18
Natürlich sind die besten Teile des Truthahns ganz unten
I ch bin stolz auf dich, Greg«, sagte mein Dad, als ich mich einige Minuten nach meinem Abschied von Ari ihm gegenüber an unseren kleinen Esstisch setzte.
Ich war sofort nach Hause gegangen, und dort fand ich ein gewaltiges Festmahl auf dem Tisch vor: drei Pfund Schweinerippen, geschmorter Ochsenschwanz mit sautierten Zwiebeln und Apfel-Rindersoße, gebratene Schweineohren mit würzigem Senfdip, gegrillte Schweinebacken mit eingekochter Entensoße und eine Karotte. Und obwohl ich gleich meine Freunde treffen wollte (ich hatte eigentlich nur vorgehabt, mir schnell irgendetwas Essbares und meinen alten Rucksack zu schnappen), konnte ich einen raschen Imbiss mit meinem Dad nicht ablehnen. Zumal er offenbar gerade einen lichten Moment hatte. Außerdem hatte er sich definitiv große Mühe mit der Zubereitung dieser Mahlzeit gegeben und war noch immer ein hervorragender Koch. Wenigstens daran hatte das Elfengift samt Gegengift nichts geändert.
Ich beschloss, schnell mit ihm zu essen, ich würde sicher trotzdem nur einige Minuten zu spät in der Arena eintreffen.
»Du hast dich vor dem Rat richtig eingesetzt, für etwas, woran du glaubst«, sagte er. »Das macht einen wahren Sturmbauch aus.«
»Danke, Dad«, sagte ich. Mehr wollte ich nicht sagen, aus Angst, es könnte eine weitere bizarre endlose Episode voller seltsamer Ratschläge auslösen.
Er nickte und stopfte sich eine Handvoll knuspriger Schweineohren in den Mund. Wir aßen eine Weile schweigend weiter.
Ich hätte ihn zu gern mehr gefragt, um einen echten Rat gebeten. War das, was ich vorhatte, richtig oder falsch? Es würde vermutlich gefährlich werden, war schlecht geplant, und würde abermals das Leben meiner Freunde aufs Spiel setzen. War es das alles wert? In diesem Augenblick wollte ich meinen alten Dad zurück.
Na, da hast du deine Antwort, Greggdroule, sagte Aderlass unter meinem Bett. Es gibt nur eine Möglichkeit, dir das zurückzuholen. Zusammen können wir die Elfen dazu zwingen.
Natürlich hatte meine Axt recht. Die Antwort auf die Frage, ob das, was ich vorhatte, die Mühe wert war, saß hier vor mir: mein Dad. Ich wollte nichts auf der Welt lieber, als dass er wieder normal würde. Das war nicht nur das Risiko wert, sondern auch den Zorn des Rates, wenn ich abermals seine Wünsche ignorierte.
Wie ich da saß und meinen Dad anstarrte und mich nicht traute, mit ihm zu sprechen, fühlte ich mich gleichzeitig irgendwie schuldig und undankbar. Noch vor wenigen Monaten hatte ich geglaubt, dass ich ihn niemals wiedersehen würde. Dass er wieder da war, wenn auch in seinem seltsamen Zustand, war immer noch besser, als seinen Dad für immer zu verlieren, wie Edwin. Und egal, was alle anderen von Locien Aldaron hielten, ich wusste, dass Edwin ihn verehrt hatte. Er hatte das Böse in ihm nicht sehen können.
Nicht ablenken lassen, Greggdroule, meldete sich Aderlass zu Wort. Was deinem Freund passiert ist, spielt keine Rolle mehr. Ich möchte dich daran erinnern, dass Locien der Grund ist, warum dein Dad zu dieser leeren Hülle eines Mannes geworden ist. Ist es nicht fast schlimmer, diese Version von ihm um dich zu haben, als ihn für immer zu verlieren? Edwins Dad ist zwar nicht mehr da, aber immerhin sind Edwins Erinnerungen an ihn ungetrübt. Während deine davon verdorben werden, was Trevor jetzt ist. Nein, du musst deinen Plan in die Tat umsetzen. Wir müssen nach New Orleans gelangen und einen ranghohen Elfen entführen. Die Elfen müssen deinen Dad entweder heilen oder einen hohen Preis für ihre Schandtaten bezahlen.
