Chriselda Plaatjies war klein und zart. Sie wirkte unter diesen Umständen zurückhaltend und bedrückt, aber ihre Aura und ihre Stimme trugen ein melodiöses Versprechen in sich, als könne sie unter anderen Umständen eine fröhliche, beschwingte Frau sein.

Mit einer Tasse Tee in der einen und einem Taschentuch in der anderen Hand saß sie vor ihnen und sagte zu Cupido und Griessel: »Milo April war mein Verlobter. Wir wollten im Dezember heiraten.« Ihr kamen die Tränen; sie tupfte sie mit dem Taschentuch ab.

»Ist schon gut, meine Liebe, weinen Sie ruhig«, sagte Kaleni und gab Cupido noch zwei Pfannkuchen.

Plaatjies trank ein wenig Tee und sagte dann: »Ich weiß nicht viel. Ich weiß nicht, wer Milo erschossen hat. Aber er hat mir erzählt, dass er mit Ihnen Kontakt aufnehmen wollte. Er hielt Sie für die einzigen Kollegen bei der Polizei, denen er trauen konnte, weil Sie wegen dieser State-Capture-Affäre suspendiert worden sind. Deswegen hielt er Sie für ehrlich und zuverlässig.«

»Wissen Sie, warum er an diesem Tag an die Waterfront gefahren ist?«, fragte Griessel.

»Ja. Er wollte Ihnen die Waffe zeigen und Ihnen etwas darüber erzählen. Es war die Geschichte, die dahintersteckte, die ihn so paranoid gemacht hat. Und warum er solche Angst hatte. Es ist diese Sache, die ihn getötet hat.«

»Erzähl es uns, Sister. Bitte«, sagte Cupido.

Die Geschichte hatte sich lange in Chriselda Plaatjies aufgestaut, und als sie sie sich nun vom Herzen reden konnte, war sie von einem Durcheinander an Erkenntnissen und Eindrücken, Informationen und Gefühlen begleitet, so dass die Ermittler sie häufig unterbrechen mussten, um eine chronologische und logische Abfolge hineinzubringen.

Sie erzählte, sie sei Verkaufsassistentin im Fabrikladen von Queenspark in Soutrivier. Milo April und sie hatten schon fast zwei Jahre in Weltevredenvallei in Mitchells Plain zusammengelebt. Bis Dezember hätten sie dann endlich das Geld für die Hochzeit zusammengespart gehabt. Sie hätten eine sehr enge Beziehung gehabt, die auf Ehrlichkeit und Offenheit beruht habe, denn sie seien beide aus kaputten Familien gekommen, in denen Affären, Betrügereien und Scheidungen Spannungen und Konflikte verursacht hätten. Das wollten sie um jeden Preis vermeiden. Sie erzählten einander alles, erklärte sie, und deswegen habe ihr Milo auch letzten Endes das meiste verraten. Aber nicht von Anfang an. Dazu war er zu vorsichtig.

Es hatte im Mai angefangen, vor beinahe fünf Monaten. Milo war an diesem Abend nach Hause gekommen, noch voll mit Adrenalin von dem Einsatz, denn es hatte einen Raubüberfall bei Buco gegeben, dem Baumarkt gegenüber dem Bahnhof von Mitchells Plain. Er hatte zu der Einsatzgruppe gehört, die zum Tatort gerast war und auf die eingekesselten Räuber geschossen hatte. Er hatte ihr von dem Chaos, der Angst und der Aufregung erzählt und von seinem Entsetzen, als er am Ende neben den Leichen der Täter gestanden hatte.

Und dann erzählte er ihr von der »Teufelswaffe«, wie er sie genannt hatte.

Cupido hakte noch einmal nach, und tatsächlich hatte er damit den Smith & Wesson 500 gemeint.

Ja, den, sagte Plaatjies. Milo hatte gesagt, so eine Waffe sähe man nicht jeden Tag bei einem Raubüberfall. Das Ding hätte geknallt wie eine Kanone, und die Kugeln wären mit einem Höllenlärm und vernichtender Gewalt in Autos und Mauern eingeschlagen.

Zwei Abende später hatte er ihr von dem Commissioner erzählt, der sie an jenem Tag besucht hatte, um sie zu beglückwünschen. Es war nämlich sogar im Fernsehen über sie berichtet worden, über den vereitelten Raubüberfall und die erschossenen Täter.

»Reden wir hier von dem Provincial Commissioner?«, fragte Griessel.

»Ja. General Khaba«, antwortete Plaatjies. »Der auf dem Foto.« Sie fuhr fort: Milo habe dem General den großen Revolver gezeigt, und er sei ganz fasziniert davon gewesen. Er habe ihn betrachtet, in die Hand genommen und gesagt: »So einen hätte ich auch gerne!« Und bei der Gelegenheit hatten sie das Foto gemacht, das von dem General mit dem Revolver. Milo hatte es ihr auf seinem Handy gezeigt.

Danach hatten sie monatelang nicht mehr über die Teufelswaffe gesprochen, bis zum Abend des achtzehnten September. Vor ein paar Wochen.

Milo war später als gewöhnlich nach Hause gekommen, angespannt und wortkarg. Sie hatte ihn gefragt, ob etwas passiert sei. Zuerst wollte er nicht mit ihr reden. Darüber war sie traurig. Sie hatten sich gestritten, aber er blieb dabei, dass es besser sei, wenn sie es nicht wüsste. Bis sie angefangen hatte zu weinen und ihn an ihr Versprechen erinnert hatte, über alles miteinander zu sprechen. Daraufhin war er spazieren gegangen, und als er kurz darauf zurückkam, war er mit ihr ins Schlafzimmer gegangen, hatte den großen Revolver aus dem Schrank genommen und gesagt: »Das ist er, Chrissie.« Es war derselbe, den er im Mai konfisziert hatte, nach dem Buco-Raubüberfall. Man erkannte ihn daran, dass aus dem Kolben ein Stück herausgeschossen war; man sah es noch, der Schaden war nur stümperhaft repariert worden; es war genau dieselbe Waffe.

Diejenige, die der General so gerne gehabt hätte.

April hatte seiner Verlobten erzählt, dass er tags zuvor von einer Razzia in einer Methfabrik in Philippi gehört habe. Die Kollegen hätten frühmorgens zugeschlagen. Es war keine große Operation; sie hatten vier Leute verhaftet und Meth für ein paar hunderttausend Rand beschlagnahmt. Und dazu diesen Revolver, der im Handschuhfach eines Minibusses lag. Die jungen Bandenmitglieder hatten ausgesagt, sie wüssten nicht, wo er herkomme und wie er im Handschuhfach gelandet sei. Natürlich hatten sie alles geleugnet.

Milo hatte sich große Sorgen gemacht, weil er derjenige gewesen war, der den Smith & Wesson im Mai beschlagnahmt hatte, streng nach Vorschrift. Er sagte, er habe niemandem davon erzählt, dass er wieder aufgetaucht sei, und zurück bei der Arbeit habe er in den Datenbanken nachgesehen. »Und da war die Waffe nicht mehr im System«, berichtete sie. »Milo hatte von einem Eibus gesprochen, es gebe keinen Eibus mehr, obwohl es einen gegeben habe … Ich wusste allerdings nicht, was er damit meinte.«

»IBUS«, erklärte Cupido, »steht für Integrales Ballistisches Untersuchungs-System. Wenn der Staat Feuerwaffen beschlagnahmt, etwa wenn sie für eine Straftat benutzt worden sind, schicken wir sie nach Pretoria, und dann wird mit der Waffe geschossen, um ballistische Informationen zu gewinnen. Diese werden dann unter einer IBUS-Nummer abgespeichert; es ist eine Art Kennnummer für Feuerwaffen.«

»Ach so. Milo hat gesagt, es hätte vor ein paar Monaten noch eine IBUS gegeben, aber dann, an dem Tag nach der Razzia in der Methfabrik, war sie aus dem System verschwunden, und die Waffe war wieder aufgetaucht. Das machte ihm große Sorgen. Er habe daraufhin einen Oberst angerufen, aber der hat gesagt, er wisse nichts von der Waffe, und Milo solle die Kollegen fragen, die für die State Capture zuständig seien, wie sie bei den Gangstas habe auftauchen können.«

Sie unterbrachen Chriselda Plaatjies und fragten, welchen Oberst Milo angerufen hatte.

Sie sagte, sie wisse es nicht.

Griessel fragte: »War es sein Dienststellenleiter?«

»Nein, diesen Oberst kenne ich, und der, den er angerufen hat, hieß anders.«

»Hat er einen Namen genannt?«, fragte Cupido.

»Ja, hat er. Aber es ist jetzt schon eine Weile her, und ich komme nicht mehr drauf. Wenn ich mich recht erinnere, dachte ich bei mir, der klingt doch so ähnlich wie der Name des Rugbytrainers der Westkap-Mannschaft, wie heißt der noch gleich …«

»Der Rugbycoach der Westkap-Mannschaft?«

»Ja, der.«

»John Dobson«, sagte Cupido.

Chriselda zögerte. »Jetzt bin ich mir gar nicht mehr so sicher … Jedenfalls hat sich Milo sehr aufgeregt, er hat ganz schnell geredet und den Namen des Obersten vielleicht einmal erwähnt, und ich weiß nicht mehr, warum er mich an den Namen des Rugbytrainers erinnert hat. Aber Milo hat sich nicht wegen der Reaktion seines Vorgesetzten solche Sorgen gemacht. Es war wegen des anonymen Anrufs. Am selben Nachmittag hat jemand Milo auf dem Handy angerufen. Die Nummer war blockiert, und der Typ riet ihm, die Nachforschungen über die Waffe fallen zu lassen. Los, wirf den Revolver ins Meer, oder wir knüpfen uns Chriselda vor, verstehst du? Milo meinte, es sei eine farbige Person gewesen, die ihn anonym angerufen habe, wegen der Art zu sprechen und dem Akzent. Aber woher wusste diese Person von der Waffe und von Milos Gespräch mit dem Oberst? Milo hatte den Verdacht, dass jemand sein Handy abhörte. Er sagte zu mir, ich müsste sehr gut aufpassen, und er würde sich erst mal zurückhalten. Dann hat er nachgedacht, zwei Tage lang, und dann hat er zu mir gesagt, er habe einen Plan. Er glaube, zu wissen, wem man vertrauen könne.«

In diesem Augenblick läutete Griessels Handy in Kalenis Diele. Alle schraken bei dem plötzlichen Geräusch zusammen. Bennie holte das Handy heraus und sah, dass es sein Sohn war, Fritz, und er hätte wirklich gerne gehört, was er zu sagen hatte. Aber er konnte den Anruf jetzt nicht annehmen.

»Entschuldigung«, sagte er und drückte ihn weg. »Erzählen Sie weiter, Chriselda, bitte.«

Sie trank den letzten Schluck Tee. »Ich habe Milo gefragt, was er jetzt tun wolle. Er sagte, er würde die beiden Valke kontaktieren, die wegen der State-Capture-Affäre suspendiert worden seien, denn ihnen könne man ganz bestimmt vertrauen. Ich habe neben ihm am Tisch gesessen, als er die Briefe mit dem Foto von der Waffe geschrieben hat.«

»Wissen Sie, ob er mit irgendjemandem bei der Arbeit darüber gesprochen hat? Oder mit einem Freund?«, fragte Griessel.

»Nein. Aber ich glaube nicht, dass er mit irgendjemandem außer mir darüber geredet hat. Er war verändert, nervös, er hat sich große Sorgen gemacht, das habe ich ihm angemerkt. Er hat nur gesagt, er hätte die Briefe bei Ihnen abgegeben und Sie gebeten, sich mit ihm an der Waterfront zu treffen. Am Freitag, dem Tag, bevor er erschossen wurde, sagte er, er werde wohl langsam paranoid, denn er hätte das Gefühl, beschattet zu werden. Aber als er sich umgeschaut hat, war da niemand. Und dann, am Samstag, haben sie ihn ermordet.« Sie verzog das Gesicht, und ihr versagte die Stimme. Wieder tupfte sie ihre Tränen ab. »Entschuldigung«, schniefte sie. »Tut mir leid.« 

»Weinen Sie ruhig«, wiederholte Kaleni.

Sie fragten Chriselda, ob Milo mit irgendeinem seiner Kollegen über diese Sache gesprochen habe. Oder vielleicht mit seinem Vorgesetzten oder dem Dienststellenleiter?

Sie sagte, sie wisse es nicht. Aber irgendwie habe sie das Gefühl gehabt, dass Milo niemanden auf der Wache in Mitchells Plain vertraut habe, weil er sich nicht erklären konnte, wie die Waffe aus dem System verschwunden war. Immerhin war es möglich, dass einer seiner Kollegen etwas damit zu tun hatte. Jemand, der dem Commissioner einen Gefallen tun wollte. Und von dem hörte man, dass er zu den vielen Handlangern des korrupten Präsidenten gehörte. Nein, bestimmt habe er es niemandem erzählt. Er habe sie beide ausgesucht, Cupido und Griessel von den Valke, um sich ihnen anzuvertrauen, und ansonsten habe er nur mit ihr darüber gesprochen.

Ob es noch andere Drohungen gegeben habe?

Nein, nur den einen Anruf, und Milos komisches Gefühl, dass er beobachtet wurde.

Die Ermittler dachten nach. Chriselda Plaatjies wischte sich die Tränen ab, schenkte sich noch etwas Tee nach und aß ihren Pfannkuchen. Dann fragte sie: »Wissen Sie, wer ihn … Waren es die State-Capture-Leute?«

»Wir wissen es nicht, Sister. Aber wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um es herauszufinden.«

Sie brachten Chriselda Plaatjies zu ihrem Auto und verabschiedeten sich von ihr. Es hatte aufgehört zu regnen. Als sie losfuhr, blieben Griessel, Cupido und Kaleni für einen Augenblick schweigend inmitten der glänzenden Wasserpfützen stehen, in denen sich die Lichter der Straßenlaternen spiegelten. Es war, als befänden sie sich im Auge eines Sturms.

»Oberstleutnant …«, begann Cupido schließlich.

»Es ist nicht der Commissioner, Leutnant«, sagte sie.

»Aber wir müssen uns vergewissern«, erwiderte er.

»Ich bin mir ganz sicher. Es wird Zeit, Ihnen einiges zu erzählen. Kommen Sie noch mal mit rein?«

»Die Handykontakte von Milo April«, sagte Griessel. »Der Oberst, den er angerufen hat, und der Anruf, den er erhalten hat …«

»Es gibt eine Spur, der wir sorgfältig nachgehen müssen«, sagte Mbali. »Auf jeden Fall, aber wir müssen vorsichtig sein. Ich lasse mir etwas einfallen. Doch vorher müssen Sie ein paar Dinge erfahren.«

Als sie ihre Haustür erreichten, klingelte erneut Griessels Handy.

Bestimmt Fritz.

Er sah nach. Es war die Kripo Stellenbosch. Er meldete sich.

»Griessel, Sie und Cupido müssen dringend noch mal reinkommen«, befahl Oberstleutnant Witkop Jansen.

»Auf die Wache?« Griessel sah auf die Uhr. Kurz vor neun.

»So schnell wie möglich.«

»Wir sind unterwegs, Oberstleutnant.« Griessel beendete das Gespräch und sagte zu Cupido: »Witkop Jansen. Er will uns sehen. Es ist dringend.«

»Jetzt sofort?«

»Ja.« Und an Mbali gewandt: »Tut mir leid, Oberstleutnant, wir müssen nach Stellenbosch.«

»Was wollten Sie uns denn erzählen?«, fragte Cupido.

»Sieht so aus, als müsste das noch etwas warten.«

Sie fuhren den Voortrekkerweg entlang, dann durch Kuilsrivier und über den Polkadraaipad. Sie sprachen über Obristen, die sie kannten und deren Namen an den des West-Kap- Rugbytrainers John Dobson erinnerten. Sie probierten es mit Robson, Johnson und Hobson, aber mehr fiel ihnen nicht ein, und es klingelte auch nichts.

Griessel rief Fritz zurück.

»Hast du was getrunken, Pa?«, fragte sein Sohn.

»Nein, Fritz, ich war in einem Meeting. Ich arbeite noch.«

»Alles klar.«

»Wie geht’s dir?«

»Pa, versprichst du, auch am Sonntag nichts zu trinken?«

Griessel unterdrückte einen Seufzer. Er musste Geduld haben, denn es klang tatsächlich so, als wollte sein Sohn mit ihm essen gehen.

