Im Traum stand Förster auf einer Bank und blickte in die Ferne. Neben ihm stand ein großer weißer Hase auf zwei Beinen, bestimmt zwei Meter groß.
»Wir kennen uns«, sagte Förster.
»Ist eine Weile her.«
»Damals hattest du eine rote Nase.«
»Stimmt, aber du hast dann so blöde Wortspiele gemacht. Ich dachte, diesmal komme ich in Zivil.«
Weit weg spannte sich ein Regenbogen über den unwetterschweren Himmel.
»Bei Gewitter ist das Spiel zu unterbrechen«, sagte Förster.
»Natürlich«, sagte der Hase. »Stell dir vor, da wird einer vom Blitz getroffen.«
Der Regenbogen schien näher zu kommen, wurde größer, seine Streifen wurden breiter, die Farben intensiver. Bald sah er aus wie aus einem Popart-Gemälde ausgeschnitten und an den Himmel geklebt.
»Wusstest du«, fuhr der Hase fort, »dass in deinen Büchern kein einziges Mal das Wort Fußball vorkommt?«
»Gesichtswurst aber auch nicht.«
Der Hase schüttelte sich. »Diese Gesichter sehen entweder aus wie Tiere oder wie Kinder. Wer will denn so etwas essen?«
»Kinder essen Kinder auf«, sagte Förster und fragte sich, was das heißen sollte.
»Nicht einmal in deinem großen Erfolg, Die große Liebe des Bernward Bauer, kommt Fußball vor.«
Förster zuckte mit den Schultern. »Warum auch? Da geht es um Musik. Weißt du, dass das Buch eigentlich Die große Liebe des Bobby Bukowski heißen sollte?«
»Natürlich weiß ich das. Den Titel habe ich dir ausgeredet.«
»Dabei war er der bessere.«
»Deshalb habe ich ihn dir ja ausgeredet.«
Unter dem Regenbogen war ein Fußballplatz. Der war schon die ganze Zeit da gewesen, wurde Förster plötzlich klar. Genau wie die Tribünen, auf denen Tausende von Menschen standen, und die fingen jetzt an zu singen: »Ein’ Roland Förster, es gibt nur ein’ Roland Förster! Ein’ Roland Föööörster, es gibt ein’ Roland Förster!«
Er kam nicht drauf, welche Melodie das war.
Auch der Hase fing an zu singen: »Sing when you’re winning, you only sing when you’re winning!«
Das Publikum grölte und begann rhythmisch zu skandieren: »Förster! Förster! Förster!«
»Ein Ball würde dem Spiel guttun«, sagte der Hase.
»Der Ball ist im Spiel, wenn er die Strecke seines Umfangs zurückgelegt hat«, sagte Förster.
»Das war früher. Heute heißt es in den Regeln: Der Ball ist im Spiel, wenn er mit dem Fuß gestoßen wurde und sich vorwärtsbewegt.«
»Und wenn er seitwärts gespielt wird?«
»Der Ball ist rund. Für den geht es immer vorwärts.«
Der Regenbogen warf jetzt Blasen, als würde er zu heiß, und aus einer dieser Blasen kam ein Fußball geflogen.
»Traumpass!«, rief der Hase, während die Menge weiter Försters Namen brüllte. Der Ball kam auf Förster zu und würde ihn unweigerlich mit voller Wucht im Gesicht treffen. Der Hase schien sich drauf zu freuen, grinste jedenfalls von einem Ohr zum anderen, und das, dachte Förster, ist gar nicht so leicht, wenn man die Ohren nicht seitlich am Kopf hat, sondern obendrauf. Kurz bevor der Ball ihm das Nasenbein brechen konnte, stellte Förster fest, dass es nicht die Menge war, die seinen Namen grölte, sondern Monika, und genau genommen grölte sie auch nicht, sondern sprach in Zimmerlautstärke und rüttelte zusätzlich an seiner Schulter. Er schlug die Augen auf und sah im Halbdunkel die Silhouette seiner halb nackten Freundin und fragte sich, ob sie jetzt Sex wollte, manchmal kam sie auf solche Ideen, wieso auch nicht, Spontaneität ist das Salz in der Suppe einer Beziehung, und die Erleichterung, nicht von einem Ball im Gesicht getroffen worden zu sein, konnte durchaus etwas Erregendes haben, aber dann sagte Monika: »Dein Telefon! Da ruft jemand zum dritten Mal an. Mitten in der Nacht. Scheint wichtig zu sein.«
Jetzt bemerkte Förster das Vibrieren seines Handys, das auf dem Sideboard am anderen Ende des Zimmers lag. Nächtliche Anrufe bedeuteten nie etwas Gutes, und er hoffte, dass es nicht um seine Eltern ging, aber dann las er Dreffkes Namen im Display, was nichts heißen musste, denn vielleicht hatte jemand dem toten Expolizisten das Handy gleichsam aus den leichenstarren Fingern gewunden und einfach die letzte Nummer gewählt, Herrgott, dachte Förster, was für bescheuerte Gedanken! Er nahm das Gespräch an und war gleich erleichtert.
