Nordkorea

Die Uli kam aus der FKK, der Freien Kunst Kooperative, die im Gebäude einer ehemaligen Betriebskrankenkasse von Krupp untergebracht war, und reichte Förster und Monika je eine Flasche Radler, die sie gleich aufploppen ließen, und Förster dachte, dass er gar nicht so ein großer Radler-Fan war, weil ihm das zu süß war, aber an so einem frühen Freitagabend im Spätsommer, wenn der Boden noch die Wärme der langsam vergehenden Jahreszeit ausdünstete und die Sonne sich große Mühe gab, auf den letzten Metern des siechenden Tages einen richtig guten Job zu machen, da war das gar nicht so schlecht, gleichsam das Äquivalent zum Eisessen am Nachmittag, denn Eis war ja auch süß. Monika hatte ein Studio im gleichen Gebäude und gerade Porträts von Förster für sein im Frühjahr erscheinendes Buch gemacht, sein erstes seit sechs Jahren.

Die Uli hatte einen dritten Plastikstuhl mitgebracht, so einen, wie man ihn vor einfachen Kneipen und Restaurants fand, weiß und stapelbar, und dann saßen sie nebeneinander in der Abendsonne, und Förster dachte, das würde ein schönes Schlussbild für einen Film abgeben, und ja, es war wieder ein Triptychon des Friedens, aber diesmal stellte er sich keine Drohnenaufnahme vor, sondern ein eher untersichtiges Bild aus zehn, zwanzig Metern Entfernung, in dem noch einiges von dem kleinen Park zu sehen war, der eigentlich kein Park war, eher eine verwilderte Brache, auf der die Künstlerinnen

»Das mit dem Training«, sagte die Uli. »Ich glaube nicht, dass er damit das Verhältnis zu Alex reparieren kann. Er hat ihn jetzt seit einem Jahr vernachlässigt und immer wieder enttäuscht, seinen Geburtstag vergessen, Verabredungen nicht eingehalten und was weiß ich. Außerdem die Frauengeschichten.«

»Ich weiß gar nicht, ob der Plural so richtig angemessen ist«, sagte Förster. »Das mit der Peggy ist vorbei. Die arbeitet noch bei ihm, weil sie da einfach einen guten Job macht.«

»War da neulich nicht etwas mit einer Studentin von deinem Vater?«

Förster nickte. »Eine ehemalige. Eine sehr ehemalige. Und gelaufen ist da gar nichts. Die hat auf dem Sofa geschlafen.«

»Woher weißt du eigentlich davon?«, wandte sich Monika an die Uli.

»Ich war kürzlich da, um den Alex abzuholen, und da habe ich im Hausflur diesen Chaoten aus dem zweiten Stock getroffen. Der wusste gut Bescheid.«

»Lukas«, sagte Förster. »Keine besonders zuverlässige Quelle. Der ist die meiste Zeit bekifft und kann es nicht ertragen, wenn Fränge ihn dazu ermahnt, pünktlich zu seinen Schichten zu erscheinen. Ich meine, der hat ja nun nicht gerade eine lange Anfahrt.«

»Förster hat doch gerade gesagt, dass man dem Typ nicht trauen kann«, sagte Monika, und Förster registrierte, wie sie sich anspannte. Die kann ziemlich sauer werden, die Monika, dachte er, wenn man jemanden angreift, den sie mag.

Förster war kurz davor, der Uli zu verraten, dass Fränge zu Kathrin gesagt hatte, er werde nie wieder eine andere Frau anrühren, aber die Uli kam ihm zuvor: »Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass Fränge zum Mönch mutiert ist.«

»Das hat Förster nicht behauptet«, sagte Monika, »aber offenbar ist es auch nicht so schlimm, wie du es dir ausmalst. Was ich ja verstehen könnte.«

»Ich male mir gar nichts aus«, sagte die Uli. »Ist mir auch egal, ob er es in unserem Bett mit anderen Frauen treibt. Ich werde da eh nie wieder drin schlafen.«

»Ich will hier nicht zu viel verraten«, sagte Förster, »aber mit den Gerüchten über Fränges Liebesleben ist es so wie mit denen zu Paul McCartneys und Mark Twains Tod: Sie sind stark übertrieben. Und um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: Man kann Fränge doch nicht vorwerfen, dass er was gutmachen will. Ob das funktioniert, kann man nach zwei Trainingseinheiten noch nicht sagen. Außerdem braucht er eine Pfeife.«

»Eine Pfeife?«

»Gestern hat er ständig in die Hände geklatscht und was gerufen, aber das hören die oft nicht, außerdem ist das albern. Ein Trainer braucht eine Pfeife.«

»Manche Trainer sind Pfeifen«, gab Monika zu bedenken.

