Vaughn Cupido hatte das Gefühl, als sei ihm die Sache irgendwie über den Kopf gewachsen.

Es war zwar anständig von Witkop Jansen, dass er ihm zwanzig Mann zur Verfügung stellte, aber er hatte den Callie-Fall mit Benna zusammen verfolgt und durchdacht, und Benna war nicht hier. Er hätte zu gerne mit ihm über das Trojaner-Mitglied aus Elsies namens Willi Gezwint geredet, denn wie verdammt kam der ins Spiel? War der Kapuzentyp tatsächlich ein Gang-Mitglied? Nein, das konnte nicht sein, die Kollegen vom organisierten Verbrechen hatten einen Fehler gemacht.

Und doch, irgendwie griffen die Zahnräder ineinander. Callie de Bruin hatte eine antike Waffe nach Amerika exportiert, und auch das passte zu irgendetwas anderem, auch wenn er noch nicht wusste, was. Aber jetzt brauchte er vor allem seinen Durchsuchungsbeschluss.

Diesmal erwischte er eine andere Richterin, eine jüngere, die am Morgen die Eikestadnuus gelesen hatte und wusste, dass die Zeit drängte. Sie unterzeichnete schwungvoll, sagte aufmunternd: »Viel Glück, Leutnant«, und er rannte hinaus, rief Witkop an und sagte: »Colonel, wir können loslegen, schicken Sie die Kavallerie, ich habe den Durchsuchungsbeschluss.«

»Mach ich«, versprach Jansen.

»Und noch etwas, Colonel. Die Universitäts-Security hat uns ein Spreadsheet mit allen Fahrzeugen geschickt, die an dem entsprechenden Abend Callie hätten mitnehmen können, und ich brauche Leute, die die Daten in die Verkehrsdatenbank eingeben.«

»Können Sie mir das Spreadsheet weiterleiten?«

»Yebo, yes, Colonel, mach ich gleich von meinem Handy aus«, und schon war er am Auto und sprang hinein. Er musste sich beeilen, wenn er rechtzeitig in Cloetesville sein wollte. Rolli, wir kommen, jetzt nagle ich dich fest, du Schweinehund!

Doch vorher schickte er noch das Spreadsheet mit den Fahrzeugdaten an Witkop Jansen.

»Wie lange kennen Sie Boonstra schon?«, fragte Griessel.

»Ich habe extra in meinem Kalender nachgeschlagen. Er hat mich am neunzehnten September zum ersten Mal angerufen. Vor etwas über zwei Wochen.«

Sie hatte auch eine schöne Stimme, rund und voll wie die zweite Seite, die A-Seite, auf seinem Bass. »Wie haben Sie sich kennengelernt?«

»Es war Zufall. Er hat an diesem Vormittag meine Nummer auf unserer Website gefunden, mich angerufen und um ein Treffen gebeten. Daraufhin bin ich zu ihm auf das Weingut gefahren.«

»Wegen einer Immobilie?«

»Genau. Obwohl er anfangs nicht mit der Sprache herausrückte. Er ist ein … Na ja, sagen wir ein bisschen exzentrisch.«

Griessel sah, dass sie sich ein wenig entspannte. Er hatte auf einmal »Santa Maria« im Ohr, das Tangostück von Gotan Project, das sie mit Roes für eine Hochzeit geprobt hatten. Braut und Bräutigam hatten den Film mit Richard Gere gesehen und es sich deswegen gewünscht. Bennie hatte den Bass-Part geliebt; er war der Motor des Stücks. Überhaupt war es mal etwas ganz anderes gewesen als ihr sonstiges Repertoire. Auf der Hochzeit hatte er jedoch festgestellt, dass das Paar gar nicht richtig Tango tanzen konnte, da half ihnen auch die Musik nicht. Als er nun so dasaß, Sandra Steenberg betrachtete und ihrer Stimme lauschte, fand er, dass zu ihrer sinnlichen, glutvollen Schönheit der Tango perfekt passte. Bestimmt hatte auch Jasper Boonstra das bemerkt. Und entsprechend reagiert?

»Wollte er das Weingut verkaufen?«

Sie sah ihn einen Moment prüfend an, als überlege sie, wie viel Wahrheit er vertragen könne, und sagte dann: »Leutnant, ich will ganz ehrlich zu Ihnen sei: Ich bin mir nicht sicher, was Jasper wirklich von mir will. Er hat mich angemacht und mit mir über Immobilien geredet. Aber mein Mann und ich sind nicht reich, und Jaspers Objekte sind sehr viel Geld wert. Deshalb habe ich seine Anmache ignoriert und mich mehrmals mit ihm getroffen. Gestern hat er mir schließlich das Alleinmandat für den Verkauf von Baronsberg übertragen.«

»Auf seinem Schreibtisch haben wir entsprechende Formulare ihres Büros gefunden«, bestätigte Bennie Griessel.

»Ja, richtig, ich habe ihm zwei Exemplare dagelassen. Er hat gesagt, wenn wir den Verkauf von Baronsberg mit der nötigen Diskretion behandelten, habe er noch weitere Objekte …«

»Hat er erwähnt, welche?«

»Nein, nicht direkt, aber ich bin davon ausgegangen, dass es um ein Haus in Franschhoek ging.«

»Er wollte also mehrere von seinen Immobilien … loswerden?«

Sie löste ihre Hände voneinander, so bemerkte Griessel, und lehnte sich ein wenig zurück. »Ja und nein. Nachdem ich gestern wieder im Büro war und mir die Unterlagen zu Baronsberg herausgesucht hatte, habe ich festgesellt, dass es Jasper gar nicht gehört. Wobei er auch nicht ausdrücklich gesagt hat, dass es auf seinen Namen läuft …«

»Wem gehört es?«

»Einer Gesellschaft. Zircon Aere.«

Griessel bat sie, ihm den Namen zu buchstabieren, während er ihn sich notierte.

»Mevrou, hat Meneer Boonstra gestern irgendetwas gesagt, was Sie vermuten ließ, dass er vorhatte … wegzugehen?«

Sie dachte einen Augenblick lang nach und sagte dann: »Als ich heute Morgen erfahren habe, dass nach ihm gesucht wird, habe ich mich das auch gefragt. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber er sagte, dass sich sein Anwalt zukünftig mit mir unterhalten würde. Über Baronsberg. Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht, außer, dass er mich vielleicht nicht mehr sehen wollte.« Wieder zögerte sie. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, Leutnant: Jedes Mal, wenn ich bei ihm war, hat er … Wir waren immer allein, und er hat jedes Mal anzügliche Bemerkungen gemacht. Ich könne das Mandat bekommen, aber, wie er es ausgedrückt hat, nicht umsonst. Ich brauche Ihnen das sicher nicht näher zu erklären. Aber gestern war er anders. Gestern war er … irgendwie abwesend. Ich dachte, er hätte es vielleicht endlich kapiert und in dieser Hinsicht kein Interesse mehr an mir. Und dass er mich deswegen an seinen Anwalt abschieben wollte. Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ich bin nicht ganz überzeugt davon, dass wir wirklich die Chance haben werden, Baronsberg zu verkaufen.«

Bei Roland »Rolli« Parker zu Hause lief es nicht ganz so, wie es sich Cupido erhofft hatte.

Die Kavallerie rückte in sechs Streifenwagen mit Blaulicht und heulenden Sirenen an. Statt zu bellen, rannte der Hund am Zaun mit eingekniffenem Schwanz nach hinten in den Garten. Vaughn, den Durchsuchungsbeschluss in der Hand und einundzwanzig Kollegen aus Stellenbosch im Schlepptau, marschierte auf die Haustür zu. Rollis Mutter öffnete. Sie sagte: »Rolli ist weg!«, und fing an zu weinen.

Cupido führte sie in das bescheidene Wohnzimmer. Er schloss die Tür, um ihr den Anblick der Polizisten, die ihr Haus auf den Kopf stellten, zu ersparen. In dem Versuch, sie zu trösten, setzte er sich neben sie aufs Sofa und sagte: »Tut mir leid, Auntie, es tut mir wirklich leid«, doch sie stand auf, setzte sich in einen Sessel und sagte: »Bleiben Sie mir bloß vom Leib!«

»Auntie, es tut mir aufrichtig leid, aber ich mache nur meine Arbeit. Rolli kann uns helfen, den jungen Callie de Bruin zu finden. Er braucht nichts weiter zu tun, als uns zu sagen, was er weiß.«

Die Art, wie sie ihn ansah und wie sie sich vor ihm wegduckte, als befürchtete sie, er würde sie körperlich misshandeln, machten ihn misstrauisch.

»Auntie, wovor haben Sie solche Angst?«

Sie sagte nichts, sondern weinte nur.

Cupido dachte an den Hund, Willie Gezwint, das Mitglied der Trojaner-Gang aus Elsie River, und ihm kam ein Verdacht. »Hat Rolli Ihnen gesagt, dass er sich vor den Gangs fürchtet? Hat er gesagt, die Gangs hätten ihm gedroht, seiner Mutter etwas anzutun?«

Sie saß nur reglos da.

»Auntie, ich schwöre Ihnen, diese Gangs werden Ihnen nichts anhaben können, und wenn sich Rolli an uns wendet, nehmen wir ihn ins Zeugenschutzprogramm auf. Was immer er und Callie mit den Gangs zu schaffen haben – wir werden Ihnen helfen!«

»Sie?«, erwiderte sie verängstigt und anklagend. »Sie wollen uns helfen?«

»Ja, Auntie.« Innerlich seufzte er. Nicht zum ersten Mal würde er eine Lanze für den SAPS brechen müssen. Bestimmt würde sie ihm die Sache mit der State-Capture-Affäre vorhalten, wie alle anderen auch.

