DELEGIEREN

Delegieren bedeutet im Grunde genommen, einen Mitarbeiter zu beauftragen, etwas zu tun, das ursprünglich nicht seine eigene Idee war. Er sollte dabei am besten auch noch die Verantwortung für das Ergebnis mit übernehmen und den Weg zum Erreichen des Ziels selbst wählen. Jede Führungskraft weiß: Nicht immer legen Mitarbeiter in so einer Situation begeistert los, denken wirklich mit und übernehmen auch selbst Mitverantwortung für ihr Handeln.

Diese menschlichen Schnittstellen im Arbeitsprozess sind mir daher noch eine detailliertere Betrachtung wert: Die Frage ist, unter welchen Umständen sind wir bereit, ein Fremdziel zu einem Eigenziel zu machen? Zur Sinnstiftung erklären Führungskräfte gerne, was zu tun ist und wie das zu bewerkstelligen wäre. Der Erklärungsversuch, warum wir etwas machen sollten, ist dabei meist der Stolperstein bei der Übersetzung zum Mitarbeiter. Dazu eine Beobachtung: Aus Angst vor Bindungsverlust neigen manche Führungskräfte dazu, sich stark mit den eigenen Mitarbeitern zu solidarisieren, und verwenden bei der Übergabe von vermeintlich unangenehmen Aufgaben Formulierungen wie „Wir müssen das erledigen, weil mein direkter Chef/​der Geschäftsführer/​der Vorstand … es so will. Ich sehe es anders/​bin sogar dagegen/​finde es unnötig/​würde selbst anders entscheiden …“. Das Alphatier der Gruppe signalisiert dadurch, dass es die unangenehme Aufgabe selbst gar nicht umsetzen will, und trägt so wesentlich dazu bei, ein Feindbild innerhalb der Organisation, aber außerhalb der eigenen „Herde“ zu finden: Dadurch wird die kollektiv gefühlte Opferrolle bestätigt.

Unter welchen Umständen glauben Sie, eher bereit zu sein, das Ziel eines anderen annehmen und zu einem persönlichen Ziel machen zu können? Ich meine: Nur dann, wenn wir jemanden vor uns haben, der in dem Augenblick der Formulierung seines Anliegens bereits selbst von der Sinnhaftigkeit der bevorstehenden Anstrengung überzeugt ist. Mitarbeiter wollen von ihrem Chef wissen, warum er überzeugt ist, dass ein bestimmter Auftrag im gesamtunternehmerischen Interesse ist. Es geht nur sekundär um das rational erklärte Warum. Denn auch hier gilt: Menschen arbeiten schließlich für Menschen und nicht für Funktionen!

Ich meine aber auch, dass es eine elementare Führungsaufgabe ist, sich mit Unternehmensentscheidungen und -strategien identifizieren zu wollen. Gelingt das nicht, bleibt nur mehr die Trennung der Rolle von der eigenen Person: Am Ende des Tages muss man Vorgaben eben auch einhalten. Ich möchte aber betonen, dass damit Vorgaben im Rahmen ethischer Normen gemeint sind. Es gibt selbstverständlich Grenzen 

ZUSAMMENFASSUNG

Durch unsere biologische Herkunft als Herdentiere sind wir von der Sicherheit und Klarheit eines Anführers abhängig. Wir ordnen uns gerne unter, zeigen dabei allerdings nach wie vor unsere uralten egoistischen Verhaltensprogramme, die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit fordern. Es ist der ständige Wettstreit der beiden gegenläufigen Motive Konkurrenz und Kooperation, der uns biologisch erfolgreich gemacht hat. Diese Dynamik der beiden gilt es zu beachten: Gibt es kein klares Ziel- oder Feindbild außerhalb einer sozialen Gruppe, entsteht zwangsläufig ein solches innerhalb des eigenen Systems.

Eine von allen akzeptierte, präsente und starke Führungspersönlichkeit stabilisiert dabei die eigene Herde und verhindert Rangkämpfe innerhalb der Gruppe. Gerade in jenen Phasen, in denen es kein klares gemeinsames Ziel zu geben scheint, entscheidet das Alphatier über weitere Kooperation oder aufkommende Konkurrenz. Die Erlangung der Akzeptanz ist dabei ein Prozess, bei dem die verliehenen Privilegien ständig neu erarbeitet werden müssen. Empathie, ein starkes Schutzsignal für die Gruppe und sichtbare Anstrengung für die gemeinsamen Ziele sind neben den individuellen Fähigkeiten eine Voraussetzung für nachhaltige Akzeptanz.

Akzeptierte Führerschaft setzt aber generell das Interesse an anderen Menschen voraus. Sich als Führungskraft jeden Tag darum zu bemühen, dass einen die Menschen bewundern, ist der falsche Zugang. Wenn ein Chef in den kritischen Phasen kneift und gleichzeitig Druck auf die Mitarbeiter ausübt, so ist das oft ein Indiz für einen nicht durchgeführten Paradigmenwechsel: Es geht dabei nämlich nicht um ihn als Führungskraft, sondern um die Entwicklung und Befähigung seines Teams. Aus der wichtigen Beeinflussung anderer wird so Manipulation: Der Drang nach dem eigenen Vorteil dominiert über die Freude, andere zu unterstützen. Schnell wird so ein Ausnutzer enttarnt – und Neid und kollektive Missgunst folgen. Die Fähigkeit einer Führungskraft, eine Pufferrolle einzunehmen und Druck nicht ungefiltert weiterzugeben, ist ebenso erfolgsentscheidend wie die Bereitschaft, sich mit den vorgegebenen Zielen identifizieren zu wollen. Nur so kann nachhaltig die Lust an der eigenen Leistung erhalten werden.