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Ich lerne die subtile Kunst des Namedroppings
I ch hatte mir absolut zu Recht Sorgen gemacht.
Stoney wurde im Untergrund nicht gerade begeistert empfangen. Als er mit mir, Ari und zwei bewaffneten Wachen durch die Gänge zu einem großen Raum trampelte, in dem er wohnen sollte, musterte ihn fast jeder Zwerg, an dem wir vorbeikamen, voller Argwohn. Oder er wich aus, so weit weg von Stoney wie überhaupt nur möglich.
Einige machten sogar abfällige Bemerkungen:
»Uäh, ich verstehe nicht, wie der Rat das erlauben konnte.«
»Wehe, sie quartieren dieses Ding in meiner Nähe ein.«
»Blöder Felsfresser!«
Stoney verhielt sich vorbildlich, er ignorierte diese Zwerge und ließ ihre Äußerungen an sich abprallen. Er blieb einfach ruhig und höflich. Er wirkte vielleicht ein bisschen nervös, aber ich wusste, dass er Vertrauen zu mir hatte, und deshalb hörte er auf meine Bitten und beherrschte sich.
Der Raum, den sie für Stoney bereitgestellt hatten, war einmal eine Waffenkammer gewesen. Jetzt war es ein leeres Zimmer ohne jedes Möbelstück, mit hohen Wänden, an denen hier und da Wasser heruntertropfte. Es gab genug Platz, dass Stoney sich hinlegen und ein paar Schritte machen konnte. In eine Ecke war für seine Ausscheidungen (Diamanten, falls ihr das vergessen haben solltet) ein Trog aufgestellt und in einer anderen Ecke war ein großer Steinhaufen zusammengetragen worden (seine Nahrung, nahm ich an).
Als ich dieses kahle, abweisende Quartier sah, musste ich schlucken.
»Das ist, äh, dein Zimmer«, sagte ich. »Es macht, äh, nicht viel her, aber …«
Stoney drängte sich an mir vorbei und sah sich in der schmucklosen Höhle mit den feuchten Wänden um. Dann schüttelte er sich einige Male und für eine Sekunde glaubte ich, er würde uns wie naive, vertrauensselige Wanzen zerquetschen (als Beweis, dass Aderlass die ganze Zeit recht gehabt hatte). Aber dann fuhr Stoney mit seinem schrägen, verlegenen Steinlächeln im Gesicht herum.
»STONEYS?«, fragte er.
Er ließ seine Hände einen Bogen beschreiben.
»Ja, Stoney«, sagte Ari. »Das ist dein Zimmer.«
»GRANDIOS!«, sagte er mit dröhnender Stimme. »STONEY LOGIS OHNE FIXIERUNG!«
»Fixierung?«, fragte ich.
»Fesseln oder Handschellen«, sagte Ari. »Die Elfen haben ihn offenbar angekettet schlafen lassen, wenn sie ihn nicht gerade als Waffe eingesetzt haben.«
»STONEY SCHLUMMERN UNGEHEMMT!«
Eine der Wachen trat einen Schritt zurück und machte ein nervöses Gesicht.
»Es freut mich, dass es dir gefällt, Stoney«, sagte ich.
Er nickte.
»Sagt mal, äh, Leute«, sagte die Wache. »Sagt ihr mir Bescheid, wenn ihr fertig seid, damit ich dann abschließen kann?«
»Wieso denn abschließen?«, fragte ich.
Die Wache schnaubte.
»Kleiner, du glaubst doch wohl nicht, dass wir dieses Ding einfach so durch den Untergrund streunen lassen?«, fragte er.
»Aber ich habe es ihm versprochen«, sagte ich und biss so fest die Zähne zusammen, dass ich das Gefühl hatte, meine Backenzähne würden in Stücke brechen.
»Mir egal«, sagte die Wache. »Das musst du mit ihm abmachen. Ich habe meine Befehle. Befehl ist Befehl.«
Stoney knurrte.
»GREG VERBALER KONTRAKT!«, brüllte er. »STONEY AUTONOM!«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte ich zu ihm. »Das habe ich auch so gemeint. Wirklich. Ich kümmere mich darum.«
Stoney bebte vor Zorn. Er schien nur Sekunden von einem Wutanfall entfernt zu sein, und das hätte sicher die gesamte Kammer zum Einsturz gebracht.
»Ich verspreche es dir. Ich kümmere mich jetzt sofort darum«, sagte ich. »Du vertraust mir doch, oder?«
Stoney nickte.
»Und ich bleibe«, sagte Ari. »Ich bleibe hier bei ihm, während du mit Dunmor redest.«
Ich lächelte sie dankbar an.
»Ist das in Ordnung, Stoney?«, fragte ich.
Wieder nickte Stoney.
