Freundschaftsspiel

»Herrgott, was ist das für eine Hackerei! Nichts gegen internationale Härte, aber das ist ja die reinste Tretertruppe!« Fränge rieb sich die Nasenwurzel und stöhnte. Der Kater machte ihm offensichtlich zu schaffen.

»Spiel ab!«, brüllte er.

Förster runzelte die Stirn. »Wir sind doch gar nicht am Ball!«

»Egal.«

Die Fahrt hierher war stumm vonstattengegangen. Alle Spieler hatten mitbekommen, dass es zwischen Alex und seinem Vater gekracht hatte. Wobei, dachte Förster, gekracht hatte es ja gar nicht, da war nichts ex-, sondern eher implodiert. Alex war äußerlich ruhig geblieben, hatte sich nur geweigert, im Bulli mitzufahren, und war stattdessen kommentarlos bei Adnans Vater eingestiegen.

Förster sah auf die Uhr. Es waren nur noch wenige Minuten zu spielen, und die Spielvereinigung führte mit vier zu null. Eigentlich eine tolle Sache, aber der Gegner war sehr speziell. Gelbe Trikots, rote Hosen, schwarze Stutzen, damit ging es ja schon mal los, denn der Verein hieß eigentlich Blau-Weiß 95. Der Platz war aus Kunstrasen, aber statt geschredderter Autoreifen lag hier Sand herum, der den Untergrund extrem stumpf machte. Nach fünf Minuten war Paul das erste Mal umgeknickt, ein paar Minuten später Mostafa. Sie waren herumgestakst wie Störche, hatten aber

Förster sah hinüber zum Trainer der 95er, neben dem ein zweiter Mann stand, vermutlich der Co-Trainer, vielleicht Mitte dreißig, breite Schultern, Trainingshose, Fußballschuhe, aber obenrum eine khakifarbene Winterjacke ohne Vereinsabzeichen. Er trat ständig von einem Bein aufs andere, schüttelte den Kopf und schien nur mit Mühe seine Aggressionen zu zügeln.

Alex kam an den Ball, verlor ihn aber gleich wieder, setzte auch nicht nach, doch Adnan konnte den Fehler ausbügeln und schlug den Ball weit nach vorne. Alex hatte von Anfang an gespielt, und auch wenn das Spiel mehr oder weniger an ihm vorbeilief, würde ihn Fränge, vermutete Förster, nicht auswechseln, weil er dann auf der Trainerbank hinter seinem Vater hätte sitzen müssen und damit wäre Fränge wohl nicht zurechtgekommen.

Förster sah, dass der Trainer der 95er die Kapuze seiner Vereinsjacke über den Kopf gezogen hatte. Die Hände hatte der Mann tief in die Taschen geschoben. Manchmal schrie

Ein Kommando hatte es Förster besonders angetan: »Spiel den vernünftig!« Was war das für eine Anweisung? Spiel den flach, spiel den nach hinten, spiel den nach rechts oder links, das hätte er alles verstanden, aber vernünftig? Was sollte das heißen? Was ist ein vernünftiger Pass? Vernunft als höchste Stufe der Qualität? Selbst Kant kannte doch die Kritik der reinen Vernunft und hatte auch noch die Kritik der praktischen Vernunft nachgelegt, und von Sloterdijk gab es die Kritik der zynischen Vernunft, und auch wenn Förster davon vor allem die Schlagworte kannte, schien es doch so zu sein, dass Vernunft immer wieder in der Kritik stand, wie also sollte ein vernünftiger Pass ein besonders guter sein, und war es nicht sowieso vergebliche Liebesmüh, von einem pubertierenden Jugendlichen Vernunft zu verlangen?