Ich bin noch immer nicht sicher, dachte ich. Ich meine, vielleicht sollte ich einfach zufrieden damit sein, was ich habe? Ist es nicht elfisches Denken, immer mehr haben zu wollen?
Dann tu es doch, frag deinen Dad, was er denkt, erwiderte die Axt. Du wirst ja sehen, was er sagt.
Ich wusste, das war irgendein Trick oder Test, aber ich wollte meinen Dad so dringend um Rat fragen, dass ich mich trotzdem darauf einließ.
»Ich weiß aber nicht, wie weit ich gehen soll«, sagte ich.
»Hmmm?«, fragte er mit dem Mund voller Fleisch.
»Damit, woran ich glaube«, sagte ich. »Heute habe ich vor dem Rat meine Ansicht vertreten, das schon, aber er hat trotzdem Nein gesagt. Ich habe das Gefühl, dass ich noch mehr tun müsste. Ich glaube Stoney. Ich glaube, dass in New Orleans etwas Schreckliches passiert, mal abgesehen von weiteren Gründen, dort hinzureisen. Kann ich das wirklich einfach ignorieren?«
Mein Dad ließ sich zurücksinken. Seine Augen wurden glasig und ich hätte vor Verzweiflung fast gegrunzt, denn ich wusste, was jetzt kam. Aber zu meiner Überraschung schien er sich diesmal dagegen zur Wehr zu setzen.
»Greg, du weißt, wie ich das sehe«, sagte er, als sich seine Augen in einem seltenen Augenblick der Klarheit erhellten. »Ich war immer dafür, zu tun, was man für richtig hält. Egal, was. Solange es nicht nur zu deinem eigenen Nutzen ist.«
Siehst du?, fragte Aderlass. Er ist ganz meiner Meinung.
Ich nickte und war erleichtert und entsetzt zugleich. Mein Dad hatte mir im Grunde soeben seinen Segen erteilt. Was bedeutete, dass vor meinen Freunden und mir vermutlich große Gefahren lagen – obwohl es dem Allgemeinwohl diente.
»Aber dann gibt es ja immer noch dieses kleine Körnchen der Wahrheit«, erklärte mein Dad plötzlich, gab den Versuch auf, die Episode aufzuschieben, und schaltete in den Total-weggetreten-Modus über. »Die besten Truthahnstücke sind manchmal ganz unten! Wie dieser Wels! Wie hieß er doch noch gleich? Ach richtig, General Sherman. Versuch nicht, General Sherman zu finden, wenn es dir nur um die Angelschnur geht! Ich meine, vergiss die Irren im Köderladen …«
Noch ein Grund, dich auf den Weg zu machen, schaltete sich Aderlass ein und rieb mir damit Salz in die Wunden. So kann das nicht weitergehen. Du musst deinen richtigen Dad zurückbekommen. Außerdem vergisst du, dass du unterwegs Edwin finden könntest. Und dass du einen unheilvollen und vernichtenden Elfenplan ruinieren kannst. Wie dein Dad schon sagte, ehe ihm wieder alle Tassen aus dem Schrank gefallen sind: Es ist richtig, und es ist zum Nutzen aller, nicht nur zu deinem eigenen.
Aderlass hatte natürlich recht. Das hatte er meistens (wenn er nicht gerade vorschlug, dass ich irgendwen oder irgendwas nur aus Jux in Scheiben schneiden sollte).
»Okay, Dad«, sagte ich, als er sich weiter über einen Riesenwels namens General Sherman verbreitete. »Okay.« Ich stand auf. »Ich muss jetzt zu meinen Freunden in die Arena. Danke für das Essen.«
Ich drückte seine Schulter, was er aber kaum bemerkte. Er war bereits zu guten Ratschlägen übergegangen, wie man einen gewissen Mr Gesuchtwird am besten herbeirufen könnte.
