Bad Luck

Brocki konnte nicht mitkommen, weil er Klausuren korrigieren musste, Förster hatte sich jedoch den Golf abholen dürfen, da sie sonst zu wenig Autos gehabt hätten. Jetzt standen sie alle am Platz der Spielvereinigung und warteten auf Fränge.

»Ich habe gestern Abend noch mit ihm telefoniert«, sagte Alex. »Da war alles klar. Der kommt bestimmt gleich, der ist doch in letzter Zeit total zuverlässig.«

Der Himmel zeigte ein mittelhelles Grau. Da könnte Schnee drin sein, dachte Förster.

Die Jungs waren alle schon da, auch Giorgio, Vedat und Mergim, die Väter von Giampiero, Luan und Adnan. Sie standen zusammen, redeten und lachten. Förster ging zu ihnen hinüber, um etwas Konversation zu machen, sieht ja blöd aus, dachte er, wenn ich hier abseits stehe und vor mich hinstarre.

»Alles klar?«

»Alles klar, Förster, bei dir auch?«, fragte Giorgio zurück.

»Ihr habt ja sehr gute Laune bei dem kalten Wetter.«

»Frauen«, sagte Vedat, als wäre damit alles erklärt.

»Ja, sicher«, entgegnete Förster. »Mit denen hat man immer was zu lachen, was?«

»Vedat hat gerade gar nix zu lachen«, raunte Giorgio.

»Hör auf«, sagte Vedat, grinste aber ebenfalls. »Weißt du, ist bisschen Ärger zu Hause, aber normal.«

»Seine Frau ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen«, sagte Mergim.

»Das hört sich an, als wär die sonst wo. Die ist bei ihrer Schwester, fertig. Wir hatten bisschen Streit, und Arjana ist eine leidenschaftliche Frau. Deshalb habe ich sie geheiratet. Ist meistens gut, aber manchmal gibt es eben Stress, normal.«

»Du musst ihr sagen, sie soll nicht immer diese engen Hosen anziehen«, meinte Giorgio.

»Die kann anziehen, was sie will«, sagte Vedat. »Wenn du davon Blutdruck kriegst, geh zum Arzt!«

»Hey, Förster«, sagte Mergim. »Ich war letzte Zeit nicht oft bei den Spielen dabei, aber wollte mal sagen: Super Sache hier!«

»Danke.«

Mergim sah sich um und senkte die Stimme: »Ich weiß, dass Adnan nicht der beste Techniker ist. Sein Bruder? Super! Adnan? Na ja.«

»Aber Adnan sieht Räume, von denen die Stürmer hoffen, dass es sie gibt und dass sie sich auch öffnen, aber bevor das passieren kann, macht dein Sohn sie zu.«

Mergim sah Förster an und hob die Augenbrauen.

»Fränge hat schon gesagt, du denkst manchmal kompliziert. Aber Adnan ist ein guter Abwehrspieler.«

Förster nickte. »Auf jeden Fall.«

Alex, der mit Justin und Armani zusammengestanden hatte, kam zu ihnen herüber und fragte: »Wie lange sollen wir denn noch warten?«

Förster sah auf die Uhr. Fränge war jetzt schon zwanzig Minuten zu spät. »Ich vermute, er hat verpennt. Er hat eine Kneipe, da kann es schon mal spät werden. Wir brauchen aber den Bulli, sonst kriegen wir nicht alle transportiert. Das

Mit Mergim, Vedat und Giorgio waren drei weitere Erwachsene dabei, aber die waren mit nur zwei Autos gekommen, einem Corsa und einem Kia, das würde definitiv nicht hinhauen.

»Wir fahren bei ihm vorbei und schmeißen ihn aus dem Bett«, sagte Alex.

Förster sah keine Alternative und sagte: »Ich mache das.«

»Ich komme mit«, bestimmte Alex feixend. »Der soll ein richtig schlechtes Gewissen kriegen.«

Der Junge hatte recht: Wenn Fränge schon verpennt hatte, dann sollte er sich auch ein bisschen mies fühlen. Förster wies die restliche Mannschaft an, noch ein wenig auszuharren, dann fuhr er mit Alex zu Fränges Haus. Sie fanden einen Parkplatz und gingen erst mal ins Café Dahlbusch, um nach ihm zu fragen. Es war voll, Samstagmittag halt, hinterm Tresen machte Lukas einen gehetzten Eindruck, aber, dachte Förster, der wirkte immer gehetzt, wenn das Leben sich schneller als in Zeitlupe ereignete.

»Fränge gesehen?«

»Ich bin voll im Stress, Mann! Nein, habe ich nicht.«

Förster atmete tief durch. Konnte es wirklich sein, dass Fränge in alte Verhaltensmuster zurückgefallen war? Oder lag hier ein echter Notfall vor? Er fragte sich, was schlimmer wäre.

Förster und Alex gingen durch die Küche ins Treppenhaus, und oben angekommen klingelte Förster und klopfte auch gleich, um seinem Ansinnen den nötigen Nachdruck zu verleihen, vielleicht auch, dachte er, um Alex zu zeigen, dass er das Verhalten seines Vaters missbilligte. Plötzlich schoss ihm durch den Kopf, dass, wenn Fränge tatsächlich »rückfällig« geworden war, er vielleicht Besuch hatte, also im

»Wieso das denn? Jetzt bin ich schon hier.«

»Ja, aber ich meine …« Ja, was meine ich denn?, dachte Förster, ich kann ihm ja schlecht sagen, was ich gerade befürchte. »… Muss ja vielleicht doch nicht sein«, brachte er den Satz etwas hilflos zu Ende.

