SALUTONGENESE

Am Arbeitsplatz begegnet uns das Problem der Demotivation, die gesundheitliche Einschränkungen nach sich ziehen kann, vor allem durch das Gefühl, kaum mehr Spielraum für die eigenständige Gestaltung der Arbeit zu finden. Zu häufig wird man unterbrochen, abgelenkt oder „in Meetings gesetzt“. Zu häufig werden vorgegebene Ziele verändert, Projekte gestoppt, Führungskräfte ausgewechselt und wird gleichzeitig nur mangelhaft und nicht nachvollziehbar erklärt, warum das alles passiert. Dazu drängt sich in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem auf: Widerstrebt uns eine bestimmte Arbeit, weil sie nicht unseren inneren Überzeugungen entspricht, oder ist überhaupt der Sinn der Arbeit unklar, so kann unsere Anstrengung nicht als lohnend wahrgenommen werden. Innere Gegenwehr und ein deutlich erhöhtes Belastungsempfinden sind die Folge. Begeisterung, Leistungsbereitschaft und aktives Mitdenken bei der täglichen Arbeit werden so kaum entstehen können. Hier gibt es einen Zusammenhang zu gesundheitlichen Problemen bis hin zu Überlastungserkrankungen wie dem Burnout-Syndrom.

Anders als die Pathogenese (die Wissenschaft zur Entstehung von Krankheiten) beschäftigt sich das aus dem letzten Jahrhundert stammende und gerade wieder sehr moderne Erklärungsmodell der Salutogenese mit der Frage nach Entstehung und Aufrechterhaltung von Gesundheit. Nach diesem Modell ist Gesundheit kein Zustand, sondern ein lebenslanger Prozess, der ständigen Schwankungen unterliegt und bei dem Belastungen durch den Aufbau innerer Widerstandsressourcen gegengesteuert wird. Durch ausreichende Widerstandsressourcen entsteht ein Gefühl der Bewältigbarkeit und des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten und in das soziale Umfeld: das Kohärenzgefühl.

Nach dieser Theorie verfügen wir über eine Art „siebenten Sinn“, der permanent die Sinnhaftigkeit und die Bedeutung unserer Handlungen und Herausforderungen misst und bewertet. Ähnlich unserer primären Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, Gleichgewicht) gibt dieses Sensorium unmittelbar Rückmeldung darüber, ob das Sicherheits- und Bindungsbedürfnis der Spitzmaus nach Nähe und sozialer Akzeptanz in der Gruppe, nach Harmonie und Zugehörigkeit gerade befriedigt wird oder nicht. Das Kohärenzgefühl, das bei Befriedigung entsteht, gibt uns also den Glauben an Sinnhaftigkeit.

Der Sinn für Kohärenz ist demnach angeboren und das Kohärenzgefühl eine Konsequenz der Wahrnehmungen aller Herausforderungen und zwischenmenschlichen Beziehungen.

Drei Bedingungen müssen nach diesem Modell erfüllt sein, damit wir dieses Gefühl der Sinnhaftigkeit erleben können: Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Mitgestaltungsmöglichkeit.

  1. Verstehbarkeit: Die Bedeutung äußerer und innerer Anforderungen muss rational nachvollziehbar und damit vorhersehbar und berechenbar sein.
  2. Bewältigbarkeit: Es müssen die Ressourcen zur Verfügung stehen, die uns helfen, den Anforderungen zu begegnen. Anforderungen müssen als Herausforderungen erlebt werden können, damit die Energieinvestition als lohnend interpretiert wird.
  3. Mitgestaltungsmöglichkeit: In unserer Arbeitswelt sollten Möglichkeiten zur Mitgestaltung gegeben sein, um in uns nicht das Gefühl der Fremdbestimmung aufkommen zu lassen. Die Fähigkeit der Führungskraft spielt dabei eine wichtige Rolle, damit das Gefühl entstehen kann, im gewissen Rahmen eigenbestimmt handeln zu können.

Der Glaube an den Sinn ist letztlich das Resultat aus Versteh- und Bewältigbarkeit und der Möglichkeit, selbst mitzugestalten. Das mehrfach geschilderte Motivationssystem der Spitzmaus wird immer dann aktiviert, wenn wir das Kohärenzgefühl erleben. Es fungiert als „Zuwendungssystem“. Als ebenso lebensnotwendigen Gegenpol gibt es das „Abwendungssystem“ unseres Froschgehirns. Es steuert unser Verhalten, wenn es darum geht, Gefahren, wie die Bedrohung durch einen Rivalen, zu bekämpfen. Das Abwendungssystem ist direkt mit dem Angstzentrum im Gehirn gekoppelt und aktiviert unsere Leistungsreserven für den Ernstfall.

Psychische und physische Gesundheit werden durch ein gutes Zusammenspiel dieser beiden Systeme aufrechterhalten.