Aber er hatte die Episode gerade lange genug abgewehrt, um mir einen echten Ratschlag zu erteilen: weiter für das zu kämpfen, was ich für richtig hielt. Egal, wie verrückt und gefährlich das war. Und dem Plan der Elfen ein Ende zu setzen, Edwin zu suchen und, vor allem, ein Heilmittel für meinen Dad zu finden, war richtig.
Ich hoffte nur, dass meine Freunde das auch so sehen würden.
»Natürlich machen wir mit!«, sagte Ari.
»Ja, was hast du denn gedacht?«, fügte Glam hinzu. »Dass wir uns die Chance entgehen lassen, mit einer Bande von intriganten Elfen zu raufen?«
»Wärst gleich der ärgsten Narretei, dich zu enthalten«, sagte Lake.
Froggy nickte mir wortlos zu, aber ich sah, dass seine Augen anderswo waren.
»Ich kann natürlich nicht mitkommen«, sagte Eagan, ehe ich Froggy fragen konnte, ob etwas nicht stimmte. »Aber ich werde tun, was ich kann, um von hier aus zu helfen, und dafür sorgen, dass Stoney weiterhin gut behandelt wird. Und ich versuche, eure Spuren zu verwischen, sowie der Rat bemerkt, dass ihr verschwunden seid. Aber … ich kann sie nicht anlügen, das wisst ihr, deshalb werden sie irgendwann dahinterkommen. Was bedeutet: wenn ihr erst dort seid, wird die Zeit, die euch bleibt, um die Elfen zu finden und ihre Pläne zu durchschauen, begrenzt sein.«
Ich nickte.
Ich hatte ihnen erzählt, was ich von Stoney gehört hatte: dass die Elfen die universale Annihilation planten und dass der Rat das bereits als törichtes Trollgefasel abgetan hatte.
Natürlich hatte ich das mit meinem Dad größtenteils ausgelassen. Sowie die Tatsache, dass der Anführer der Elfen vielleicht Edwin war (obwohl ich noch immer hoffte, dass das nicht der Fall wäre, denn es würde bedeuten, dass er überhaupt kein Gewissen mehr hatte). Ich wusste selbst nicht genau, warum ich das in dem Bericht für meine Freunde ausließ, aber Aderlass hatte behauptet, es wäre besser so. Es wäre richtiger, mich auf das zu konzentrieren, was für die Welt wichtig war, und nicht für mich.
Setz deinen inneren Tumult nicht ein, um sie zu manipulieren, hatte er gesagt. Konzentrier dich auf die größeren Zusammenhänge, auf das, was allen hilft: zu verhindern, dass diese verflixten Elfen ihre grausamen Pläne durchführen, wie immer die aussehen. Wenn wir erst da sind, werden du und ich allein ein Heilmittel für deinen Dad finden.
Um ehrlich zu sein, hatte ich nie daran gezweifelt, dass meine Freunde mitmachen würden. Sie waren ja auch vor ein paar Monaten sofort bereit gewesen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um meinen Dad zu retten. Damals kannten wir einander noch nicht so gut, aber trotzdem hatten sie nicht gezögert.
»Wie kommen wir dahin?«, fragte Glam. »Ist New Orleans nicht so richtig weit weg? Ich bin noch nie geflogen.«
»Ich auch nicht«, sagte Ari.
»Wir alle nicht«, sagte Eagan.
»Wir können nicht fliegen«, sagte ich.
»Wesgrundes nicht?«, fragte Lake und machte ein enttäuschtes Gesicht.
»Weil die Flughafenbehörden vermutlich nicht erlauben, dass eine allein reisende Gruppe von Jugendlichen mehrere Hockeytaschen voller Schwerter und Äxte und anderer Waffen eincheckt«, sagte ich. »Wir nehmen also den Zug. Ich bin einmal, als ich acht war, mit meinem Dad mit der Bahn nach Seattle gefahren, und da haben sie unsere Taschen nicht einmal angeschaut, geschweige denn gefragt, was wir darin hatten.«
»Bleibt die Frage des Geldes«, sage Eagan. »Ich nehme an, dass fünf Rückfahrkarten nach New Orleans eine ganze Menge kosten.«
»Mach dir da keine Sorgen«, sagte ich und grinste. »Das hab ich im Griff.«