Kapitel 15
Reese
»Was ist los mit dir, Johnny?« Jay warf mich mit einem Kronkorken ab und ich richtete mich auf. Ich hasste diesen Spitznamen, weil es der meines Vaters war, aber langsam hatte ich mich daran gewöhnt.
»Nichts«, log ich. Es waren drei Tage vergangen, seitdem Andie aus dem Apartment gestürmt war. Ich hatte sie verletzt, sehr sogar. Sie hatte mir offenbart, dass nie jemand in ihrer Vergangenheit zu ihr gestanden hatte, und was machte ich? Genau den gleichen Fehler wie jeder andere in ihrem Leben auch. Ich war bescheuert, dass ich immer noch darüber nachdachte, für Walker zu arbeiten. Die Verletzung in ihren Augen hätte mir ausreichen sollen, ihm die Zähne einzuschlagen.
Ich knibbelte weiter am Etikett meiner Bierflasche herum, während die Jungs sich auf der Couchlandschaft herumflätzten und über Frauen sprachen. Wobei, wenn ich ehrlich war, fiel mir auf, dass wir das Thema Frauen bisher noch gar nicht angesprochen hatten.
Ich rutschte tiefer in den Sessel und starrte Richtung Fernseher, auf dem ein Spiel der Lakers gegen die SuperSonics lief. Cheerleader trugen Weihnachtsmützen und ihre Pompons sahen aus wie gigantische Schneebälle. Es war idiotisch. Weihnachten war idiotisch. Kommerz und Kitsch und nichts als Lügen.
Ich ging am ersten Weihnachtsfeiertag nur wegen meiner kleinen Schwester Harper zu meinen Eltern. Eigentlich saß meine Familie hier, in diesem Apartment und starrte mich gerade an, als wäre ich blau im Gesicht.
»Was?«
»Er hat irgendwas«, sagte Zayn und zog eine Augenbraue nach oben.
»Hab ich doch gesagt!«, bestätigte Jay. Er hatte gut reden. Seit einigen Wochen war er vergeben und hatte uns anderen die Wohnung sozusagen überlassen. Er war ein verdammt glücklicher Penner.
»Kümmert euch um euren Scheiß«, brummte ich und Keanu lachte laut.
»Klingt so, als hättest diesmal du die Verrückte abbekommen!« Ich warf ihm einen als-ob-Blick zu. So langsam fragte nicht nur ich mich, ob seine Geschichten über die Frauen, die er mit hierher nahm, überhaupt stimmten. Sie wurden immer haarsträubender.
»Also wollen wir abstimmen?«, fragte Zayn, aber ich vernahm das Zögern in seiner Stimme. Was war mit allen los, irgendwie war die Stimmung an diesem Dienstag merkwürdig.
Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und starrte aufs Display. Natürlich hatte sie nicht geschrieben, wieso sollte sie auch? Sie dachte, mir hätte diese Nacht und alle Treffen vorher rein gar nichts bedeutet? Da lag sie sowas von falsch. Sie hatte mir viel zu viel bedeutet.
»Jetzt weiß ich es! Es geht um diesen Walker Fall, oder?«
Ich warf Keanu einen bösen Blick zu. Wieso musste er jetzt auch noch darauf herumreiten? »Es geht um gar nichts.«
»Du schaust, als hättest du dir die Eier heute Morgen in deinem Reißverschluss eingeklemmt, also erzähl uns nicht, dass alles in Ordnung ist«, sagte Jay und ich schnaubte, bevor ich an meiner Bierflasche nippte.
»Na gut. Ja, es geht um den Walker Fall. Habt ihr schon einmal Fälle abgelehnt, wenn sie sich für euch nicht richtig angefühlt haben?«
»Klar«, erwiderte Zayn. »Selbstverständlich.« Als Anwalt im Familienrecht hatte er nicht gerade die einfachen Fälle auf dem Tisch. Ich konnte mir vorstellen, dass manche hin und wieder ziemlich heftig waren.
»Irgendetwas stimmt mit diesem Walker nicht.«
»Das dachte ich mir schon immer«, sagte Keanu und stimmte mir zu. »Irgendetwas ist zu glatt an ihm.«
»Er hat ziemlichen Einfluss in der Stadt«, sprach ich meine Bedenken aus.
Zayn zuckte nur mit den Schultern. »Das haben wir auch.« Ein ganz kleines bisschen musste ich über diese Aussage grinsen.
»Wenn es sich für dich falsch anfühlt, dann schick diesen Penner zum Teufel«, sagte Jay und streckte die Arme in die Luft, als die SuperSonics für Seattle einen Dreipunktewurf landeten. »Yes!«
Die anderen widmeten sich wieder dem Spiel, als wäre alles in Ordnung. Hatte ich mich so getäuscht und es würde sich alles fügen, wenn ich diesmal nur auf mein Bauchgefühl hörte? Das erste Mal in meinem Leben?
Konnte das wirklich so einfach sein?