Oktober 1959, Hamburg
Das Café Linda war gut gefüllt, wie immer am Sonntag. Verliebte junge Paare saßen an kleinen Tischen im Hintergrund, alte Paare in der Nähe der Fenster, wo sie hinaussehen konnten, wo es nicht auffiel, dass sie sich nichts mehr zu sagen hatten. An großen Tischen lärmten Familien mit heranwachsenden und kleinen Kindern, krümelten die Tischdecke voll und schimpften mit den Großen, wenn die Kleinen die Decke beinahe heruntergerissen hätten.
Knut Augustin steuerte auf den kleinen Tisch in der Nähe der Tür zu, die in die Küche führte. Nicht der beste Platz, deswegen wurde er selten beansprucht, aber für die beiden Freunde genau richtig. Hier waren sie ungestört.
Robert König sah seinem Freund besorgt entgegen. »Was ist los, Knut? Sonntags treffen wir uns sonst nie.«
»Ich muss mit dir reden.« Knut Augustin ließ sich prustend nieder und wischte sich den Schweiß von der Stirn, obwohl es draußen nicht warm war.
Robert König war nun wirklich beunruhigt. »Ist was passiert?« Er beugte sich vor, ließ das abgewetzte Revers seines curryfarbenen Cordanzugs sehen, das im merkwürdigen Kontrast zu dem perfekt gestärkten weißen Kragen seines Hemdes stand. Auf teure Hemden legte er allergrößten Wert, während er sich in seinen Jacken und Anzügen erst wohlfühlte, wenn er sie jahrelang getragen hatte. Er winkte nach dem Ober, bestellte für seinen Freund einen Milchkaffee und ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte und sah zu, wie Knut das Jackett aufknöpfte, die Weste zurechtstrich und die Uhrkette in die richtige Position brachte. Alles untrügliche Zeichen dafür, dass er äußerst erregt war. »Es geht um Arne.«
Robert lächelte erleichtert. »Um das große Fest zur Volljährigkeit?«
»Nein!« Diese Silbe schoss Knut Augustin auf seinen Freund ab. »Ich weiß nicht einmal, ob ich das Fest besser absagen sollte.«
Robert König sah ihn entgeistert an. »Alle Einladungskarten sind raus.«
Knut Augustin seufzte. »Und das Essen ist bestellt.« Er beugte sich über den Tisch und flüsterte: »Ich werde Großvater.«
Robert König hätte beinahe gratuliert. Aber ihm wurde rechtzeitig klar, dass diese Mitteilung kein Grund zur Heiterkeit war. »Wer ist die Mutter?«
»Irgendeine Siebzehnjährige, die gemerkt hat, dass Arne aus reicher Familie stammt. Er will sie heiraten, stell dir das vor.«
Robert König stellte es sich vor und schüttelte entsetzt den Kopf. »Ist der Junge verrückt geworden? So was regelt man doch anders.«
»Das habe ich ihm auch erklärt, aber er redet von Liebe, dieser Idiot! Angeblich weiß das Mädchen nichts von seiner Herkunft. Er glaubt, dass er aufrichtig geliebt wird.«
Robert König lachte. »Ja, ja …« Er zog exakt die Miene, die sein Freund erwartete. Und er schrak zusammen, als sich plötzlich zwei zarte Hände auf seine Augen legten und eine Stimme zwitscherte: »Wer bin ich?«
»Lass den Unsinn, Linda!«
Seine Tochter setzte sich zu ihnen, winkte zwei jungen Männern zu, die auf sie warteten, griff nach dem Oberarm ihres Vaters und schmiegte sich daran. »Ich brauche Geld, Papa. Wir wollen ins Ohnsorg-Theater und danach essen gehen. Wenn du nicht willst, dass ich den Schmuck meiner Mutter verkaufe, musst du mich unbedingt unterstützen.«
Robert König seufzte, zog aber bereitwillig seine Geldbörse hervor und zählte ein paar Scheine ab.
Währenddessen wandte sich Linda an Knut Augustin: »Hast du ein neues Auto, Onkel Knut? Ich habe Arne gerade in einem knallroten Roadster gesehen. In einem Affenzahn!«
Knut Augustin schwankte zwischen Stolz und Sorge. »Ja, brandneu. Aber Arne hätte mich wirklich fragen können …«
Linda nahm die Geldscheine so unauffällig in Empfang, wie sie ihr von ihrem Vater hingeschoben wurden. Er erhielt dafür einen dicken Kuss, Onkel Knut ebenfalls, und schon war sie wie ein Wirbelwind wieder verschwunden.
Knut Augustin sah ihr stirnrunzelnd hinterher. »Dass Arne sich einfach den neuen Wagen genommen hat, gefällt mir gar nicht. Er kommt offenbar nicht darauf, dass es sich um sein Geburtstagsgeschenk handelt.«
Sein Freund winkte ab. »Lass gut sein, Knut. Das ist jetzt das geringste Problem. Wir sollten lieber überlegen, wie du mit der anderen Angelegenheit klarkommst. Und mit den Eltern, falls die dahinterstecken. Geld ist das Einzige, was in diesem Fall zählt, das ist klar. Aber wie viel? Und was willst du dafür verlangen?« Er grinste leicht. »Du hast doch Erfahrung auf diesem Gebiet.« Schnell wurde er wieder ernst. »Fahr zu ihnen, so schnell wie möglich. Mit dem alten Mercedes. Protzerei ist in so einem Fall nicht gut. Der alte Mercedes wird für diese Leute schon beeindruckend genug sein. Kennst du den Namen?«
»Nein, aber den Namen des Dorfes. Der Vater hat eine Schreinerei, und seine Tochter heißt Brit. Wenn das nicht alles gelogen ist, finde ich die Familie.«
Die beiden Freunde steckten die Köpfe zusammen, überlegten hin und her, dann lehnten sie sich schließlich zurück, verschränkten die Arme über der Brust und lächelten sich an wie zwei, die soeben gemeinsam einen Plan ausgeheckt hatten.
Robert König hatte noch Zweifel. »Was, wenn Arne nicht mitspielt? Oder … wirklich Liebe im Spiel ist?«
»Glaubst du das?«
Nein, Robert König glaubte es natürlich nicht. »Fahr sofort los. Du solltest keine Minute vergeuden.«