»Er hat Angst vor Ihnen!«, warf sie ihm an den Kopf. »Vor den Bullen, hat er gesagt!«

»Vor uns?«

Sie stand vom Sessel auf, tränenüberströmt und außer sich. Von verzweifelten Gesten begleitet, rief sie mit hoher Stimme: »Mein Sohn hat genau da gestanden, mitten in der Nacht, mit seinem kleinen Koffer, da habe ich zu ihm gesagt: Komm, lass uns mit den Buren reden, die sehen aus wie vernünftige Menschen, die zwei. Da hat er gesagt: Nein, Mammie, den Buren darf man nicht trauen, die haben Callie auf dem Gewissen. Und mich werden sie auch holen, sobald sie erfahren, dass ich Bescheid weiß.«

»Wir?«

»Ja, Sie! Was haben Sie nur getan? Mein Rolli, der nur noch in Angst lebt, was haben Sie getan?«

»Er hat gesagt, das Callie ermordet wurde?«

Sie nickte nur; die Worte blieben ihr im Hals stecken.

Cupido war vollkommen sprachlos. Er hätte gern erwidert, dass ihr Sohn log, dass er dummes Zeug redete, und das auch noch seiner Mutter gegenüber. Als er sah, wie sie sich entmutigt und gebrochen wieder hinsetzte, wurde er wütend auf Rolli Parker und hatte erneut das Bedürfnis, sie zu trösten. Aber er fand einfach nicht die richtigen Worte, denn zusätzlich zu allem anderen musste er jetzt auch noch die Nachricht verarbeiten, dass Callie nicht mehr lebte.

Die Wohnzimmertür wurde geöffnet. Ein Kollege schaute herein. Er sagte zu Cupido: »Komm, das solltest du dir mal ansehen.«

Leutnant Griessel stand auf und sagte: »Vielen Dank, Mevrou, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben«, mit diesem Anflug von Verlegenheit, dem Bedauern, dass er nicht mehr beeindruckend aussah, jedenfalls empfand sie es immer noch so. Mit seinem Notizbuch und dem Stift in der Hand. Er schloss das Büchlein, als gäbe es nichts Wichtiges mehr zu notieren. Nur noch ein, zwei Minuten, dann konnte sie aufatmen. Es lief gut, es lief gut: Sie stand ebenfalls auf.

Er ging zur Tür, öffnete sie und trat zurück, um sie vorgehen zu lassen. Dann sagte er: »Boonstra ist Ihnen gegenüber zudringlich geworden …«

»Ja«, sagte sie.

»Hat er … Hat er sie sexuell belästigt?«

Sandra sah dem Leutnant von der Kripo an, dass es ihm peinlich war, sie danach zu fragen, und sie dachte: der viele Alkohol, sein bewegtes Leben und all das, was er schon gesehen und mitgemacht hat, und dann ist ihm diese Frage unangenehm! Verkehrte Welt. »Nein«, sagte sie. »Das nicht.«

»Okay«, sagte er und bedeutete ihr mit dem Notizbuch in der Hand, dass sie vorgehen solle.

Sie gingen zur Haustür. »Vielleicht muss ich mich noch einmal an Sie wenden, je nachdem, wie sich die Sache entwickelt«, sagte er. »Vielen Dank noch mal.«

»Gern geschehen«, sagte sie. »Bis bald, Leutnant.«

Er blickte sie an, wiederum ein wenig verlegen, nickte, und dann war er draußen, und sie schaute ihm nach, als er auf den Bürgersteig trat und dann im Laufschritt die Straße überquerte. Ein seltsamer Typ. Wahrscheinlich waren Polizisten von seinem Schlag so, dachte sie. Ende vierzig, weiß, jede Menge Kilometer auf dem Tacho. Er glich den Saufkumpanen ihres Vaters von früher. Nicht in der Lage, eine bessere Arbeit zu finden, gefangen in seinem Leben.

Irgendwie beruhigte sie das. Man war so gewöhnt an die Fernsehkommissare, die alerten, jungen, dynamischen, attraktiven Ermittler, denen die winzigsten Kleinigkeiten auffielen.

Sie drehte sich um und kehrte in ihr Büro zurück. Sie hatte ihre Sache gut gemacht, so glaubte sie. Alle Fallgruben vermieden. Sie hatte sich nicht vage ausgedrückt, sondern Einzelheiten genannt, wo nötig, sie hatte keine einzige Frage wiederholt, bevor sie geantwortet hatte. Sie hatte größtenteils in ganzen Sätzen geredet, und vor allem hatte sie ihre Hände ruhig auf den Schoß gelegt und weder mit ihren Haaren gespielt noch sich an den Mund gefasst.

Sie atmete tief durch, um die Anspannung aus ihrem Körper zu vertreiben.

Charlie kam die Treppe herunter, eilig und ängstlich. »Sandy?«, fragte er. »Ist er weg?«

»Ja, Charlie.«

»Komm«, sagte er theatralisch, »komm und erzähl mir alles.«

Griessel fuhr hinaus nach Baronsberg.

Sandra Steenberg hatte gelogen, da war er sich ganz sicher. Und sie war angespannt gewesen.

Diese verkrampften, reglosen Hände, der dünne Schweißfilm.

War man zwangsläufig angespannt, weil die Kripo einen befragte? Und man teilhatte an dem Theater rund um das Verschwinden des berüchtigten Jasper Boonstra?

Vielleicht.

Aber sie hatte gelogen. Sie hatte dreimal gesagt: »Wenn ich ganz ehrlich sein soll …« Dreimal. Das war ein deutlicher Hinweis. Ein sehr deutlicher.

Aber was hatte sie ihm verheimlicht? Warum war sie angespannt gewesen?

Sie war verheiratet. Mein Mann und ich sind nicht reich.

War sie angespannt, weil sie mit Boonstra geschlafen hatte? Hatte sie Angst, dass ihr Mann es herausfand? Jetzt, bei dem ganzen Theater?

Boonstra hatte sie angegraben, das hatte sie zugegeben. Boonstra hatte gesagt, er erteile ihr den Auftrag für den Verkauf der Immobilien, aber das sei nicht umsonst. Wenn sie und ihr Mann nicht reich waren, hatte sie sicherlich das Geld gebraucht.

Hatte sie mit ihm geschlafen, weil sie bereit war, den Preis zu bezahlen?

Aber dann hat er wohl Lust auf Frischfleisch bekommen und der Neuen versprochen, dass sie einziehen könnte. Das hatte Jenny Abbott gesagt.

Log Sandra Steenberg, weil Boonstra irgendwo auf sie wartete, ein neues Leben mit einer neuen Geliebten für ihn, jetzt, wo seine Frau ihn nicht zurückhaben wollte? Oder so ähnlich?

Warum log sie?

In der Küche von Rolli Parkers Mutter standen vier große, runde weiße Dosen mit hellroten Deckeln auf der Anrichte. Auf jeder der vier Dosen stand ein Wort in roten Buchstaben. Salz. Zucker. Mehl. Reis. Der Deckel der Zuckerdose war offen.

Der Kollege, der ihn gerufen hatte, ein Sergeant, bedeutete Cupido, das er hineinschauen sollte.

Cupido sah nach. Auf einer dünnen Schicht Zucker unten drin lagen fünf Rollen Geldscheine, die von einem Gummi zusammengehalten wurden. Es schienen hauptsächlich Zweihundertrandscheine zu sein, mindestens fünfzig pro Rolle, so schätzte Vaughn auf den ersten Blick. Hunderttausend Rand, mehr oder weniger.

Er pfiff leise durch die Zähne.

Darunter, sichtbar zwischen den Scheinen, lag ein kleines, flaches viereckiges Plexiglasetui.

Cupido kontrollierte, ob der Kollege Handschuhe trug. »Nehmen Sie das mal raus«, sagte er.

Der Sergeant holte erst die Rollen mit den Banknoten heraus, legte sie vorsichtig auf die Anrichte, dann kam das Plexiglasetui.

Cupido sah jetzt, dass es eine kleine goldene Münze enthielt. Der Kopf eines Mannes mit einem langen Bart war darauf abgebildet.

»Sieht aus wie Paul Kruger«, bemerkte der Sergeant.

Er drehte das Plexiglasetui um. Auf der anderen Seite der Münze standen die Ziffern 18 398, wobei die Drei wesentlich größer war als die anderen Zahlen.

»Ist das ein Krugerrand?«, fragte der Sergeant.

»Nein«, sagte Cupido. »Auf einem Krugerrand ist zwar auch der Kopf von Kruger abgebildet, aber auf der anderen Seite ist ein Springbock.«

Er bemerkte, dass Mevrou Parker jetzt in der Tür stand, mit verweinten Augen und tief bekümmerter Miene.

Der Sergeant deutete auf die Banknoten und die Münze und fragte: »Etikettieren und eintüten?«

»Augenblick«, sagte Vaughn und ging zu der verängstigten Frau: »Auntie, Sie wissen schon, dass Rolli dieses ganze Geld möglicherweise nicht auf legale Weise erworben hat, oder?«

»Ja, ich weiß«, flüsterte sie. »Ich weiß.«

Charlie Benson rief Sandra in sein Büro, und sie musste ihm haarklein berichten, wie die Befragung verlaufen war, bevor sein Bein aufhörte zu zucken. Er fragte, ob sie wirklich meine, dass die Kripo nichts über Boonstras Beteiligung an dem Donkerdrif-Verkauf herausfinden würde.