»Ich bin’s«, sagte Dreffke.
»Ja, prima!«
»Sie hat es getan.«
»Wer denn? Was denn?«
»Elisabeth. Sie hat die Bude abgefackelt. Ich habe es ja gesagt.«
»Abgefackelt? Ist sie okay? Und du?«
»Na gut, nicht abgefackelt, jedenfalls nicht komplett. Aber gebrannt hat es schon. Obwohl ich alle Aschenbecher ausgeleert hatte. Ich war pinkeln, weil ich ja paarmal rausmuss nachts, und da habe ich es dann gerochen.«
»Wie geht es ihr?«
»Der Notarzt ist gerade da. Sie hat wohl eine Rauchvergiftung und kommt erst mal ins Krankenhaus. Problem ist: Meine Bude ist ebenfalls komplett verraucht. Pennen kann ich nicht dadrin.«
»Ich hol dich ab.«
Förster legte auf und erzählte Monika, was passiert war, sie sagte, kein Problem, sie richte das Sofa her.
Es war halb zwei, als Förster bei dem Haus ankam, in dem er so lange gelebt hatte. Alle Bewohner standen auf dem Bürgersteig, in Bademänteln und Pyjamas, nur Dreffke hatte sich angezogen und trug eine mittelbraune Lederjacke mit sehr breitem Revers über einem knallroten Hemd. Neben ihm stand ein Lederkoffer ohne Rollen, und Förster fragte sich, wann er zuletzt so einen gesehen hatte.
»Ich fürchte, jetzt muss sie ins Heim«, sagte Dreffke zur Begrüßung.
»Bei dir alles okay? Willst du dich nicht auch untersuchen lassen? Ich meine, deine Lunge ist ja nun auch nicht mehr taufrisch.«
»Nee, alles okay, hat der Bengel von Notarzt gesagt. Aber ich muss meine Klamotten waschen, die stinken wie die Pest. Unglaublich, wie viel Rauch durch die verdammten Ritzen gekrochen ist.«
Dreffke stellte seinen Koffer hinter den Beifahrersitz und stieg in Monikas Skoda ein. Förster startete den Wagen, und Dreffke sagte: »Ich weiß, das ist keine gute Vorbereitung auf ein wichtiges Spiel.«
»Das ist erst am frühen Abend.«
»Aber es ist wichtig. Da müssen drei Punkte her.«
Förster musste schmunzeln und hätte Dreffke am liebsten burschikos auf die Schulter geschlagen, aber das war in der Enge des Autos nicht möglich, und ihm einen Klaps auf den Oberschenkel zu geben, wäre Förster komisch erschienen, also sagte er einfach, er freue sich, dass Dreffke den Spielplan der Mannschaft so im Kopf habe.
»Ich habe mir die mal angesehen«, sagte Dreffke.
»Wen?«
»Die TSG. Die sind nicht größer als ihr, auch fast alle Jungjahrgang, und der Torwart hat Schwächen beim Herauslaufen. Außerdem ist er zu klein. Deren Platz ist ein Acker. Ich würde aus allen Lagen draufknallen.«
Es war nicht weit, sie hätten auch laufen können, aber Förster war zu müde gewesen und hatte es für Dreffke so bequem wie möglich machen wollen.
»Hast du schon mal einen Ball ins Gesicht bekommen, volle Wucht?«, fragte Förster.
»Sicher. Ich war okay, aber der Ball war dann kaputt.«
Förster sah Dreffke an.
»Das war ein Scherz, Förster.«
»Klar.«
Förster dachte, ich frage ihn jetzt aber nicht, ob er schon mal einen Regenbogen gesehen hat, der Blasen wirft und Traumpässe spielt.