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Ein Junge nimmt Abschied von seiner magischen sprechenden Axt
Z u meinem Glück war ich der Einzige an Bord, der die verzweifelten Wutschreie der Axt hören konnte.
Und vielleicht auch Schreckensschreie, was mich fast dazu gebracht hätte, meine Meinung zu ändern.
Wenn Ari die Schreie gehört hätte, hätte sie sich wohl nicht erhoben. Aber als sie dann neben mir stand, zögerte sie noch immer.
»Greg … bist du …«
»Ich bin sicher«, sagte ich. »Es muss sein. Die Axt … sie beeinflusst mich zu sehr. Sie macht aus mir etwas, das ich nicht bin.«
»Aber du hättest dich vorhin beim Kampf sehen sollen«, sagte Glam und sah mich auf eine Weise an, wie ich es noch nie bei ihr erlebt hatte.
Ich schaute mich im Boot um, schaute in alle Gesichter. Respekt und Bewunderung sprach aus den nervösen Blicken der anderen, trotz meiner Entscheidung, zunächst einer Elfe zu helfen und dann erst Eagan. Oder wussten sie davon gar nichts? Im Kampfgetümmel hatten sie wahrscheinlich gar nicht bemerkt, dass ich ihn zuerst hätte retten können. Sie konnten es nicht bemerkt haben, sonst würden sie mich jetzt nicht so ansehen.
Wie einen Helden.
»Ein stolzer Bild ward nie erschaut denn du und Axt deinige«, sagte Lake voller Bewunderung.
»Es war unglaublich«, sagte Boozy Biermaul. »So was habe ich noch nie gesehen. Einen Moment lang kam es mir so vor, als ob du es allein mit der ganzen Monsterarmee aufnehmen könntest.«
»Die Kraft, die du hattest, war …«, fügte Froggy hinzu und verstummte dann voller Verwunderung.
»Ihr wart wie eine Superwaffe«, meinte Kichi Bittergrat.
»Diese Monsterarmee war schrecklich«, sagte Ari. »Wenn das unser neuer Feind ist, unsere Zukunft, dann brauchen wir dich. Wir brauchen die Version von dir, die wir vorhin zusammen mit Aderlass gesehen haben.«
Ergebenheit, Respekt, Bewunderung: Das waren Dinge, die ich sonst in den Gesichtern der Leute, die mit mir redeten, nie sah. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich fast berauscht davon. Von der Kraft und dem Selbstvertrauen, die mich jetzt durchströmten.
Aber das alles war nicht echt.
»Seid ihr euch da sicher?«, fragte ich. »Denn es kam mir nicht gerade hilfreich vor, andere Wesen so einfach umzubringen, auch wenn sie gefährlich und brutal sind. Ich habe jede Sekunde davon gehasst, auch wenn mich für einen Moment die Begeisterung von Aderlass überwältigt hat. Das ist das Problem. Der Greg von vorhin, das war nicht ich.«
Da irrst du dich, Greggdroule, sagte Aderlass. Du solltest auf deine Freunde hören. Seit wann hast du mehr Vertrauen zu dir selbst als zu ihnen?
»Er hat recht«, sagte Froggy. »Ich kenne Greg länger als ihr. So mächtig er auch war, so bemerkenswert als Kämpfer … er hatte nicht mehr denselben Blick wie der sympathische Junge, der sich mit einem seltsamen Einzelgänger angefreundet hat, ohne es zu müssen.«
Ari nickte langsam, als ihr aufging, wie recht Froggy hatte. Aderlass schien eine solche berauschende Kraft auszustrahlen, dass er nicht nur meine Wahrnehmung verzerrte, sondern auch die meiner Freunde.
Die Axt in meinen Händen pulsierte vor Energie, wie in einem verzweifelten letzten Versuch, mich umzustimmen. Sie schien so perfekt für meine Hände geschaffen zu sein, dass ich nicht einmal sicher war, dass Ari sie mir entreißen könnte.
»Die Axt beeinflusst mein Denken«, sagte ich. »Sie gibt mir zwar Kraft, doch ich bin dann nicht ich.«
»Aber die Sturmbauchs sind dazu bestimmt, unsere größten, wildesten Anführer im Kampf zu sein«, sagte Glam fast flehend, als ob sie die Wahrheit erkannt hätte, sie aber nicht akzeptieren wollte. »Du solltest doch unser strahlendster Held werden!«
»Nimm es mir nicht übel«, sagte ich. »Aber es ist mir egal, was ich werden sollte. Ich habe es satt, von meinen Namensvettern und meinem Schicksal zu hören. Mein Leben ist nicht dadurch vorausbestimmt, was meine Vorfahren vor tausend und abertausend Jahren getan haben. Ich bin ich, Greg Sturmbauch, mehr nicht. Ich werde mein Bestes tun, um den Zwergen zu helfen, um Leben zu retten, um Menschen und sogar Elfen vor Schlimmem zu bewahren. Ich will die Welt besser machen. Aber nicht durch Gewalt. Die Elfen sind nicht von Natur aus schlecht, so wenig, wie ich von Natur aus ein großer Kämpfer bin. Nur die verfluchte Magie von Aderlass hat mich dazu gemacht. Aderlass füllt meinen Kopf mit blinder Rachsucht statt mit Verständnis und Mitgefühl. Edwin ist noch immer kein schlechter Kerl, sein Denken ist nur durch die Tragödie verändert. Er meint es gut, auch wenn sein Plan schlimme Fehler hat. Wenn wir das Wesen der Magie und uns selbst verstehen, können wir Frieden schaffen, durch Krieg können wir das nicht. Frieden erreicht man nicht, indem man andere besiegt. Davon bin ich im tiefsten Herzen immer noch überzeugt. Mein Dad hatte recht. Die Macht, die Aderlass über mich hat, kann nur im Unglück enden. Für mich und für alle in meiner Nähe. Aderlass hat euer Leben durch mich schon zu oft aufs Spiel gesetzt. Bitte, nimm ihn mir weg, Ari, und wirf ihn in die Bucht.«
Sie sah mich an, noch immer ein kleines Stück von mir entfernt. Sie sah die Tränen, die mir über das Gesicht liefen. Dann sprang sie vor und riss mir die Axt aus den Händen.
Lass das nicht zu, Greggdroule. Es ist noch nicht zu spät! Du machst einen Fehler!
Ich will das nicht tun, dachte ich zurück. Aber es muss sein.
Ich musste mich abwenden, als Ari die Axt über Bord warf. Sie durchschlug spritzend die Wasseroberfläche und versank rasch in der trüben, grünen Tiefe der Bucht. Ihre verzweifelte Stimme stieg zu mir auf, während wir uns von dem feuchten Grab entfernten.
Ich habe dich geliebt, Greggdroule!
Ich weiß, dachte ich. Du warst … na ja, du warst mein Freund. Trotz der Tragödie, in die du mich geführt hättest, werde ich immer dankbar für deine Hilfe sein. Du hast mir mehr geholfen, als ich sagen kann.
Das muss nicht zu Ende sein, sagte Aderlass, und seine »Stimme« war jetzt so weit weg, dass ich sie nur noch als Flüstern in meinem Kopf hörte. Du brauchst mich noch immer. Das wirst du noch einsehen. Ich werde dir das hier verzeihen. Wir sollten dieser Welt Frieden bringen. Eines Tages wirst du das begreifen. Ich hoffe nur, dass es dann noch nicht zu spät ist.