9. Kapitel: Aufroller am Seil

Montag, 15. August 2022, 13:19 Uhr

In der Schlange an der Essensausgaben trat Noah von einem Fuß auf den anderen. Während er darauf wartete, sich die Gemüsepfanne abzuholen, kreisten seine Gedanken um die letzten Stunden. Insbesondere um die Trauerfeier in der Aula, zu der alle Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Trainerinnen und Trainer versammelt waren. Er hatte zwischen Thor und Aylin gesessen, während leise Musik gespielt und eine Schweigeminute gehalten worden war. In ein paar kurzen Ansprachen wiederholten sich die Worte, wie tragisch es doch war, dass Julius unter solch großen psychischen Problemen gelitten hatte. Internatsdirektor Hagedorn hatte den Schülerinnen und Schülern eingeschärft, wie wichtig das soziale Miteinander sei, um beim Umgang mit Leistungsdruck miteinander zu reden. Jahrgangsstufenleiter Gerdes hatte an Julius als interessierten Schüler des Deutsch-LKs erinnert, der „sicher eine Lücke hinterlassen“ werde. Zuletzt hatte Langlauf-Trainer Jörg John, von allen J.J. genannt, das Wort ergriffen. Im schwarzen Jackett und mit perfekt gestyltem Haar hätte er auch auf eine seiner zahlreichen Benefiz-Abendveranstaltung gehen können, als er mit einem bitteren Lächeln erklärte, wie tragisch Julius‘ Tod für das ganze Laufteam sei. Nun sei es wichtiger denn je zusammenzuhalten und weiterzumachen, denn im Sport wie im Leben gebe es immer Rückschläge, die einen aber nicht vom Ziel abbringen dürften. „Wir müssen jetzt alle nach vorne schauen und weiterkämpfen, so können wir Julius‘ Andenken am besten bewahren.“

„Noch Sauce dazu?“

Oh, er war schon dran. Schnell nahm Noah die Gemüsepfanne entgegen. Nach vorne schauen, weiter kämpfen. Noah war kein besonderer Fan des Langlauf-Trainers, aber er musste zugeben, dass J.J. ein gewisses Charisma besaß, das ihm während seiner erfolgreichen aktiven Jahre zu so manchem öffentlichkeitswirksamen Werbevertrag verholfen hatte. Vielleicht waren diese Worte auch für ihn ein guter Rat. Er musste nach vorne schauen. Wenn er jetzt in Schule oder Sport nachließe, würde er Julius auch keinen Gefallen mehr tun. Und sich selbst erst recht nicht.

Am Tisch bei seinen Freunden angekommen, war Noah froh, dass außer über die Trauerfeier noch über andere Dinge geredet wurde. Wie Hausaufgaben.

„Es geht gleich am ersten Tag wieder volle Pulle los“, meinte Luisa und nahm einen Schluck aus ihrem Wasserglas. „Wobei ich Brave New World als Referatsthema für Englisch immerhin interessant finde! Krass, was man vor knapp hundert Jahren schon als Utopie für unsere Welt gesehen hat mit technischem Fortschritt, Gentechnik und künstlicher Fröhlichkeit.“

„Darin geht es doch um das Recht, unglücklich zu sein. Auch mal negative Gefühle zu empfinden. The right to be unhappy “, sagte Noah und musste schlucken. Er hatte die Lektüre letztes Jahr im Englischunterricht diskutiert. Negative Gefühle, tolles Stichwort.

„Ich finde es total wichtig, sich mal richtig down zu fühlen, zu heulen und zu trauern. Gefühle rauslassen anstatt sie in sich reinzufressen. Andererseits ist es wohl auch eine Typfrage. Und wenn man nur noch krankhaft traurig ist und Gefahr läuft, in die Depression zu rutschen, ist definitiv eine Grenze überschritten. Schwieriges Thema, aber gerade nach der Sache mit Julius ist es wichtig“, argumentierte Luisa. Noah schwieg.