»Nein, Fritz, ich trinke auch am Sonntag nichts.«

»Können wir grillen? Bei tannie Alexa zu Hause?«

»Na klar.«

»Prima.« Fritz sagte für einen Moment nichts, und dann: »Ich möchte ein Mädchen mitbringen.« Es klang wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage.

Bennie wusste, dass er jetzt ganz vorsichtig sein musste. »Okay.« Das klang wohl unverfänglich genug.

»Sie … ist ein großer Fan von Tannie Alexa.«

»Da haben wir ja schon mal was gemeinsam«, sagte Griessel.

Einen wunderbaren Augenblick lang lachte Fritz. Seit Jahren hatte Griessel seinen Sohn nicht mehr lachen hören.

»Cool«, sagte Fritz. »Wir kommen dann so gegen zwölf. Ach, übrigens, Pa, Kayla ist Vegetarierin.«

»Deine Freundin?«

»Ja. Okay, tschüss dann.«

Dann war er weg, und Cupido fragte sofort: »Worum ging’s denn?«

»Fritz bringt am Sonntag ein Mädchen zum Grillen mit, aber sie ist Vegetarierin. Kayla.«

»Bestimmt ist die dünn«, meinte Vaughn.

Sie sagten nacheinander zu Hause Bescheid. Cupido rief Desiree an und erklärte ihr, dass er noch arbeiten müsse, und er habe heute sein Kalorienpensum überschritten, weil die Diätgötter ihn hassten.

»Es ist ein langer Weg, Schatz«, sagte sie. »Adonis wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Habt ihr inzwischen eigentlich diesen Studenten gefunden?«

Griessel rief Alexa an und sagte ihr wegen Fritz und Kayla, der Vegetarierin, Bescheid und dass er noch einmal zurück zur Wache müsse. Auch sie erkundigte sich, ob sie Callie de Bruin inzwischen aufgespürt hätten.

Das Telefonat mit Annemarie de Bruin schob Griessel vor sich her, denn es fiel ihm immer schwerer, ihr zu gestehen, dass sie immer noch nichts in der Hand hatten.

Schließlich raffte er sich auf. Er erklärte ihr, die Fahndung laufe immer noch mit Hochdruck, und es gebe auch Fortschritte, aber mehr könne er noch nicht sagen. Sie hofften, dass der morgige Tag neue Erkenntnisse bringe.

Sie nahm die Neuigkeit stoisch auf und bedankte sich dafür, dass sie die Suche nicht aufgaben.

Anschließend herrschte Schweigen im Auto.

Griessel hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren; es war ein langer Tag gewesen. Seine Gedanken sprangen hin und her. Von Annemarie de Bruin, die einsam in einem Gästehaus auf Nachrichten über ihren möglicherweise schon toten Sohn wartete, zu Fritz und der Tatsache, dass er seinem Vater seine Freundin vorstellen wollte. Das war ein großer Schritt, vielleicht sogar ein Durchbruch, auch wenn sein Sohn den Wunsch nach einem Treffen mit der Ausrede verbrämt hatte, dass Kayla ein Fan von Alexa war. Dann dachte er an Milo April, den dicken Commissioner und den Smith & Wesson. Anschließend an Callie de Bruin, und er überlegte, was sie morgen unternehmen könnten. Hoffentlich konnte die Bank ihnen Auskunft darüber geben, welchen Verwendungszweck die internationalen Zahlungen gehabt hatten. Er fragte sich, warum die Universitäts-Security sich noch nicht bei ihnen wegen der Fahrzeugkennzeichen gemeldet hatte, die sie überprüfen wollten. Und während er so sinnierte, war ihm die ganze Zeit, als wolle ihn sein Unterbewusstsein auf etwas aufmerksam machen, als richte man einen Taschenlampenstrahl auf einen dunklen, verborgenen Winkel seines Gehirns, aber er war nicht stark genug, um Einzelheiten zu erkennen.

Kurz hinter dem Asara-Gut, als die Lichter von Stellenbosch an den Berghängen vor ihnen funkelten, durchbrach Vaughn Cupido die Stille: »Ich weiß, warum uns Witkop Jansen sehen will. Sie haben den Jungen gefunden. Jedenfalls bedeutet es nichts Gutes.«

Witkop Jansen saß an seinem Schreibtisch und sah alt und erschöpft aus. Von einer müden Geste begleitet sagte er: »Setzt euch, Jungs.«

Cupido schwante, dass es sehr schlechte Nachrichten über Callie de Bruin gab, wenn ausgerechnet dieser Kommisskopf sie so vertraulich mit »Jungs« ansprach. Sie setzten sich.

»Jasper Boonstra ist verschwunden«, verkündete Jansen, als überbringe er eine Todesnachricht.

Im ersten Moment waren sie vollkommen verblüfft über diese unerwartete Wendung. Dann fragte Cupido: »Jasper Boonstra?«

»Richtig.«

»Dieser Gauner, der jeden Wirtschaftsprüfer und jeden Fondsmanager in ganz Südafrika verarscht hat? Der Jasper Boonstra von Schneider-König? Der größte Schwindler aller Zeiten?«

»Genau der«, sagte Witkop Jansen matt und sah Griessel an. »Ich möchte, dass Sie die Ermittlungen leiten. Erin Riddles wartet in seiner Villa auf sie, sie wird Ihnen assistieren.«

Cupido holte tief Luft, um zu protestieren, um zu sagen, dass er mit Bennie hierher versetzt worden sei, um ihm zur Seite zu stehen, aber Jansen brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen. »Warten Sie, lassen Sie mich ausreden.« Er schaute von einem zum anderen, als suche er nach den richtigen Worten: »Ich will jetzt ganz ehrlich zu ihnen sein. Es ist ein Riesenmist, das Ganze, es bringt uns nur Scherereien, und das Schlimmste steht uns noch bevor. In höchstens zwei Stunden ist die Sache an die Medien durchgesickert, und dann gnade uns Gott.« Er schauderte und rieb sich über seinen Schnauzer. »Boonstras Frau hat ihn als vermisst gemeldet. So gegen sieben. Kaptein Geneke hat mich angerufen, und ich habe meine Vorgesetzten informiert, denn wir wussten, das gibt Ärger. Meine Herren, das wird eine ganz große Scheiße, verstehen Sie?«

Sie verstanden ihn.

»Der Commissioner hat beschlossen, eine Presseerklärung vorzubereiten; sie werden sie an die Medien weiterleiten, sobald die Bombe platzt. Er wird verlauten lassen, dass Sie beide von den Valke hierher beordert wurden, um Stellenbosch bei der Suche nach den beiden Vermissten, Callie de Bruin und Jasper Boonstra, zu unterstützen. Weil wir beiden Fällen höchste Priorität einräumen und keiner priorisiert wird.«

»Jissis!«, stieß Cupido angesichts dieser Lüge hervor.

»Ich will nichts von Ihnen hören. Hier geht es jetzt nicht um Sie, sondern um etwas viel Größeres. Sie …«, sagte er und sah Cupido an, »arbeiten weiter an dem Fall des vermissten Jungen. Falls Sie mehr Leute oder sonst irgendetwas brauchen, sagen Sie es mir, aber wir müssen jetzt endlich mal Ergebnisse liefern! Bennie, dasselbe gilt für den Boonstra-Fall. Der Commissioner hat uns ans Herz gelegt, dass alles Menschenmögliche getan werden muss. Alles!«

»Welcher Commissioner?«, fragte Griessel, nur um ganz sicherzugehen.

»General Khaba. Er hat die Unterstützung des Dienststellenleiters, des regionalen Polizeichefs, des Provinzchefs der Kriminalpolizei, einfach allen. Er hat die PCSI geschickt, stellt Ihnen sämtliche Strukturen zur Verfügung, aber er erwartet Resultate, und er erwartet, dass Sie dichthalten, wenn die Journalisten Sie fragen. Sie wurden von den Valke hierher abgeordert.«

Sie starrten Jansen wortlos an. Bis Griessel aufstand und fragte: »Wo ist Boonstras Villa, Oberstleutnant?«

Cupido begleitete ihn, da er im Fall Callie de Bruin momentan sowieso nichts unternehmen konnte.

Und dann explodierte er. Weil er sich »genötigt« fühle.

»Ich fühle mich genötigt, Benna, das ist #Metoo für Polizisten, nichts anderes! Man kann mir doch nicht erst meinen Falkenstatus wegnehmen, meinen Rang und meine Würde, und dann sagen, ach, eigentlich bist ja noch ein Hawk, wenn es ihnen grade mal so in den Kram passt! Das ist Mist, das ist Nötigung, das ist feige, ganz ehrlich! Das heißt doch mit anderen Worten, wir hauen dir in die Fresse, aber wir wollen, dass du in die Kamera lächelst, wenn wir es dir sagen. Echt jetzt, Pappie, die machen mit uns, was sie wollen! Du weißt, was hier abgeht, oder? Wenn rauskommt, dass Boonstra verschwunden ist, werden sie im Rampenlicht stehen wie nie zuvor, das wissen die genau, und die stärksten Scheinwerfer werden auf Cupido und Griessel gerichtet sein, die beiden berühmten Valke, die schon so viele Fälle gelöst haben.« Cupido zählte sie an den Fingern ab. »Den Ernst-Richter-Fall, den Alicia-Lewis-Fall, den Johnson-Johnson-Fall, und so könnte ich endlos weitermachen, und was haben diese beiden brillanten Ermittler in Stellenbosch zu suchen, warum wird ihr Talent in Volvostadt vergeudet, während Rom brennt, Benna? Deswegen lügen und betrügen die jetzt plötzlich, von wegen abgestellt. #Metoo, wir wurden genötigt!«

Griessel sagte nichts. Er wusste, dass sich die Situation durch nichts beschönigen ließ.

»Und der absolute Gipfel ist«, fuhr Cupido fort, »dass sie uns auseinanderreißen. Uns! Scully and Mulder der Hawks, Holmes und … Ist doch egal, wie der andere heißt, du weißt, was ich meine. Das zeigt doch nur, wie blöd die sind, Benna, das beweist einmal mehr, dass die letzte Voraussetzung für eine Karriere beim SAPS Intelligenz ist! Ich sage dir, wenn wir im Dezember keinen neuen Präsidenten bekommen, dann kündige ich, Benna, dann bin ich fertig, absolut fertig. Ich habe so dermaßen die Schnauze voll von den Schwindeleien, den politischen Winkelzügen, der Korruption und Inkompetenz, und die Ironie ist, dass alles, was ich davon habe, dieser fette Körper ist. Denn eines ist doch klar: Wenn man sich für den SAPS abrackert, kann man nicht Diät halten, das ist verdammt noch mal einfach unmöglich!«

Beim Anblick der beeindruckenden Baronsberg-Villa wurde Cupido still. In der nächtlichen Dunkelheit erhob sie sich wie eine Zitadelle aus Licht vor der schwarzen Masse des Berges dahinter ab, und die Ecken und Strukturen der Architektur waren im Mosaik der wechselnden Schatten und Spiegelungen umso beeindruckender, je weiter sie sich über die gewundene Zufahrtsstraße näherten.

Sie parkten zwischen den Streifenwagen vor dem Gebäude. Direkt vor dem Eingang wartete ein schwarzer Range Rover; in den drei verglasten Garagen standen ein Mercedes-Maybach G 650 Landaulet, ein gelber Ferrari und ein BMW i3.

»Jissis!«, stieß Griessel hervor.

Cupido pfiff nur leise durch die Zähne hindurch.

Sandra hatte durchgehalten, während des Abendessens, dem Bad der Zwillinge und dem mühsamen Prozess, sie rechtzeitig und müde ins Bett zu stecken. Sie hatte es ausgehalten, bei einem Glas Wein mit Josef zusammenzusitzen. Sie hatte das Gefühl, dass sie so gewesen war wie immer. Obwohl es sie fast unerträgliche Anstrengung gekostet hatte.

Sie hatte dankbar genickt, als Josef vorschlug: »Komm, lass uns Casablanca schauen«, da der alte Film auf einem der DStv-Kanäle lief.

Er saß auf dem Sofa. Sie legte sich mit dem Kopf auf seinen Schoß, fix und fertig, vollkommen erschöpft. Sie konnte die Augen nicht mehr offen halten. Doch als sie sie schloss, konnte sie nicht einschlafen. Sie sah Jasper Boonstra auf den Stufen liegen, mit dem einen starrenden Auge und dem entblößten Geschlechtsteil, sie sah ihn in der Gefriertruhe liegen. Sie sah das Gesicht des jungen Mannes am Fenster des Airbnb-Hauses. Was hatte sie eigentlich gesehen? Egal, sie musste es vergessen, denn sie konnte und durfte es nicht melden. Konnte nicht, durfte nicht.

Der nackte Jasper Boonstra, den sie hinten in den Ford hineingeschoben hatte, das Gefühl von seinem kalten Fleisch und dem haarigen Körper unter ihren Händen.

Sie schauderte und öffnete die Augen.

»Alles klar mit dir?«, fragte Josef.

Im Fernsehen sagte Rick Blaine zu Ilsa: »Wenn dieses Flugzeug vom Boden abhebt, und du bist nicht bei ihm, wirst du es bedauern. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber bald und für den Rest deines Lebens.«

»Alles gut«, sagte sie.

Wie sollte sie in dieser Nacht bloß schlafen? Aber sie musste schlafen. Denn morgen, wenn der Sturm losbrach, musste sie bereit sein.

Es standen zu viele Polizeifahrzeuge vor Baronsberg. Eine kleine Schwadron von Uniformierten lungerte herum, ergötzte sich an der Pracht und dem Reichtum und behielt die Eingangstür im Auge, in der Hoffnung, eintreten zu dürfen.

Griessel und Cupido mussten zwischen ihnen hindurchnavigieren, an dem Konstabel vorbei, der den Eingang bewachte, und dann bis ins Empfangszimmer, wo Sergeant Erin Riddles mit einem Mann und einer Frau zusammensaß.

Der Mann stand auf. Er war Ende fünfzig und überragte sogar Cupido um Haupteslänge. Eine beeindruckende Erscheinung. Sein kurzes Haar war von einem eleganten Grau und akkurat geschnitten. Sein dunkler Anzug und sein weißes Hemd sahen frisch aus, selbst zu dieser späten Uhrzeit. »Meinhardt Sarazin«, stellte er sich vor. Seine Stimme war Respekt einflößend, ebenso wie sein markanter Unterkiefer. »Ich bin der Beistand von Mevrou Boonstra«, fuhr er fort und deutete mit einer galanten Geste zu der Frau auf dem Sofa. »Ihr Anwalt.«

Griessel und Cupido mochten keine »Rechtsbeistände«, denn es bedeutete im Grunde nur, dass ein Anwalt seine Gegenwart euphemistisch verbrämen wollte. Was wiederum schon darauf hinwies, was ihnen bevorstand. Anwälte, egal, wie sie sich nannten, euphemistisch oder nicht, wirkten unweigerlich als Hemmschuh bei einer Ermittlung.

Sie erwiderten Sarazins festen Händedruck und registrierten seine außergewöhnliche Augenfarbe – ein leuchtendes Hellgrün.

Dann wandten sie sich Jasper Boonstras Gattin zu. Sie sah nicht aus wie die Frau eines Milliardärs, sondern wie eine biedere Hausfrau vom alten Schlag. Oder wie eine Schulsekretärin oder wie die Organisatorin der Tombola beim Kirchenbasar. Mit ihrer konservativen Frisur, dem geblümten Kleid und den praktischen Schuhen wirkte sie wie eine gutmütige Tante mittleren Alters, so dass sie einen Augenblick lang bezweifelten, ob das wirklich Mevrou Jasper Boonstra war.

Sie streckte ihnen zur Begrüßung die Hand hin. »Alet«, stellte sie sich vor. »Lettie.«

Griessel bat sie um Entschuldigung dafür, dass sie alles noch einmal von vorn erzählen musste.

»Schon gut«, sagte sie, »ist doch kein Problem.« Ihre Aussprache hatte einen leichten Namaqualand-Einschlag.