»Wer sollte es ihnen denn verraten, Charlie? Du?«

»Natürlich nicht.«

»Na also. Du sagst nichts, ich sage nichts, und Jasper und sein Anwalt sagen schon mal gar nichts. Wir alle wollen, dass das Geschäft über die Bühne geht, ohne dass irgendjemand außer uns weiß, wer alles davon profitiert.«

»Also dieser Leutnant von der Kripo … Wie hieß er gleich noch?«

»Griessel.«

»Dieser Griessel wusste also nichts von Donkerdrif?«

»Anscheinend nicht.«

»Heiliger Nikolaus!«

»Charlie, beruhige dich. Du wirst sehen, morgen kommt unsere Provision.«

Sichtlich erleichtert lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. »Tja, Sandy … Mir scheint, darüber sollten wir beide uns noch mal unterhalten.«

»Nein, Charlie, die Diskussion ist beendet. Demeter überweist das Geld an Stirling en Heyns, Stirling en Heyns bezahlt uns, und dann können von mir aus alle machen, was sie wollen.«

»Es geht um die Anteile, Sandy. Ich glaube nämlich, dass unter den gegebenen Umständen …«

Sandra spürte, wie die Wut erneut in ihr hochkochte. »Was heißt das, unter den gegebenen Umständen? Wovon redest du?«

»Du und ich, wir stecken beide gleich tief mit drin. Also steht für uns beide gleich viel auf dem Spiel.«

»Was willst du damit sagen, Charlie?«

»Fifty-fifty, will ich sagen.«

»Es ist jetzt zu spät, um noch einmal zu verhandeln, Charlie. Wir haben eine Abmachung.«

»Ich finde, du solltest dir das noch einmal überlegen. Ich weiß da inzwischen ein paar Dinge …«

»Was für Dinge, Charlie? Was für Dinge?«, fragte Sandra, kurz vor dem Explodieren.

»Jetzt reg dich doch nicht gleich so auf, Sandy! Mir ist nur aufgefallen, wie geschickt du es verhindert hast, dass ich mit diesem Griessel rede.«

Sie sprang auf. Alles, was sie Charlie Benson an den Kopf werfen wollte, hatte sie schon fix und fertig im Kopf, Wort für Wort, angestaut durch das Trauma der letzten achtundvierzig Stunden, die Anspannung und ihren Zorn auf ihn. Ihr war danach zumute, ihn anzuschreien: Fick dich, Charlie, Fick dich, du Laus, du Feigling, du Erpresser!, aber sie war nicht mehr dieselbe Sandra wie gestern Morgen, sie war stärker, viel stärker. Und Charlie wusste nichts. Gar nichts.

Sie setzte sich langsam wieder hin und lächelte ihn an. »Und was möchtest du Meneer Griessel denn gerne sagen, Charlie? Dass wir daran beteiligt waren, Donkerdrif zu verkaufen? Daraufhin redet er mit Stirling en Heyns, und Demeter lässt den Deal platzen? Und wir beide bekommen nichts? Wirklich? Ist das dein Masterplan?«

Wieder sah sie, wie der Hass in Charlies Augen aufblitzte und dachte: Mein Gott, der kriegt ja wirklich den Hals nicht voll!

»Du solltest dir das noch mal gut überlegen«, giftete Charlie sie an.

»Ich habe mir alles sehr gut überlegt«, erwiderte sie, stand auf und verließ sein Büro. Mit pochendem Herzen ging sie in ihr Zimmer. Was würde sie tun, wenn Charlie … gemein wurde?

Vaughn Cupido hatte nur eine vage Vorstellung von der Chaostheorie, und das beliebteste Beispiel, um sie zu illustrieren, kannte er auch nicht: der Flügelschlag eines Schmetterlings in – sagen wir mal – Japan, der den Luftstrom nur minimal störte und dadurch schließlich, Wochen später, einen Tornado auf einem anderen Kontinent entfesselte.

Hätte ihm jemand die Theorie in allen Einzelheiten erklärt, hätte er sie sofort verstanden. Denn wie oft hatte er schon erlebt, dass eine Winzigkeit Richtung, Tempo und Ausgangslage einer Ermittlung entscheidend beeinflusste!

Manchmal war es ein Wort, dann ein Fuß- oder Fingerabdruck, ein Schnipsel Bildmaterial oder eine Spur DNS.

Oder ein Anruf. In diesem Fall von Veronica Adams von der Security der Universität Stellenbosch.

Vaughn stand vor Mevrou Parker, unsicher, wie er mit dem Fund in der Zuckerdose und dieser verstörten Mutter umgehen sollte. Sein Handy klingelte. Er überprüfte rasch, von wem der Anruf kam, denn eigentlich wollte er jetzt nicht gestört werden. Er erkannte die Nummer.

»Ja?«, meldete er sich.

»Der Kapuzentyp auf dem Video hat ein Tattoo«, verkündete Adams. »Im Nacken. Wir haben die Aufnahme mehrmals vor- und zurückgespielt, und man kann ansatzweise das Wort ›Dance‹ erkennen, zumindest das D, das A und das N.«

Dance with the devil.

»Scheiße!«, fluchte Cupido.

»Wieso Scheiße?«, wollte Adams wissen.

»Der ist ein Gangmitglied«, erklärte Cupido.

Mevrou Parker stand immer noch vor ihm, verheult und fertig, und in dem Moment hatte Vaughn eine Eingebung, ausgelöst vom Schlag der Schmetterlingsflügel. Er sah Mevrou Parker an und sagte zu Adams: »Veronica, ich brauche mal gerade deine Hilfe. Ich bin bei Auntie Parker in Cloetesville, und ihr Sohn könnte uns vielleicht helfen, Callie zu finden. Aber er hat seiner Mutter gesagt, sie dürfe der Polizei nicht trauen, weil wir Callie entführt hätten. Ich würde ihr gerne mein Handy geben, und vielleicht könntest du ihr erklären, von farbiger Frau zu farbiger Frau, dass sie mir vertrauen kann, dass wir mit euch von der Universität zusammenarbeiten und nicht gegen euch.«

Adams war Ex-Polizistin, sie verstand sofort, worum es ging. »Na klar, gib sie mir.«

Cupido reichte sein Handy Mevrou Parker.

Sie nahm es widerwillig entgegen.

»Hallo?«, sagte sie

Die Pressemeute drängte sich noch immer vor dem Tor von Baronsberg; ihre Fahrzeuge reihten sich in einer langen Schlange am Jonkershoekpad entlang. Kameraleute mit langen Teleobjektiven filmten die Polizisten, die das Gelände des Guts absuchten, auf der Suche nach Spuren von Jasper Boonstra, begleitet von Blut- und Leichensuchhunden.

Griessel betrachtete die Szenerie, während er durch das Tor fuhr.

Die Zirkusvorstellung war in vollem Gange.

Und er hatte nicht die geringste Lust, eine Nummer darin zu spielen. Dieser Fall behagte ihm nicht. Der ganze Wirbel diente doch bloß dazu, die Medien zu besänftigen – dass man sie angeblich von den Valke abgeordert hatte und dass um das Verschwinden dieses Typen ein solches Bohei gemacht wurde. Dabei sah es im Grunde so aus, als stecke nichts weiter als ein Rosenkrieg zwischen Eheleuten dahinter, bestenfalls, oder die Flucht eines gerissenen Betrügers, schlimmstenfalls. Vielleicht auch eine gesalzene Mischung von beidem. Auf der anderen Seite war ein Student spurlos verschwunden, bei dessen Suche er hätte helfen können, ein junger Mann, der möglicherweise schon gar nicht mehr lebte.

Griessel parkte vor der verglasten Garage und stieg aus. Dann rief er Sergeant Erin Riddle an und gab durch, dass er angekommen war.

»Wir haben noch nichts gefunden«, sagte sie. »Boonstra ist wie vom Erdboden verschluckt. Als hätte er sich in Luft aufgelöst.«

Griessel ging auf die Villa zu. Ein uniformierter Konstabel ließ ihn ein. Im Wohnzimmer warteten bereits Lettie Boonstra und Meinhardt Sarazin, schweigend, beide mit ihrem Handy beschäftigt. Bennie spürte, dass eine gewisse Feindseligkeit in der Luft lag.

Mevrou Boonstra blickte auf. »Endlich«, sagte sie. Heute Vormittag trug sie eine hellblaue Bluse, eine Jeans und helle Laufschuhe. Sie sah aus wie eine gemütliche Hausfrau mittleren Alters auf dem Weg zum Nordic Walking.

Griessel schaute auf die Uhr. Es war kurz nach zehn. Er hatte sie für zehn Uhr bestellt.

»Guten Morgen, Mevrou. Ich möchte Sie bitten, noch einmal mit mir durch das Schlafzimmer und Arbeitszimmer von Meneer Boonstra zu gehen, eventuell auch durch andere Räume, in denen er wichtige Dinge aufbewahrt haben könnte, um nachzusehen, ob irgendetwas fehlt.«

»Aber ich habe keine Ahnung, was er zum Beispiel alles in seinem Arbeitszimmer hatte. Das Ganze ist reine Zeitverschwendung.«

Griessel setzte sich ihr gegenüber und sagte: »Mevrou, ich habe Ihnen heute Morgen schon einmal erklärt, welche Optionen Sie haben. Soll ich es noch einmal wiederholen?«

»Ihr Tonfall gefällt mir ganz und gar nicht.«

Jetzt reichte es ihm. Er spielte seinen Trumpf aus: »Ihr Tonfall passt mir auch nicht. Ich gebe Ihnen eine Minute, um sich zu entscheiden. Danach blase ich die Suche ab, wie Meneer Sarazin gestern schon vorgeschlagen hat.«

Der Anwalt blickte zufrieden von seinem Handy auf.