»Okay, schön«, sagte ich zur Wache. »Tu, was du nicht lassen kannst. Ich gehe dann mal los und regele das.«
»Klar, wie auch immer«, sagte die Wache und brachte mich zur Tür.
Der laute Knall, mit dem die Tür ins Schloss fiel, jagte mich durch den Gang.
Es war vermutlich ein bisschen naiv von mir gewesen zu glauben, ich könnte einfach ohne Vorankündigung im Büro des Ältermannes auftauchen (der ja im Grunde der Präsident aller Zwerge war) und sofort zu ihm vorgelassen werden – trotz allem, was wir schon miteinander erlebt hatten.
Es hätte mich also eigentlich nicht überraschen dürfen, dass ich mehrmals von seinen Sicherheitswachen abgewiesen wurde. Ich wollte schon aufgeben, als einer von Dunmors Assistenten die Büroräume verließ und mich mit mutloser Miene im Gang stehen sah.
»Foluda, weißt du nicht, wer der Junge ist?«, fragte er den Sicherheitschef. »Das ist der Sohn von Trevor Sturmbauch.«
»Du bist der Sohn von Trevor Sturmbauch?«, fragte Foluda geschockt. »Das tut mir leid. Ich – ich hatte doch keine Ahnung! Warum hast du das nicht einfach gesagt?«
Okay, es fiel mir schwer, mich daran zu gewöhnen, dass mein Dad berühmt war. Ich hatte die Macht des Namedroppings noch nicht richtig erfasst. Das lag zum Teil sicher an dem Zustand, in dem sich mein Dad gerade befand – ich konnte einfach nicht begreifen, dass irgendwer ihn verehrte, wo er doch im Grunde gerade vor unseren Augen den Verstand verlor. Wie auch immer, als die Wachen erst wussten, dass ich ein Sturmbauch war, wurde ich sofort in die Verwaltungsräume des Untergrunds vorgelassen. Fast eine Stunde später konnte Dunmors Sekretär, ein junger bärtiger Typ namens Whukgrek Jadehand, für mich eine kurze Besprechung mit Dunmor arrangieren.
»Höchstens zehn Minuten«, sagte Whukgrek, ehe er mich in Dunmors Büro führte.
Offenbar hatte die Rückkehr der Magie das Büro des Ältermannes ins Chaos gestürzt. Während ich darauf gewartet hatte, vorgelassen zu werden, waren Leute mit den Armen voller Schriftrollen und uralter Bücher hin und her gerannt wie Sechstklässler, die am ersten Schultag Angst hatten, zu spät zum Unterricht zu kommen.
»Greg, du kannst nicht immer einfach herkommen, wenn du etwas brauchst«, sagte Dunmor, als er sich mit hektischer Miene in seinem kleinen Holzsessel niederließ. »Ich habe im Moment so viel zu tun, und dann ist ja noch dein Vater wieder da und so weiter …«
Sein sonst so gepflegter Bart sah strähnig und verfilzt zugleich aus.
»Es ist wichtig«, sagte ich.
»Ja, schön, aber das ist das hier auch.«
Er zeigte auf die Haufen von Pergamentblättern und Schriftrollen auf seinem Schreibtisch, die so wild durcheinanderlagen, dass es eine Beleidigung für das Wort Stapel gewesen wäre, mit diesem Chaos auch nur in Verbindung gebracht zu werden.
»Okay, ich komme gleich zur Sache«, sagte ich.
»Bitte.«
»Es geht um Stoney.«
»Wen?«, fragte Dunmor.
»Den Felstroll, der vorhin mit uns aus Wisconsin hergekommen ist«, sagte ich.
»Ach so, der«, sagte er. »Dafür wirst du gebührend belohnt werden, mach dir da keine Sorgen. Ihr jungen Leute habt unglaublich gute Arbeit geleistet, einfach unglaublich. Allein aufgrund dieser Aktion kann ich den Rat bestimmt überreden, mehr Jugendliche als Freiwillige zu MFMs zuzulassen. Glaub mir, wir werden unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, sowie …«
»Darum geht es nicht«, fiel ich ihm ins Wort. »Es geht darum, wie Stoney untergebracht wird. Ich habe ihm versprochen, dass er kein Gefangener sein würde. Wir dürfen ihn nicht in seinem Zimmer einschließen.«
Für einen Moment starrte Dunmor mich an. Seine Augen schienen Kreise um meinen Kopf zu zeichnen, während er ein Stück getrocknetes Elchfleisch aus der Tasche zog und zerstreut darauf herumkaute. Bei diesem Anblick knurrte mir der Magen. Dann seufzte Dunmor und griff in seinen geschundenen Bart.