Meinhardt Sarazin sagte: »Nur fürs Protokoll, meine Herren: Höchstwahrscheinlich ist Jasper gar nicht verschwunden. Gewiss ist alles nur ein Missverständnis.«

Alet »Lettie« Boonstra schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Möchten Sie sich nicht setzen, bitte?« Griessel fiel auf, dass sie bewusst leutselig auftrat, als wolle sie sich von den steifen Manieren des Anwalts sowie dem augenfälligen Reichtum des Umfelds distanzieren.

Er, Cupido und Riddles nahmen ihre Plätze auf dem großen Sofa ein, ordentlich in einer Reihe.

Anfangs war es kein fließender Bericht, dank der Wachsamkeit und den regelmäßigen Unterbrechungen des »Rechtsbeistandes«. Sarazin hörte Lettie Boonstra mit leicht zur Seite geneigtem Kopf zu wie ein Regisseur einer Schauspielerin beim Vorsprechen.

Sie sagte: »Jasper und ich wollen uns scheiden lassen.«

»Das ist natürlich eine vertrauliche und sensible Information«, kommentierte Sarazin mit seiner wohltönenden Stimme. »Ich möchte Sie bitten, sie als solche behandeln. Und, fürs Protokoll, das bedeutet nicht, dass die Ehe von Meneer und Mevrou Boonstra endgültig gescheitert ist. Noch besteht die Möglichkeit einer Einigung.«

Lettie Boonstra ignorierte den Einwurf und erklärte, dass sie und ihr Mann sich heute Nachmittag um zwei hier verabredet hätten, um die Scheidung und vor allem die Vermögensaufteilung zu besprechen. Am vergangenen Freitagabend hätten sie bereits ein klärendes Gespräch geführt und beide festgestellt, dass ihre Ehe im Großen und Ganzen nicht mehr existiere.

»Im Großen und Ganzen«, betonte Sarazin.

Als sie heute Mittag hier ankam, war niemand im Haus. Zunächst dachte sie, ihr Mann wäre irgendwo auf dem Grundstück und würde bald kommen. Sie hatte eine Viertelstunde lang gewartet, ein wenig erstaunt über seine Gedankenlosigkeit, denn Jasper war normalerweise pünktlich. Nicht, weil er so gute Manieren habe, sagte sie, sondern weil sein Terminkalender immer voll sei und ihm Pünktlichkeit das Leben erleichtere. Sie habe sich auch deshalb gewundert, weil es schließlich um sein Geld ging und es nun mal nicht seine Art sei, einen Rand davon kampflos aufzugeben. Schon von daher hätte er ihre Verabredung um keinen Preis versäumt. Nach der Viertelstunde hatte sie versucht, ihn anzurufen, unten von der Küche aus. Sein Handy habe oben im Büro geläutet. Sie sei hinaufgegangen und habe nachgesehen. Das Handy habe auf dem Schreibtisch gelegen. Dabei ließ er es niemals einfach so herumliegen. Sie hatte im ganzen Haus nach ihm gesucht. Das Ganze wurde ihr immer suspekter – das Handy, sein Nichterscheinen, obwohl sie fest verabredet waren, und kaum ein Zeichen, dass er im Haus gewesen war. Er hatte zwar seine Launen, aber das entsprach absolut nicht seiner Gewohnheit. Sie war dann hinausgegangen und hatte im Garten nachgeschaut. Schließlich war sie mit ihrem kleinen BMW i3 hinüber zum Weinkeller gefahren, der nur etwa einen Kilometer von hier entfernt war, aber die Leute dort hätten ihr gesagt, dass sie Jasper heute noch nicht gesehen hätten. Anschließend hatte sie am Tor angerufen, wo immer zwei Wachtposten Dienst hatten, Tag und Nacht, um Neugierige, Journalisten und andere Störenfriede fernzuhalten. Die Wachen hätten gesagt, nein, Mevrou, Meneer Boonstra müsse zu Hause sein, er sei heute noch nicht weggefahren. Seine Autos müssten in der Garage stehen.

Und so war es auch.

Lettie Boonstra hatte bis fünfzehn Uhr gewartet. Dann hatte sie Sarazin angerufen. Er war Jaspers Anwalt, Berater und Freund, der Einzige, der mit ihm durch dick und dünn gegangen war. Sarazin hatte sich sofort bereit erklärt, bei der Suche nach Jasper zu helfen. Aber er hatte ihn nirgends gefunden. »Ich nehme an«, sagte sie gelassen und sah dabei den Anwalt an, »dass Meinhardt auch Jenny kontaktiert hat.«

Sie wartete einen Moment auf Griessels Reaktion, bis ihr klar wurde, dass er keine Ahnung hatte, um wen es ging. »Jenny Abbott war Jaspers Midlifecrisis. Seine Geliebte. Ein sehr schönes Mädchen. Mit einem sehr kleinen, knackigen Hintern. Jasper hat mir gegenüber behauptet, es sei aus zwischen ihnen, aber ich dachte, vielleicht hätte er seine Meinung geändert, nachdem ich ihm am Freitag klipp und klar gesagt habe, das interessiere mich nicht mehr und ich wolle die Scheidung.«

»Seine mutmaßliche Geliebte«, verbesserte Sarazin.

»Ach, Meinhardt«, erwiderte Lettie Boonstra. »Jetzt hör doch mal einen Augenblick lang auf, Jaspers Anwalt zu spielen.«

»Ich möchte nur ganz klarstellen«, sagte Sarazin, »dass Mevrou Abbott in den letzten zehn Tagen keinen direkten Kontakt mit Meneer Boonstra hatte. Heute Nachmittag hat sie mir bestätigt, dass sie keinerlei Informationen über Meneer Boonstras aktuellen Aufenthaltsort hat.«

»Und das glaubst du ihr?«, fragte Lettie Boonstra.

»Ich habe keinen Grund, ihr nicht zu glauben.«

»Gegen siebzehn Uhr habe ich beschlossen, Jaspers Verschwinden der Polizei zu melden«, fuhr Lettie Boonstra fort. »Meinhardt bat mich, noch zwei Stunden zu warten, weil er erst noch einige Telefonate führen wollte und sicher war, das alles sei nur ein Missverständnis.«

»Ich bin mir immer noch sicher, dass es so ist. Meneer Boonstra …«

»Ach, Meinhardt, sag doch einfach Jasper. Er ist doch keine Respektsperson. Er ist ein Betrüger, und das weißt du.«

Sarazin sah sie mit kaum verhohlenem Widerwillen an. Dann sagte er zu Griessel: »Jasper hatte keinen Grund zu verschwinden. Eine offizielle Suchaktion nach ihm erregt nur Aufsehen und bietet Anlass zu wilden Spekulationen. Sie werden sehen, in ein, zwei Tagen taucht er wieder auf.«

»Ist er schon öfter einmal … abgetaucht, ohne sich zu melden?«, fragte Griessel.

»Nein«, antwortete Lettie Boonstra.

»Doch, schon mehrmals«, erwiderte Meinhardt Sarazin. »Vor allem in den letzten Monaten.«

Griessel seufzte. »Mevrou, haben Sie …«

»Bitte sagen Sie Lettie zu mir.«

»Haben Sie eine Vermutung, wo er sein könnte?«

»Ja, ich glaube, er ist im Ausland. Ich glaube, dass er nicht den Mut hatte, für seine ganzen Betrügereien die Verantwortung zu übernehmen.«

»Mutmaßlichen Betrügereien«, verbesserte sie Sarazin.

»Einmal hat er gesagt, vielleicht sollte er einfach verschwinden. Nach Luanda fliegen und sich eine neue Identität kaufen; in Luanda kann man alles kaufen, wenn man entsprechend dafür bezahlt. Und ich würde mich auch nicht wundern, wenn er sich wieder ein neues junges Flittchen angelacht hat und sie ebenfalls für eine Woche oder einen Monat verschwindet, in Jaspers Kielwasser. Ich kann Ihnen allerdings versichern, dass es nicht Jenny sein wird. Nicht nach der öffentlichen Erniedrigung, weil Jasper sie aus dem Haus in Franschhoek geworfen hat. Ende gut, alles gut, wie es so schön heißt.«

»Bitte, Lettie, ich halte es wirklich für unnötig, diese Angelegenheiten in der Öffentlichkeit zu besprechen.«

»Meinhardt, kann ich dich um einen Gefallen bitten?«, fragte Lettie honigsüß.

»Natürlich.«

»Hau ab«, sagte sie. »Warte draußen bei Krethi und Plethi.«

Widerstrebend zog er sich zurück, der hochgewachsene, elegante Herr, doch vorher sagte er noch: »Wenn ich dir dennoch etwas raten dürfte: Warte ab. Sag nichts. Lettie, bitte …«

Nachdem er das Haus verlassen hatte, erschauderte Lettie Boonstra, als schüttele sie einen Dämon ab. An Griessel gewandt sagte sie: »So, und jetzt können wir in Ruhe miteinander plaudern«, beinahe fröhlich, als freue sie sich darauf.

Griessel musste sich erst einmal sammeln und die Dynamik zwischen ihr und Sarazin verarbeiten. »Ich … äh … Mevrou.«

»Lettie«, sagte sie.

Er schaute auf seine Armbanduhr. »Sie waren also um zwei Uhr mittags verabredet, Sie und Meneer Boonstra?«

»Richtig.«

»Das ist jetzt knapp über acht Stunden her. Eigentlich zu wenig, um eine erwachsene Person als vermisst zu melden. Und bei der Aufmerksamkeit in den Medien und dem, was Ihr Anwalt sagt, dass Ihr Mann höchstwahrscheinlich gar nicht verschwunden ist …«

»Bitte sagen Sie mir noch einmal Ihren Namen.«

»Leutnant Griessel.«

»Nein, Ihren Vornamen.«

»Bennie.«

»Hören Sie, Bennie. Erstens ist Sarazin nicht mein Anwalt, sondern der meines Mannes. Und lassen Sie sich bloß nicht von seinem seriösen Aussehen täuschen. Er ist ein Pitbull im Labradorfell. Ich habe ihn nicht darum gebeten, hierherzukommen, er hat sich selbst eingeladen. Zweitens: Ich glaube, er weiß, wo Jasper ist, er versucht nur, das ganze Theater so zu inszenieren, wie es den beiden passt. Und zu guter Letzt: Mir ist es piepegal, was die Zeitungen schreiben. Kennen Sie die Geschichte vom Hummer im Topf?«

Sie strahlte jetzt definitiv etwas Heiteres aus, als genieße sie dieses Gespräch förmlich. Griessel war davon verunsichert und wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. »Ich …«

»Es heißt, wenn man einen Hummer in einen Topf setzt und das Wasser langsam erhitzt, bleibt er am Leben, auch wenn das Wasser anfängt zu kochen. Weil sich der Hummer daran gewöhnt. Und so ähnlich geht es mir. Ich habe mich im Laufe der letzten Jahre an die Demütigungen gewöhnt, nachdem erst Jaspers Betrügereien aufgeflogen sind und dann seine Freundin zum Liebling der Klatschpresse wurde. Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich zum Gegenstand des Tratsches in unserer kleinen Stadt wurde und man mich auf Schritt und Tritt angaffte, sobald ich aus dem Haus ging. An die Paparazzi hinter jedem Gebüsch und die Sensationsgier der Zeitungen, die sich auf jede Kleinigkeit stürzen. Die behaupten, ich hätte von Jaspers Betrug wissen müssen, ich hätte von seiner Geliebten wissen müssen, aber mir wäre das eben alles egal. Glauben Sie mir, dieser Hummer hier ist inzwischen einiges gewöhnt, also drehen wir den Herd ruhig so weit auf, wie wir können.«

Griessel versuchte, ihr zwischendurch Fragen zu stellen, aber Lettie Boonstra ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»In dem Moment, in dem Sie und ich hier fertig sind«, sagte sie in ihrem Plauderton, »wird Meinhardt Sie am Arm nehmen, mit dieser Kommen-Sie-wir-machen-das-unter-uns-Männern-aus–Art, und dann wird er versuchen, mit seinem schönen Bariton, den er selbst so gerne hört, zu bequatschen. Er wird versuchen, Ihnen einzureden, dass Jasper gar nicht verschwunden ist. Zugegeben, wir können ihn im Augenblick nicht finden, aber er ist irgendwo. Hat sich zurückgezogen, braucht eine Pause, einen kurzen Urlaub, das macht er hin und wieder. Aber, Bennie, ich sage Ihnen hier und jetzt, wieso Sie sich nicht von ihm hinters Licht führen lassen sollten. Jasper ist verschwunden, denn Jasper ist süchtig nach Macht. Warum ist Jasper süchtig nach Macht? Weil Jasper einen Komplex hat, so groß wie der Tafelberg. Und warum hat Jasper einen Komplex? Weil seine Eltern bettelarm waren. So einfach, so vulgär. Das sind nicht meine Worte; ich zitiere hier nur Jasper. Wie er jedes Mal tausend Tode gestorben ist, wenn er Freunde mit nach Hause brachte, weil es bei ihnen so primitiv und vulgär war. Dieser Komplex hat eine vorhersehbare Reaktion zur Folge, wie beim pawlowschen Hund. Jedes Mal, wenn Jasper erniedrigt wird, muss er etwas beweisen. Seine Eltern waren seine größte Demütigung, und er hat sein Leben lang gearbeitet, allen zu zeigen, dass er nicht so ist wie sie. Das hat seinen Erfolg ausgemacht, dieser verzehrende Ehrgeiz, aber irgendwann kam er aus der Nummer nicht mehr raus. Da begann er zu lügen und zu betrügen, denn er musste sein Image immer weiter polieren, er brauchte immer noch mehr Respekt, mehr Bewunderung, mehr Ansehen, mehr Akzeptanz. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«

»Mevrou, ich …«

»Bitte sagen Sie Lettie zu mir. Das Wichtige daran ist, Bennie, dass ich letzten Freitagabend im Bungalow zu Jasper gesagt habe, dass ich fertig bin. Mit unserer Ehe. Mit ihm. Mit seinen Fisimatenten. Ich will das Haus in Rooiels, ich will genug Geld, um ein bequemes Leben führen zu können, und ich will es jetzt. Denn ich weiß, wie viel Geld und Vermögenswerte er versteckt hat, also sollte er nicht versuchen, mir weiszumachen, er könne nicht drankommen. Das hat Jasper nicht gefallen, Bennie, denn Jasper liebt Macht. Er liebt es, die Kontrolle zu haben. Wenn es zur Scheidung kommt, will er bestimmen, wie sie abläuft. Er will mir die Vermögensaufteilung diktieren. Er hat mich gebeten, es noch einmal zu versuchen, er wolle mich wiederhaben, ja, er hat sogar Jenny Abbott den Laufpass gegeben – ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben, es stand in allen Zeitungen, sie musste aus dem Haus in Franschhoek ausziehen.«

»Ehrlich gesagt, nicht«, gestand Griessel.

»Ich habe darüber gelesen«, mischte sich Sergeant Erin Riddles ein. »Es stand sogar im ›Huisgenoot‹!«

Lettie Boonstra wandte sich Riddles zu. »Sehen Sie, was ich meine? Und als Sie das gelesen haben, was dachten Sie da? Wieso schmeißt Jasper den Knackarsch raus?«

»Ich dachte nur, er hätte vielleicht seine Meinung geändert.«

»Natürlich haben Sie das gedacht. Ich sag Ihnen mal, warum er sie abserviert hat. Nicht, weil er ein neues Leben anfangen wollte, o nein, Erin. Jasper hat längst ein Auge auf eine andere geworfen. Da bin ich mir ganz sicher. Jenny Abbott war nicht die Erste und wird nicht die Letzte gewesen sein. Er hat alle zwei, drei Jahre eine andere. Wenn er eine findet, die ihre Seele für Geld und Geschenke verkauft. Wobei übrigens auch viele Nein gesagt haben … Jedenfalls, als Jasper mit der Geschichte kam, er hätte sich vom Knackarsch getrennt, habe ich ihn ausgelacht. Denn mir war sonnenklar, was er eigentlich wollte: Er wollte das Ende unserer Ehe bestimmen. Und die Art der Vermögensaufteilung. Er wollte die Kontrolle nicht mir überlassen. Das hat er nicht über sich gebracht. Macht ist für ihn das Wichtigste im Leben.«

»Mevrou …«, sagte Griessel, dessen Geduld langsam zu Ende ging.