„Mal schauen, wie Aylin das sieht“, sagte sie nach einer Pause und nahm sich etwas von ihrem Salat. Sie blickte sich um. „Wo ist sie überhaupt, meine Referatspartnerin?“

„Aylin kommt etwas später zum Essen, sie musste noch telefonieren“, sagte Felix. Er grinste plötzlich: „Vielleicht ja mit ihrem Cousin Erek.“

„Haha, höchstens, um ihm zu sagen, dass sie ihn ganz bestimmt nicht heiraten wird“, sagte Luisa kichernd. Da kam sogar Noah nicht umhin zu grinsen. Lieber Aylins Liebesleben als Julius‘ Depressionen, auch wenn er sich dafür sonst nur wenig interessierte. Er musste seinen Eltern wohl dafür dankbar sein, dass sie nicht versuchten, ihn mit irgendeiner entfernten Cousine zu verkuppeln. Während er Möhren, Erbsen und Reis auf die Gabel lud, überprüfte er auf seinem Smartphone den Plan für den Nachmittag: zwei Stunden Hausaufgaben, anschließend zwei Stunden Stabhochsprungtraining. Von Tag zu Tag wechselte die Reihenfolge von Lernzeit und Training, so dass sich die Sportlerinnen und Sportler zeitlich besser auf die Anlage verteilten.

Für Noah war der Zeitplan ein Anreiz, alle Aufgaben konzentriert in den nächsten zwei Stunden zu erledigen. Mit der Textanalyse für Deutsch oder dem Aufsatz für Politische Bildung wollte er sich nicht noch am Abend herumplagen. In solchen Fächern half ihm auch seine Hochbegabung nur bedingt weiter, da eine gute Note vor allem Fleißarbeit war. Also ran an die Arbeit und dann auf zum Training!

***

Nach dem Aufwärmen ließ sich Noah neben den anderen Stabhochspringern auf dem Hallenboden nieder. Trainer Martin lächelte leicht, bevor er sich an die Runde wandte: „Frohes neues Jahr, wie es am ersten Schultag so schön heißt! Die meisten von euch können stolz darauf sein, was sie am Samstag in Hamburg gezeigt haben. Da können wir gut drauf aufbauen, mit voller Kraft, perfekter Technik und absoluter Konzentration! Drei Schwerpunkte haben wir heute“ – er zählte an der rechten Hand ab – „Erstens: Anlauf. Stablauf über Blöcke. Achtet auf den Kniehub! Zweitens: Einstich. Dazu machen wir Pole Drop. Achtet auf die Stellung der beiden Hände. Und als drittes den Aufroller am Seil! Saubere Ausführung ist wichtig, lieber weniger Wiederholungen, dafür mit kompletter Körperspannung und Balance!“

„Wir gehen alle drei Übungen zusammen durch, dann unterstützt euch Pedro bei den Wiederholungen.“ Noah blickte zum Assistenz-Trainer, der gerade dabei war, die Seile von der Decke zu lassen. „Ich werde währenddessen mit euch nacheinander unser kleines Jahresanfangsgespräch führen! Irgendwelche Fragen? Also dann, auf geht’s!“

Noah erhob sich langsam, um sich einen Stab zu holen und mit der ersten Übung zu beginnen. Wenn es nach ihm ging, hätte das Training jeden Tag nur aus den kompletten Stabhochsprüngen auf der Anlage bestehen können. Ein Sprung war für ihn ein Gesamtkunstwerk. Das Gefühl, das er so liebte, das kontrollierte Fliegen, stellte sich nur ein, wenn er den ganzen Sprung ausführte, vom Anlauf über den Einstich und den Absprung bis zum Aufroller und der Überquerung der Latte knapp fünf Meter über dem Boden. Tatsächlich übten sie die kompletten Sprünge nur zwei Mal die Woche und führten ansonsten Übungen zur Verbesserung des Bewegungsablaufs aus. Noah wusste, dass das richtig und wichtig war. Die hohe Belastung eines Sprungs und den damit verbundenen tiefen Fall sollte man dem Körper nicht zu häufig zumuten. Aber ein Anlauf ohne Absprung danach war nun einmal nicht das gleiche. Noahs Blick wanderte zu der Reihe von kleinen Blöcken, die als Hindernisse aufgebaut waren. Stablauf über Blöcke zu Beginn dieses entscheidenden neuen Sportjahres? Unspektakulär, doch er wollte Martin und Pedro gleich am Anfang zeigen, wie ernst er das Training nahm. Mit der rechten Hand umfasste er sicher den Stab und lief dann los, konzentriert darauf, die Füße genau zwischen die Blöcke zu setzen und, so wie Martin gesagt hatte, die Knie zu heben. Eine leichte Übung, Pedro nickte anerkennend.

