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Ein alter Freund geht zum Ork-Bowling
M ein erstes Problem, als ich mich ins Kampfgetümmel stürzte: Ich hatte keine Waffe.
Mein zweites Problem, kaum dass ich in den Regen hinausgerannt war: Ich war von sieben wütenden grünen Orks umringt, die bewaffnet waren mit scheußlich aussehenden dicken Krummschwertern, mit blutverklebten Kampfäxten, die mit Kerben übersät waren (vermutlich vom vielen Knochenbrechen), und mit gemeinen Keulen mit angespitzten tierischen Stoßzähnen an den Enden.
Orks waren breiter als Menschen, aber nur wenig größer (die meisten waren um die zwei Meter zehn). Doch sie waren viel dicker, wie haarlose Gorillas auf Steroiden. Ihre Haut schillerte in allen möglichen schmierigen Grüntönen und war mit Warzen bedeckt. Ihre Mäuler standen permanent offen und sie bleckten die Zähne wie riesige Hunde. Nun hackten sie sofort los, ohne mir auch nur Zeit zu lassen, die Lage zu peilen, einen Plan zu machen oder mit ihnen zu diskutieren.
Dem ersten Hieb konnte ich ausweichen.
Zugleich rief ich magische Schlingpflanzen herbei, die einen Ork vom Gehweg nach unten in die Bucht zogen. Aber die Waffen von drei anderen Orks trafen mich und mein Körper wurde nur den Bruchteil einer Sekunde vor dem Treffer zu Stein. Sonst hatte ich nie etwas gespürt, wenn ich diesen steinernen Abwehrzauber benutzt hatte, aber diesmal tat es richtig weh.
Die Schwerter der Orks prallten an meiner Steingestalt ab, aber sie brachten meine Zähne zum Klappern und warfen mich zu Boden, und ich fragte mich benommen, ob sie mir vielleicht doch ein Glied abgehackt hatten, obwohl ich zu Stein geworden war. Mein Rücken und mein Arm pochten vor Schmerz, aber ich war noch immer unversehrt. Als ich mich umschaute, zielten bereits drei andere Orks mit zwei riesigen Äxten und einer riesigen, mit Zacken besetzten Keule auf meinen Kopf.
Ich wusste, damit war die Sache gelaufen – ich hatte keine Kraft mehr für einen weiteren Zauber. Das spürte ich. Und selbst wenn, dann wäre das nicht genug gewesen. Im Kampf gegen Orks hatte zwergische Energie offenbar ihre Grenzen. Aber unmittelbar ehe die Waffen mich trafen und sich Dunkelheit über mich senkte, kam ein Felsbrocken von der Größe eines kleinen Hauses aus dem Nirgendwo geflogen und warf alle drei Orks um wie Bowlingkegel. Der Felsbrocken rollte hinab in die Bucht und hinterließ eine Schmierspur aus grünem Blut und Orkteilen.
Erst als die drei verbliebenen Orks von einer felsigen Schulter, die zu einem gewaltigen, wütenden grauen Wesen gehörte, gegen die Mauer geklatscht wurden, ging mir auf, wer mich gerettet hatte.
»Stoney!«, schrie ich.
»STONEY PROTEKTOR VON GREG!«, brüllte der riesige Felstroll, als er mit leichter Hand einen Ork mehrere Hundert Meter in die Luft schleuderte wie ein Stück Abfall.
Dann waren plötzlich auch meine übrigen Freunde da. Alle meine Freunde: Ari, Lake, Eagan, Glam und Froggy. Und vier von den Zwergen, die ich in New Orleans kennengelernt hatte, waren ebenfalls mit von der Partie: Kichi, Yoley, Tiki und Boozy.
Ari riss mich an sich und es war die beste Umarmung, die ich jemals erlebt hatte.