Lettie Boonstra war nicht erfreut. Sie warf beiden Männern einen giftigen Blick zu, wog kurz das Für und Wider ihrer Entscheidungen ab und sprang dann abrupt auf. »Na gut, meinetwegen. Ich sehe nach. Aber Meneer Sarazin weiß mit Sicherheit besser, was Jasper in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt. Er weiß überhaupt über alles Bescheid, was dort vor sich gegangen ist, nicht wahr, Meinhardt? Du kennst alle seine Tricks, stimmt’s?«

»Wo bewahrt Meneer Boonstra seinen Pass und seinen Ausweis auf?«, fragte Griessel. »Eventuell auch sein Portemonnaie? Gibt es einen Tresor, zum Beispiel mit Bargeld?«

Lettie Boonstra lachte hämisch. »Jasper legt alle wichtigen Unterlagen in die oberste Schublade seines Schreibtischs. Sie ist abgeschlossen. Immer. Und den Schlüssel trägt er bei sich. Sie werden sie wohl aufbrechen müssen oder jemanden kommen lassen. Und sein Geld liegt in der Schweiz.«

Griessels Handy klingelte. Er ignorierte es, denn ihm fiel plötzlich etwas ein, was er bei der Begehung der Räume letzte Nacht bemerkt hatte. »Gestern Abend lag ein Schlüssel in einem Schälchen mit Süßigkeiten auf seinem Schreibtisch; bitte sehen Sie nach, ob er passt«, sagte er zu Lettie Boonstra.

Sie reagierte nicht.

Das Handy klingelte immer noch. Die Nummer war unterdrückt. Griessel meldete sich.

»Ich habe Hinweise im Fall Boonstra«, sagte ein Mann, gedämpft, als riefe er heimlich an.

»Wer ist am Apparat?«, fragte Bennie und beobachtete zugleich, wie Lettie Boonstra langsam und widerwillig das Wohnzimmer verließ und zur Treppe ins Obergeschoss ging.

»Ich möchte anonym bleiben.«

»Was sind das für Hinweise, Meneer?«

»Es geht um Sandra Steenberg …«

»Ja?«

»Ich habe gehört, wie sie gesagt hat, dass sie Boonstra umbringen könnte.«

»Wo und wann haben Sie das gehört, Meneer?«

»Vor knapp zwei Wochen.«

»Wo?«

»Das möchte ich lieber nicht sagen.«

»Zu wem hat sie das gesagt?«

»Ich möchte nicht … Ich will Ihnen nur einen Tipp geben. Sie sollten sie überprüfen. Sie hat gesagt, sie will ihn töten.«

»Hat sie gesagt, sie würde ihn gerne umbringen oder sie will ihn umbringen? Eben haben sie ›könnte‹ gesagt.«

»Sie hat gesagt, sie will.«

Griessel seufzte. »Meneer, ich brauche mehr Informationen, wenn Sie wollen, dass ich Sie ernst nehme.«

»Ich möchte da eigentlich nicht mit hineingezogen werden.«

»Warum haben Sie mich dann angerufen?«

»Weil ich glaube, dass es San… dass es diese Steenberg gewesen sein könnte.«

»Was sollte sie denn getan haben, Meneer?«

»Boonstra ist doch verschwunden, oder?«

»Ja.«

»Sie könnte dahinterstecken. Sie könnte ihm etwas angetan haben.«

»Was für ein Motiv hätte sie denn haben sollen?«

Schweigen.

»Meneer?«

»Ich habe nur gedacht, dass es meine Bürgerpflicht wäre, Ihnen zu sagen, was ich gehört habe.«

»Das ist ja auch Ihre Pflicht, aber ich kann Sie nicht ernst nehmen, wenn Sie mir keine näheren Informationen liefern.«

Wieder folgte eine kurze Stille. Dann sagte der Mann: »Könnten Sie das bitte absolut vertraulich behandeln?«

»Meneer, wenn Ihre Informationen dazu führen, dass Mevrou Steenberg vor Gericht kommt, werden Sie möglicherweise aussagen müssen.«

»Heiliger Nikolaus.«

»Möchten Sie mir also noch etwas dazu sagen?«

Keine Antwort.

»Meneer«, sagte Griessel. »Wie ich sehe, haben Sie Ihre Nummer unterdrückt. Ich kann sie aber trotzdem herausfinden, über die Telefongesellschaft.«

»Ich … Und Sie werden ihr nicht sagen, woher Sie die Informationen haben?«

»Nicht, bis der Fall vor Gericht kommt.«

Der Mann zögerte, bevor er weitersprach. »Na schön. Mein Name ist Charlie Benson. Sandra Steenberg arbeitet für mich. Vor etwa zwei Wochen kam sie von einem Termin mit Meneer Boonstra zurück und war ganz durcheinander. Das habe ich ihr deutlich angesehen. Ich fragte sie: Alles in Ordnung mit dir, San-San? Und da hat sie gesagt, dass sie Jasper Boonstra umbringen würde.«

»Hat sie gesagt, warum?«

»Die ganze Stadt weiß doch, dass er ein Schürzenjäger ist, Leutnant. Man muss kein Genie sein, um die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.«

Mevrou Parker versagten die Beine, während sie mit Veronica Adams sprach. Es dauerte lange. Cupido musste sie stützen, und als sie fertig war, brachte er sie zurück ins Wohnzimmer.

»Schon gut«, sagte sie. »Schon gut.«

Sie setzte sich aufs Sofa.

»Auntie, schauen Sie mir in die Augen.«

Sie sah ihn unter Tränen an; sie zitterte am ganzen Leib.

»Auntie, ich verspreche Ihnen, wenn Rolli uns hilft, Callie zu finden, dann lasse ich Ihnen die Dose mit dem Bargeld und der Münze.«

»Es ist ein Tickey«, sagte sie. »Ein Sammy-Marks-Tickey. Rolli hat gesagt, er wäre sehr wertvoll. Er wollte, dass ich ihn aufbewahre, für schlechte Zeiten, hat er gesagt, weil es sein könne, dass er nicht zurückkommt.«

»Wenn er uns hilft, dann lasse ich diesen Sammy-Marks-Tickey und das Geld einfach in der Zuckerdose. Kommentarlos. Und dann schauen wir mal, ob er nicht doch zurückkommt.«

»Wirklich wahr?«

»Wirklich wahr. Meine Aufgabe ist es, Callie zu finden, tot oder lebendig, denn seine Mommy sitzt jetzt hier in Stellenbosch in einem B&B und weint sich vor Kummer die Augen aus, genau wie Sie jetzt. Für mich ist es das Allerwichtigste, ihr die Ängste und Sorgen zu nehmen. Deshalb bin ich bereit, mich auf einen Deal einzulassen, aber nur, wenn Rolli mit mir redet und mir alles sagt, was er weiß.«

»Ich sag ihm, dass er das machen soll.«

»Wo ist er jetzt, Auntie?«

»Er ist im Norden. Mehr verrate ich nicht.«

»Okay. Ich werde Folgendes tun: Ich sage jetzt den Detectives, die Ihr Haus durchsuchen, dass sie damit aufhören sollen. Dass ich erst mit Rolli reden will. Und wenn er sagt, was ich hören will, dann verschwinden wir und lassen Ihnen die Zuckerdose. Einverstanden?«

»Einverstanden.«

»Und wenn ich Callie gefunden habe und niemand Anzeige gegen Rolli erstattet, lasse ich ihn auch in Ruhe. Einverstanden?«

»Einverstanden.«

»Dann rufen Sie Rolli jetzt an, mit ihrem Handy, denn wenn ich anrufe, meldet er sich nicht.«

»Ja, natürlich.« Sie holte ihr Handy heraus.

Cupido stand auf. »Ich sage nur eben den Kollegen Bescheid, dass sie aufhören sollen. Und ich bringe Ihnen die Zuckerdose, Auntie, und die halten Sie dann mal schön fest.«

Griessel saß im Empfangszimmer des großen, prächtigen Wohnhauses von Baronsberg. Er nahm sich vor, seine Gedanken beisammenzuhalten und diesen Vermisstenfall jetzt endlich ernst zu nehmen, egal, wie dubios er auch aussehen mochte.

Der Anruf von Charlie Benson und der Hass in seiner Stimme, dieser Neid – nein, er war kein glaubwürdiger Zeuge.

Doch wenn man nicht absolut jeden Hinweis verfolgte, auch wenn er nur ansatzweise plausibel war, konnte einen das teuer zu stehen kommen.

Deshalb rief er Sandra Steenberg an. Als sie sich meldete, bat er sie, hinaus nach Baronsberg zu kommen.

»Ach«, sagte sie. »Darf ich fragen, warum?«

»Ich möchte nur das ein oder andere überprüfen«, antwortete Griessel ausweichend.

Als sie aufgelegt hatte, fiel ihm ein, dass es möglicherweise interessant sein könnte, zu beobachten, wie Mevrou Lettie Boonstra reagierte, wenn sie mit Steenberg konfrontiert wurde. Beide Frauen waren gestern hier gewesen. Sandra Steenberg war – soweit man bisher wusste – die letzte Person, die Jasper Boonstra gesehen hatte. Sie sagte, sie sei um kurz vor zwölf hier losgefahren, und die Aufnahmen der Überwachungskameras bestätigten das. Lettie Boonstra war um vierzehn Uhr eingetroffen. Wiederum laut ihrer eigenen Aussage und der Videoaufnahmen vom Tor.

Wenn beide die Wahrheit sagten, war Jasper Boonstra in diesem Zeitraum zwischen zwölf und zwei einfach verschwunden.

Es gab keinerlei Zeichen eines Einbruchs, Diebstahls oder Kampfes. Dies deutete darauf hin, dass Boonstra aus freiem Willen fortgegangen war. Etwa, um sich seiner bevorstehenden Gerichtsverhandlungen zu entziehen?

Schon möglich. Lettie Boonstra glaubte, dass es so war. Aber warum jetzt? Ihm drohte keine Festnahme.

Welche Alternativen gab es? Sandra Steenberg sagte in irgendeinem Punkt die Unwahrheit. Sie war angespannt. Weil sie Boonstra zur Flucht verholfen hatte, gegen Bezahlung? Um sich ihm später anzuschließen?

Sie müssen sie überprüfen. Sie hat gesagt, sie will ihn umbringen.