Die nächste Station, der Pole Drop, war die Simulation des Einstichs in Zeitlupe. Im Stand, das linke Knie angezogen, die Hände fest oben am Stab, brachte Noah diesen in einer langsamen Bewegung mit dem anderen Ende zu Boden. Er wusste, dass sich die Bewegung einprägen musste, prozedurales Gedächtnis war das Stichwort. Er war gut in den technischen Details, aber man konnte es immer noch besser machen, noch perfekter, und das wollte er in diesem Jahr.

Zwischen den Übungen blickte zur Seite. Einige Meter entfernt saß Martin im Gespräch mit Aylin. Wann würde er selbst drankommen und mit dem Trainer über seine nächsten Ziele, seine Stärken und Schwächen reden?

Im Gegensatz zu den ersten beiden Übungen war die letzte, der Aufroller am Seil, eine turnerische Kraftanstrengung. Während Pedro das von der Decke hängende Seil unten festhielt, setzte Noah seine Hände hoch an, nahm einen Schritt Anlauf und schwang sich mit voller Kraft nach oben, so dass er kopfüber am Seil hing, den Körper vertikal gestreckt. Jeder Muskel war angespannt. Nun galt es diese Position ein paar Sekunden zu halten, kontrolliert wieder abzurollen und dann die anstrengende Aufrollbewegung zu wiederholen. Noah spürte die enorme Belastung auf seiner Schulter, als er sich zum dritten Mal nach oben schwang. Es war ein unglaubliches Gefühl, die Schwerkraft zu überwinden im ewigen Balanceakt, seinem Körper so viel wie möglich, aber auch nicht zu viel, abzuverlangen. „Die Beine noch mehr durchstrecken, Noah!“, rief Pedro mit seiner harten, durch seine spanische Muttersprache geprägten Aussprache. „Einmal noch und dann reicht es hier!“

Noah wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wollte sich gerade wieder bei der Anlaufübung anstellen, da rief ihm Aylin zu: „Noah, du sollst als nächstes zu Martin kommen!“

Martin saß auf einem weißen Klappstuhl und hatte vor sich auf dem Schoß eine Reihe Blätter mit handgeschriebenen Notizen sowie ein Tablet. Er blickte auf, als Noah sich ihm näherte und ebenfalls auf einem Klappstuhl Platz nahm.

„Noah, ich bin traurig.“ Noah stockte, als er diese Worte seines Trainers vernahm. Er merkte, wie er sich innerlich anspannte. Hatte er etwas falsch gemacht?

„Ich bin traurig, weil dies dein letztes Jahr bei uns sein wird und ich nur noch ein Jahr lang dein Trainer sein darf.“ Noah atmete erleichtert aus und lächelte. Er ärgerte sich kurz darüber, dass er Martins Äußerung so wörtlich genommen und falsch interpretiert hatte. Eigentlich sollte er seinen Coach mit seiner blumigen Ausdrucksweise mittlerweile kennen.

„Ich wünschte manchmal, alle Sportler wären wie du: fokussiert, kontrolliert und hoch intrinsisch motiviert. Wenn ich dir etwas sage, setzt du es sofort um. Du willst es immer noch besser machen, dich weiter pushen und noch mehr erreichen. Und das zahlt sich aus, wie wir zuletzt am Samstag gesehen haben. Weiter so, Noah!“

Während Noah noch den Stolz und die innere Behaglichkeit spürte, änderte sich bereits Martins Gesichtsausdruck und er wurde ernster. „Aber nun kommt die entscheidende Zeit für dich, in der die Weichen für deine Zukunft gestellt werden. Der Übergang von der Jugend- zur Erwachsenennorm, vom Schul- zum Profisport, ist ein Riesensprung. Dir traue ich das zu. Noah, wo siehst du dich selbst in zwei, drei Jahren?“