»Ihr lebt noch!«, sagte ich mit gepresster Stimme, während ich verzweifelt versuchte, nicht gegen die zwergische Grundregel zu verstoßen: Zwerge weinen nicht.
»Bitte entschuldige, dass es so lange gedauert hat«, sagte Ari und ignorierte die Regel, denn ihr liefen die Tränen über die Wangen.
»Kommt jetzt, hier lang«, sage Eagan und führte uns zurück ins relativ ruhige Gefängnis, weg vom Kampfgewühl.
Das Hauptgefecht schien sich für den Moment vor allem auf den Bereich außerhalb der Mauern zu konzentrieren. Was vom VG vermutlich so beabsichtigt war, da so viele Angehörige ihrer Armee entweder fliegen konnten oder zu groß waren, um in den engen Gefängnisgängen etwas auszurichten.
Wir kauerten uns in einen Zellentrakt, der an meinen eigenen angrenzte. Es brannte kein Licht und alles war stockdunkel. Ich wollte den anderen gerade erklären, was hier vor sich ging, aber ehe es so weit kam, hörte ich in meinem Kopf eine vertraute Stimme:
Ach, was hat mir deine hässliche Visage gefehlt, Greggdroule!
Froggy warf mir Aderlass zu, während die Axt weiterplapperte.
Diese angeschrägten drecksschlammfarbenen Augen! Diese gelben und wild durcheinanderstehenden Zähne! Deine strähnigen Haare! Der Geruch, oh, der Geruch! Niemals zuvor hat ein Geruch mir dermaßen gefehlt!
Bei seinem Anblick machte mein Herz einen Sprung.
Als der Griff meine Handfläche traf, durchfuhr mich ein Strom von Kraft. Alle Schmerzen waren verschwunden. Seltsamerweise wollte ich jetzt unbedingt wieder nach draußen rennen und alle und alles niedermetzeln. Und zwar bei beiden kämpfenden Armeen. Weil sie mich und meine Freunde in Gefahr gebracht hatten.
Jawoll, fügte Aderlass hinzu. Und außerdem haben sie dich gefangen gehalten. Ich meine, wer tut denn so was? Sie haben dich mit einem Lächeln im Gesicht gefangen gehalten! Als ob sie dir damit einen Gefallen täten!
Die Axt hatte recht: Weshalb hatte ich es einfach so hingenommen, gefangen zu sein? Ich hätte die ganze Zeit toben müssen. Dass sie mich einigermaßen gut behandelt hatten, spielte keine Rolle. Ich war ihr Gefangener gewesen – sie hatten mir meine Freiheit genommen. Und diese Verumque-Genus-Leute, na, die hatten die Vernichtung ja wohl sowieso verdient. Alles, was noch zählte, war Rache und Wut.
Ich knirschte so fest mit den Zähnen, dass ich schon glaubte, einen zerbissen zu haben. Wie hatte ich so blind für meine Lage sein können? Das musste an der elfischen Manipulation und Überredungskunst gelegen haben.
Wenn wir hier fertig sind, wird kein Elf mehr aufrecht stehen, sagte Aderlass.
Na, da bin ich mir nicht so sicher, dachte ich zurück.
Du bist nur deshalb so gelassen, weil sie dich mit ihrem elfischen Charme eingewickelt haben, Greggdroule, sagte Aderlass. Aber jetzt, wo wir wieder zusammen sind, wird nichts uns daran hindern, die Welt vor den Elfen zu retten. Vor ihnen allen.
Okay, dann ans Werk, dachte ich zurück. Wir vernichten sie!
Ja, verdammt. Rock and Roll!
Ich wollte schon aufspringen und nach draußen stürzen, um Aderlass auf beide Elfengruppen loszulassen. Aber Eagan legte mir die Hand auf die Schulter und hielt mich zurück.
»He, Moment mal«, sagte er. »Was ist hier überhaupt los?«
In der Hitze des Augenblicks hatte ich vergessen, dass die anderen ja keine Ahnung hatten. Also erzählte ich ihnen in aller Eile, wer die Verumque-Genus-Fraktion war, warum sie gegen Edwin kämpfte und was der plante.