»Lettie, bitte. Ich weiß, aber ich komme gleich auf den Punkt. Der ist nämlich folgender: Jaspers letzte Chance, mir seinen Willen aufzuzwingen, sich mir gegenüber aufzuspielen und zu beweisen, dass er nicht wie sein Vater ist, war heute Nachmittag um vierzehn Uhr. Denn da wollten wir über die Scheidungsbedingungen sprechen, hier in diesem Haus. Ohne die Anwesenheit von Pitbull Sarazin. Jasper hätte sich diese Gelegenheit um nichts in der Welt entgehen lassen. Er wollte mir nämlich unter die Nase reiben, dass ich leer ausgehe und dass ich um alles würde kämpfen müssen, um jeden Rand. Er hätte mit seiner Macht vor mir herumgewedelt wie mit einem großen Penis, denn das ist seine Art. Aber nein, er war nicht hier. Also, Bennie, muss irgendetwas passiert sein, was ihn davon abgehalten hat. Etwas, was größer war als seine Machtgier.«

»Was denn zum Beispiel, Mevrou?«

»Oh, irgendetwas, was seine Macht bedrohte, etwa die Gefahr, verhaftet zu werden, oder dass seine geheimen Fonds aufflogen. Oder dass sie verschwanden oder Gefahr liefen zu verschwinden, wenn er nicht dringend etwas unternahm. Irgendetwas, was ihn zwang, eine Entscheidung zu treffen. Hierbleiben oder untergehen. Es muss eine sehr schwere Entscheidung gewesen sein, denn er hätte sehr gerne mit seinem Dingsda vor mir rumgewedelt. Er ist nicht einfach irgendwo, wie Meinhardt sagt. Er ist weg. Und mein Geld ist in Angola.«

Endlich versiegte der Wortstrom.

Griessel fragte Lettie Boonstra, wann sie zum letzten Mal Kontakt zu ihrem Mann gehabt habe.

Sie holte ihr Handy heraus und zeigte ihm eine Nachricht auf WhatsApp, die sie um 7:56 heute Morgen verschickt hatte: 2 Uhr bei dir.

Boonstras Antwort bestand aus einem erhobenen Daumen.

»Als Sie hier ankamen … Haben Sie einen Schlüssel?«

»Natürlich habe ich einen Schlüssel, Bennie, aber ich brauchte ihn nicht, denn die Tür war nicht verschlossen.«

»Und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass hier … Nichts fehlt, nichts wurde zerstört?«

»Nicht, soweit ich das erkennen kann.«

»Lettie«, sagte er und schaffte es damit endlich, sie mit Vornamen anzureden, »ich verstehe nur eines nicht.«

»Was denn, Bennie?«

»Sie glauben, er ist nach Angola geflogen.«

»Natürlich nicht mit South African Airlines, sondern mit einem Privatflugzeug. Nur er allein, ganz heimlich. Wenn man das Geld hat, findet man immer jemanden, der die Mittel hat. Das hat er damals gesagt, als sein Betrug aufgeflogen ist und er in der ersten Woche danach jeden Tag in dem Bewusstsein schlafen ging, dass Sie jederzeit an die Tür klopfen und ihn verhaften könnten.«

»Und von Angola aus?«

»Wer weiß? Mit einem neuen Pass könnte er überallhin.«

»Okay. Und jetzt kommt meine Frage: Wenn Sie glauben, dass er im Ausland ist, warum sollten wir ihn dann Ihrer Meinung nach suchen?«

Sie sah Griessel mit hochgezogenen Brauen an und sagte dann anerkennend: »Das ist Ihre erste gute Frage, Bennie. Und die Antwort wird Ihnen nicht gefallen, aber hier ist sie: Als Jaspers Betrügereien herauskamen, hatte ich große Angst, dass sie ihn mir wegnehmen würden. Meinen klugen, umsichtigen Mann. Meinen Versorger. Meinen Schutz, meine Sicherheit. Damals ahnte ich noch nichts vom ganzen Ausmaß seiner Gaunereien, weder von den finanziellen noch von den anderen. Und was ist passiert? Nichts! Es kamen weder Streifenwagen mit Sirenen und Blaulicht noch Kerle, die ihn mit vorgehaltener Pistole verhafteten. Nichts. Jasper kam zu dem Schluss, die Polizei wäre entweder zu dumm oder zu faul oder zu korrumpiert, um ihn vor Gericht zu bringen. Und wenn er sich ansehe, wie sie dem Präsidenten und seinen Trabanten erlaube, sich an der Staatskasse zu bedienen und unser Land in den Bankrott zu treiben, könne man ja sehen, wie recht er mit seiner Einschätzung habe. Ich war natürlich froh, denn was wäre aus mir geworden, wenn er ins Gefängnis gewandert wäre? Dann kamen jedoch nach und nach seine Affären ans Licht, vor allem die mit dem Knackarsch. Alte Bekannte, Frauen, die ich für meine Freundinnen gehalten hatte, alle wussten offenbar über seine Untreue Bescheid und erzählten mir jetzt davon. Warum erst jetzt? Das ist eine der Fragen, auf die ich wahrscheinlich nie eine Antwort erhalten werde. Aber ich schweife ab. Als das alles also herauskam, betete ich insgeheim, dass sie ihn doch endlich abholen und einsperren und dafür sorgen würden, dass er für das Leid bezahlte, das er verursacht hatte. Aber nein, sie kamen nicht. Denn sie waren zu korrumpiert, zu faul oder zu dumm, vielleicht auch alles drei, wer weiß? So, Bennie, und jetzt setzen Sie zur Abwechslung mal Ihren Hintern in Bewegung und kommen Sie Ihren Pflichten nach. Suchen Sie den Scheißkerl! Und bringen Sie ihn zurück. Damit ich das bekomme, was mir zusteht. Denn während er sich irgendwo auf einer Karibikinsel mit einem neuen Pass und einem neuen Knackarsch aalt, stehe ich dumm da, mit leeren Händen. Ach ja, nur um Ihnen die ganze Antwort zu geben: Ich will, dass die Presse schreibt, dass Jasper Boonstra sich feige aus dem Staub gemacht hat. Ich will, dass alle Bescheid wissen. Ich will, dass sein Foto massenhaft im Internet verbreitet wird, damit er sich nirgendwo verstecken kann. So, und jetzt tun Sie mal zur Abwechslung Ihre Arbeit, Bennie. Oder sind Sie auch zu korrumpiert, zu dumm und zu faul?«

Sie stand auf. »Sarazin hat meine Telefonnummern und meine Adresse. Ich bin in meinem Haus Rooiels.«

Griessel stand ebenfalls auf. »Entschuldigung, leider muss ich Sie noch bitten zu bleiben und mit mir durchs Haus zu gehen, um zu überprüfen, ob irgendetwas fehlt.«

»Tut mir leid, Bennie, ohne mich. Rufen Sie den Knackarsch an. Sie war wesentlich öfter hier als ich. Vielleicht kann sie Ihnen weiterhelfen.« Und damit stolzierte Lettie Boonstra zur Tür hinaus.

»Jissis!«, stieß Vaughn Cupido hervor.

»Amen, Bruder«, sagte Erin Riddles.

»Ach, nee«, seufzte Bennie Griessel, denn schon ging die Tür wieder auf und Meinhardt Sarazin kam gemessenen Schrittes herein. Gefolgt wurde er von Dick und Doof aus der Forensik – Arnold, dem kleinen Dicken, und Jimmy, dem langen Dünnen.

»Leutnant«, sagte Sarazin. »Sie machen einen großen Fehler!«

Bennie spürte, wie die Wut in ihm hochkochte, und sagte mühsam beherrscht: »Sie warten draußen!«

»Jetzt hören Sie mal, wie reden Sie eigentlich mit mir?«, erwiderte der Anwalt, der jetzt tatsächlich eher einem Kampfhund als einem Labrador glich.

Spätnachts, als er zurück nach Kapstadt fuhr, würde sich Bennie Griessel fragen, warum er in dem Moment dermaßen die Beherrschung verlor. Er kam zu dem Schluss, dass es nicht nur einen Anlass gab, sondern dass eine Aneinanderreihung von Ereignissen dafür gesorgt hatte. Und dann noch diese Trennungsstreitigkeiten reicher Arschlöcher. Dieser Fall frustrierte ihn, weil er penetrant nach Zeitverschwendung roch. Hinzu kam sein Kummer darüber, dass er Annemarie de Bruin und ihren Sohn im Stich lassen musste. Es war die arrogante, herablassende Art des Anwalts und Lettie Boonstras verächtliches Gerede über die Polizei. Es war der lange, strapaziöse Tag und der wochenlange Ärger wegen seiner und Vaughns Suspendierung. Und dazu das Damoklesschwert einer Versetzung nach Laingsburg und die Angst, was sein Sohn dazu sagen würde – »Mein versoffener Vater ist in die Wüste geschickt worden«. Es waren Milo April, die korrupten Politiker und sein Land, seine Welt, seine Laufbahn, ja, sein ganzes Leben, die nach und nach den Bach runtergingen, es war die große Frage, wie er mit dem allen umgehen und dann noch gegen seine Alkoholsucht kämpfen sollte. Das alles hatte sich zusammengebraut und so lange gegärt, bis er explodiert war.

»Sie können mich mal!«, raunzte Griessel den Anwalt mit hochrotem Kopf an. Drohend ging er auf ihn zu. Er bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust, blickte zu ihm auf und blaffte: »Sie warten draußen, oder ich nehme Sie fest und sperre Sie ein.« Mit jedem darauffolgenden Wort, stach er mit dem Finger zu wie mit einem Dolch: »Los! Raus! Und zwar sofort!«

Es war mucksmäuschenstill.

Jimmy und Arnold rissen die Augen auf. So hatten sie Griessel noch nie erlebt.

Der quadratische Unterkiefer des Anwalts mahlte.

Cupido und Riddles warfen sich einen kurzen, zufriedenen Blick zu.

Sarazin machte auf dem Absatz kehrt und schritt – zum zweiten Mal an diesem Abend – würdevoll hinaus.

Als er die Haustür leise hinter sich schloss, sagte Vaughn zu Erin Riddles: »Siehst du den Typen da?« Und er deutete voller Stolz auf seinen Kollegen. »Das ist mein Partner!«

»Ist es okay, wenn wir hierbleiben?«, fragte Jimmy vorsichtig.

Sandra wartete, bis Josef eingeschlafen war.

Dann stand sie still und leise auf, ging ins Badezimmer und holte eine Zolpidem aus dem kindersicheren Arzneikästchen unter dem Waschbecken. Sie brauchte dringend Schlaf, aber ihr Herz klopfte wie wild und immer, wenn sie die Augen schloss, sah sie Jasper Boonstra vor sich: auf den Stufen, in der Kühltruhe, hinten in ihrem Auto.

Und die Szene, die sie am Fenster des Airbnb-Hauses gesehen hatte.

Oder war es nur Einbildung gewesen? Sie schluckte die Tablette.

Wenn es der Junge war, dieser Student, und sie nichts unternahm?

Aber was konnte sie tun?

Auf Zehenspitzen schlich sie zurück, schlüpfte ins Bett und wartete auf den Schlaf.

Griessel bat die Kollegen von der Spurensicherung, ihnen Ultraviolettleuchten zu bringen, und durchsuchte gemeinsam mit Cupido, Riddles und Dick und Doof methodisch und gründlich das Haus.

Er spürte ein latentes Unbehagen, eine tiefe Unzufriedenheit mit sich selbst und mit noch etwas anderem, was er noch nicht recht definieren konnte. Er versuchte, dieses merkwürdige Gefühl zu unterdrücken, damit er sich auf seine jetzige Aufgabe konzentrieren konnte, aber es fiel ihm schwer.

Gegen Mitternacht war er sicher, dass es im Haus keinerlei Hinweise auf Einbruch, Vandalismus oder gewalttätige Auseinandersetzungen gab. Das einzige Anzeichen dafür, dass überhaupt jemand hier gewesen war, war das ungemachte Doppelbett im großen Schlafzimmer, in dem mindestens eine Person gelegen hatte.

Um zwölf Minuten nach Mitternacht rief Witkop Jansen an und erkundigte sich nach dem Stand der Dinge. Bennie berichtete so objektiv wie möglich und erklärte, dass es einige Ungereimtheiten gebe.

»Die Journalisten stehen draußen vor dem Tor«, sagte Jansen. »Ganze Horden. Die Kollegen halten sie zurück. Die Provinzzentrale hat einen Sprecher geschickt, der sie im Zaum halten soll. Der Commissioner hat gesagt, Sie sollen mich informieren, wenn Sie auf Hinweise stoßen, ich melde es ihm, und er gibt es an den Sprecher weiter. Haben Sie verstanden?«

Sein üblicher Refrain klang weniger scharf als sonst. Griessel hörte an seiner Stimme, dass Witkop Jansen inzwischen auch die Nase gestrichen voll hatte. Er sagte, er habe verstanden, und beendete das Gespräch. Dann gab er Riddles und Cupido wegen der Journalisten draußen Bescheid.

»Das Ende der Welt, wie wir sie kannten«, kommentierte Vaughn.

Griessel etikettierte das Handy auf Boonstras Schreibtisch und steckte es in eine Beweismitteltüte.

Dann bestellte er die Wachen ins Wohnzimmer. Erin hatte sie bereits früher holen lassen; das gesamte Team von acht Security-Mitarbeitern, die das Wachhäuschen am Eingang bemannten und auch am Zaun entlang patrouillierten, jeweils in Zweierteams, die sich alle acht Stunden ablösten.

Das Wachpersonal sagte aus, dass Jasper Boonstra an diesem Tag Baronsberg nicht verlassen habe. Morgens um acht hatte er ihnen aufgetragen, dass er nicht gestört werden wolle, und wenn die Immobilienmaklerin da sei, dürften sie niemand anderen mehr reinlassen.

»Welche Immobilienmaklerin?«, fragte Griessel.

»Die scharfe Braut mit dem kleinen Ford«, sagte der Torwächter mit einem anzüglichen Unterton. Und als er sah, dass Griessel mit der Antwort nicht zufrieden war, fügte er hinzu: »Der Chef hat nie verlangt, dass sie sich einträgt, deswegen wissen wir nicht, wie sie heißt. Aber wir können ihr Kennzeichen auf den Videoaufnahmen nachsehen.«

»Moment, Moment, Moment«, bremste ihn Griessel. »Wie viele Ein- und Ausgänge gibt es?«

»Kommt darauf an«, sagte der Wachmann »ob Sie das Haus oder das Grundstück meinen.«

»Was heißt das?«, fragte Griessel.

»Also«, sagte der Mann, »das Haus liegt etwas abseits vom Weinkeller und den anderen Gebäuden, wo zum Beispiel auch die Weinproben stattfinden und so weiter. Wenn man zum Haus will oder es verlässt, sagen wir in Richtung Stadt, ist der einfachste Weg der, auf dem Sie reingekommen sind, durch das große Tor mit der Sprechanlage und an unseren Wachhäuschen vorbei. Die einzige andere Möglichkeit ist das andere Tor auf dem Grundstück, das zum Weinkeller führt und von dort aus zum Jonkershoekpad. Aber dafür muss man den Code für das Tor zwischen Haus und Nebengebäuden kennen, und die Videokameras würden einen erfassen.«

»Boonstra ist heute durch keins der beiden Tore gefahren?«

»Nein.«

»Aber er ist nicht hier, also wie ist er herausgekommen?«, fragte Griessel, dessen Geduld an diesem Abend auf eine harte Probe gestellt wurde.

Der Wachmann blickte Rat suchend seine Kollegen an. Dann sagte er: »Mevrou Boonstra hat zwei kleine Fußgängertore einsetzen lassen, falls sie zum Beispiel mal auf den Berg oder zum Keller und zum See wollte. Beide sind ebenfalls mit einem Code gesichert. Zu Fuß käme man dort raus. Das ist die einzige Möglichkeit, wie Meneer Boonstra das Gut verlassen haben könnte, aber wo sollte er von dort aus hin? Er wird doch wohl kaum bis in die Stadt gelaufen sein?«

»Gibt es Kameras an den beiden kleinen Toren?«

»Nein, Mevrou Boonstra wollte das nicht.«

»Wie schwer ist es, über den Zaun zu klettern?«, fragte Griessel.