Noah senkte den Blick. Er wollte ehrlich sein, aber gleichzeitig Martin, der über die Jahre hinweg so viele Hoffnungen in ihn gesetzt hatte, auch nicht enttäuschen. „Ich … ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht. Ich liebe den Sport und will weiterhin alles fürs Springen geben, aber … vielleicht will ich auch in die Wissenschaft gehen. Mathe studieren, an Forschungsprojekten mitarbeiten.“

„Hmmm. Ich verstehe, dass du interessante Möglichkeiten außerhalb des Stabhochsprungs hast. Vielleicht kannst du etwas nebenbei studieren, wenn gerade kein Wettkampf ansteht. Aber es geht um die Prioritäten. Ein Studium kann man für ein Semester pausieren. Das geht beim Leistungssport nicht, ohne an Form einzubüßen. Wenn du wirklich an die Weltspitze willst, dann denk daran, dass sich deine Konkurrenten in anderen Ländern in Vollzeit dem Sport widmen. Bei der Olympia-Qualifikation zählt nur deine Höhe und nicht die Frage, ob du gerade im Lernstress für eine Klausur bist. Und was die Olympischen Spiele angeht… Ich hoffe doch sehr, dich springen zu sehen, wenn nicht bereits in Paris 2024, dann spätestens in L.A. 2028!“

Martin schien bereits voller Vorfreude, und auch Noah musste lächeln. „Das wäre natürlich ein absoluter Traum. Den haben wir ja alle.“

„Aber nicht für alle ist er in realistischer Reichweite. Für dich schon. Die aktuelle Olympianorm liegt mit fünf achtzig einen Meter über deiner Bestmarke. Das ist noch ein ganzes Stück, doch basierend auf deiner aktuellen Entwicklung kannst du das in den nächsten Jahren schaffen.“

Seine Stimme zeigte Begeisterung, als er fortfuhr: „Ich kenne Michael Edwards in Berlin ganz gut. Eine Koryphäe, wie du weißt. Er hätte Interesse, dich nach dem Abi in sein Leistungs-Zentrum aufzunehmen und mit dir in den nächsten Jahren zu arbeiten, um dich fit für Olympia zu machen.“

Noah bekam große Augen, und sein Puls schlug schneller bei diesen Aussichten.

„Es gibt für dich glänzende Aussichten im Profisport, wenn du es wirklich willst. Natürlich verlangt Michael viel, er möchte Hingabe an den Sport. Ich werde euch bei nächster Gelegenheit miteinander bekannt machen. Die Voraussetzung ist, dass du bis nächstes Jahr die fünf Meter überspringst, doch daran habe ich keinen Zweifel. Das bringt uns zu deinen Zielen für die nächsten Monate.“

Martin wischte über sein Tablet. „Aufbauend auf deiner aktuellen Entwicklung sollten wir die Intensität im Krafttraining steigern. Du kennst deine Stärken und Schwächen. Technisch bist du top und hast die Bewegung unter Kontrolle. Aber um die Höhe zu steigern, kannst du den Sprung mit noch mehr Power angehen, noch schneller anlaufen und noch mehr von der Kraft des Anlaufes in den Sprung mitnehmen. Du kannst ruhig mehr riskieren.“

Martin hielt Noah das Tablet hin: „In der Zeitlupe hier sehen wir, wie du beim Absprung minimal zögerst, um den Einstich perfekt hinzubekommen. Dadurch verlierst du Anlaufenergie. Das musst du nicht, du kannst das. Trau dich was! Wir werden auch mit verschiedenen Stäben experimentieren, um noch mehr aus dir rauszuholen. Bei dir muss ich mir ja keine Sorgen machen, dass du die Kontrolle verlierst. Schulisch läuft’s bei dir weiter rund, also gibt es nichts, was dem im Wege stehen könnte, oder?“

Er sah Noah an. Was sollte sich ihm in den Weg stellen? Noah wollte schon mechanisch nicken, aber irgendetwas hielt ihn zurück, ob es nun der Druck durch den Abiturjahrgang war oder der Gedanke an Julius.