Sandra Steenberg log – weil sie Jasper Boonstra etwas angetan hatte? Laut Charlie Benson wollte sie ihn töten, weil er sie belästigt hatte. Das war keineswegs ausgeschlossen. Steenberg war gestern drei Stunden lang hier gewesen; genügend Zeit, um nach einer körperlichen Auseinandersetzung oder einem tödlichen Schuss aufzuräumen. Aber Griessel fiel es schwer, sich dieses Szenario vorzustellen – die zart gebaute Mevrou Steenberg gegen den relativ großen Jasper Boonstra? Vielleicht, wenn sie eine Schusswaffe gehabt hätte, aber nirgendwo waren Blutspuren gefunden worden. Und bestimmt hätte sie die Polizei gerufen, wenn sie ihm aus Notwehr etwas angetan hätte.

Es sei denn, es war Romantik im Spiel. Ein Mord aus Leidenschaft? Eifersucht?

Drei Stunden waren lang. Genug für Sex und Streitigkeiten?

Griessel fiel es schwer, das zu glauben. Die Umstände passten einfach nicht. Sie war begehrenswert, sie war verheiratet, sie hatte einen guten Job. Boonstra hatte einen schlechten Ruf. Viel wahrscheinlicher war, dass er ihr aus Eifersucht oder Leidenschaft etwas angetan hätte.

Aber was verschwieg ihm Sandra Steenberg dann?

Er hörte Schritte auf der Treppe. Es waren Sarazin und Lettie Boonstra. Boonstra hielt einen Autoschlüssel in der Hand.

»Wir müssen Ihnen etwas zeigen«, sagte der Anwalt und deutete hinauf in den ersten Stock. Er sah besorgt aus. Mevrou Boonstra dagegen wirkte lediglich gereizt.

»Noch nicht«, sagte sie. »Warten Sie hier mal einen Augenblick, ich möchte etwas aus dem Mercedes holen.« Sie ging in die Küche, und sie hörten, wie die Tür zur Garage geöffnet wurde.

»Das Problem ist in seinem Arbeitszimmer«, sagte Sarazin in seinem sonoren Bariton und trat mit seinem langsamen Schritt neben Griessel.

»Was für ein Problem?«

»Jasper hat … Sein Schreibtisch ist von Hand gemacht. Auf Bestellung. Aus afrikanischem Schwarzholz, dem härtesten Holz der Welt. Er hat extra eine Schublade einbauen lassen, mit einem besonderen Schloss. Es ist einzigartig, und so gut wie unmöglich ohne den Schlüssel zu öffnen; man müsste es schon mit Gewalt aufbrechen. Und den Schlüssel dazu hat Jasper immer bei sich getragen.«

»Das stimmt nicht ganz«, erwiderte Lettie Boonstra, die durch die Küche auf sie zukam. Sie hielt etwas in der Hand und hob es hoch. »Meistens hat er den Schlüssel hier drin aufbewahrt.«

Sie zeigte ihnen ein braunes Portemonnaie.

»Das Portemonnaie wiederum«, fuhr sie fort, »ließ er im Tresor des Mercedes.«

»Im Tresor des Mercedes?«, fragte Griessel erstaunt.

»Tja, das ist ein Mercedes G 650 Landaulet, dieser SUV in der Garage. Wenn man mehr Geld als Verstand hat und dazu einen Riesenkomplex, kauft man sich keine gewöhnliche Mercedes G-Klasse, sondern einen Landaulet. Er kostet zehnmal mehr. Und dann hört man von einem seiner superreichen Freunde, dass er sich einen Bentley Bentayga mit einem Tresor gekauft hat, so einem kleinen zwischen den Vordersitzen, den man mit Fingerabdruck oder einem Schlüssel öffnen kann. Und dann gibt man noch ein paar Hunderttausend mehr aus, um auch in seinen Landaulet so einen Tresor einbauen zu lassen. Denn man will seinen Freunden ja in nichts nachstehen. Und darin hat Jasper normalerweise sein Portemonnaie aufbewahrt, wenn er zu Hause war. So wie gestern.«

Sie öffnete das Portemonnaie. Es befanden sich ein paar Hundert Rand in bar und mehrere Bankkarten darin. »Alles da, außer dem Schlüssel.«

»Aber Lettie, das wissen wir doch«, sagte Sarazin. »Der Schlüssel liegt oben im Büro, im Straußenei.«

»Aha, das legendäre Mantra-Ei. Ein halbes Ei ist besser als eine leere Schale. Jaspers Betrüger-Mantra.«

»Bitte, Lettie«, ermahnte sie Sarazin müde.

»Der Schlüssel«, brachte Griessel sie wieder auf das Thema.

»Er würde ihn niemals freiwillig oben auf seinem Schreibtisch liegen lassen«, sagte Sarazin. »Nicht so offen und sichtbar. Er hätte ihn entweder ins Portemonnaie gesteckt oder mitgenommen.«

»Er brauchte den Schlüssel nicht mehr zu verstecken, denn das Schwarzbuch ist weg«, stellte Lettie fest.

»Es gibt kein Schwarzbuch«, erwiderte Sarazin.

»Natürlich gibt es das«, entgegnete sie.

»Nein!«, sagte er.

Griessel seufzte nur.

»Kommen Sie, schauen Sie selbst«, sagte Sarazin zu Bennie und ging ihm auf der Treppe voraus.

Griessel und Lettie folgten ihm. »Ach, übrigens«, sagte sie, »aus Jaspers Kleiderschrank fehlt eine Reisetasche.«

»Nur die Tasche?«, fragte Griessel, als sie an der Ritterrüstung vorbeikamen.

»Ob sonst noch etwas fehlt, kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Jasper hat mehr Klamotten als die Königin von England. Selbst wenn er die Hälfte davon mitgenommen hätte, könnte ich es nicht feststellen. Aber die Tasche ist nicht da. Die hat er immer mitgenommen, wenn er mal irgendwo übernachtet hat oder mit leichtem Gepäck reisen wollte.«

Sarazin wartete an der Tür des Arbeitszimmers. »In dieser Schublade hat Jasper seine wichtigsten Dokumente aufbewahrt.« Er deutete ins Büro und wartete, dass Griessel eintrat.

Die oberste Schublade stand jetzt offen. Griessel sah sie sich an. Die Schublade war groß und stark gebaut und mit Metall verstärkt. Das Schloss hatte beinahe Industriegröße.

»Jasper hat im Grunde nur sein Schwarzbuch darin aufbewahrt«, kommentierte Lettie.

»Lettie, bitte!«, mahnte Sarazin.

»Was ist ein Schwarzbuch?«, fragte Griessel.

»So etwas gibt es nicht«, widersprach Sarazin.

Lettie lachte sarkastisch.

»Mithilfe des Schwarzbuchs«, sagte sie »behält mein lieber Ehemann den Überblick über seine Betrügereien. Er ist nämlich ein sehr kluger Mann.«

»Lettie!«, wiederholte Sarazin.

»Ach, halt doch den Mund, Meinhardt«, sagte sie und dann, wieder an Griessel gewandt: »Wenn man sehr komplizierte Betrügereien begeht, Bennie, muss man sich alles aufschreiben. Wenn man seine Zinsen, sein Geld, seine Immobilien und Anteile versteckt, muss man über alle Firmen, Kontonummern und PIN-Codes sowie sämtliche Schließfächer von den Bermudas und den Cayman-Inseln bis nach Luxemburg und die Schweiz genauestens Buch führen. Damit man nicht irgendwann selbst durcheinandergerät. Dafür brauchte er das Buch – das er sein Schwarzbuch nennt.«

»Das ist barer Unsinn!«, protestierte Sarazin. »Jasper hat seinen Pass, seinen Ausweis und ein paar andere Dokumente in der Schublade aufbewahrt.«

»Dann sind die auch weg«, stellte Lettie fest. »Genau wie das Schwarzbuch.«

»Das ist nicht wahr«, sagte Sarazin.

»Und das, meine Freunde«, sagte Lettie Boonstra, »ist der Beweis dafür, dass Jasper geflüchtet ist. Denn nur er und Meinhardt wussten von dem Schwarzbuch und wie es funktionierte. Den Pass und den Ausweis hat er gleich mitgenommen. Das Portemonnaie hat er hiergelassen, denn er weiß, dass er sowieso keine Bankkarte benutzen kann, weil man ihn darüber ausfindig machen kann.«

»Mir scheint, du hast einiges über den Inhalt der Schublade gewusst, Lettie«, sagte Sarazin. »Da fragt man sich doch …«

»Wirklich, Meinhardt?«, fragte sie. »Wirklich? Ich? Du bist doch auch ein kluger Mann. Erkläre bitte Bennie und mir das wahrscheinlichste Szenario: Ich habe den Schlüssel an mich genommen, die Schublade aufgeschlossen, das Schwarzbuch, den Ausweis und den Pass herausgenommen, den Schlüssel wieder schön zurück ins halbe Straußenei gelegt und Jasper verschwinden lassen? Los, sag es uns – wie, meinst du, habe ich das angestellt?«

»Ich habe nicht gesagt, dass du’s getan hast.«

»Aber wer denn sonst, Meinhardt? Wer?«

Es klingelte an der Haustür.

Das musste Sandra Steenberg sein.