»Es ist ein zwei Meter hoher ClearVu Super Fencing, man kommt nirgendwo drüber. Außerdem patrouillieren wir alle zwei Stunden am Zaun entlang, und es wurden nirgendwo Löcher reingeschnitten oder so.« Er klang, als wolle er sich dafür rechtfertigen, dass Boonstra nicht mehr hier war.

»Wann und wo kann ich mir die Aufnahmen der Überwachungskameras ansehen?«, fragte Griessel.

»Sie können zu uns ins Wachhäuschen kommen und sie sich dort ansehen. Aber wir haben schon nachgeschaut. Auf den Aufnahmen von heute ist nichts. Nur die Maklerin, die rein und raus fuhr, später dann Mevrou Boonstra und der Anwalt.« 

»Irgendwelche Gärtner oder Hausangestellte?«, fragte Griessel.

»Nein, der Chef hat gesagt, er wolle heute seine Ruhe haben und nicht gestört werden. Niemand hat sich dem Haus genähert.«

»Ist das öfter vorgekommen? Dass er Ruhe haben und ungestört sein wollte?«

»Nur, wenn er jemanden dabeihatte.«

»Was heißt ›jemanden‹?«

Die Wache sah erst Erin Riddles und dann Griessel entschuldigend an. »Na, eine Schnalle«, sagte er.

Meinhardt Sarazin lehnte an seinem schwarzen Range Rover und richtete sich auf, als die Ermittler aus dem Haus kamen.

»Leutnant?«, fragte er betont höflich. »Hätten Sie mal einen Augenblick?«

Griessel blieb stehen, Cupido und Riddles an seiner Seite.

»Bestimmt ist Ihnen klar, was Mevrou Boonstra bezweckt«, sagte der Anwalt.

»Was denn?«, fragte Griessel.

»Sie … Ich vermute, dass sie Meneer Boonstra in Verlegenheit bringen will. In dem Versuch … Ich bin mir nicht sicher, wie sie argumentiert, aber es hat doch ganz klar etwas mit der Scheidung und der Vermögensaufteilung zu tun.«

»Ich dachte, die Scheidung wäre noch gar nicht sicher«, meinte Cupido.

Sarazin zuckte mit den Schultern. »Die Katze ist doch jetzt sowieso aus dem Sack. Aber mal abgesehen davon redet sie baren Unsinn. Meneer Boonstra würde auf gar keinen Fall das Land verlassen, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen. Auf gar keinen Fall!«

»Aber wo könnte er denn sonst sein?«, fragte Griessel.

»Ich weiß es nicht. Aber ich wette, er ruft mich morgen an, sobald er den Rummel in den Medien mitbekommt.«

»Apropos anrufen: Wieso, glauben Sie, hat er sein Handy hier liegen gelassen?«

Darauf wusste Sarazin auch keine Antwort.

»Hat er eigentlich vorgehabt, eine Immobilie zu verkaufen?«, fragte Griessel weiter.

»Inwiefern ist das denn relevant? Ich sage Ihnen doch, er hatte nicht vor, sich abzusetzen!«

»Eine Immobilienmaklerin war hier. Heute Morgen.«

»Ach so.« Sarazin wirkte einen kurzen Moment irritiert. »Ja, er hatte so etwas angedeutet … Es ging wohl um eine Schätzung.«

»Von welchem Objekt?«

»Das Haus in Franschhoek, wenn ich mich recht erinnere.«

»Wissen Sie, wie diese Immobilienmaklerin heißt?«

Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Aber ich kann versuchen, es herauszufinden.« Er zückte sein Portemonnaie und holte eine Visitenkarte heraus. »Leutnant, bitte verzeihen Sie mir den … Augenblick von Taktlosigkeit eben. Hier sind meine Kontaktdaten. Ich rufe Sie an, sobald ich etwas von Jasper höre. Wenn ich bis dahin in irgendeiner Weise behilflich sein kann …«

Griessel nahm die Karte entgegen. Er sah zu, wie sich Sarazin umdrehte und zu dem schwarzen Range Rover schritt.

Sie gingen hinunter zum Wachhaus, um sich die Aufnahmen der Überwachungskameras anzusehen.

Sie sahen die Scheinwerfer der Fernsehteams vor dem Tor und hörten das Stimmengewirr der Journalisten aus zweihundert Meter Entfernung.

Der Wachmann spielte ihnen die Aufnahmen vom Tor auf dem Computer vor, im Zeitraffer, um sich auf die Momente von Aktivität konzentrieren zu können. Die Uhr zeigte 8:55 an, als ein weißer Ford EcoSport vor dem großen Schiebetor hielt, einen Augenblick wartete und dann durch das geöffnete Tor fuhr. Einzige Insassin war eine Frau. Die Aufnahmen waren deutlich genug, um ihre Gesichtszüge erkennen zu können. Sie sah attraktiv aus.

»Das ist die Maklerin«, erklärte der Wachmann

Griessel notierte sich das Fahrzeugkennzeichen.

Dasselbe Fahrzeug mit derselben Fahrerin fuhr um 11:54 Uhr wieder hinaus. Auch diesmal war die Maklerin allein.

Sie winkte der Security freundlich zu.

Als Nächstes kamen Lettie Boonstra mit ihrem BMW und dann der Anwalt mit seinem Range Rover. Dann die Polizei.

Die Ermittler sahen sich auch die Aufnahmen der Videokameras an, die die Umgebung der Dreifachgarage überwachten. Auch diese zeigten nichts Neues. Nur die Maklerin, Mevrou Boonstra und Meinhardt Sarazin.

Dann schauten sie sich noch die Aufnahmen von den Kameras am großen Tor an, das hinter dem Haus zum Weinkeller und den Außengebäuden führte. Dort hat es den ganzen Tag über keine Aktivität gegeben.

Mit starken Taschenlampen gingen sie zu den beiden Fußgängertoren, die Lettie Boonstra im hohen Zaun hat anbringen lassen; eines bot nach Nordwesten Zugang zum Berg, das andere ermöglichte nach Osten den Weg zu einem großen See.

An keinem der Tore fanden sie Fußspuren.

»Es hat den ganzen Tag geregnet«, gab die Wache zu bedenken. »Selbst wenn jemand Spuren hinterlassen hätte, würde man sie jetzt nicht mehr sehen.«

Griessel griff zu seinem Handy. Er musste Witkop Jansen anrufen und Bescheid sagen, dass sie nichts gefunden hatten.

Rein gar nichts.

Sie wollten zurück ins Büro. Am Tor mussten ihnen die uniformierten Kollegen einen Weg durch die Journalisten bahnen. Kameras blitzten, Fernsehkameras und lange Mikrophone wurden gegen die Autofenster gedrückt, Fragen geschrien.

»So was habe ich ja noch nie erlebt!«, bemerkte Cupido, der am Steuer saß.

»Nicht mal bei den Hawks?«, fragte Erin Riddles vom Rücksitz aus.

»Nicht mal annähernd«, antwortete Cupido. »Aber da sieht man’s mal wieder: Der Gauner wird zum Promi. Wo liegt eigentlich die Grenze? Wieviel muss man stehlen, um berühmt zu werden? Boonstra hat ungefähr eine Billion eingeheimst, stimmt’s?«

»So um den Dreh«, sagte Riddles.

»Die indischen Geschäftsleute, die mit dem Präsidenten zusammen den Staat haben ausbluten lassen, mussten erst vier, fünf Billionen stehlen, bevor sie ins Scheinwerferlicht gerieten. Da sieht man’s mal wieder: Als Weißer ist man privilegiert, sogar als Krimineller.«

Sie fuhren am letzten Übertragungswagen vorbei, der am Rand des Jonkershoekpads wartete. Vaughn sah Bennie an. »Interessanter Fall, Benna.«

»Ach, Scheiße!«, fluchte Griessel gegen seinen Willen aus tiefstem Herzen.

»Was meinst du, Partner? War der Mörder der Gärtner?«

Griessel grinste matt. »Dieser Anwalt weiß etwas«, sagte er. »Die Frage ist nur: was?«

»Und diese Mutti?«, fragte Erin Riddles.

»Die ist mir irgendwie unheimlich«, meinte Cupido. »Was sich in der für ein Frust angestaut hat …«

»Genau das meine ich. Nehmen wir mal an, Boonstra kommt nie wieder. Wie viel bekäme sie?«

»Was weiß ich«, sagte Bennie Griessel. »Ich habe sowieso nicht viel von dieser ganzen Boonstra-Affäre mitbekommen. Bei mir ist nur hängengeblieben, wie unheimlich gerissen der Kerl ist. Ein Spitzenstudent, ein kluger Geschäftsmann, ein schlauer Betrüger. Vieles von dem, was er sich ergaunert hat, läuft natürlich nicht auf seinen eigenen Namen.«

»Ob seine Frau deswegen so erpicht darauf ist, dass wir ihn suchen? Und finden?«, fragte Cupido.

»Ach so, na klar«, sagte Erin Riddles.

»Kann sein«, sagte Griessel. »Und vielleicht will gerade deshalb sein Anwalt nicht, dass wir ihn finden.«

Sie brachten die Akten auf den neuesten Stand; inzwischen war es kurz vor zwei Uhr nachts.

»Ihr habt also um ein gemeinsames Büro gebeten?«, fragte Riddles, die neben Griessel saß und am Computer die Informationen über den Boonstra-Fall ins ICDMS eingab, die Integrierte Kriminalverwaltungs-Datenbank.

»Nein«, sagte Cupido, der an seinem Schreibtisch die Callie-de-Bruin-Akte ergänzte. »Wieso?«

»Weil alle anderen Kollegen ein eigenes Büro haben. Sogar wir Sergeants.«

»Ist bestimmt Teil unserer Strafe«, spekulierte Griessel. »Uns stört es nicht.«

Nächtliche Stille legte sich über das Bürogebäude, während sie arbeiteten.

Cupido blickte von seiner Akte auf. »Du, Benna, hast du nicht auch das Gefühl … Ich weiß nicht …«

»Dass wir etwas übersehen?«

»Yebo. Und zwar irgendetwas Offensichtliches, aber ich komme nicht drauf.«

»Ich weiß, und es fing schon an mit …« Er wollte sagen: »… mit Mbali Kaleni und Chriselda Plaatjies«, aber Erin Riddles musste nicht alles mitbekommen. »… mit heute Nachmittag.«

»Genau«, sagte Cupido. »Du hast vollkommen recht.«

Sie schickten E-Mails an Megan Daniels von Capitec und Veronica Adams von der Universitäts-Security, in denen sie sich darüber informierten, dass Cupido von jetzt an den Vermisstenfall Callie de Bruin allein bearbeiten würde.

Das Letzte, was Vaughn tat, bevor er den Rechner auf seinem Schreibtisch abschaltete, war, das Foto des jungen Mannes mit dem Kapuzenpulli, der sich in Callie de Bruins Wohnheim eingeschlichen hatte, an die Kollegen von der Einheit zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens am Kap zu schicken. Ohne große Hoffnung; eigentlich nur, um noch etwas in das Ermittlungstagebuch, den Teil C des SAPS5-Formulars, eintragen zu können, damit sich Witkop Jansen nicht wieder über ihre mangelnde Einsatzbereitschaft beklagen konnte.

Das Letzte, was Griessel tat, war, das Kennzeichen der Maklerin in das NaTIS-System einzugeben.

Er erhielt ihren Namen.

Sandra Steenberg.

Er erhielt auch eine Adresse und eine Telefonnummer. Er schrieb sich alles in seinem Notizbuch auf und schaute dann auf die Uhr. Es hatte keinen Sinn, die Frau mitten in der Nacht zu wecken.

Das konnte bis morgen warten.

Gegen halb drei morgens gingen sie hinaus zu ihren Autos, in dem Wissen, dass sie nur sehr wenig Schlaf bekommen würden. Und dass morgen ein langer Tag werden würde.

Auf der Fahrt nach Hause, den dreiundfünfzig Kilometern zwischen Stellenbosch und Tamboerskloof über die verlassenen Straßen dachte Griessel über seinen Wutausbruch nach, der ihn selbst überrascht hatte.

Eigentlich war er nicht so.

Vielleicht war er mal so gewesen, in der Zeit, bevor er angefangen hatte zu trinken und sein ganzes Leben den Bach runterging. Er war ein Draufgänger gewesen, voller Selbstvertrauen und hatte sich manchmal geprügelt, vor allem in seiner Anfangszeit als Polizist, als er als einer der jungen, aufstrebenden Stars galt.

Doch als er aus dem Säufertal wieder herausgeklettert war, war er nie wieder der Meinung gewesen, dass er das Recht hatte, die Beherrschung zu verlieren

Warum ausgerechnet jetzt?

Er dachte an all die Dinge, die Anlass dazu gegeben hatten, die Verkettung der Umstände, die Anspannung, alles, was sich seit Wochen aufgestaut hatte. Er dachte an den hinter ihm liegenden Tag, an Boonstra und de Bruin, Milo April und seinen Sohn Fritz und wie er sich neben alldem immer mehr nach der Flasche sehnte, aber es nicht wagte zu trinken.

Irgendwann glaubte er zu verstehen, wie sich alles verschworen und zusammengespielt hatte, damit es zu diesem Ausbruch kam.

Und doch …

Da war noch etwas anderes, irgendetwas in seinem Unterbewusstsein, ein schlafendes Ungeheuer.

Er zwang sich, an etwas anderes zu denken – was war es, das ihm und Vaughn die ganze Zeit im Fall Callie de Bruin entging? Es war wie ein Wort, das einem auf der Zunge lag, einem aber nicht einfallen wollte. Er konnte kaum noch nachdenken vor Müdigkeit.

Erst als er in die Buitengracht einbog, wagte er es, dem Monster entgegenzutreten.

Er und Vaughn, die jetzt plötzlich als von den Valke abgeordert dargestellt wurden, nachdem man sie gedemütigt und degradiert hatte. Milo April, der vermutet hatte, dass der Smith & Wesson bewusst aus dem Waffenregister der Polizei gelöscht worden war, und der höchstwahrscheinlich recht gehabt hatte. Lettie Boonstra, die gesagt hat: Denn Sie waren zu korrupt, zu faul oder zu dumm oder vielleicht alles drei, wer weiß? Und auch sie hatte garantiert recht, denn Boonstras kriminelle Aktivitäten waren offensichtlich. Tausende Berichte in den Medien, ganze Bücher, die über den Schneider-König-Skandal geschrieben worden waren, eine niederländische Doku, die seinen Betrug offengelegt und nachvollzogen hatte, und dennoch hat es keinerlei Strafmaßnahmen gegen ihn gegeben. Das Mastermind lief frei herum. Der Präsident ihres Landes, der als Krimineller entlarvt worden war, sekundiert von mehreren Ministern und mindestens zwei Provinz-Premiers sowie einer ganzen Heerschar Beamter und Mitläufer. Der Staat war um Milliarden betrogen worden. Doch das alles hatte keine Folgen. Nicht die geringsten.

Das war das Ungeheuer, das in seinem Unterbewusstsein schlummerte. Das Ungeheuer der Nutzlosigkeit. Wenn Kriminalität vom Staat sanktioniert wurde, brauchte man Leute, um sie zu bekämpfen. Doch wenn sie einem derart über den Kopf wuchs, dass man nichts dagegen tun konnte, war man nutzlos. Man blieb umsonst enthaltsam und soff im Zweifelsfall umsonst.

Vor ein paar Wochen hatte er Cupido von Mauritz Lotz erzählt und ihm erklärt, dass es sein Lebenszweck war, ein Ermittler zu sein. Bei der Kripo war er er selbst. Er hätte hinzufügen können: Dort hatte er einen Nutzen.

Aber was, wenn man keinen Nutzen hatte?

Was sollte aus ihm werden?

Er schlüpfte ins Bett und schmiegte sich an Alexas Rücken

Sie küsste ihn verschlafen und erwischte ihn am Auge. »Ich liebe dich«, flüsterte sie im Dunkeln.

»Ich dich auch«, flüsterte er zurück.

Er legte den Kopf auf das Kissen.

So war das Kap, eine launische Geliebte: Nachdem der Mittwoch grau, kalt und spröde gewesen war, würde der Donnerstag mit heiterem Sonnenschein locken.

