Viele der in diesem Buch geschilderten Erkenntnisse und Theorien über unser Gehirn und unser Verhalten sind nicht neu und dem einschlägig interessierten Leser vielleicht bereits bekannt. Und so manche Beobachtung aus dem Privat- und Berufsleben mag trivial scheinen. Dennoch fand ich den Versuch lohnenswert, diese theoretischen Erkenntnisse und die Beobachtungen in der täglichen Praxis in einen logischen Zusammenhang zu stellen. Nicht die „Verkomplizierung“ der ohnehin sehr komplex erscheinenden Welt, sondern das Aufdecken wichtiger biologischer „Fallen“ im täglichen Leben war mein Ziel. Teilweise habe ich dabei den Boden der klassischen Wissenschaftspublikationen bewusst verlassen, um in einer allgemein verständlichen Sprache bildhaft zu verdeutlichen, wovon ich fest überzeugt bin: Wir sind zwar das Produkt der Lebensweise unserer Vorfahren, aber definitiv nicht Opfer unserer Erbanlagen, unserer Erziehung und sozialen Prägung. Wir haben einen freien Willen und können diesen bewusst einsetzen, um unser Leben und das unserer Mitmenschen zu beeinflussen.
Wir sind für die Anpassung an neue Lebensbedingungen bestens vorbereitet. Sich permanent verändernde Rahmenbedingungen sind Wegbegleiter der Evolution. Die Struktur unseres Gehirns und auch die Struktur unseres Körpers passen sich mit unglaublicher Schnelligkeit und Effizienz an neue Herausforderungen an. Wie ich gezeigt habe, können Anpassungsprozesse sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf Wohlbefinden und Gesundheit haben, und zwar kurzfristig Vorteile, langfristig aber auch gravierende Nachteile für unsere körperliche und seelische Verfassung nach sich ziehen. Diese Anpassung unserer Wahrnehmung an die täglichen Herausforderungen sehen und spüren wir selbst kaum. Unser Gehirn müsste seine eigene Veränderung erkennen können und gerade diese Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung scheint kein evolutiver Vorteil gewesen zu sein. Wir sind nämlich auf Fremdwahrnehmung optimiert. Das führt dazu, dass wir Veränderungen der eigenen Wahrnehmung und des eigenen Verhaltens lange oder überhaupt nicht bemerken.
Das direkte private oder berufliche Umfeld könnte unsere Verhaltensveränderungen sehr wohl registrieren, neigt aber in unserem Kulturkreis eher zum Weg- als zum Hinsehen. Wir möchten dem Betroffenen schließlich nicht zu nahe treten mit Kommentaren wie „Du siehst ja völlig fix und fertig aus!“. (Vielleicht liegt die Zurückhaltung aber auch nur daran, dass wir uns vor der Antwort „Du aber auch!“ fürchten. Gerade wenn es stimmt, wollen wir so etwas lieber nicht zu hören bekommen). Und noch immer ist die Scheu groß, über psychische Veränderungen offen zu sprechen. Ganz anders bei offensichtlichen körperlichen Veränderungen: Denken Sie nur an die unschönen Auswirkungen einer Kombination aus zuckerreicher Industrienahrung, Bewegungsmangel und chronischem Stress: Kurzfristig würde man damit eine akute Hungersnot wunderbar überstehen, langfristig sind die Auswirkungen aber definitiv nachteilig. Über körperliche Veränderungen sprechen wir nicht nur offener, sondern wir feilen auch bereitwillig mit Skalpell, Nervengift, Silikon und Fettabsaugung an den Symptomen von Stress und dem Alterungsprozess.
Weil es aber für uns alle besser ist, fix als fertig zu sein, habe ich hier versucht, vor allem eines aufzuzeigen: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen dem Gefühl der Selbstbestimmtheit und der Fähigkeit, sich von unbeeinflussbaren Lebensbedingungen unabhängig zu machen. Wer sich ständig als hilfloser Passagier seines eigenen Lebens fühlt, kann dabei nur verlieren. Experimente wie jenes der beiden Ratten im Käfig haben gezeigt, dass es nicht die objektiv messbaren Anstrengungen sind, die wir fürchten sollten, sondern der Verlust an „Hebeln“ in unserem Leben. Wenn man einmal tatsächlich Opfer ungünstiger Rahmenbedingungen ist, bringt das ständige Jammern keine persönlichen Vorteile, auch wenn es kurzfristig Linderung verschaffen mag, sich auf ein gemeinsames Feindbild einzuschwören. Wir lernen dabei nicht selten, hilflos zu sein, und müssen mit den Konsequenzen leben. Dazu kommen weitere Zusammenhänge, die uns bewusst sein sollten:
▪ Wer die Ergebnisse seiner Anstrengung nicht zeitnah sehen kann, bekommt kein Belohnungs-Dopamin.
▪ Wer sich ständig einer dramatisierenden Sprache bedient, trägt wesentlich dazu bei, dass Dinge als schlimmer empfunden werden.
▪ Wer auf eine Provokation sofort innerhalb von zwei Minuten reagiert, agiert aggressiver.
▪ Wer auf alle Ablenkungen ständig reagiert, kann bald Wesentliches von Unwesentlichem nicht mehr unterscheiden.
▪ Wer permanentes Multitasking betreibt, entwickelt Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefizite.
Mir war auch wichtig, Sie für die Auswirkungen unserer kurzsichtigen Erfolgskultur am Arbeitsplatz zu sensibilisieren: weniger Selbstbestimmung, zunehmende Demotivation und eine sinkende Bereitschaft, Veränderungen zu akzeptieren. Begleitet werden diese Veränderungen von ausgeprägter Jammerkultur und Zynismus. Die Internationalisierung unserer Arbeitswelt, die ausgeprägten Prozessoptimierungen und die begleitenden Qualitätssicherungsmaßnahmen sind nachvollziehbare Strategien, um den Kampf um Marktanteile zu gewinnen. Wir denken dabei sehr technisch und sollten zur Kenntnis nehmen, dass Arbeitsprozesse zwar optimierbar sind, Menschen aber nicht! Das menschliche Gehirn passt sich an, wird deswegen aber – betriebswirtschaftlich gesehen – nicht automatisch produktiver.