Ich will nicht mit Ihnen reden«, sagte Rolli Parker am Telefon zu Cupido. »Ich traue Ihnen nicht.«

»Rolli«, sagte Cupido. »Das verstehe ich. Aber überleg doch mal. Ich nehme an, dass du in Johannesburg oder irgendwo da oben bist, und wenn ich unbedingt will, finde ich dich. Handyortung, Verkehrsüberwachungskameras – wenn ich alle polizeilichen Mittel nutze, dauert es keine zwei Wochen, und ich habe dich. Aber ich sag dir jetzt Folgendes: Mir geht es nur um Callie. Ich muss sein Verschwinden aufklären, und darauf konzentriere ich mich. Es liegt an dir. Deine Mutter hat dir den Deal verklickert. Sie sitzt jetzt hier vor mir, mit der Zuckerdose in den Händen. Wenn du mir hilfst, bleibt die Dose auch dort. Inklusive des Inhalts.«

»Ich vertraue Ihnen nicht.«

»Du hast keine andere Wahl, bra

Cupido hörte Hip-Hop-Musik im Hintergrund. War Parker in einer Kneipe irgendwo in Johannesburg? Eine Strophe wummerte vorbei; dann fragte Rolli schließlich: »Hast du eine Mutter?«

»Klar hab ich eine Mutter. Sie wohnt in Belhar Six.«

»Dann schwöre mir auf den Namen deiner Mutter, dass du ein Mann von Ehre bist.«

»Ich schwöre, Rolli, wenn du unbedingt willst«, sagte Cupido. Vermutlich wollte Parker lediglich einen Rest seiner eigenen Ehre retten, da er wusste, dass er ohnehin keine Wahl hatte. »Ich sag dir was, ich mache den Deal für dich noch ein bisschen attraktiver. Wenn du mir Informationen gibst, die uns dabei helfen, Callie zu finden, dann blase ich den Fahndungsaufruf nach dir ab.«

»Was ist ein Fahndungsaufruf?«

»Das ist das, was die Amerikaner im Fernsehen als APB bezeichnen, ein All Points Bulletin. Wir informieren jeden einzelnen Kollegen in ganz Südafrika darüber, dass nach dir gesucht wird, und du kannst jederzeit und überall verhaftet werden. Wenn ich die Fahndung nach dir einstellen lasse, bedeutet das, dass du in etwa einer Woche zurückkommen und dich selbst davon überzeugen kannst, dass es deiner Mutter gut geht. Ohne dass du etwas von uns zu befürchten hast.«

»Woher weiß ich, dass ich Ihnen glauben kann?«

»Verdammt, Rolli, wie oft muss ich es denn noch sagen: Hier geht’s nicht um dich! Hier geht’s um Callie! Wenn wir ihn gefunden haben, interessiert sich kein Schwein mehr für einen Gelegenheitseinbrecher aus Cloetesville!«

Rolli dachte nach.

»Und die Zuckerdose, Rolli. Denk an die Zuckerdose.«

Rolli dachte nach.

»Also«, sagte Cupido, »ich frage dich jetzt noch mal: Warum behauptest du, die Polizei hätte Callie verschwinden lassen?«

Er hörte, wie Rolli tief Luft holte und sie langsam wieder ausstieß. »Callie hat eure Datenbanken gehackt.«

»Das wissen wir, so hat er ja auch deine Vorstrafe gelöscht. Erzähl mir was Neues.«

»Ich meine die anderen Datenbanken. Die für die Schusswaffen.«

»Wieso wollte er denn da rein?«

»Erst nur für den Verkauf. Von den Daten. Später wegen der Sammlerstücke.«

Vaughn ging ein Licht auf: »Sammlerstücke? Also Waffen? Wie etwa ein Webley-Fosbery?«

»Genau.«

»Okay, jetzt erklär mir das mal ganz genau, Rolli. Er hat sich also in die polizeilichen Datenbanken für Handfeuerwaffen reingehackt und gezielt nach Sammlerstücken gesucht. Und wenn er welche gefunden hat? Was dann?«

»Dann hat er recherchiert, was das Zeug in den USA wert ist, und dann haben er oder ich dem Besitzer ein Angebot gemacht. Namen und Adressen hatten wir aus der Datenbank. Oft war es zum Beispiel eine alte Dame, die keine Ahnung hatte, wie viel die Waffe wert war. Dann haben wir sie gekauft, und Callie hat sie in die USA verscherbelt. Manchmal wusste der Besitzer aber auch, was er da hatte, und in dem Fall hat es sich nicht gelohnt.«

»Moment, Rolli, das klingt ja beinahe legal. Das hat euch aber nicht in die Scheiße geritten, oder?«

»Nein.«

»Du wirst mir schon alles erzählen müssen.«

Wieder hörte Cupido Musik. Rolli schwieg und schnaufte tief durch. Cupido ließ ihn schmoren. Rolli musste schon selbst entscheiden, ob er alles ausspucken wollte.

»Ihr habt recht gehabt. Callie hat mich in der Datenbank für Vorstrafen gefunden. Letztes Jahr. Er hat mich wegen meiner Fähigkeiten kontaktiert.«

»Der Meisterdieb. Aber warum?«

»Na ja, er hat festgestellt, dass er sich in Versicherungsdatenbanken hacken konnte, und vor allem die für kurzfristige Versicherungen waren die reinste Schatzkiste. Reiche Whiteys, die …«

»Moment, Moment, was heißt kurzfristige Versicherungen?«

»Alle Gesellschaften bieten so was an. Santam. Outsurance. Discovery. First for Women, einfach alle. Bequem für reiche Whiteys und ihren Besitz. Callie hat jede Menge Infos über Wertsachen und Alarmsysteme gefunden, inklusive Adressen, aber er konnte nichts damit anfangen. Er hat Kontakt zu mir aufgenommen und mir versprochen, meinen Vorstrafeneintrag zu löschen, wenn ich mit ihm zusammenarbeite. Wir wären Partner, fifty-fifty.«

»Aha. Daher kamen also der Schmuck, die Krugerrand-Münzen und der Tickey. Er hat die Infos besorgt, du bist eingebrochen. Und er hat dann Käufer für die gestohlene Ware gefunden.«

»Ja, im Großen und Ganzen. Aber dann sind wir zu erfolgreich geworden. Es gab einfach nicht genügend Gold- und Münzhändler und Leihhäuser, an die wir alles verkaufen konnten, ohne Verdacht zu erregen. Da hat Callie gesagt, das wäre nur die Spitze des Eisbergs, wir müssten diversifizieren, denn die Daten kriegten wir umsonst, es gäbe reichlich, man könnte alles haben, gewusst wie. Er hat dann angefangen, auch andere Datenbanken zu hacken. Von der Polizei. Als er meine Vorstrafe gelöscht hat, hat er nämlich gecheckt, dass es ganz leicht ist, in die Regierungssysteme reinzukommen; sie sind nicht besonders gut gesichert. Am Anfang ging es Callie um Infos darüber, welche Waffen Whiteys im Haus hatten. Jagdwaffen, Pistolen zur Selbstverteidigung, so was in der Art. Ich habe ihm gesagt, ich klaue keine Waffen. Das gibt nämlich richtig Ärger. Ich könnte aber was anderes machen, nämlich die Daten an die Syndikate verkaufen: Adressen, Infos über Waffen, Infos über Gewehrschränke. Die könnten dann einbrechen und das Zeug klauen, ohne dass wir das Risiko eingehen müssten.«

»Die Syndikate? Die in den Townships oder die Gangs in der Vlakte

»Nein, die Township-Syndikate. Die, die auf bewaffnete Raubüberfälle spezialisiert sind, Bargeld bei Transitüberfällen, Carjackings, alle Verbrechen, bei denen man Waffen braucht.«

»Ach du Scheiße!«, sagte Cupido. »Aber, Augenblick mal, wenn ihr keine Geschäfte mit den Gangs in der Ebene gemacht habt, wie habt ihr dann die Trojaner aus Elsie River angepisst?«

»Die Trojaner? Keine Ahnung.«

»Du lügst.«

»Wenn ich es doch sage, ich weiß es nicht!«

»Red keinen Scheiß, Rolli! Der Typ, der sich am Sonntagabend in Callies Zimmer geschlichen hat, gehört zu den Trojanern aus Elsies!«

»Echt, Bra, ich schwöre, ich habe keine Ahnung! Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«

»Wer hat Callie, Rolli? Warum lügst du deine Mutter an und behauptest, die Bullen hätten ihn?«

»Weil sie … Weil sie ihn haben!« Roland Parker klang jetzt verzweifelt, fast als flehe er Cupido an, ihm zu glauben.

»Und woher weißt du das?«

»Callie hat es mir gesagt.«

»Was hat er dir gesagt?«

Parker seufzte tief vor dem Hintergrund der Hip-Hop-Musik, die immer noch lief.

»Letzte Woche – ich glaube am Dienstag – hat Callie mich angerufen und vorgeschlagen, im ›De Akker‹ Steak und Eier zu essen. Wir haben uns da getroffen, und er hat gesagt, wir könnten jetzt die richtig dicke Kohle abkassieren, den Kleinkram könnten wir uns sparen. Ich wollte wissen, wie das gehen soll. Da hat er gesagt, als er sich in die SAPS-Datenbanken wegen der Waffen reingehackt hätte, hätte er gesehen, dass da was nicht stimmt. Da wäre was faul. Jemand manipulierte die Daten. Manchmal wären Waffen, die er gerade noch gesehen hätte, von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden. Das hat er monatelang beobachtet, und dabei hat er festgestellt, dass offensichtlich jemand die Waffen aus dem System rausnahm. Und es gab viele Hinweise darauf, dass jemand vom SAPS genau diese Waffen verkauft hat. Unter der Hand. Ich kenne mich nicht mit den ganzen technischen Details aus, deswegen weiß ich nicht, wie Callie es angestellt hat, aber so wie ich es verstanden habe, hat er Software eingeschleust, mit der er den Typen, die bescheißen, eine Falle gestellt hat. Und damit hat er die Kerle erwischt. Es waren drei. Alles Bullen. Er hat ihnen eine E-Mail geschickt und gesagt, wir wissen, was ihr da macht, und wir gehen damit zu Carte Blanche