»Wir müssen sie aufhalten«, sagte ich. »Sie allesamt. Edwin will der Welt alle Magie nehmen und VG will mit Magie eine Armee von Monstern befehligen, um alles zu verwüsten. Und das können wir natürlich beides nicht zulassen.«
»Das leuchtet zwar ein«, sagte Eagan. »Aber ich frage mich, was der Rat …«
Sag ihm, dass der stumpfsinnige Rat sich einen drungigen Burrlanger sonst wohin stecken kann, kommentierte Aderlass. Das hier erledigen wir auf purboggingischste Weise selbst.
»Vergiss den Rat«, fiel ich Eagan ins Wort, drückte mich aber nicht ganz so drastisch aus, wie Carl vorgeschlagen hatte. »Woher habt ihr eigentlich gewusst, dass ich hier bin? Und warum seid ihr erst jetzt gekommen?«
»Eigentlich hat Aderlass uns hergeführt«, sagte Eagan.
»Echt?«
»Aye«, erklärte Lake. »Ihmseinige Kräfte seien hinfort nie mehr gering zu wähnen.«
Richtig so, ich bin ein Boss, prahlte die Axt. Macht mich oder meinen Zwerg nicht an!
»Wir wollten viel schneller hier sein«, sagte Ari, und ich wusste, dass sie es ehrlich meinte. »Nachdem die Axt uns hergeführt hatte, was an sich schon lange genug gedauert hat – sie hat wie ein Kompass in allerlei Blau- und Lilatönen geleuchtet –, mussten wir den Rat informieren. Die sagten, wir sollen abwarten und die Lage beobachten und nur dann eingreifen, wenn wir glauben, dass du in unmittelbarer Lebensgefahr schwebst. Sie wollten das Risiko nicht eingehen, jetzt schon Krieg mit den Elfen anzufangen.«
Ich nickte, dann stand ich auf.
»Okay, so oder so, genug geredet, machen wir der Sache ein Ende«, sagte ich.
»Endlich wirst du vernünftig«, sagte Glam aufgeregt. »Auf gehts zum Elfenklatschen!«
»Moment, Leute«, befahl Eagan. »Greg, hast du überhaupt gesehen, wie groß die Armeen da draußen sind? Ich glaube nicht, dass wir es mit ihnen aufnehmen können. Wir sind nur zehn, wenn wir Stoney mitzählen, und die sind insgesamt sicher an die tausend. Ich glaube, wir sollten lieber versuchen, ungesehen zu entkommen. Wir können den Rat über die neue Lage informieren und ihn entscheiden lassen, was mit diesem Verumque Genus passieren soll. Wir müssen nicht alles ganz allein schaffen.«
»Leute, ich unterbreche euch ja nur ungern«, sagte Ari. »Aber so, wie es aussieht, haben wir keine Wahl mehr.«
Wir sprangen auf und schauten uns um. Auf beiden Seiten unseres Zellentrakts standen Massen von Elfen und Monstern und versperrten alle Fluchtwege. Auf der einen Seite wartete eine Legion aus Kobolden, bewaffnet mit winzigen Kriegsbeilen und Schwertern. Kobolde waren höchstens neunzig Zentimeter groß, glichen das aber durch Schnelligkeit, Magie und wütende Rücksichtslosigkeit aus. Es waren an die hundert, ihre leuchtenden grünen Köpfe wogten hektisch auf und ab wie Wellen, und es war kein großer Trost, dass ihre Waffen relativ klein waren.