Tagesanbruch war um 6:17 Uhr. Sandra Steenberg stand in der Küche, noch im Pyjama, das Handy in der Hand. Irgendwann war sie eingeschlummert, und durch die Tablette hatte sie sogar verschlafen. Sie war noch etwas benommen, aber ihr Pulsschlag ging in die Höhe, nachdem sie die Nachricht gelesen hatte: Die Polizei wird Kontakt mit Ihnen aufnehmen. Sagen Sie nichts von Donkerdrif. Rufen Sie mich an, dringend! Ich bin JBs Anwalt. Meinhardt Sarazin.

Automatisch blickte Sandra den Flur entlang zur Schlafzimmertür. Wie eine Diebin, dachte sie. Voller Angst vor Entdeckung.

Josef schlief noch.

Die WhatsApp war nachts um 2:41 Uhr verschickt worden. Also wusste die Polizei inzwischen, dass Jasper verschwunden war.

Was genau wussten sie? Wann kamen sie?

Sandra ging durch die Küche zur Hintertür hinaus und rief den Anwalt an.

Das Telefon klingelte so lange, dass sie schon glaubte, er würde sich nicht melden. »Meinhardt«, sagte schließlich eine verschlafene, raue Stimme.

»Hier ist Sandra Steenberg. Sie haben mir eine seltsame Nachricht geschickt.« Sie musste so tun, als wüsste sie von nichts.

»Ach, so. Ja, hallo, danke, dass Sie zurückrufen. Hat die Polizei Sie schon kontaktiert?«

»Weshalb sollte sie mich kontaktieren?«

»Meneer Boonstras Frau hat ihren Mann als vermisst gemeldet.«

Sandra hörte ihm an, wie vorsichtig er seine Worte wählte. »Wieso das denn?«, fragte sie. »Ich war doch gestern Vormittag noch bei ihm.«

»Hat er gesagt, wohin er wollte?«

»Nein.« Sie tat erstaunt. »Er … Er hat gesagt, dass wir uns am Freitag noch einmal sprechen würden. Morgen. Wegen des Geschäfts mit Demeter.«

»Ich muss Sie um einen großen Gefallen bitten, Mevrou Steenberg. Es scheint, als wären Sie die Letzte, die Meneer Boonstra gesehen hat. Es wird sich also nicht vermeiden lassen, dass die Polizei sich an Sie wendet. Bitte sagen Sie nichts von Donkerdrif. Es ist wichtig.«

Sie zog ihr Schweigen absichtlich in die Länge, als müsse sie über die Konsequenzen nachdenken. »Verstehe. Wir wollen den Verkauf nicht … gefährden.«

»Genau«, bestätigte Sarazin. »Jasper war sehr erleichtert, dass das Geschäft unter Dach und Fach war. Und dass Sie es … mit so viel Diskretion abgewickelt haben, möchte ich hinzufügen. Meiner Meinung nach erholt er sich irgendwo ein bisschen. Jedenfalls hat mich die Polizei gestern Abend gefragt, ob ich wüsste, warum er Besuch von einer Maklerin hatte. Ich habe geantwortet, dass es möglicherweise um sein Haus in Franschhoek ging. Stellenbosch liegt ja quasi um die Ecke.«

»Ich kann auch einfach sagen, dass Jasper sich mit mir über Baronsberg unterhalten hat. Denn so war es ja auch.«

»Über Baronsberg?«

»Er hat gesagt, wenn ich es geschickt anstellte, könnten wir demnächst auch Baronsberg auf den Markt bringen.«

»Das ist nicht Ihr Ernst!«

Sandra wusste, dass sie sich jetzt auf dünnem Eis bewegte. Sarazin war offenbar Boonstras Vertrauter. Es bestand die Gefahr, dass er wegen der gefälschten Mandatsformulare auf ihrem Schreibtisch Verdacht schöpfen könnte. Sie würde sie ihm plausibel machen müssen. »Meinhardt«, sagte sie, gezielt vertraulich. »Jasper hat das mit dem Verkauf von Baronsberg garantiert nicht ernst gemeint. Es sollte nur ein Köder sein. Er hatte dabei sicherlich Hintergedanken. Meinetwegen …«

»Wie meinen Sie das?«

»Wenn Sie Jaspers Anwalt sind, müssten Sie am besten wissen, wovon ich rede. Fragen Sie ihn, wenn Sie ihn das nächste Mal sprechen.«

Es herrschte Stille in der Leitung.

»Aber die Polizei muss ja nicht alles wissen«, fuhr sie fort. »Ich werde nur sagen, dass wir über einige von Jaspers Immobilien geredet haben.«

»Das könnte funktionieren. Vielen Dank. Und ich verspreche Ihnen, dass wir Ihre … Diskretion nicht vergessen werden.«

Bevor Griessel das Haus verließ, hatte ihm Alexa ein perfektes Omelette mit würzigem Cheddar zubereitet. Währenddessen hatte sie ihm aufmerksam zugehört, als er ihr von den Ereignissen des vergangenen Tages berichtete.

Bei Tagesanbruch war er schon wieder auf der N2 unterwegs, zurück zur Arbeit. Erstaunt dachte er an das Omelette. Alexas Kochkünste waren normalerweise eher dubios, man konnte es daher fast als kleines Wunder betrachten. Vielleicht war es ein Omen dafür, dass es ein guter Tag werden würde.

Doch er bezweifelte es. Denn heute würde der Zirkus mit Pomp in die Stadt einziehen, und seine größte Hoffnung war, dass er nicht den Ober-Hanswurst spielen musste. Dass er einen klaren Kopf behielt, war dafür die Voraussetzung, doch leider forderte der Schlafmangel seinen Tribut. Seine Gedanken waren heute Morgen ungeordnet und flatterhaft. Sie huschten zurück zur vergangenen Nacht und seiner Angst davor, nutzlos zu sein. Sie forderten ihn heraus, zu beantworten, was er dagegen unternehmen würde. Dann sprangen sie ohne Anlass zu seinem alten Giant-Mountainbike, das er heute Morgen beim Herausfahren aus der Garage an der Wand hat stehen sehen. Einsam. Ebenfalls nutzlos. Ihm fehlten seine frühmorgendlichen Touren entlang den Hängen des Tafelberges. Er vermisste sie körperlich, mental und seelisch. Sie hatten zu seinen wenigen Freuden gehört. War das alles der Mühe wert? Dass er diese vielen Opfer brachte, obwohl es immer mehr den Anschein hatte, als verliefe seine Karriere im Sand, verlösche wie eine Kerze im Dunkel der Sinnlosigkeit? Er rief sich zur Ordnung. Schluss mit den finsteren Gedanken! Stattdessen zwang er sich, an den Funken einer Ahnung zu denken, der ihm gestern Abend aufgeblitzt war und von dem er sich vorgenommen hatte, ihm als Erstes heute Morgen im Büro auf den Grund zu gehen. Denn diese Scheißkerle konnten ihm vielleicht seinen Rang und seine Bedeutung nehmen, aber nicht seine Intuition.

Sergeant Erin Riddles wohnte am Tiobellesingel, in Jamestown in der Nähe von Stellenbosch. Ihr Mann Neville war Elektriker. Die beiden hatten drei Söhne im Grundschulalter.

Erin hatte für die Kinder miliepap mit Milch, Butter und Zucker zum Frühstück gekocht und bereitete jetzt ihre Brotdosen für den Tag vor. Neville half ihr dabei. Er belegte die Brote mit Schinken und hörte ihr zu, während sie ihm von dem seltsamen Verschwinden Jasper Boonstras und dem Schloss erzählte, in dem er wohnte.

»Der ist jetzt bestimmt längst in Russland«, bemerkte ihr Ältester, dreizehn Jahre alt.

»Russland? Wieso Russland?«, fragte Neville. »Da gibt’s doch nichts als Schnee und Wodka.«

»Dahin gehen die größten Verbrecher«, sagte der Junge.

»Ich glaube, der ist nirgendwohin«, erwiderte Erin Riddles. »Meiner Meinung nach liegt der da irgendwo auf dem Gutsgelände.«

»Und wer hat ihn deiner Meinung nach kaltgemacht?«, fragte Neville.

»Seine Frau. Mittel, Motiv, Gelegenheit«, sagte sie. »Und sie ist eine B–I–T–C–H.«

»Wir können buchstabieren, Mammie«, sagte ihr Ältester vorwurfsvoll. »Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr.«

Vaughn Cupido zog sich an, als Desiree ins Schlafzimmer kam, schon zurechtgemacht und bereit für den Tag. So war sie. Höchst organisiert.

Sie hielt eine Tupperdose in den Händen. »Du, Schatz«, sagte sie, »ich hab dir gestern Abend etwas für heute zurechtgemacht. Wenn du es ernst meinst mit deiner Diät, müssen wir dafür sorgen, dass du nicht so oft in Versuchung gerätst.« Sie öffnete den Deckel der Dose. Darin lagen vier Päckchen in Plastikfolie und eine einzelne Banane. »Die Babykarotten sind zum Knabbern. Davon kannst du so viele essen, wie du willst. Wenig Kalorien, schön knackig, das hilft gegen den schlimmsten Appetit. Das Brot mit Thunfisch, Majo und Gürkchen ist das Mittagessen. Die Heidelbeeren sind der Nachtisch, sie enthalten jede Menge Antioxidantien und Vitamine. Die Mandeln sind gegen das Nachmittagstief. Es sind zwar nur sechs, aber sie haben sehr viele Kalorien. Und, Schatz, die Banane ist nur für den Notfall, falls es ein sehr langer Tag wird. Okay?«

Cupido betrachtete das Essen im Behälter. O je, das war ja so gar nicht sein Ding! Es machte ihn praktisch zum Vegetarier. Wie die Tussi von Bennies Sohn.

Dann schaute er auf die Hose hinunter, deren Knopf er gerade am Bauch zu schließen versuchte.

»Okay«, sagte er. »Vielen Dank, Schatz.«

Griessel saß am Computer, als Cupido ins Büro kam.

»Hier, schau mal!«, sagte er. Dann sah er, dass Vaughn etwas unter seiner Jacke versteckte. »Was hast du denn da?«

»Mein dünnes zukünftiges Ich, aber ich will nicht drüber reden«, antwortete er und packte den Gegenstand hastig in seine Schreibtischschublade. Er sah aus wie eine Tupperdose. »Was soll ich mir ansehen, Benna?«, fragte er.

»Vusis Transito-Gangster, die wir im Juli bei Paarl gefasst haben. Als du den Typen mit der RS200 erwischt hast.«

»Ich hab ihn mit der Glock erwischt, die blöde RS200 hätte ich mir schenken können.«

»Wahrscheinlich. Aber erinnerst du dich noch an die AK47 mit dem Elfenbeingriff, die der Anführer hatte?«

»Ja, natürlich. Der Typ hatte ›Ukufa‹ darauf eingeritzt, Tod. Und er hätte Zamisa beinahe damit in die ewigen Jagdgründe geschickt.«

»Genau. Und das hier …«, Griessel deutete auf sein Notizbuch, das offen neben der Tastatur lag, »ist das Kennzeichen dieser AK. Und das hier sind die IBUS- und WK-Nummern, die mir Silverton nach der Beschussprüfung und Archivierung geschickt hat.«

»Alles klar.«

»Ich habe diese Nummern jetzt schon viermal ins IBUS und ins SVR eingegeben, ohne Ergebnis. Sie sind nicht drin!«

»Augenblick mal, Partner. Du hast doch die AK persönlich nach Silverton geschickt, oder?«

»Ja. Vusi war so mit dem Papierkram für den Fall beschäftigt, schon wegen der vielen Verhaftungen, dass Frankie Fillander und ich ihm unter die Arme gegriffen haben.«

»Die AK wurde doch beschlagnahmt, oder? Weil die ganze Bande ausgesagt und einen Deal ausgehandelt hat.«

»Ja. Ich habe selbst das Inbeschlagnahmeformular ausgefüllt und mitgeschickt.«

»Das gibt’s doch nicht!«, sagte Cupido. »Und das sind also die Nummern, die sie dir geschickt haben?«

»Buddie Falk persönlich. Da stehen sie.« Griessel deutete wieder auf den Notizblock

»Das kann doch nicht wahr sein!«, sagte Cupido.

»Ja, aber das ist noch nicht alles. Das hat mich an Milo erinnert, an etwas, was Witkop Jansen gesagt hat. Es könnte sein, dass …«, begann Griessel, konnte den Satz aber nicht beenden, denn Erin Riddles stürmte atemlos ins Büro und rief: »Der General ist hier, er will uns dringend sprechen. Und das Fernsehen steht draußen vor dem Tor!«

Der General« war der Ochsenfrosch von einem Provincial Commissioner, Mandla Khaba.

Und er war nicht allein. Er wurde begleitet vom Kriminalpolizeichef der Provinz, dem Dienststellenleiter von Stellenbosch, einem Team von Pressesprechern des SAPD aus Kapstadt und drei Obristen, die offenbar zu Khabas Provinz-Entourage gehörten.

Sie alle warteten im Konferenzraum, als Cupido, Griessel und Erin Riddles eintraten. Neben Khaba saß Witkop Jansen. Er sah noch kleiner aus als sonst und so missmutig, als wäre er lieber woanders.

Der Kriminalpolizeichef war der Einzige, der die drei Neuankömmlinge hörbar grüßte. Khabas Blick blieb stur auf das Handy vor ihm auf dem Tisch gerichtet. Es waren keine Plätze mehr für sie frei, so dass sie sich an der Wand aufreihen mussten wie vor einem Erschießungskommando.

Es wurde still im Raum.

»Der Commissioner übernimmt es, die Medien am Tor zu informieren«, sagte Witkop Jansen zu Griessel, in seinem stark Afrikaans gefärbten Englisch. »Was haben Sie bisher im Vermisstenfall Boonstra für ihn?«

Griessel kannte das Spiel. Sie brauchten Futter, um den Mediendrachen zu besänftigen. Als er sprach, wandte sich Griessel an Witkop Jansen und den Kripochef, die einzigen beiden im Raum, denen er vertraute. Er erzählte noch einmal dasselbe wie am Morgen bei seinem Bericht an Jansen – sämtliche Flughäfen und Grenzposten hielten nach Jasper Boonstra Ausschau, aufgrund von Hinweisen, die sie von Angehörigen des Vermissten erhalten hätten. Dennoch ermittele der SAPD in alle Richtungen. Ein großes Team von Kollegen der Direktion Boland würde heute das Gut Baronsberg durchsuchen. Auch die Hundestaffel sei im Einsatz. Griessel würde Boonstras Handy und Handyverbindungen überprüfen und Personen befragen, mit denen er in den letzten achtundvierzig Stunden vor seinem Verschwinden Kontakt gehabt habe. Es gebe noch zahlreiche Hinweise, denen sie nachgehen müssten.

»Gehört seine Ehefrau zum Kreis der Verdächtigen?«, fragte Khaba, die Augen immer noch auf das Handy gerichtet, herablassend, als spräche er mit einem Kind. »Meine Leute haben mir gesagt, das wäre das Einzige, was die Presse wirklich interessiert.«

Sein verächtlicher Ton triggerte bei Griessel wieder dieselbe Wut wie gestern Abend, noch dadurch verstärkt, dass er so wenig geschlafen hatte. Er musste sich mit aller Macht zusammenreißen. Er war ein Versager und Alkoholiker, er hatte in seinem Leben schon viele Fehler gemacht, aber er war ein guter Polizist und setzte sich voller Überzeugung für Recht und Gerechtigkeit ein. Niemand durfte so mit ihm reden. Am Abend zuvor hatte er die Beherrschung verloren, aber das würde ihm nicht noch einmal passieren. Er blieb ruhig und sagte förmlich und kalt: »Wir ziehen es vor, nicht über laufende Ermittlungen zu reden oder zu spekulieren, General.«

Cupido flüsterte beifällig: »Yes!«

Khaba hob den Blick vom Handy und starrte Bennie durchdringend an. »Das ist mir durchaus klar, Leutnant, ich will Ihre Antwort auch nicht für die Medien, sondern zu meiner eigenen Information.«

Griessel schlug einen neutralen Tonfall an, weder respektvoll noch verächtlich, und zählte lediglich die Fakten auf: »Die Ehefrau ist eine von mehreren Personen, die im Rahmen der Ermittlungen überprüft werden. Wir haben keinen konkreten Anlass, sie zu verdächtigen, können ihre Beteiligung aber auch nicht gänzlich ausschließen. Es ist einfach noch zu früh, um etwas Konkretes zu sagen. Falls sich etwas daran ändert, werden wir Ihre Dienststelle benachrichtigen.«

Khaba starrte Griessel misstrauisch an und beschloss dann offenbar, dass es sich nicht lohnte, wütend zu werden. Er wandte sich an Witkop Jansen: »Und was ist mit dem jungen Mann? Diesem Studenten? Haben Sie in diesem Fall irgendwelche Fortschritte erzielt?«

»Cupido?«, fragte Jansen.

