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Immer schön die Flagge buttern
E inen Moment lang gestattete ich es mir, Hoffnung zu haben.
Ein klarer Fehler für einen Zwerg.
Zuerst dachte ich, dass sich Dads Zustand tatsächlich besserte. Schließlich war er in unserer Wohnung erstaunlich klar gewesen. Aber auf dem Weg zur Dosgrud-Silbermütze-Versammlungshalle brachte er ein neues Körnchen der Wahrheit. Ich seufzte verzweifelt, als er sich in einen überkandidelten Wortschwall stürzte, bei dem es darum ging, wie wichtig es ist, Flaggen in zerlassene Butter zu tunken, ehe sie gehisst werden – seine noch unsinnigere Begründung handelte so ungefähr davon, dass es dann leichter wäre, zu viel Stolz zu vermeiden (ob er nun Stolz auf die Flagge meinte oder Stolz auf die Butter oder beides, wusste ich nicht, und es war mir auch egal).
Und dann gestattete ich mir auch noch die Hoffnung, dass wir Edwin vielleicht wirklich aufhalten könnten.
Nachdem ich dem Rat alles erzählt hatte, was ich in meiner Gefangenschaft über die Pläne der Elfen herausgefunden hatte (wobei ich ganz bewusst betont hatte, wie anständig sie mich behandelt hatten), nickte Dunmor und sagte, er wisse genau, wie Edwin seinen Plan in die Tat umsetzen wolle. Was mich überraschte – ich hatte gedacht, ich würde ihnen den Plan schildern, sie würden genauso wenig wissen wie ich, darüber, wie Edwin sein Ziel erreichen wollte, und wir hätten alle keine Ahnung, wie wir ihn aufhalten sollten.
Aber natürlich passierte das nicht.
»Er glaubt offenbar zu wissen, wo er das Faranlegt-Amulett von Sahar finden kann«, sagte Dunmor.
»Aber das gibt es doch gar nicht!« Dhon Drachenbauch, einer der Ratsältesten, wurde reichlich laut.
»Lächerlich!«, fügte Ooj hinzu.
»Es muss aber existieren«, sagte eine Ratsfrau von einer der Bänke, die den Tisch der Ratsältesten umgaben. »Wie hätten die Feen sonst damals die Magie vertreiben können?«
»Selbst wenn es einmal existiert hat«, widersprach ein anderes Ratsmitglied, »bedeutet das nicht, dass das noch immer der Fall ist.«
Das hätte fast zu einem weiteren wilden Schlagabtausch im Rat geführt, aber Dunmor machte dem ein Ende, indem er energisch mit einem Stein auf den Tisch schlug.
»Also, Edwin Aldaron ist zweifellos davon überzeugt, dass es noch existiert«, sagte Dunmor, als er wieder die Aufmerksamkeit der Versammlung hatte. »Aus einem Übermaß an Vorsicht heraus halte ich es für angeraten, dass wir nicht nur davon ausgehen, dass es noch existiert, sondern auch, dass der neue Elfenlord aus irgendeinem Grund weiß, wo es zu finden ist. Es gibt einfach keine andere Erklärung für seinen Plan. Ich gehe davon aus, dass Edwin das Faranlegt-Amulett von Sahar nutzen will, um alle Magie in eine andere Substanz umzuwandeln, zu der nur er und seine Anhänger Zugang haben. Möglicherweise hat er sogar vor, das Amulett endgültig zu vernichten, wenn sein Plan zum Erfolg geführt hat.«
Im Rat kam es abermals zu hektischen Diskussionen und wachsender Panik. Ich hob langsam die Hand, und als Dunmor wieder mit dem riesigen Felsbrocken auf den Steintisch schlug, kehrte Ruhe ein.