Auf der anderen Seite standen mindestens fünfundzwanzig riesige, gemein aussehende Biester, die ich sofort als Mantikoren erkannte. Durch ihr besonderes Aussehen waren sie leicht zu identifizieren, genauso waren sie im Monsterologie-Unterricht beschrieben worden. Sie hatten einen massigen Rumpf, ähnlich wie Löwen (aber stachelig, und ich hatte gelesen, dass die Stachel giftig waren), mit dunklen, ledrigen Flügeln, die sie wie Drachen über ihre Schultern gefaltet hatten, und einem langen dünnen Schwanz mit giftiger Spitze, wie ein Skorpion.
Aber das Schlimmste war der Kopf. Ein Mantikor hatte einen fast menschlichen Kopf. Wenn es einfach ein Menschengesicht auf dem Körper irgendeines Ungeheuers gewesen wäre, wäre es vielleicht nicht so beängstigend gewesen. Aber es war dieses fast, das es auf unnatürliche Weise besonders gespenstisch machte. Sie hatten ein Gesicht wie ein Mensch, mit Zähnen, die für so eine wilde Bestie überraschend rund und glatt waren, und eine spitze Nase mit zwei Nasenlöchern. Nur war das Gesicht irgendwie in die Breite gezogen, verzerrt und wächsern, wie misslungene Sondereffekte in einem alten Film, umgeben von einer wilden Löwenmähne. Und der Mund war ständig zu einem gemeinen Lächeln verzogen.
Die giftigen Mantikoren waren flankiert von ungefähr einem Dutzend Elfen in schwarzer verzauberter Rüstung mit leuchtenden grüngoldenen Runen: VG-Soldaten, bis an die Zähne bewaffnet mit Schwertern, Bogen, Pfeilen und einer tückischen Sorte Speere, die Hellebarden genannt wurden. Die VG-Elfen lächelten, denn sie wussten so gut wie wir, dass wir eingekesselt, zahlenmäßig unterlegen und aller Wahrscheinlichkeit nach zum Untergang verdammt waren. Und dann sagte einer von ihnen mit einer vertrauten Stimme, die mich bis ins Mark frösteln ließ: »Na sieh mal einer an, wenn das nicht Roly-McBowly Soßenkloß ist!«
Perry Sharpe.
Perry, der mit Abstand gemeinste Mobber an der PISS, hatte so ungefähr alle gequält, vor allem aber Leute wie mich und Froggy. Ich sah sofort, dass sich seine Rüstung von der der anderen VG-Elfen unterschied. Sie war eleganter. Also nahm ich an, dass er der »jugendliche« Anführer war, von dem Stoney gehört hatte.
Eine Sekunde später wurde das von Perry selbst bestätigt.
»Gefällt dir meine neue Armee?«, fragte er feixend. »Eigentlich hätte ich mir ja denken können, dass du weiterhin mit Edwin zusammenarbeitest! Der Kleine war schon immer eine Schande für die Elfen, mit seiner Schwäche für Zwerge. Als Dr. Yelwarin mir berichtet hat, dass du hier bist, wollte ich ihr erst gar nicht glauben! Oh, du meine Güte, da ist ja auch der kleine Froggy! Das Halbblut! Zwei für den Preis von einem!«
Froggy runzelte die Stirn und hob seine Wurfäxte.
»Na, was bin ich froh, dass wir nicht mehr in der PISS sind«, sagte Perry. »Da kann ich endlich tun, was ich immer schon tun wollte!«
Ein kurzer Moment der Stille folgte, während wir uns gegenseitig anstarrten. Die Kobolde auf der anderen Seite traten unruhig von einem Fuß auf den anderen. Nach einer Weile wurde die Stille unbehaglich.
»Äh, und jetzt?«, fragte einer der VG-Elfen, die neben Perry standen.
»Was soll das heißen, und jetzt?«, kreischte Perry ihn an. »Attacke! Attacke! War das nicht klar genug? Attacke und alle umbringen!«
Also mussten wir uns wohl doch in den Kampf stürzen, wenn wir irgendeine Chance haben wollten, diese Insel lebend zu verlassen.