»Ja, ich glaube schon, General«, antwortete Vaughn. »Wir werden noch heute bei Gericht einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung eines vorbestraften Verdächtigen in Stellenbosch anfordern, ebenso wie Anordnungen, um dessen Handyverbindungen und Bankkonten einzusehen. Außerdem warten wir auf Auskünfte von der Bank des Vermissten hinsichtlich internationaler Überweisungen auf dessen Konto.«

»Internationale Überweisungen? Der Junge hat Geld aus dem Ausland erhalten? Warum weiß ich nichts davon?«, fragte Khaba.

Ein Oberst sprang auf und flüsterte dem General etwas ins Ohr. »Ah«, sagte dieser. »Das halten wir also unter Verschluss.«

»Die Mutter des jungen Mannes wird Sie auf die Pressekonferenz begleiten, General«, sagte der Stabschef. »Sie weiß nichts von den ausländischen Zahlungen.«

»Verstehe. Es ist gut, dass sie hier ist. Wir wollen zeigen, dass wir im South African Police Service nicht nur den Reichen dienen. Ich werde ihr versichern, dass wir mit Hochdruck ermitteln. Sonst noch etwas?«

Jansen schüttelte den Kopf.

Khaba stand auf. »Okay. Dann wollen wir mal.«

Die Führungsoffiziere folgten dem Commissioner, als er den Raum verließ. Der Provinzchef der Kripo war der Einzige, der den Ermittlern die Hand schüttelte. »Viel Glück, Leute«, sagte er und zwinkerte ihnen zu. »Musad Manie lässt auch schön grüßen.«

Witkop Jansen nickte ihn zu, kaum merklich, aber sichtlich zufrieden.

Sandra war mit den Zwillingen unterwegs zur Kita, als ihr Handy klingelte. Sie sah, wer es war, und wusste genau, was sie zu erwarten hatte.

»Charlie, du bist auf Lautsprecher«, sagte sie. Dann, an die Zwillinge gewandt: »Sagt hallo zu Onkel Charlie!«

»Hallo, Onkel Charlie!«, riefen sie Singsang.

Sandra vermutete, dass Charlie unbedingt über Boonstra sprechen wollte, denn er musste aus dem Fernsehen oder dem Radio von den Vorgängen erfahren haben. Garantiert hatte er keine Lust auf eine Plauderei mit den Kindern. Aber sie musste so tun, als wäre alles in bester Ordnung.

»Halli, hallo, ihr beiden«, sagte Charlie, der sich die Namen der Mädchen nicht merken konnte. »Alles klar bei euch?« Dann fuhr er ernst und eindringlich fort: »Hast du schon gehört, Sandy?«

»Ich weiß nicht viel mehr als das, was mir sein Anwalt heute Morgen am Telefon erzählt hat. Er hat mich angerufen.«

»Was wollte er? Es ist eine Tragödie, Sandy! Ausgerechnet jetzt … Was machen wir denn bloß?«

»Ich denke, ich kann dich beruhigen, Charlie. Ich rufe dich noch mal an, sobald ich Anke und Bianca abgesetzt habe.«

»Aber … Ich … Sandy …« Sie hörte an seiner Stimme, wie er darum kämpfte, seine verzehrende Neugier und Angst zu beherrschen. »Na schön, ruf zurück, sobald du kannst.« Er legte auf.

»Onkel Charlie ist lustig«, sagte Bianca.

»Sehr lustig«, bestätigte Anke. »Ich mag ihn.«

Zwanzig Kollegen der Kripo Stellenbosch hatten draußen vor dem Konferenzzimmer darauf gewartet, dass der Commissioner und sein Team herauskamen. Sie hatten die Menge der Journalisten gesehen, die vor dem Tor im Adam-Tas-Weg wartete – einen solchen Auflauf hatten sie noch nie erlebt. Rasch strömten sie hinein, und der Raum füllte sich mit Stimmengewirr.

Witkop Jansen rief die Versammlung zur Ordnung.

»Schenken wir uns heute Morgen das Gebet. Griessel und Cupido, Sie berichten vom Stand der Ermittlungen in den beiden Vermisstenfällen. Alle anderen Ermittlungen ruhen vorübergehend. Die betreffenden Kollegen werden Griessel und Cupido in jeder Weise behilflich sein, wenn sie sie brauchen. Nur wenn sie nicht gebraucht werden, können sie an ihren eigenen Fällen weiterarbeiten. Haben Sie mich verstanden? Noch Fragen?«

Als sie Charlie vom Auto aus zurückrief, war er fix und fertig.

»Warum lässt du mich im eigenen Saft schmoren, Sandy? Wie lange kann es schon dauern, die Kinder im Kindergarten abzuliefern?«

»Wann bist du zum letzten Mal um diese Zeit auf der R44 unterwegs gewesen, Charlie?«

»Ist doch jetzt egal. Was hat der Anwalt gesagt?«

»Er hat gesagt, dass sich die Polizei heute Vormittag mit uns in Verbindung setzen würde.«

»Oh, Gott!«, antwortete Charlie panisch.

»Beruhige dich, Charlie.« Die Ironie – dass sie unter diesen Umständen Charlie beruhigen musste – entging ihr nicht. »Er wollte nur, dass wir uns an die Schweigeklausel zu Donkerdrif halten.«

»Aber wie sollen wir das anstellen? Dann sieht es so aus, als hätten wir etwas zu verbergen.«

»Charlie, erstens hat der Anwalt gesagt, Jasper wäre gar nicht verschwunden, sondern irgendwo vorübergehend untergetaucht. Zweitens läuft der Verkauf von Donkerdrif zwischen zwei Firmen, an denen Jasper streng genommen nicht beteiligt ist. Drittens habe ich das Alleinmandat für Baronsberg auf meinem Schreibtisch, von Jasper unterzeichnet. Ich werde der Polizei weismachen, dass er mich deswegen sprechen wollte. Das ist schließlich nicht gelogen. Alles wird gut. Morgen bekommen wir unser Geld.«

Charlie schwieg einen kurzen Augenblick, dann sagte er: »Heiliger Nikolaus, Sandy! Ich bin nicht gemacht für so etwas. Bis gleich.«

Er legte auf.

Jetzt war es plötzlich still im EcoSport. Sandra hörte das Echo ihrer Worte im Kopf. Sie hörte die Stimme einer selbstsicheren, ruhigen Frau. Vollkommen beherrscht.

Sie schaute in den Rückspiegel und sah ihre Augen.

Sie war angewidert von sich selbst, aber irgendwie auch stolz auf sich, und das beängstigte sie in dem Moment am meisten.

Griessel und Erin Riddles kamen überein, dass sie die Durchsuchung des Baronsberg-Grundstücks leiten würde. Die K9-Einheit des SAPD hatte Blut- und Leichenhunde zur Verfügung gestellt, und sie erhielten Unterstützung von achtzig Kollegen von der Kripo und Einsatzpolizei sowohl aus Stellenbosch als auch aus Franschhoek und Paarl.

»Wir brauchen zehn Leute vor jedem Zugangstor, um die Journalisten draußen zu halten«, seufzte sie, bevor sie sich an die Arbeit machte.

Griessel ging ins Büro, um Meinhardt Sarazin anzurufen. Die Nummer stand in seinem Notizbuch. Er hatte vor, sowohl den Anwalt als auch Lettie Boonstra für zehn Uhr auf dem Gut einzubestellen. Unter Androhung von Strafe, falls sie der Aufforderung nicht nachkämen. Jaspers Frau wollte er außerdem nach dem Code für dessen Handy fragen.

Sein eigenes Handy klingelte, noch bevor er das Büro betrat. Eine unbekannte Nummer.

»Griessel.«

»Hallo«, sagte eine Frauenstimme. »Mein Name ist Sandra Steenberg. Ich habe erfahren, dass Sie nach Jasper Boonstra suchen. Ich habe ihn gestern Vormittag noch gesehen, wenn Ihnen das weiterhilft …«

Cupido erklärte Witkop Jansen, dass seine Chancen für einen Durchsuchungsbeschluss für das Haus von Roland Parkers Mutter inzwischen wesentlich besser stünden, denn er könne jetzt die Informationen über den Krugerrand, den Schmuck und die hohen Auslandsüberweisungen an Callie de Bruin anführen.

»Wollen Sie selbst zum Gericht fahren?«

»Ja, ich kenne mich gut aus, das geht bestimmt schneller. Aber ich brauche noch Leute für die Durchsuchung.«

»Wie viele?«

»So viele, wie ich bekommen kann. Ich will diesen Kerl glauben machen, Armageddon würde über ihn hereinbrechen. Ich will, dass er vor der Macht des SAPS erzittert, ich will, dass wir die ganze Straße blockieren, und dass auch seine Mammie einen ordentlichen Schrecken bekommt. Je mehr Druck sie auf ihn ausübt …«

»Reichen zwanzig Mann?«

Bevor Cupido antworten konnte, klingelte sein Telefon.

Es war Megan Daniels von Capitec. Sie sagte, sie habe gute Nachrichten. »Wir haben soeben eine E-Mail von Wells Fargo in den USA erhalten.«

»Von wem?«

»Das ist eine der Banken, die einen großen Betrag auf Callies Konto überwiesen hat. Eine amerikanische Bank.«

»Aha«, sagte Vaughn hoffnungsvoll.

»Es geht um die Überweisung von 110 000 Rand.«

»Okay.« Cupido hielt schon Notizbuch und Stift bereits.

»Gestern Nachmittag habe ich der internationalen Abteilung von Wells Fargo eine E-Mail geschickt und ihnen erklärt, worum es geht, dass Callie vermisst wird und so weiter. Mit einem persönlichen Schreiben kommt man bei solchen Dingen schneller weiter als mit einem förmlichen Antrag.«

»Verstehe«, sagte Cupido und wünschte, sie würde auf den Punkt kommen.

»Als ich dann eben im Büro eintraf, war eine Antwort gekommen, von einer Mitarbeiterin bei Wells Fargo, die schrieb, sie sei auch Mutter und könne sich vorstellen, wie sich Callies Mutter fühle. Sie habe die Überweisung sofort überprüft und nachgesehen, wer den Auftrag erteilt habe. Daraufhin habe sie den Kunden kontaktiert, und der habe angeboten, dass Sie sich jederzeit mit ihm in Verbindung setzen könnten. Sein Name ist David Joy aus Dillboro in North Carolina. Ich schicke Ihnen seine Kontaktdaten. Es ist auch eine Telefonnummer dabei. Da drüben ist es jetzt, lassen Sie mich nachsehen … 2:20 Uhr, also wenn sie vielleicht ein wenig warten könnten mit Ihrem Anruf …. Wirklich merkwürdig, wenn Sie mich fragen. Dieser David Joy hat der Angestellten bei Wells Fargo gesagt, die Zahlung von 110 000 sei für ein Gewehr gewesen. Ein Webley-Fosbery, heißt es in der E-Mail. Von dieser Marke habe ich noch nie etwas gehört.«

Als Sandra auf der Wache in Stellenbosch anrief, erklärte sie, dass sie gestern noch bei Meneer Jasper Boonstra gewesen sei und gerne mit dem Verantwortlichen sprechen würde. Daraufhin gab man ihr die Nummer eines gewissen Leutnant Bennie Griessel.

Sie bekam ihn gleich ans Telefon. Er sagte: »Danke für Ihren Anruf, wir hätten uns im Laufe des Tages sowieso bei Ihnen gemeldet. Könnte ich in circa einer Stunde zu Ihnen kommen?«

Er klang zerstreut, als sei er mit seinen Gedanken woanders. »Natürlich«, sagte Sandra. »Ich arbeite bei Benson International Realtors in der Dorpstraat, gegenüber dem alten College-Gebäude.«

»Bleiben Sie kurz dran«, bat der Ermittler, »ich schreibe es mir mal eben auf.«

Sie wartete

»Vielen Dank«, sagte Griessel. »Schon einmal vorab: Sie wissen nicht zufällig, wo sich Meneer Boonstra derzeit aufhält?«

Die Frage kam so unerwartet, dass Sandra erschrak und sich für einen winzigen Augenblick fragte, ob er etwas wusste. Dann antwortete sie: »Nein, er hat nichts gesagt, ich habe keine Ahnung.«

»Okay, vielen Dank, ich komme, sobald ich kann.« Dann war er weg, und sie atmete tief durch. Die erste Salve war abgefeuert, und es war richtig gewesen, sich bei ihm zu melden. Es war genau das, was eine unschuldige, ahnungslose Sandra getan hätte.

Ein Webley-Fosberry? Von einem Webley-Gewehr hatte er noch nie etwas gehört. Cupido rief Bossie Bossert an, den Waffenexperten der Valke in Bellville.

»Hallo, Bossie, hier ist Vaughn. Ich hab eine Frage an dich: Hast du schon mal von einem Webley-Fosberry gehört?«

»Klar, Kaptein.« Bossie sprach ihn aus Gewohnheit mit seinem alten Rang an. Vaughn beließ es dabei.

»Was für eine Art Gewehr ist es?«, fragte Cupido.

»Es ist kein Gewehr, Kaptein, sondern ein Revolver. Und zwar ein ganz besonderer. Es heißt, es sei der erste automatische Revolver überhaupt gewesen. Sehr zielgenau, weil der Rückschlag nicht so stark war.«

»Könnte so einer 110 000 Rand wert sein?«

»Absolut, Kaptein, vor allem, wenn es einer der ersten wäre. Sie sind sehr selten. Hier bei uns wurde der Webley-Fosberry etwa seit 1895 gebraucht. Die Engländer haben ihn im Burenkrieg eingesetzt, aber er war nicht sehr beliebt, weil er so groß und schwer ist.«

»Es ist also eine antike Waffe?«

»Genau, Kaptein.«

»Ein Sammlerstück?«

»Ja, Kaptein.«

»Aber definitiv kein Gewehr.«

»Nein, Kaptein. Es gibt zwar auch Webley-Büchsen, aber das sind keine Fosberrys. Fosberry war der Entwickler des automatischen Revolvers. Er hat als Soldat in Indien gedient.«

»Diese Kretins«, seufzte Cupido, »für die ist alles, was schießt, ein Gewehr. Danke, Bossie, du hast mir sehr geholfen.«

Griessel rief Meinhardt Sarazin an und forderte ihn auf, bis spätestens um zehn Uhr nach Baronsberg kommen. Er bat ihn um die Nummer von Lettie Boonstra und schlug in seinem Notizbuch nach, um sicherzugehen, dass er sich den Namen von Jasper Boonstras Geliebter richtig gemerkt hatte.

»Und haben Sie auch die Nummer von Jenny Abbott für mich?«

»Ich habe schon mit ihr geredet. Sie weiß nicht, wo Meneer Boonstra ist.«

»Haben Sie Ihre Nummer?«

Sarazin rückte sie widerwillig heraus.

Bennie wartete einen Augenblick, bevor er Lettie Boonstra anrief. Er musste sich wappnen, denn er durfte sich von ihr nicht wieder derartig auf die Palme bringen lassen.

»Ja?«, meldete sie sich, als fühle sie sich durch den Anruf gestört.

Er nannte seinen Namen und bat sie, spätestens um zehn Uhr in Baronsberg zu sein

»Und wozu?«, fragte sie.

»Mevrou, Sie haben die Wahl«, antwortete Griessel. »Sie können dort sein und uns bei den Ermittlungen helfen, Sie können uns ein SAPS92 ausfüllen, oder wir können Sie wegen Justizbehinderung belangen, ganz wie Sie wünschen.«

Sie schwieg und fragte dann: »Was ist ein SAPS92?«

»Das entsprechende Formular, das Sie ausfüllen müssen, wenn Sie möchten, dass wir die Suche nach Ihrem Mann einstellen.«

»Sie verschwenden meine Zeit.«

»Hoffen wir mal, Mevrou«, erwiderte Griessel, »dass Sie nicht meine verschwenden. Und noch etwas: Kennen Sie den Code für das Handy ihres Mannes?«

»Ja. Er lautet 071 997. Das sind Monat und Jahr, in dem er seine erste Million gemacht hat.«

Ein Webley-Fosberry? Callie de Bruin hatte für hundertzehntausend Rand einen Webley-Fosberry an einen Amerikaner verkauft? Wo zum Teufel hatte Callie einen antiken Revolver hergehabt?

