geöffnet an diesem Tag, ein Schild mit »Geschlossene Gesellschaft« hing an der Tür. Er blieb kurz stehen und ließ seinen Blick über die Einrichtung wandern. Alles war so geworden, wie er es sich gewünscht hatte. Zum Glück hatte Robert sich herausgehalten, der zu aufwendigem Interieur neigte. Arne hatte nur die Schultern gezuckt und Linda viele Kataloge durchgeblättert und dann beschlossen, dass Onkel Knut so was am besten konnte. So war eine Mischung aus Eleganz und Bodenständigkeit entstanden, in dem die Schönen und Reichen auf Sylt sich wohlfühlten und die Mittelschicht, die allmählich zu Geld kam, ebenfalls. Weiße Schleiflackmöbel, rote Polster und viele Pflanzen, natürlich keine künstlichen, wie sie immer noch in vielen Cafés und Restaurants zu sehen waren.

Die Kellner und Kellnerinnen waren dabei, den Raum umzumöblieren und ihn für die Verlobungsfeier zu schmücken. Sie sahen ihm ängstlich hinterher, als er an ihnen vorbei zum hinteren Ausgang schritt, den er sonst nie benutzte. Dort schreckte er zwei Kellner auf, die eine Zigarettenpause einlegten und nun aufsprangen und eine Erklärung hervorhaspelten, auf die Knut Augustin nicht hörte. Er ging zu dem Tor, das jetzt weit offen stand, weil mehrere Lieferanten erwartet wurden. Dort verließ er das Grundstück über den breiten Weg, der an dem Eckhaus vorbei zur Straße führte. Die Besitzer dieses Hauses hatten ihn zur Verfügung gestellt, da Knut Augustin ihnen das Wegerecht gut bezahlt hatte. Viel zu gut. Aber Knut Augustin hatte sich bewusst entgegenkommend gezeigt, damit er später, wenn das Eckhaus zum Kauf angeboten wurde, als Erster ein Angebot machen konnte. »In Kleinigkeiten großzügig, in den großen Geschäften knallhart!« Das war sein Grundsatz. Er hatte längst gemerkt, dass die Pension im Nebenhaus nur wenige Gäste hatte. Das König Augustin grub ihnen das Wasser ab. Es war eine Frage der Zeit, und das Eckhaus, auf das Knut von Anfang an ein Auge geworfen hatte, würde ihm wie eine reife Frucht in den Schoß fallen.

Er nahm den Strandübergang und trat auf die Strandpromenade, auf der zurzeit nichts los war. Zwar gab es Syltbesucher zu jeder Jahreszeit, aber sie flanierten nur in den Mittagsstunden. Wenn die Sonne sich nicht blicken ließ, nicht einmal dann. Der Strand war leer, auf der Promenade gab es nur wenige, die Spaß daran hatten, sich ordentlich durchpusten zu lassen.

Knut Augustin blieb stehen und sah zum Horizont. Einer seiner größten Wünsche wurde heute Abend erfüllt, dennoch fühlte er sich nicht wohl. Lange hatte er nicht an die Hefliks gedacht. Dass ihm nun die Erinnerung an sie kam, machte ihn noch unzufriedener.

Robert trat hinter ihn. Knut hatte nicht gemerkt, dass sein Freund ihm gefolgt war. Schweigend standen die beiden eine Weile da, ließen zu, dass der Wind sie rüttelte, zogen die Köpfe ein und schlugen die Arme um den Oberkörper.

»Der Wind ist schon nicht mehr so kalt«, sagte Knut.

»Stimmt, der Frühling kommt«, antwortete Robert.