»Carte Blanche? Die Fernsehshow?«

»Ja, genau die Show, die die Korruptionsfälle aufdeckt. Die Kerle haben Callie geantwortet, vorher wollten sie erst mit ihm reden. Und darauf hatte Callie spekuliert. Dass sie ihm ein Angebot machen. Es ging ein bisschen hin und her, und dann hat Callie gesagt: Okay, wir wollen zwei Millionen, dann halten wir den Mund. Als wir im ›De Akker‹ saßen, hat Callie mir versprochen, dass er mit mir teilen würde, eine Million für jeden, dann wäre das Thema durch, dann hätten wir genug Geld, und es wäre Zeit, die Operation zu beenden. Er hat den Bullen gesagt, er will Cash, noch vor Ende September. Sie waren einverstanden. Ich habe Callie gesagt, er soll bloß aufpassen, die würden ihm doch nicht einfach so zwei Millionen zahlen und sagen, alles gut, alles klar, vielen Dank. Callie meinte aber, ich soll mir keine Sorgen machen, er hätte ein paar Sicherheitsmaßnahmen eingebaut. ›Datenbomben‹ hat er sie genannt. Die Bullen wüssten das, sie würden uns nicht linken. Wir sind dann gegangen, und am Donnerstag hat Callie mich angerufen und gesagt: Rolli, sie kommen am Freitag mit dem Geld, und sie haben einen Vorschlag für mich, sie können meine Fähigkeiten gebrauchen. Zwei Millionen wären doch nur Peanuts, es wäre Zeit, die dicke Kohle zu machen. Sie wollten reden. Ich habe ihn immer wieder gewarnt, er soll bloß vorsichtig sein, aber er hat gesagt: Mach dir keine Sorgen, Rolli, ich hab mich abgesichert, mit diesen kleinen Datenbomben, die können explodieren, die können uns gar nichts. Am Freitag hab ich Callie angerufen, um kurz nach fünf, und er hat gesagt, dass der Colonel ihn abholen käme, er würde sich bei mir melden. Und das war das Letzte, was ich von ihm gehört habe.«

»Der Colonel?«

»Genau. Der Colonel.«

»Hat er gesagt, wie der Colonel heißt?«

»Nein. Er meinte nur, der Colonel wäre verantwortlich für die Handfeuerwaffen, der wichtigste Typ, der dicke Fisch.«

»Und dann?«

»Nichts. Ich habe nichts mehr von ihm gehört. Als Nächstes standen Sie dann hier bei meiner Mutter vor der Tür, und ich dachte, dieser Colonel hätte sie geschickt, Sie hätten Callie reingelegt, und jetzt wollten sie mich auch verarschen.«

»Verstehe«, sagte Cupido.

»Was heißt das? Lassen Sie jetzt meine Mutter und die Zuckerdose in Ruhe?«

»Ja, Rolli. Ich halte mein Wort. Ich werde sie und die Dose in Ruhe lassen, und ich werde Callie finden. Und dann werden wir sehen, wie die Sache ausgeht.«

Griessel bat Lettie Boonstra und Meinhard Sarazin, im Arbeitszimmer zu warten, während er im Wohnzimmer mit Sandra Steenberg redete.

»Wer ist Sandra Steenberg?«, fragte Lettie.

»Die Maklerin«, antwortete Sarazin

»Was wollte Jasper verkaufen?«, fragte Lettie.

Der Anwalt zuckte mit den Schultern. »Vielleicht Franschhoek. Vielleicht das Weingut.« Er deutete mit einer Geste auf das Haus und die Umgebung.

»Er wollte Immobilien verkaufen? Und du glaubst, er hatte nicht vor, sich abzusetzen? Glaubst du etwa immer noch, dass er sich nur irgendwo für ein paar Tage erholt?«

»Ja, das glaube ich.«

Griessel ging hinaus und die Treppen hinunter zur Tür. Er hörte, wie Lettie den Anwalt auslachte.

Was will er von mir, was will er von mir? Sandra konnte an nichts anderes denken, auf dem ganzen Weg von Stellenbosch nach Baronsberg.

Dann sah sie die Plakate der Eikestadnuus an den Laternen, mit den großen Fotos von Callie de Bruin darauf und darunter den Worten:

WO IST CALLIE?

Und sie dachte, dass sie wusste, wo Callie war. Sehr wahrscheinlich. Vielleicht.

Doch sie wagte es nicht zu sagen, sie wagte nicht, einen ganzen Strom von Streifenwagen in der Brandwachstraat auszulösen, die Kripo, die bei den Nachbarn klingelte, die Kripo, die sich möglicherweise fragte, was im Haus nebenan vor sich ging, jenem, in dem Jasper Boonstras eiskalte, nackte Leiche in einer Gefriertruhe lag.

Sie konnte es einfach diesem Griessel sagen. Sag es ihm. Sie könnte behaupten, sie hätte vorgestern oder schon am Montag diese Leute da drüben im Nachbarhaus gesehen. Sie konnte es ihm sagen und den Fluch von ihr abwenden; die Götter, das Universum würden ihr helfen, wenn sie sich dazu überwinden könnte, Griessel von Callie de Bruin zu erzählen.

Nein, nein, nein. Er würde glauben, dass es ein Trick war, eine Methode, um die Aufmerksamkeit von ihr selbst abzulenken. Er würde ihr nicht glauben.

Sie fuhr an der langen Reihe von Übertragungswagen vorbei durch das Tor. Sie sah die Polizisten, die mit Hunden zwischen den Reihen der Rebstöcke entlanggingen. Ihr wurde innerlich ganz kalt.

Wussten sie, dass Jasper tot war?

Oh, Gott! Hatten sie etwas im Haus gefunden?

Ich will nur das ein oder andere überprüfen, hatte ihr Griessel am Telefon gesagt.

Was denn?

Die Wachen im Häuschen winkten sie mit ihrem üblichen Lächeln durch, was sie ein wenig beruhigte. Vielleicht wollte der Leutnant von der Kripo einfach nur ein paar Routinefragen mit ihr klären, zum Beispiel, an welche Stelle sie die Vollmachten gelegt und wo sie Boonstra zum letzten Mal gesehen hatte.

Sie blieb zunächst noch einen Augenblick in ihrem EcoSport vor der Garage sitzen, an der Stelle, an der sie Jasper in den Kofferraum geladen hat.

Durchatmen, Sandra. Beruhige dich. Hör dir erst mal an, was er zu sagen hat!

Tief durchatmen! Ganz ruhig!

Bennie öffnete die Tür, und da stand sie, in ihrem hübschen gelben Kleid. Sie wirkte entspannt, und sie lächelte und sagte: »Ich bin so schnell kommen, wie ich konnte.«

»Danke«, sagte er. »Bitte kommen Sie herein.«

Er trat beiseite und ließ sie vorgehen. »Wir können uns im Wohnzimmer unterhalten«, sagte er. »Mevrou Boonstra und der Anwalt sind oben.« Er beobachtete sie auf Anzeichen dafür, wie sie auf diese Nachricht reagierte, aber sie ließ sich nichts anmerken.

Er roch nur wieder diesen Hauch von Schweiß und Parfüm, diesmal vielleicht ein wenig stärker.

Im Empfangszimmer sagte er: »Bitte nehmen Sie Platz«, und deutete auf einen Sessel, der mit dem Rücken zur Treppe stand. Er setzte sich ihr gegenüber, so dass er die Treppe im Auge behalten konnte.

Sandra nahm Platz, mit geschlossenen Knien, die Hände auf dem Schoß gefaltet, und sah ihn erwartungsvoll an.

Ein Unschuldslamm.

»Mevrou Steenberg, ich habe heute Morgen einen Anruf erhalten. Jemand hat gesagt, dass sie gedroht haben, Jasper Boonstra zu töten.«

Er beobachtete sie weiterhin scharf, ihre Hände, ihre Augen, ihre Hände, ihren Körper.

Er sah zuerst nur Verwirrung, aufrichtiges Erstaunen. »Ich?«, fragte sie.

War es ein Zeichen der Erleichterung, dass ihre Schultern fast unmerklich hinuntersanken?

»Genau«, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf. Griessel sah ihr an, dass sie überlegte, wer das gewesen sein könnte. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Charlie«, sagte sie. Sie lachte kurz und erleichtert auf. »Charlie!«

»Haben Sie denn so etwas gesagt?«, fragte Griessel.

Sie verspürte den Drang, laut aufzulachen, hysterisch zu kichern. Charlie, dieser Schlappschwanz, dieser Feigling! Charlie, der sein Bestes tat, um sich den ganzen Betrag unter den Nagel zu reißen. Suchte er einen Weg, ihr Steine in den Weg zu legen? Tut mir leid, Sandy, wenn die Polizei gegen dich ermittelt, muss ich dich entlassen, und dann bekommst du keinen Cent.

Scheiß auf Charlie! Brauchte sie etwa nichts weiter zu tun, als Charlies Anschuldigung zu entkräften?

Sie war erleichtert.

»Nein«, sagte sie zu dem Leutnant von der Kripo, und sie wusste aus einem Instinkt heraus – und durch das Beispiel ihres Vaters, des geschickten Gewohnheitslügners –, dass sie ihm die Wahrheit sagen musste. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich gesagt, dass ich ihn umbringen könnte. Und ich habe das ernst gemeint, Leutnant, in diesem Augenblick habe ich das so gemeint! Wissen Sie, ich war hier bei Jasper, in der Küche, und da hat er mir von meinem Vater erzählt, denn er hatte über meinen Mann und mich Hintergrundrecherchen angestellt. Sogar über unsere Eltern! Er hatte Privatdetektive damit beauftragt, um sicherzustellen, dass er Geschäfte mit den richtigen Leuten macht, wie er sich ausdrückte. Und ich, Leutnant, fand das anmaßend, als er mir vorhielt, dass mein Vater ein Versager sei. Nicht, dass mein Vater das nicht wäre; mein Vater ist weißer Abschaum. Aber dass ein reicher Mann mir das ins Gesicht sagte, hat mich unglaublich aufgeregt. Und jetzt möchten Sie sicher wissen, warum ich ihm nicht gesagt habe, er könne mir mal den Buckel runterrutschen. Tja, Leutnant, ganz einfach, weil mein Mann und ich nicht reich sind. Zwar kein weißer Abschaum; mein Mann lehrt Literaturwissenschaft an der Universität. Er zumindest ist ziemlich gebildet, aber finanziell haben wir es nicht leicht, weil er gerade ein Sabbatjahr einlegt und wir Zwillinge haben, also werden Sie sicher verstehen, wie ich reagiere, wenn ich zwischen ein paar Millionen Provision und meinem Stolz wählen muss.«

Vielleicht schwitzt sie einfach nur, weil ihr warm ist, dachte Griessel. Denn er glaubte ihr; alles deutete darauf hin, dass sie die Wahrheit sagte.