»Ich habe meinen Vater schon besoffen gesehen, Förster.«

»Dann weißt du ja, wie das ist, und musst diese Erfahrung nicht noch mal machen, oder?«

»Ich will dem Elend ins Auge sehen.« Alex grinste, schob sich an Förster vorbei, klopfte gegen die Tür und rief: »Fränge, mach auf, hier ist dein Sohn!«

Und als dann die Tür endlich aufging, dachte Förster als Erstes: Dass Fränge ein Shirt von der Band Social Distortion hat, wusste ich überhaupt nicht. Dann erinnerte er sich daran, dass sie auf den Partys im Theater Namenlos damals in den Neunzigern ständig Bad Luck gehört hatten, auch die Social-Distortion-Version von Ring of Fire, nicht selten gefolgt von der Mrs-Robinson-Interpretation der Lemonheads, diese großzügig verzerrten, diese schrömmelnden Gitarren, wie Fränge das immer genannt hatte, hatte auch Förster sehr gemocht, und er musste zugeben, dass der Anblick einer Frau, die nichts anderes trug als das T-Shirt einer Rockband, stets etwas Erregendes hatte und Erinnerungen an durchtobte Nächte, Alkohol, Schweiß und Zungenküsse heraufbeschwor, süße Zeiten sind das gewesen, aber, so holte er sich ins Hier und Jetzt zurück, das ist jetzt alles egal, wie kann man eigentlich so viel gleichzeitig denken, und er fragte sich, ob das mit Tschernobyl oder Fukushima wirklich

»Förster? Schon wieder?«

»Na ja, das letzte Mal ist jetzt schon wieder ein paar Monate her.«

»Was läuft hier?«, wollte Alex wissen. »Wo ist mein Vater?«

Förster registrierte, dass Kathrin blass wurde und versuchte, sich das T-Shirt etwas weiter hinunterzuziehen. Und dann tauchte auch noch Fränge im Türrahmen auf, in Unterhosen, mit freiem Oberkörper, gezeichnet von der letzten Nacht, Ringe unter den Augen, unrasiert. Als er Förster sah, fragte er: »Was?«, und als er gleich darauf Alex erblickte, wurde auch er kreidebleich und stieß hervor: »Scheiße!«

Alex starrte seinen Vater an, dann drehte er sich um und lief die Treppe hinunter. Fränge wollte hinterher, aber Förster hielt ihn zurück.

»Lass es, Fränge, blamier dich nicht noch mehr. Zieh dir was an, und dann lass uns zum Spiel fahren.«

»Wieso?«

»Weil Samstag ist.«

Fränge sah Kathrin an, aber die verschwand in der Wohnung.

»Du bist ein Arschloch, Fränge.«

Fränge rieb sich das Gesicht. »Ja, du hast ja recht. Aber weißt du, ich hab die Kathrin gestern durch Zufall getroffen, und beim letzten Mal habe ich es nicht hinbekommen, und da dachte ich …«

»Will ich gar nicht wissen. Du kannst auch hierbleiben, aber wir brauchen den Bulli. Gib mir einfach die Schlüssel.«

»Nein, nein, ich komme mit. Ich will bei meiner

»Du kannst so aber nicht fahren, schon gar nicht mit Kindern drin.«

»Sind da nicht noch andere Väter oder so?«

»Mergim und Vedat und Giorgio sind da, aber …«

»Der Mergim kann den Bulli fahren, der war im Kosovokrieg, der kann alles fahren, hat er mal gesagt. Ich zieh mich schnell an, und dann mache ich mich auf den Weg. Bis zum Platz, das schaffe ich, ich habe auch gar nicht so krass gesoffen letzte Nacht, ich wollte ja fit genug sein, um …«

»Wie gesagt, ich will das nicht wissen. Wenigstens ist es nicht Arjana.«

»Arjana?«, sagte Fränge. »Nee, die hätte das Spiel nicht vergessen.«

Interessanter Gedanke, dachte Förster. Und er scheint auch nicht überrascht zu sein, dass ich ihn mit ihr in Verbindung bringe.

»Meinetwegen machen wir das so mit dem Bulli«, sagte Förster. »Aber beeil dich!« Er hätte auch gar nicht gewusst, wer Brockis Golf, in dem er und Alex hergekommen waren, hätte zurückfahren sollen.

»Ja, ja, sicher«, stammelte Fränge. »Und das mit der Kathrin, weißt du, ich war in letzter Zeit echt oft alleine, außer Brocki und dir habe ich doch niemanden.«

»Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt für Selbstmitleid. Ich muss runter, ich will den Alex nicht so lange alleine lassen.«

»Ja, nee, ist klar«, murmelte Fränge und verschwand in der Wohnung, ohne die Tür zu schließen. Förster langte nach dem Türgriff, da stand Kathrin wieder vor ihm, komplett angezogen diesmal.

»Ich weiß, wie das aussieht. Es tut mir leid.«

»Niemand macht dir einen Vorwurf.«

Die ganze Nacht gequatscht? Wie alt seid ihr, siebzehn?, dachte Förster.

»Interessiert mich jetzt nicht, Kathrin. Ich bin stinksauer auf Fränge. Er hat seinen Sohn hängen lassen, die ganze Mannschaft.«

Kathrin nickte. »Er hat die halbe Nacht von nichts anderem geredet. Wie wichtig ihm die Mannschaft ist und wie sehr er sich freut, dass er wieder ein besseres Verhältnis zu seinem Sohn hat.«

»Das hat er mit dieser Aktion heute wieder komplett ruiniert, würde ich sagen. Ich muss los.«

»Grüß deinen Vater von mir!«

Au Mann, dachte Förster und eilte die Treppe hinunter.