Cupido hatte das dringende Bedürfnis, mit Bennie zu reden, so waren sie beide gestrickt. Sie erhielten einen Hinweis, und dann diskutierten sie darüber und beleuchteten die Information von allen Seiten. Aber Bennie war für den Boonstra-Fall eingeteilt. Am liebsten hätte Cupido auf der Stelle in North Carolina angerufen, aber dort war jetzt ungefähr drei Uhr morgens, deswegen wartete er wohl besser und besorgte erst den Durchsuchungsbeschluss für das Haus von Roland Parkers Mutter sowie die Anordnungen für die Überprüfung von Rollis Konten und Handyverbindungen.

Er eilte hinaus zum Auto. Sein Handy klingelte.

»Mein Gott!«, schimpfte er. Was für ein hektischer Vormittag! »Cupido«, meldete er sich im Gehen.

»Hier ist Kaptein Innis von der Einheit zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens«, meldete sich eine Männerstimme. »Wir haben uns neulich beim Seminar über Genderdiskriminierung kennengelernt.«

»Ach so, ja, wie geht’s?«

»Ich glaube, uns geht’s besser als euch, nach dem, was ich so gehört habe. Sag mal, das Foto, das du mir von dem Typen mit dem Hoodie geschickt hast …«

»Ja?«

»Wir glauben, dass wir den Kerl kennen. Er ist Mitglied der Trojans in Elsies River. Handlanger und rechte Hand des Gang Leaders, hat eine steile Karriere gemacht. Sein Name ist Willie Gezwint, genannt ›Hund‹ oder ›der Hund‹.«

»In Elsies?«, fragte Cupido. »Entschuldigung, Kaptein, aber seid ihr euch da ganz sicher?«

»Tja, ist ja nicht gerade das beste Foto, das ihr uns da geschickt habt; ein Standbild aus einem Überwachungsvideo, stimmt’s?«

»Genau.«

»Okay. Also, der Hund hat ein Tattoo hinten im Nacken, auf der linken Seite. Dance with the devil. Auf eurem Standbild sieht es so aus, als könnte man das D und das A von ›Dance‹ erkennen. Vielleicht findet ihr noch schärfere Bilder, schaut euch die Aufnahmen noch mal an. Aber wenn es sich um dieses Tattoo handelt, ist der Hund euer Mann.«

Hallo«, begrüßte ihn Jenny Abbott. Obwohl sie nur dieses eine Wort gesagt hatte, hörte Griessel ihre Unsicherheit und ihr Misstrauen heraus.

Er wusste nur wenig von ihr. Er erinnerte sich daran, dass ihr Foto oft in der Zeitung gewesen war, und ein paar seiner ehemaligen Kollegen hatten manchmal Bemerkungen darüber gemacht, wie sexy sie war, und vor allem über ihren berühmten Hintern, den Knackarsch, den Lettie Boonstra am Abend zuvor erwähnt hat. Über ihre Persönlichkeit war dagegen nur wenig bekannt. Oder hatte sich irgendjemand die Mühe gemacht, die Artikel über sie zu lesen?

Er erklärte ihr, wer er war und warum er sie anrief.

»Ach so«, sagte sie. »Meinhardt hat mir schon eine WhatsApp geschrieben und Bescheid gegeben, dass Sie mich anrufen würden. Ich weiß nicht, wo Jasper ist.«

»Ich verstehe, dass es eine unangenehme Situation für Sie ist, aber ich muss Ihnen leider ein paar Fragen stellen.«

»Von mir aus«, seufzte sie ergeben.

»Wann haben Sie zum letzten Mal von ihm gehört?«

»Ich habe Jasper letzten Mittwoch angerufen, Meneer Griebel. Gegen halb acht morgens.«

Bennie ließ ihr das »Griebel« durchgehen; bestimmt hatte sie Angst. »War das das letzte Mal, dass Sie mit ihm in irgendeiner Weise Kontakt hatten?«

»Ja.«

»Hat er Ihnen gegenüber irgendwie erwähnt, dass er wegfahren wollte? Möglicherweise ins Ausland?«

»Nein.«

»Worüber haben Sie letzten Mittwoch geredet?«

»Muss ich Ihnen das wirklich sagen?«

»Juffrouw, ihr Name fiel im Zusammenhang mit Jasper Boonstra, und es wurde die Vermutung geäußert, dass Sie an seinen Fluchtplänen beteiligt sein könnten. Je mehr …«

»Das war bestimmt Lettie! Diese falsche Schlange!«

»Je mehr Sie mir erzählen, desto schneller kann ich Ihren Namen von meiner Liste streichen und Sie in Ruhe lassen.«

»In Ruhe lassen? Die Journalisten kampieren gegenüber von meinem Haus! Sie bombardieren mich mit Anrufen und Textnachrichten, ich weiß nicht einmal, woher diese Leute meine Nummer haben! Glauben Sie, es würde einen Unterschied machen, wenn Sie mich in Ruhe ließen?«

Griessel versuchte, die Geduld zu bewahren. »Worüber haben Sie und Meneer Boonstra letzten Mittwoch geredet?«

»Ich habe Jasper beschimpft. Ich habe ihm gesagt, dass er für mich Abschaum ist, dass er erbärmlich ist, dass er nicht weiß, was Liebe bedeutet, und dass er glaubt, er könne sich alles kaufen. Darüber haben wir geredet, Meneer Griebel. Was wollen Sie sonst noch wissen? Lesen Sie nicht den Huisgenoot? Der Mistkerl hat mich aus meinem Haus geworfen! Das Haus, von dem er behauptet hat, es wäre meines. Egal, was passierte, ich sollte das Haus bekommen, aber dann hat er wohl Lust auf Frischfleisch bekommen und der Neuen versprochen, dass sie einziehen könnte. Ich habe ihm vorgeworfen, dass er auf Sex genauso geil ist wie auf Geld und dass er nie mit dem zufrieden sein wird, was er hat, und eines Tages würde ihn das noch auffressen. Darüber haben wir geredet, Meneer Griebel.«

»Gibt es eine neue … Eine andere Frau in seinem Leben?«

»Natürlich gibt es die! Er musste immer einen Plan B haben. Schon seit seiner Kindheit, als er arm war. Das hat er auch offen zugegeben; er würde immer für den Fall planen, dass er das verlieren könnte, was er hat. Ich meine, ich war sein Plan B, er hat gesagt, Lettie würde sich von ihm trennen!«

»Wissen Sie, wer sie ist? Diese neue Frau.«

Ihre Stimme stieg noch um eine Oktave höher: »Oh, ich kann sie Ihnen ganz genau beschreiben. Sie hat dicke Titten, und Sie können Gift drauf nehmen, dass sie einen knackigen Hintern hat. Denn dieser Scheißkerl wird von einem Hintern angezogen wie eine Schmeißfliege von einem Haufen Scheiße.«

Griessel hörte, wie Jenny Abbott versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu bringen. Als sie weitersprach, klang sie müde. »Mein Gott, Meneer Griebel, ich fasse es nicht, ich rede tatsächlich genauso wie die Schlampe, die aus mir geworden ist. Wie findet man wieder zu sich selbst? Was sagt ihr Ermittlerhandbuch darüber, wie ein Mensch sich selbst wiederfindet nach einem solchen Fiasko?«

Als Jasper Boonstras Verschwinden durchsickerte, war es schon zwei Stunden zu spät für die Morgenausgaben der Tageszeitungen und mindestens einen Tag zu spät für das Klatschblatt von Stellenbosch, die Eikestadnuus, die einmal wöchentlich am Donnerstag früh erschienen. Ein ganzer Stapel wurde bei Benson International Realtors abgeladen, weil sie gelegentlich noch im Immobilienteil der Zeitung inserierten. Die Empfangsdame nahm sie entgegen, und der Laufbursche verteilte sie in den Büros.

Sandra ging Charlie aus dem Weg. Sie wollte sich ihre Kräfte für die Polizei aufsparen; die Konfrontation mit ihnen würde ihre ganze Konzentration erfordern. Sie ging in die Teeküche, um sich Kaffee zu holen.

Auf dem Handy recherchierte sie, wie man erfolgreich die Polizei belog. Die Ermittler waren nämlich erfahren und kannten alle Tricks. »Zeichen dafür, dass jemand lügt«, hatte sie auf Google eingegeben. Hastig überflog sie den ersten Artikel, auf einer Website über Sozialpsychologie. Dort hieß es, dass man Leute, die die Unwahrheit sprachen, an folgenden Verhaltensweisen erkannte:

  • Sie machen Ausflüchte, nennen wenige Einzelheiten.

  • Sie wiederholen Fragen, anstatt sie zu beantworten.

  • Sie sprechen in Satzfragmenten

  • Sie geben keine detaillierten Antworten, wenn ihre Geschichte hinterfragt wird.

  • Sie neigen zu Übersprungshandlungen, spielen z. B. mit den Haaren oder pressen die Finger an die Lippen.

Mit ihrer Tasse Kaffee in der Hand kehrte sie zu ihrem Schreibtisch zurück und versuchte dabei, sich das Wichtigste einzuprägen. Auf dem Tisch lag die neueste Ausgabe der Eikestadnuus. Die Titelseite zeigte ein Foto von Callie und seiner Mutter Annemarie. Im Großformat. Darunter die Schlagzeile: Student vermisst.

Untertitel: Das Leid einer Mutter.

Mit dem Kaffeebecher in der einen und dem Handy in der anderen Hand blieb sie stehen und starrte das Bild an. Es war so bearbeitet, dass man nur Kopf und Schultern von Mutter und Sohn sah. Aneinandergeschmiegt standen sie da. Sandra sah, dass sie dieselbe schmale Gestalt und dieselben großen, gebogenen Nasen hatten. Callies Augen waren anders, groß und unschuldig. Und fröhlich, dachte Sandra. Kindlich fröhlich, wie ein Junge, der einen Preis gewonnen hat.

Die Augen seiner Mutter waren müde.

Sandras Gewissensbisse bohrten sich plötzlich wie ein Dolch in ihre Eingeweide: War das der junge Mann, den sie gestern in dem Haus jenseits der Mauer gesehen hatte? Dieses Kind? Dieser … Er sah aus wie ein Dorfjunge, sorglos und naiv. War sein Leben in Gefahr? Was hatte sie gesehen? Sie war durcheinander, verwirrt, entsetzt gewesen, hatte unter posttraumatischen Stress gestanden – hatte sie es sich nicht nur eingebildet? Der Junge auf dem Foto sah dünner aus, oder?

Sie war sich nicht sicher, was sie gesehen hatte.

Und glaubte, ihre Phantasie hätte ihr einen Streich gespielt.

Das Telefon auf ihrem Schreibtisch läutete schrill, so dass sie vor Schreck zusammenfuhr. Sie nahm ab.

»Sandra, ein Leutnant Griessel von der Kripo möchte dich sprechen.«

Jetzt ging es los. Jetzt kam der Augenblick der Wahrheit, der entscheidende Moment. Sie spürte, wie der Hörer in ihrer Hand zitterte, und hatte das Bedürfnis, sich zu setzen. Ihr versagten die Beine.

»Ich komme«, sagte sie. »Bring ihn in den Besprechungsraum.«

Sie wollte noch einmal schnell den Artikel auf ihrem Handy überfliegen.

Cupido ging den Flur im Hauptgebäude entlang, das Handy am Ohr. Er sagte zu Veronica Adams von der Uni-Security: »Bitte schaut doch noch mal für mich nach, ob ihr den Kapuzentyp so erwischt, dass man ein Tattoo auf seinem Nacken erkennen kann, irgendeinen Hinweis darauf, dass dort Dance with the devil steht.«

»Geht klar. Wo ich dich gerade am Telefon habe: Wir sind fast fertig mit der Liste der Fahrzeuge, die an dem Abend im Zeitfenster von Callies verschwinden über die Merriman gefahren sind. Sie ist nicht vollständig, aber wir haben unser Bestes gegeben.«

»Okay, was habt ihr? Kennzeichen?«

»Wir haben einen Überblick über die Fabrikate, Farben, Modelle und Kennzeichen, aber wie gesagt, es gibt Lücken in den Daten. Mal sehen, ob es etwas nutzt. Wir haben nicht genügend Leute, um alle Fahrzeuge in der Verkehrsdatenbank zu überprüfen.«

»Bitte schickt mir die Liste per E-Mail, ich setze ein paar Kollegen dran. Wenn ihr jetzt noch nach dem Tattoo für mich schauen könntet?«

Er stand mit dem Rücken zu ihr, das Handy in der Hand.

Sandra wusste nicht, was sie erwartete. Sie räusperte sich, und er drehte sich um. Er hatte widerspenstiges braunes Haar, das einen Schnitt gebraucht hätte und sich über den Ohren und dem Hemdkragen lockte. Sie sah das feine Netzwerk roter und blauer Äderchen eines schweren Alkoholikers auf der Nase. Und die Art, wie er Kopf und Schultern hielt, irgendwie verlegen, als bedaure er den Eindruck, von dem er wusste, dass er ihn machte.

Sie war erleichtert. Wenn das alles war, was sie ihr schickten … Dieser … abgehalfterte Typ – das war der Ausdruck, der ihr spontan zu ihm einfiel.

Doch dann sah sie die Augen, die dunkelbraunen, eigenartigen Augen, mandelförmig, exotisch, wie die eines Steppenbewohners. In ihnen lag Weisheit, die Reflexion von tausend Dingen, die gesehen und erlebt worden waren, und sie wusste instinktiv, dass sie auf der Hut sein musste. Diese Augen sagten die Wahrheit über ihn, nicht die Schultern und die Spuren, die der Alkohol hinterlassen hatte.

Griessel hielt Jasper Boonstras Handy in der Hand. Er sah die WhatsApps der letzten Tage durch, fand aber keinerlei Hinweise darauf, wo sich Boonstra zurzeit aufhielt. Warum hatte er sein Handy nicht mitgenommen? Weil er schlau war, weil er wusste, dass man es orten und ihn dadurch aufspüren konnte?

Warum hatte er das Handy so ordentlich auf dem Schreibtisch zurückgelassen?

Lag eine Botschaft in dieser Geste, die er noch nicht richtig verstanden hatte?

Er hörte die Frau hereinkommen. Er drehte sich um, erblickte sie in ihrem gelben, schulterfreien Sommerkleid und sah, dass sie wunderhübsch und sexy war, mit makellos strahlender Haut. Er konnte nicht umhin, an Jenny Abbotts Worte zu denken: Sie hat dicke Titten, und Sie können Gift drauf nehmen, dass sie einen knackigen Hintern hat. Die Beschreibung passte auf die Frau, die jetzt vor ihm stand.

Sandra Steenberg hielt ihm die Hand hin, lächelte liebenswürdig und sagte: »Leutnant Griessel, ich bin Sandra. Bitte setzen Sie sich.«

Im Raum stand ein runder Sechsertisch. Griessel sagte »Danke«, zog einen Stuhl hervor und nahm Platz.

»Kaffee, Tee? Wasser?«, fragte sie, immer noch lächelnd.

»Nein, danke«, sagte er.

Sie setzte sich ihm gegenüber.

»Vielen Dank, dass sie heute Morgen angerufen haben«, sagte er.

»Ist doch selbstverständlich«, erwiderte sie und faltete die Hände im Schoß.

Er bemerkte, dass sie mit der rechten Hand die linke fest umklammerte. Es sah den Ehering. Er sah die feinen Schweißtröpfchen auf ihrer Oberlippe, kaum erkennbar. Und dann roch er sie. Er roch den Hauch von Parfüm und Schweiß und dachte bei sich, dass es zu früh war, um zu schwitzen. Es war nicht besonders warm hier drin. Selbst die Temperaturen draußen waren noch mäßig.

Sie ist nervös, dachte er.

Warum ist sie nervös?

Er wünschte, Vaughn Cupido wäre hier, um ihr Fragen zu stellen, um sie aus ihrer Deckung zu locken, Katz und Maus mit ihr zu spielen, so dass er sie genau hätte beobachten und nachdenken können.