Knut zögerte, ehe er fragte: »Glaubst du, dass die beiden glücklich miteinander werden?«

»Du etwa nicht?«

»Denk mal an deine eigene Verlobung! Wie verliebt du warst!«

Robert zögerte, ehe er antwortete: »Und du konntest den Blick nicht von Isa lassen.«

»Das ist bei Linda und Arne anders.«

»Vielleicht … ist das heutzutage so bei den modernen jungen Leuten.«

»Es mag auch daran liegen, dass sie sich schon so lange kennen. Von klein auf.« Knut griff nach Roberts Arm und zog ihn mit sich. »Es ist zu kalt. Wir müssen zurück. Sonst liegen wir nach der Verlobungsfeier mit einer Grippe im Bett.«

Robert folgte ihm, sichtbar bemüht, das Gesprächsthema zu wechseln. »Wird die Cousine deiner Frau auch kommen?«

Knut nickte. »Ich konnte sie nicht übergehen.«

Robert zuckte mit den Schultern. »Warum auch?«

Dass Ava nicht zu der übrigen Gesellschaft passte, schien für ihn keine Rolle zu spielen. Sie würde ein uraltes, schäbiges Kleid und ausgetretene Schuhe tragen, würde sich aber herausfordernd umblicken und dafür sorgen, dass niemand es wagte, sie geringschätzig anzusehen. Knut seufzte unhörbar. Wenn sie wenigstens bescheiden auftreten würde!

Er hatte ihr die Einladung zur Verlobung persönlich überbracht und gehofft, dass sie sie ablehnen würde. Aber er hatte sich getäuscht. Sie nahm sie an, nicht freudig, sondern eher gleichgültig. Eine Haltung, die mittlerweile zu ihr gehörte. So, als stünde sie dem Leben gleichgültig gegenüber. Sie hatte ihm einen Tee angeboten, er hatte ihn angenommen und sich heimlich im Wohnzimmer umgesehen, als sie in der Küche war. Du lieber Himmel! Das Geld, das er ihr gegeben hatte, brauchte sie wirklich dringend. Er nahm sich vor, ihr gelegentlich etwas zuzustecken, wusste aber nicht, ob sie es nehmen würde. Sie ließ sich nicht gern etwas schenken. Das, was sie von ihm bekommen hatte, hatte sie sich verdient.

Damals, als er sein Problem gelöst nannte, hatte er einen Besuch bei ihr gemacht, um ganz sicherzugehen, dass die Zukunft keine bösen Überraschungen mehr bereithielt. »Hat sich das Mädchen bei dir gemeldet?«, hatte er gefragt, als Ava mit der Teekanne ins Wohnzimmer kam.

Sie hatte genickt, so gleichgültig wie zu allem anderen. »Sie hat angerufen. Aber ich habe ihr gesagt, was du mir aufgetragen hast.«

»Gut.« Er hatte nach seiner Brieftasche gegriffen und ihr ein paar Scheine auf den Tisch gelegt. »Damit du deine Meinung nicht änderst.«

»Und das Telefon?«

»Das bleibt. Es könnte ja sein, dass ich dich mal schnell erreichen will.«

Danach hatte er nie wieder mit ihr darüber gesprochen. Die Sache war erledigt. So wenig er von Ava Düseler wusste, er war doch sicher, dass er sich in diesem Fall auf sie verlassen konnte.

*

Knut und Robert froren nun sehr. Mit schnellen Schritten kehrten sie zurück, diesmal benutzten sie den Haupteingang. Die Tür wurde ihnen geöffnet, als sie lange genug energisch geklopft hatten. Beide schüttelten sich, als sie eingetreten waren, als könnten sie die Kälte auf diese Weise loswerden. Dann einigten sie sich mit einem kurzen Blick darauf, dass nur ein guter Rum sie vor einer Erkältung schützen konnte. Der Barkeeper wurde geholt, der ausnahmsweise die Arbeit des Staubsaugens zugeteilt bekommen hatte, und bot ihnen an, was er selbst für das Beste hielt. Knut und Robert prosteten sich zu. »Auf das Glück unserer Kinder! Auf den Erfolg von König Augustin