»Hast du noch mehr zu sagen, Greg?«, fragte er. »Ein Detail, das du vergessen hast, vielleicht?«
»Ich meine, wenn er glaubt, dieses Amulett gefunden zu haben, dann bedeutet das, dass wir es vielleicht auch finden könnten«, sagte ich. »Lasst uns nicht so schnell aufgeben.«
»Wo soll es denn bitte sein?«, wollte Dhon Drachenbauch wissen. »Dein Freund ist da offenbar besser informiert als wir.«
»Das stimmt schon«, sagte ich. »Aber irgendwo muss er seine Informationen ja herhaben. Was wissen wir darüber? Was sagen uns die alten Texte und dieses Zeug über seinen möglichen Aufenthaltsort?«
»Siehst du, das ist das Problem«, sagte Dunmor mit düsterer Miene. »Unser Wissen über das Amulett stammt ausschließlich aus uralter Feenüberlieferung, also Informationen, die mündlich in Form von Geschichten weitergegeben wurden – nicht schriftlich.«
»Und was sagen die Geschichten?«, fragte ich hartnäckig.
Die anderen hätten all diese Fragen gern ignoriert, wie typische Zwerge eben, aber da machte ich nicht mehr mit. Ich wollte mich vom Schicksal nicht mehr zu einem bestimmten Verhalten zwingen lassen. Ich war Greg und nur Greg und ich würde tun, was ich für richtig hielt.
»Also«, begann Dunmor. »Ehe sie sich ins Zentrum der Erde verbannt haben, haben die Feen das Faranlegt-Amulett von Sahar in einer verwunschenen Höhle versteckt, die im magischen Reich eines unbekannten, fernen Waldes liegt. Angeblich haben sie den letzten verbliebenen Rest von Magie genutzt, um den uralten Geist eines halb elfischen, halb zwergischen Weisen namens Ranellewellenar Lichtmeister zum Hüter des Amuletts einzusetzen. Edwin ist offenbar die Lage des Waldes und der Höhle bekannt. Jetzt braucht er nur noch hinzugelangen – was ihm aber vermutlich erst möglich sein wird, wenn die Magie vollständig zurückgekehrt ist. Die Höhle ist angeblich ohne Magie nicht zugänglich – ein Grund, warum viele Elfen und Zwerge seit Langem glauben, das Amulett sei auf ewig verloren. Ein Paradoxon.
Aber jetzt, wo die Magie entgegen unserer Überzeugung zurückkehrt, da liegt es nahe, dass die Höhle doch wieder zugänglich sein könnte. Und wenn Edwin wirklich weiß, wo sie ist, dann hat er alles, was er braucht, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Und wir können nichts unternehmen, um ihn aufzuhalten, da wir ja nicht einmal wissen, wo sich der Wald befindet, von der magischen Höhle ganz zu schweigen. Sie könnte einfach überall auf der Welt sein, wo es einen Wald gibt oder irgendwann einmal einen gegeben hat.«
Als Dunmor geendet hatte, schien der ganze Saal resigniert auszuatmen, als wären die Anwesenden von hundert unsichtbaren Fäusten im Bauch getroffen worden.
Alles war verloren.
Wenn Edwin wirklich das Faranlegt-Amulett von Sahar ausfindig gemacht hatte, dann gab es keine Möglichkeit, ihn aufzuhalten.
Und ich war sicher, dass das der Fall war. Als ich in Gedanken unsere Gespräche noch einmal durchging, erinnerte ich mich an seinen Gesichtsausdruck. Edwins Zuversicht war niemals aufgesetzt. Ich kannte ihn zu gut, ich wusste, dass er nicht geblufft hatte. Als ich das Amulett erwähnt hatte, hatte er mich nur angegrinst, und es war dasselbe Grinsen, das immer in seinem Gesicht auftauchte, ehe er mich schachmatt setzte.
Edwin war garantiert unterwegs zu dieser Höhle, und wenn er das Amulett erst an sich gebracht hatte, war alles verloren.
Außerdem war da ja noch das Problem von Verumque Genus. Die Bedrohung durch diese Gruppe durften wir nicht vergessen. Selbst wenn irgendwer Edwin aufhielt, was konnten wir schon gegen diese andere Elfengruppe ausrichten? Die eine Monsterarmee befehligte und deren Pläne noch finsterer waren als alles, was Edwin vorhatte?
Versteht ihr?
Versteht ihr jetzt, warum ich gesagt habe, es sei ein Fehler, wenn sich ein Zwerg wie ich auch nur einen einzigen hoffnungsvollen Moment gestattet?