Förster vertrieb diese ziellosen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf das Spiel, das sich an die Eckfahne der Spielvereinigung verlagert hatte. Er sah, dass Niklas einsam an der Mittellinie stand, und wunderte sich. Eigentlich war es immer Giampiero, der auf einen langen Ball wartete, einen Befreiungsschlag oder einen Steilpass von Justin. Förster registrierte, dass der eine in der eigenen Hälfte verbliebene Verteidiger der 95er sich von hinten an Niklas anschlich. Was ist da los, dachte Förster und stieß genau im

Der Verteidiger war schon wieder zurückgelaufen, der Schiri hob fragend die Schultern, und Fränge wandte sich an den Trainer: »Du hast das doch auch gesehen, oder?«

»Ja, habe ich gesehen.«

»Willst du da nicht mal was sagen? Nimm den runter!«

Der Trainer zuckte mit den Schultern. »Ich habe in der Mannschaft ziemlich viele Arschlöcher, und mein Sohn ist eines davon.«

»Der hat den provoziert!«, rief der Co.

»Provoziert?« Fränge war fassungslos. »Der hat den nicht mal gesehen!«

»Stellt euch mal nicht so an, ihr Weicheier!«

Alarmiert von dem Geschrei der Trainer blickten jetzt einige Spieler herüber, das Spiel lief aber weiter, und Förster dachte: Das ist alles nicht gut, das könnte jetzt aus dem Ruder laufen, und tatsächlich lag plötzlich Mirkan am Boden, und es gab ein wildes Geschrei, aber der Schiri pfiff kein Foul, die 95er blieben in Ballbesitz, spielten auf den linken Flügel, wo Luan sich zwei Angreifern gegenübersah. Der eine 95er rempelte ihn an, der andere versuchte, mit dem Ball vorbeizuziehen, aber Luan fuhr ein Bein aus, lenkte den Ball knapp neben der Eckfahne ins Seitenaus, und der Gegenspieler, der gerade noch am Ball gewesen war, trat Luan mit voller Absicht auf den Knöchel. Luan schrie auf, und der Schiedsrichter gab Ecke.

»Schiri, ehrlich!«, rief Fränge. »Das war das Einzige, was man in der Szene nicht pfeifen konnte.«

»Ernsthaft, Förster, der hätte eher Foul von Luan pfeifen können, weil der seinen Knöchel unter den Schuh des anderen gehalten hat.«

»Was soll das?«, rief der Blondschopf. »Ich habe nicht das Zeichen gegeben, dass ihr auf den Platz kommen könnt!«

Förster musste an das Hallenturnier denken. Noch so ein Paragrafenreiter, dachte er.

»Junge, der ist ihm auf den Knöchel gelatscht!«, rief Fränge. »Ich werde mich doch wohl um meinen Spieler kümmern dürfen!«

»Aber erst, wenn ich es sage!«

»Sollen wir jetzt wieder zurück, oder was?«

»Nein, aber ich werde das im Spielbericht vermerken.«

»Der sieht nicht nur aus wie ein Nazi«, murmelte Fränge, aber der Blonde schien das nicht gehört zu haben.

Luan hatte Tränen in den Augen und konnte nicht mehr auftreten.

»Das war Absicht!«, rief Mirkan.

»Herr Schiedsrichter«, sagte Adnan, offensichtlich in seiner Eigenschaft als Kapitän, »das war ein Foul, es muss Freistoß für uns geben.«

»Was es hier geben muss, das überlässt du mal lieber mir«, sagte der Schiedsrichter und zeigte Adnan die gelbe Karte.

»Wofür das denn jetzt?«, fragte der.

»Das weißt du ganz genau!«

»Ich bin Kapitän, ich darf doch mal was sagen!«

»Ein Wort noch, und du kriegst Rot!«

Adnan wollte etwas erwidern, aber Fränge ging dazwischen. »Sei einfach still, Adnan, das Spiel ist gleich vorbei.«

Oha, deeskalierend wird das aber auch nicht wirken, dachte Förster und behielt recht. Der gegnerische Trainer und sein Co brüllten wild durcheinander, und der Schiedsrichter kam in aller Seelenruhe, aufreizend langsam, zu Fränge herüber und teilte ihm mit, dass auch diese Bemerkung Eingang in den Spielbericht finden würde.

