Elftal

Okay, dachte Förster, das lasse ich jetzt mal als Maitag durchgehen. Endlich war die Sonne herausgekommen, das Quecksilber im Thermometer zeigte ernsthaften Ehrgeiz, es über die Zwanzig-Grad-Marke zu schaffen, und der Himmel passte mit seinem an die Streifen auf dem Trikot der argentinischen Nationalmannschaft erinnernden Blau endlich zu dem Grün, das sich an den Bäumen schon seit einiger Zeit breitmachte.

Das mit dem argentinischen Trikot gehörte zu den Unmengen an unnützen Informationen, die bisher völlig an Förster vorbeigegangen waren und die er auch nicht vermisst hatte. Jetzt aber bereitete es ihm eine gewisse Freude zu wissen, dass man Messis Mannschaft auch Die Albiceleste nannte, die Himmelblaue, und die Brasilianer hießen Die Selecão, die Engländer Three Lions (wegen der Löwen im Wappen) und die Italiener die Squadra Azzurra.

»Wie heißt noch mal die holländische Nationalmannschaft?«, fragte Förster.

»Wieso willst du das wissen?«, fragte Fränge zurück. Zusammen mit Brocki standen sie vor dem Platz der Spielvereinigung und warteten auf ihr Team. Zu Fränges Programm der neuen Zuverlässigkeit gehörte es, immer zehn Minuten vor den Spielern beim vereinbarten Treffpunkt zu sein. Alle drei trugen sie das Polohemd mit dem aufgedruckten Vereinswappen sowie lange Adidas-Trainingshosen, in denen

»Einfach so«, sagte Förster. »Ich bin gerade die anderen Namen durchgegangen, Selecão, Squadra Azzura und vor allem Albiceleste wegen des Himmels heute, und in dem Zusammenhang kam ich nicht auf den Namen der niederländischen Mannschaft.«

»Ohne Holland fahr’n wir zur WM!«, sang Brocki.

Fränge stöhnte. »Oh Mann, Brocki, das ist nun wirklich das Dumpfeste, was man singen kann!«

»Ja, aber es stimmt doch!«

»Dieser Holland-Hass sollte unter deinem Niveau sein. Nicht nur, dass man beim Fußball sowieso nie von Hass sprechen sollte …«

»Was ist los, Fränge? Früher warst du so kaltblütig, jetzt fließt durch deine Adern nur noch Softeis?«

»Man kann sich nicht wirklich wünschen, dass eine Nation, die Fußballer wie Johan Cruyff, Ruud Gullit, Marco van Basten oder Dennis Bergkamp hervorgebracht hat, nicht an der WM teilnimmt! Da müssen die Besten spielen.«

»Wenn sie die Besten wären, wären sie dabei.«

Förster nickte. »Da hat Brocki nicht unrecht.«

»Gib mal bei YouTube Dennis Bergkamp ein«, sagte Fränge, »und dann guck dir das Tor an, das er gegen Newcastle gemacht hat, als er bei Arsenal spielte! Das musst du dir zehnmal in Zeitlupe angucken, bevor du begreifst, wie er den Ball um den Gegner herumlegt.«

»Und deshalb muss Holland auch diesmal bei der WM dabei sein, obwohl sie sich nicht qualifiziert haben? Wegen eines dreißig Jahre alten Tores?«

»Das ist gerade mal sechzehn Jahre her«, sagte Fränge, »aber darum geht es nicht. Es geht um dieses dumpfe

»Was hast du jetzt gegen Public Viewing?«

»Da gehen nur Vollpfosten hin, die sich für Fußball einen Scheißdreck interessieren. Du kriegst doch gar nichts mit, wenn du mit hunderttausend anderen Idioten im Pulk stehst und dir gegenseitig Bier über den Kopf kippst. Um Sport geht es da doch wirklich nicht mehr, sondern nur noch um Party.«

»Party ist doch gut.«

Fränge konnte es nicht fassen. »Ach ja, Brocki? Sind wir gerade auf dem Weg zu einer Party? Habe ich da was nicht mitbekommen? Wir kämpfen mit unserer Mannschaft ums Überleben, das hat mit Party nichts zu tun.«

»Wenn man nicht von Hass reden soll«, sagte Förster, »dann auch nicht davon, dass es beim Fußball um Leben und Tod gehe.«

»Ja, vielen Dank, Monsieur Konjunktiv. Es ist keine OP am offenen Herzen, aber eben auch keine Party. Es geht darum, ein Tor mehr zu schießen als der Gegner, und manchmal ist das eben etwas schwieriger und man braucht eine Menge Geduld, die bringen die Fanmeilen-Honks mit der Aufmerksamkeitsspanne, die gerade mal für eine WhatsApp-Nachricht reicht, aber nicht auf. Man muss auch mal dreckig eins null gewinnen.«

»Und Gras fressen?«, warf Förster ein.

»Sieg oder Blut am Pfosten?«, sekundierte Brocki.

»Diese ganze Eventisierung geht mir auf den Sack«, sagte Fränge. »Und die Mannschaft der Niederlande nennt man Elftal. In Deutschland wollen sie das Nationalteam jetzt Die Mannschaft nennen. Das musst du dann immer kursiv denken oder mit Anführungszeichen. Total künstlich ist das! Marketingscheiß!«

»Lass das mit der Jugendsprache oder was du dafür hältst«, sagte Fränge.

»Wir sollten ruhig bleiben«, sagte Förster, »und am Ende dreckig eins null gewinnen.«

»Das kannst du vergessen«, gab Fränge zurück. »Das ist der FC 46, da können wir froh sein, wenn es nicht zweistellig wird. Das wäre auch blöd für unser Torverhältnis. Das könnte nämlich am Ende ausschlaggebend sein, wenn es um den Abstieg geht.«

»Also haben wir heute keine Chance?«, hakte Förster nach.

»Nicht den Hauch«, sagte Fränge.

Elftal, dachte Förster. Schließt das nicht die Ergänzungsspieler aus?