»Nun ja«, sagte er langsam. »Greg, du musst begreifen, dass wir einen Felstroll, noch dazu einen, der noch vor Kurzem ausgerechnet mit den Elfen verbündet war, nicht einfach nach Lust und Laune im Untergrund herumlaufen lassen können. Das wäre unverantwortlich, geradezu ignorant. Wir müssen uns zuerst ein Bild von ihm machen. Wir müssen wissen, dass wir ihm vertrauen können, ehe ihm irgendwelche Freiheiten eingeräumt werden. Ich bin sicher, du kannst verstehen, dass wir in erster Linie an die Sicherheit der Bewohner des Untergrunds denken müssen?«
»Das verstehe ich, das verstehe ich wirklich«, sagte ich. »Aber ich würde nicht gerade behaupten, dass er mit den Elfen verbündet war. Gefangener wäre eine passendere Beschreibung. Er wird niemandem etwas tun. Das kann ich versprechen. Stoney meint es gut, das tut er wirklich.«
»Greg, bitte, versteh das nicht falsch, aber wir können die Entscheidungen in unserer Gesellschaft nicht aufgrund der Versprechungen eines Dreizehnjährigen treffen«, sagte Dunmor. »Wir müssen auf Klugheit, Intelligenz und Geschichte bauen. Außerdem kann ich das nicht allein entscheiden. Das hier ist keine Diktatur. Es ist eine Demokratie. Es gibt vorgeschriebene Herangehensweisen für alle möglichen Szenarien. Jedes Monster und jedes andere Wesen, das nach einer erfolgreichen MFM hergebracht wird, muss hinter Schloss und Riegel gehalten werden, bis es ausreichend vernommen, bewertet und als ungefährlich für die Öffentlichkeit im Untergrund eingestuft worden ist. Nur ein Beschluss des Rates kann dafür sorgen, dass seine Zimmertür aufgeschlossen wird, Greg. Es tut mir leid.«
»Wie lange wird das dauern?«, fragte ich.
Dunmor zuckte hilflos mit den Schultern.
»Das ist für uns alle eine ziemlich neue Situation«, sagte er. »Einige MFM-Wesen wurden schon nach vierundzwanzig Stunden für ungefährlich befunden. Andere sind noch immer nicht so weit. Der Rat tritt einmal am Tag zusammen, um jeden anliegenden Fall zu diskutieren und zu bewerten. Das heißt, morgen wird der Fall deines Felstrolls zusammen mit allen anderen diskutiert und bewertet werden.«
Ich nickte und meine Schultern entspannten sich ein bisschen.
»Aber ich muss dich warnen«, sagte nun Dunmor. »Er ist nun mal ein Felstroll. Und da ist es sehr, sehr unwahrscheinlich, dass er morgen freigelassen wird. Vielleicht wird er das auch nie, in Anbetracht der Tatsache, was wir mit anderen seiner Art erlebt haben.«
»Wieso denn erlebt?«, fragte ich aufgebracht. »Die meisten von euch haben doch in ihrem ganzen Leben noch keinen Felstroll gesehen, ehe wir ihn mitgebracht haben.«
»Greg, du weißt, was ich meine«, sagte Dunmor. »Ich beziehe mich auf unseren langen, gut dokumentierten Kampf mit diesen Wesen zu Zeiten von Ur-Erde.«
»Ihr wollt also Entscheidungen aufgrund von Dingen treffen, die vor hunderttausenden von Jahren passiert sind, statt aufgrund dessen, was ihr hier und jetzt mit eigenen Augen sehen und hören könnt?«, fragte ich und wollte meinen Ohren kaum trauen. »Wenn ihr ihm nicht vertraut, wird er euch auch niemals vertrauen. Ihn in seinem Zimmer einzuschließen führt zwangsläufig dazu, dass er niemals als zuverlässig erscheinen wird. Er könnte sogar …«
Ich konnte mich gerade noch bremsen, bevor ich herausplatzte, dass Stoney problemlos aus dem Zimmer ausbrechen könnte, wenn er wollte. Glaubten die wirklich, zwei verschlossene Holztüren könnten einen riesigen Felstroll beeindrucken?
»Er könnte sogar was?«, fragte Dunmor und hob die Augenbrauen.
»Nichts«, sagte ich, in dem Wissen, dass es für Stoney keine Hilfe sein würde, wenn ich damit drohte, dass er gewalttätig werden könnte.
Ich würde mir etwas anderes überlegen müssen.
»Ich fürchte, ich habe jetzt keine Zeit mehr für diese Diskussion, Greg«, sagte Dunmor kurz angebunden. »Sonst noch etwas?«
Ich seufzte und schüttelte widerstrebend den Kopf. Für Dunmor war der Fall erst mal erledigt. Für mich aber ganz sicher nicht.
Noch nicht.