»Ist okay, wir sind jetzt still«, sagte Förster und fasste Fränge am Unterarm, damit der auch wirklich die Klappe hielt, das musste man nicht noch schlimmer machen, als es ohnehin schon war, einfach das Spiel zu Ende bringen und dann so schnell wie möglich weg von hier, dachte er.

Die 95er führten die Ecke aus, der Ball segelte in den Strafraum, es war ein großes Gedrängel und Geschiebe, ein Spieler in Gelb kam an den Ball und drosch ihn etwa fünf Meter neben das Tor, der Blonde gab Abstoß, und Adnan hob die Hände und klatschte Beifall.

»Rot!«, brüllte der Co-Trainer der 95er. »Der muss Rot kriegen!«

Der Schiedsrichter gehorchte, zeigte Adnan die rote Karte und pfiff das Spiel ab.

Was für ein Schwachsinn, dachte Förster, wenn er sowieso abpfeifen wollte, hätte er sich das mit der roten Karte auch sparen können.

Die Spieler in Grün sahen das genauso und bestürmten den Schiri, Fränge rief, das bringe doch nichts und dass sie sich beruhigen sollten. Und dann sah Förster aus dem Augenwinkel, wie der Co-Trainer der 95er loslief. Wo will der

Förster konnte es nicht fassen. »Hast du das gesehen?«

»Ich dreh durch«, sagte Fränge und schrie den gegnerischen Trainer an: »Was für ein Asihaufen seid ihr eigentlich? Der hat einen Dreizehnjährigen umgehauen!«

Der Trainer reagierte gar nicht, dafür aber sah Förster Mergim, Adnans Vater, aufs Feld stürmen und dachte: Das kann jetzt wirklich unangenehm werden. Also lief er selbst auch los, weil ihm durch den Kopf ging, dass von Fränge nicht viel Hilfe zu erwarten war, verkatert, wie der noch war, und überhaupt, dachte Förster, ist Fränge viel zu emotional, um in so einer Situation die nötige Ruhe zu bewahren.

Mergim war beim Co-Trainer der 95er angekommen, zeigte mit dem Finger auf ihn und deckte ihn mit Flüchen ein, jedenfalls ging Förster davon aus, dass das Flüche waren, denn er fluchte auf Albanisch.

Kurz bevor Mergim zuschlagen konnte, drängte Förster sich zwischen ihn und den Co-Trainer, der die ganze Zeit nur vor sich hin grinste, aber keinen Ton sagte. Förster legte die Hände auf den Brustkorb des fluchenden Mergim, dessen Jacke offen war, und Förster dachte: Oha, der hat ja einen Oberkörper wie ein Elitesoldat, der war im Kosovokrieg aber nicht nur für den Nachschub zuständig!

Förster versuchte, Mergim aus der Gefahrenzone zu drängen, also aus der für den Co-Trainer gefährlichen Zone, aber Mergim stemmte sich dagegen und fuhr fort mit seiner Tirade, für die Förster im Übrigen großes Verständnis hatte, denn wer checkt einen Jugendlichen um, höchstens ein anderer Jugendlicher, und er fragte sich, wie sehr das

Die Mannschaft zog sich im Rekordtempo um, und als Fränge aus dem Vereinsheim der 95er kam, wo er den auch bei Freundschaftsspielen obligatorischen Spielbericht freigegeben hatte, sagte er zu Förster: »Du wirst es nicht glauben, aber der Arsch von Schiri hat den Bodycheck nicht im Spielbericht vermerkt, dafür aber das, was ich gesagt habe, und Mergims Fick dich! Da wird also noch was auf uns zukommen, aber scheißegal, jetzt erst mal weg hier.«

Alex saß schon wieder im Auto von Adnans Vater. Mirkan war der Letzte, der in den Bulli einstieg. »Geiles Match, oder?«, sagte er grinsend in die Runde. Und zu Fränge: »Ey, Trainer, wann ist Rückspiel?«