„Noah, gibt es sonst etwas, was dir Probleme bereitet oder Probleme bereiten könnte?“

„Nein, eigentlich nicht …“

„Eigentlich nicht?“ Martin überlegte und meinte dann plötzlich: „Der tote Langstreckenläufer … Der war in deinem Jahrgang, oder?“

„Er war mein Mitbewohner“, sagte Noah.

„Oh Gott, mein Beileid!“ Martins Blick wurde sanfter. „Noah, das tut mir leid für dich. Möchtest du darüber reden?“

„Nein, nein … es geht schon, ich komme klar.“ Er fügte hinzu: „Wirklich.“

Martin blickte ihn einen Moment lang schweigend an. Dann sagte er: „Du solltest einen Termin bei einem unserer Mental-Coaches machen. Die haben eine psychologische Ausbildung und können dir helfen, mit so einem Schock umzugehen.“

„Danke, aber ich brauche das nicht. Julius und ich waren nicht so eng befreundet und er … hat seine Probleme eher mit sich selbst ausgemacht. Ich … ich komme alleine klar. Die Routine mit Sport und Schule hilft mir, und ich bin hochmotiviert, wie immer.“ Er lächelte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

„Gut, wenn du das sagst.“ Martins sorgenvoller Blick zeigte jedoch, dass er nicht ganz überzeugt war. „Noah, sag bitte Bescheid, wenn es doch noch etwas gibt, bei dem ich dir helfen kann. Und jetzt schick mir bitte Thor!“

Als Noah sich wieder für den Aufroller am Seil anstellte, war er tatsächlich entschlossener denn je, sich dieses Jahr von nichts ablenken zu lassen und Höchstleistungen in Sport und Schule zu erbringen. Olympia-Vorbereitung im Leistungszentrum mit einer Koryphäe wie Michael Edwards, was waren das für Aussichten! Doch inmitten der euphorischen Stimmung hörte Noah die Stimme von Herrn Wozniak in seinem Ohr, der etwas von der Unsicherheit des Profi-Sports erzählte. Was wäre, wenn er wirklich diesen Weg einschlug, alles auf den Sport setzte und es schiefging? Eine Verletzung, ein anderes unvorhergesehenes Ereignis und die Sportkarriere wäre futsch. Noah würde ohne alles dastehen. Gescheitert. Würde ihn Herr Wozniak dann immer noch für die Wissenschafts-Laufbahn empfehlen? Warum konnte er nicht gleich beides machen, warum hatte der Tag nur 24 Stunden?

In Gedanken schlenderte Noah nach Ende des Trainings in seinen Sportklamotten von der Halle zum Hauptgebäude. Zum Duschen bevorzugte er die Ruhe seines eigenen Zimmers. Dort war bisher nur Julius gewesen; nun würde er allein sein.

Wie hatte wohl Julius‘ letztes Gespräch mit J.J. ausgesehen? Hatte er von seinem Trainer härtere Worte hören müssen? Konnten solche Worte dazu beitragen, dass man schwarzsah, wie im Abschiedsbrief beschrieben? Andererseits hatte Julius sich zuletzt läuferisch gesteigert, war gerade aus dem Trainingscamp zurückgekommen und wirkte nicht unglücklicher als sonst. Hatte er sein düsteres Seelenleben so gut vor Noah versteckt?

Wie Noah es auch drehte und wendete, ergaben Julius‘ Beweggründe für ihn keinen Sinn. Irgendwann würde er Julius‘ Entscheidung wohl akzeptieren müssen und lernen, mit dessen Tod umzugehen. Auch wenn das sicher noch dauern würde.

Er fischte die Schlüsselkarte aus dem Portmonee und hielt sie vor die Klinke, um die Tür zu entsperren. Doch es ertönte nicht das erwartete kurze Piepen. Noah zuckte erschrocken zusammen, als ihm bewusst wurde, was das bedeutete. Die Tür war nicht verschlossen. Da war jemand in seinem Zimmer.