»Ja, das wissen wir«, bestätigte Förster. »Der Witz kommt ständig, wird aber durch Wiederholung nicht lustiger.«

Die Uli schüttelte den Kopf und grinste. »Der Fränge mit

»Die Jungs machen es ihm aber auch nicht leicht. Die sind schon ziemlich undiszipliniert. Und dann diese ständigen Beleidigungen.«

»Die wenigsten haben zu Hause einen Professorenvater«, sagte Monika.

»Mein Vater war nie Professor, immer nur Privatdozent. Das ist ja das Elend. Er hat sich habilitiert, aber nie eine C4-Stelle bekommen.«

»Ich weiß nicht, wie der Fränge so einem Haufen Disziplin beibringen will. Das ist doch für ihn ein Fremdwort«, sagte die Uli.

»Ist es für uns alle«, meinte Förster, »schließlich kommt es aus dem Lateinischen.«

»So was sagt er völlig ohne ironischen Unterton«, stellte Monika fest.

»Hey, hier kommt Alex«, zitierte die Uli Die Toten Hosen, und tatsächlich, dachte Förster, da kommt er, praktisch aus der untergehenden Sonne.

»Woher des Weges, einsamer Held?«, fragte Monika.

»Ich war beim Justin. Der wohnt da vorne. Aber gerade ist sein Vater nach Hause gekommen, da musste ich gehen, weil Justin jetzt noch Kondition machen muss.«

»Der Vater spinnt«, sagte die Uli.

Förster nickte. »Der hat ihn gestern nach dem Training noch Runden laufen lassen.«

»Er war nicht zufrieden mit Justin«, sagte Alex. »Er fand, er hat sich nicht genug angestrengt.«

»Na ja, er hat drei oder vier Tore gemacht«, warf Förster ein.

»Dem Vater passt nicht, dass Justin überhaupt wieder bei uns spielt. Er meint, dass der Profi werden soll.«

»Der hat was am Fuß, der Vater«, meinte Alex. »Das geht nicht weg. Deshalb kann er nicht gut laufen.«

»Der hat was am Kopf, der Vater«, sagte die Uli.

»Fährst du nach Hause?«, fragte Alex seine Mutter. »Kannst du mich mitnehmen?«

»Ich habe noch was zu tun. Nimm doch die Bahn.«

Das passte Alex offensichtlich nicht. Bis zu seiner alten Wohnung wäre es nicht weit, aber seit der Trennung im letzten Jahr lebte die Uli in einem Vorort, und das bescherte ihm einiges an Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

»Ach, die Scheiß-Bahn!«

»Alex, bitte.«

»Wir wollten eh gerade gehen.« Monika stellte ihre leere Flasche ab. »Wir können dich mitnehmen.«

»Das ist doch ein Riesenumweg!«, sagte die Uli.

»Kein Problem.«

»Er hat morgen ein schweres Spiel«, sagte Förster. »Als Co-Trainer muss ich darauf bestehen, dass er sich nicht zu sehr verausgabt.«

Die Uli wollte offensichtlich etwas erwidern, lächelte dann aber und sagte: »In Ordnung. Ich habe drinnen frisches Brot, das kannst du schon mal mitnehmen, falls du Hunger hast.«

»Brot? Echt jetzt? Wir hatten die letzten Tage schon Brot. Wann gibt es denn mal wieder Brötchen?«

»Du kannst ja nächstes Mal welche besorgen.«

Alex verzog das Gesicht. »Ey, voll Nordkorea hier.«

»Gewagter Vergleich«, sagte Förster, als Alex im Haus verschwunden war, um das Brot aus dem Atelier zu holen.

Die Uli seufzte. »Vorrecht der Jugend. Aber ich sage dir:

»Und war Fränge da nicht dabei?«, fragte Monika.

»Doch, sicher, aber der hat immer mit den anderen Vätern Bier getrunken oder war ins Spiel vertieft oder es war ihm egal. Jungs, hat er gesagt, das sind eben Jungs. Jetzt bekommt er mal selber mit, was das genau heißt.«

Okay, dachte Förster, dann bin ich mal gespannt auf morgen.