»Also kann es sein, dass ihr nicht absteigt, weil Fränge den Faschisten die Stirn geboten hat?«
»Das waren jetzt nicht wirklich Faschisten, Papa.«
»Für mich klang das schon sehr nach Faschisten, was meinst du, Susanne?«
Monika kam vom Küchenblock herüber und reichte Förster ein Glas Wein, während im Wohnzimmerfenster die Sonne unterging. Sie setzte sich neben ihn aufs Sofa und grüßte in den Bildschirm des Laptops hinein. Försters Vater trug heute ein schwarzes Jeanshemd, was eher untypisch war, denn sonst bevorzugte er das klassische Blau. Seine Mutter hatte eine helle Jeans und ein gelbes ärmelloses Oberteil an. Die sehen immer noch nicht aus wie Mitte siebzig, dachte Förster.
»Ich finde, Klaus hat recht«, meinte seine Mutter. »Wie willst du solche Leute sonst nennen, Roland?«
»Bei Faschisten denke ich mehr an wirklich organisierte Gruppen in einheitlichen Klamotten mit einem regelmäßig ausgelebten Hang zur Gewalt. Das war die leider ganz normale Ausländerfeindlichkeit im Alltag, Mama. Das macht es nicht besser, aber es ist eben noch kein Faschismus.«
»Wenn das Spiel jetzt nur mit drei null gegen euch gewertet wird und ihr deshalb, also wegen der besseren Tordifferenz, die Liga haltet, dann ist das nur gerecht«, sagte Försters Vater. »Ihr verrichtet die Arbeit des Herrn.«
»Wirst du im Alter religiös, Klaus?«, fragte Monika.
Försters Mutter legte ihrem Mann eine Hand aufs Knie. »Das werde ich zu verhindern wissen. Aber im Ernst, Roland. Wie stehen eure Chancen?«
Förster fand es rührend, dass seine Eltern so intensiv Anteil am Schicksal der Mannschaft nahmen. »Wenn wir ehrlich sind, sieht es nicht gut aus. Wir müssten das letzte Spiel, jetzt am Samstag, unbedingt gewinnen. Selbst ein Unentschieden reicht nicht. Aber wir spielen gegen den Tabellenvierten, und wahrscheinlich werden wir hoch verlieren.«
»Wer kämpft, kann verlieren, aber wer nicht kämpft, hat schon verloren.«
»Oh, Papa, Bitte nicht die Sprüche aus der Straßenkämpfer-Mottenkiste.«
»Wir freuen uns jedenfalls drauf«, sagte seine Mutter.
»Ich schreibe euch gleich nach dem Spiel eine Nachricht, wenn euch das so brennend interessiert.«
»Ist nicht nötig, wir kriegen es ja direkt mit«, sagte der Vater.
»Was meinst du damit?«
»Wir werden dabei sein.«
»Was soll das heißen?«
Försters Mutter lächelte. »Wir kommen am Freitagabend nach Bochum und sind dann am Samstag bei deinem Spiel dabei.«
»Ihr kommt extra für das Spiel aus Südfrankreich?«
Försters Vater nickte. »Ja klar, mein Junge, das ist doch Ehrensache.«
Seine Mutter boxte ihren Mann gegen den Oberarm und sagte, ganz so sei es nicht, am Samstagabend sei der Vater zu einer Party in Düsseldorf eingeladen, wo ein ehemaliger Kollege emeritiert werde, und so könnten sie beides verbinden.
»Wusstest du das?«, wandte er sich an Monika, aber die schüttelte den Kopf.
»Wir freuen uns, euch mal wieder zu sehen«, sagte Försters Mutter.
»Wir freuen uns auch«, sagte Monika.
Förster war sich da nicht so sicher. »Ich muss gerade daran denken, wie ich in der Musikschule vorgespielt habe.«
Seine Mutter lachte. »Du warst toll!«
»Es sah ein bisschen komisch aus, wie du die Gitarre gehalten hast«, erinnerte sich sein Vater. »Zwischen den Oberschenkeln, den Hals im Fünfundvierzig-Grad-Winkel nach oben und ein Fuß auf diesem albernen Bänkchen. Ich meine, wenn schon akustische Gitarre, dann aber auch in der richtigen Haltung, also auf den Oberschenkeln und den Hals waagerecht.«
Monika sah Förster an. »Weißt du noch, was du gespielt hast?«
»Habe ich verdrängt.«
Aber seine Mutter wusste es noch ganz genau. »Der Marsch der Zinnsoldaten aus dem Nussknacker von Tschaikowski.«
»Es war grauenhaft, ich habe komplett versagt.«
»Kein Wunder«, sagte sein Vater, »du bist der Sohn eines Rock’n’Rollers. Klassik ist gegen deine genetische Disposition.«
»Nein, er hat sehr schön gespielt, Klaus.«
»Die anderen Kinder haben mich ausgelacht.«
»Du warst vielleicht ein bisschen nervös.«
»Ich hätte das gerne gesehen«, sagte Monika.
»Hättest du nicht«, versicherte Förster.
»Wir haben dir doch zum Fünfzigsten diese Gitarre geschenkt«, sagte sein Vater. »Du könntest uns am Wochenende was vorspielen.«
Das wird ja immer schlimmer, dachte Förster. Die Gitarre stand im Keller. Er musste zugeben, dass er ab und an dort hinunterging, sie stimmte und ein bisschen was spielte, aber er passte auf, dass Monika nichts davon mitbekam.
»Ich glaube, er spielt manchmal heimlich im Keller«, sagte sie in diesem Moment.
»Du warst schon immer so bescheiden«, sagte Försters Mutter.
»Bescheiden sind vor allem meine Fähigkeiten auf dem Ding«, sagte Förster.
»Du hast damals bei dem Auftritt an der Schule diese Kris-Kristofferson-Nummer gespielt«, sagte sein Vater. »Die war nicht schlecht.«
»Können wir jetzt das Thema wechseln?«, bat Förster.
»Wo man singt, da lass dich ruhig nieder«, sagte seine Mutter.
»Denn böse Menschen haben keine Lieder«, vervollständigte sein Vater den Satz.
»Das ist ja nun absoluter Quatsch«, meinte Förster. »Die Nazis haben ständig gesungen.«
»Womit wir wieder bei den Faschisten wären, die deine Jungs beleidigt haben«, sagte sein Vater. »Die singen wahrscheinlich Schlager. So ganz übles Zeug. Wie heißt diese Blonde?«
»Helga Fischer oder so«, sagte Försters Mutter.
»Wir müssen jetzt Schluss machen«, sagte Förster. »Das Essen ist gleich fertig.«
Seine Mutter warf ihm eine Kusshand zu. »Wir sehen uns am Samstag.«
»Wenn du eine zweite Gitarre auftreibst, könnten wir am Sonntag ein wenig jammen«, sagte sein Vater. »Das haben wir noch nie gemacht.«
»Und dafür gibt es Gründe«, murmelte Förster.
Sie verabschiedeten sich, und Förster klappte den Laptop zu. »Das wird übel. Das wird ganz übel.«
Monika küsste ihn auf die Stirn. »Sei lieb zu ihnen. Deine Eltern sind toll. Du verrichtest die Arbeit des Herrn.«