Und dann fiel ihm ein, wie sicher er sich am Morgen gewesen war, dass sie log, und plötzlich war es, als fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er sah ein mögliches Szenario bildlich vor Augen, so dass er beschloss, weiterzubohren und einen Schuss ins Blaue zu wagen.

»Mevrou«, sagte er »hatten sie mehr als ein Arbeitsverhältnis mit Boonstra?«

»Das ist doch nicht ihr Ernst!«, erwiderte sie mit scheinbar aufrichtigem Ekel. »Haben Sie ihn sich mal angeschaut?«

Griessel schüttelte den Kopf. »Warum waren Sie gestern drei Stunden lang hier?«

Sie seufzte. »Weil er erst zweieinhalb Stunden lang mit mir geflirtet hat und mir demonstrieren musste, wie reich und sexy er ist, und er dann erst aufs Geschäft zu sprechen kam. Wenn er weiß, dass man warten muss, bis er die Formulare unterzeichnet, lässt er einen seine Macht spüren. Deswegen war ich drei Stunden lang hier.«

»Hat er Ihnen Geld dafür angeboten, ihm zur Flucht zu verhelfen?«

Wieder erntete er die gleiche Reaktion wie zuvor: eine Mischung aus Verwirrung und Erstaunen. »Nein!«, sagte sie.

»Hat er sich in Ihrem Auto versteckt, als sie rausgefahren sind?«

Wieder dieses Erstaunen, nur dass es diesmal ein klein wenig aufgesetzt erschien. Und sie zog die Schultern wieder hoch. Sie war ein wenig angespannt, oder bildete er sich das nur ein?

»Natürlich nicht!«, erwiderte sie, etwas gekränkt, dass er sie so etwas fragen konnte.

Was weiß er?, fragte sich Sandra. Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie musste sich dazu zwingen, fokussiert und konzentriert zu bleiben. Ruhig, ganz ruhig!

Griessel nickte geduldig. »Sie wissen ja«, sagte er, »je schwerer man ein Auto belädt, desto mehr hängt es in den Federn, und desto geringer wird der Abstand zum Boden.«

Oh, mein Gott, dachte sie. »Ja, logisch.« In ihren Ohren klang sie ganz ruhig; weiter so, bleib so!

»Ich habe Videoaufnahmen davon, wie Sie zum Tor hinein- und wie Sie wieder herausgefahren sind. Wenn ich meine Kollegen in der KTU bitten würde, sie zu analysieren, glauben Sie, dass sie einen Unterschied im Abstand der Karosserie zum Boden feststellen würden?«

Sandra unterdrückte den fast unwiderstehlichen Drang, sich ins Gesicht oder an die Haare zu fassen oder seine Frage zu wiederholen.

  • Sie machen Ausflüchte, nennen nur wenige Einzelheiten.

  • Sie wiederholen Fragen, anstatt sie zu beantworten.

  • Sie sprechen in Satzfragmenten

  • Sie geben keine detaillierten Antworten, wenn ihre Geschichte hinterfragt wird.

  • Sie neigen zu Übersprungshandlungen, spielen z. B. mit den Haaren oder pressen die Finger an die Lippen.

Sie entschied sich für ein leichtes Stirnrunzeln und ein »Ich glaube nicht, wieso?«

Sie wartete auf seine Reaktion. Er sah sie unverwandt an, mit seinen eigenartigen Augen.

»Und wenn ich die Spurensicherung Ihr Auto auf Haare oder Kleidungsfasern von Boonstra untersuchen ließe?«

Ihr Herz explodierte fast.

Sie konnte nicht länger still sitzen. Sie nahm ihre Handtasche auf den Schoß und tat das in dieser Situation einzig Richtige. Sie holte ihren Autoschlüssel heraus und bot ihn dem Mann von oder Kripo an. »Hier, bitte«, sagte sie, »wenn Ihnen das etwas nützt.«

Sie bemerkte, dass er an ihr vorbei die Treppe hinaufblickte. Sie folgte seinem Blick. Sie sah eine Frau, die zu ihnen herunterkam. Sie erkannte sie von den Fotos her. Es war Mevrou Boonstra. Nicht annähernd so elegant, wie sie sich Jaspers Gattin vorgestellt hatte. Sie sah aus wie ein Hausmütterchen. In Jeans und Turnschuhen.

Die Frau musterte Sandra interessiert.

»Hallo«, sagte Sandra

Draußen vor dem Haus der Parkers in Cloetesville bat Cupido die uniformierten Kollegen, ihn nach Baronsberg zu bringen. »Und zwar so schnell wie möglich, Pappie«, sagte er. »Mit Sirene und Blaulicht, drück auf die Tube! Wir haben’s eilig.« 

Sie stiegen in den Pick-up mit Einzelkabine und rasten los, schon von Weitem hör- und sichtbar, und Cupido hoffte, dass er falschlag. Denn er hatte sämtliche Stücke dieses Puzzles sorgfältig an ihren Platz gelegt und ein Bild erhalten, bei dem ihm die Haare zu Berge standen.

Es konnte ein schiefes Bild sein. Deswegen musste er unbedingt mit Bennie Griessel reden. Denn er war derjenige mit dem Instinkt, mit dem Feingefühl, Benna, der Resonanzkörper seiner Ahnungen, der Advocatus Diaboli. »Du bist der Nüchterne von uns beiden, Partner«, pflegte Cupido zu sagen, und die Ironie brachte sie beide zum Lachen.

Die Stücke des Puzzles: Witkop Jansen hatte vor ein paar Tagen gesagt: Das sind die Leute bei Gericht, die machen einfach ihre Arbeit nicht ordentlich. Wundert mich nicht. Beim SVR ist es noch schlimmer, es wimmelt vor Fehlern in letzter Zeit. Die schlampen beim Eingeben der Daten, es ist eine Schande! Dazu die Nachricht von Sergeant Milo April, und die ganze Sache mit dem Smith & Wesson, der wieder aufgetaucht war, und Bennie Griessels AK47 und etwas, was Mbali Kaleni gesagt hatte und ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Und dazu alles, was Rolli Parker ihm heute erzählt hatte. Und Chriselda Plaatjies, Milos Verlobte. Vaughn war inzwischen überzeugt davon, dass sie einen Fehler gemacht hatte, und zwar einen Rugby-Fehler, aber, wie gesagt, sein Bild konnte schief sein. Da war auch noch etwas ganz am Anfang gewesen, noch bevor sie nach Stellenbosch versetzt worden waren, das ihn störte wie eine juckende Stelle, an die er nicht gelangte, um sich zu kratzen.

»Schneller!«, sagte er zu dem Konstabel am Steuer, weil er spürte, dass er kurz vor einem Durchbruch stand. Benna musste ihm nur noch helfen, die schiefen Ecken seines Bildes gerade zu richten.

Griessel ließ alle drei – den Anwalt, Lettie Boonstra und Sandra Steenberg – in unbehaglichem Schweigen im Wohnzimmer zurück und ging hinaus zu seinem Auto, um seine Mordtasche zu holen.

Es handelte sich um eine große Aktentasche, die er schon seit seiner Zeit beim damaligen Dezernat für Mord und Gewaltverbrechen mit sich herumschleppte. Darin befanden sich alle wichtigen Utensilien, die er für die Untersuchung eines Tatorts benötigte, darunter Einmalhandschuhe und Beweismitteltütchen, Material, um Fingerabdrücke zu nehmen, Kneifzangen, eine Taschenlampe, eine Kamera, verschiedene Formulare und das, was er jetzt brauchte: ein Maßband.

Er öffnete den Kofferraum und dachte an die Sonntagabende, wenn Alexa und er von den AA-Treffen der Green-Door-Gruppe zurückkehrten, die in der NG-Kirche von Tamboerskloof in der Bo-Uniestraat stattfanden und um fünf Uhr begannen. Diese Treffen waren für sie beide mental sehr anstrengend, deswegen wollte Alexa hinterher immer einen Film sehen. Etwas Leichtes, Entspannendes. Ihre Lieblingsfilme, seitdem sie und Bennie ein Paar waren, waren alte Krimis: Mord im Orient Express und Tod auf dem Nil, Tote schlafen fest und Aus Mangel an Beweisen. Er schaute sie sich mit ihr zusammen an, obwohl es ihn fürchterlich irritierte, wenn Alexa ausnahmslos jedes Mal sagte: »Also, so was, mein Superermittler hätte längst gewusst, dass der das war.« Außerdem waren die Filme immer so realitätsfern. Er sagte nichts, denn sie liebte das, und er konnte einfach abschalten.

Er dachte gerade jetzt daran, weil es immer eine Szene gab, in der der Detektiv alle Verdächtigen in einem Raum versammelte und ihnen dort seine brillanten Kombinationen enthüllte. Die drei dort drinnen erinnerten ihn an eine solche Szene. Das Problem war nur, dass er zurzeit mit keinerlei brillanten Kombinationen aufwarten konnte. Er hatte nichts als eine Vermutung und einen unausgegorenen Plan.

Er ließ sie jetzt erst einmal schwitzen. Und grübeln.

Er nahm seine Tasche und ging zu Sandras Steenbergs Ford EcoSport. In dem Moment, als er das Maßband herausholte, hörte er eine Sirene. Sie wurde rasch lauter.

Hatten Sergeant Erin Riddles und ihr Team etwas entdeckt? Das hätte ihn sehr gewundert.

Er bückte sich zum Hinterrad des EcoSports hinunter und maß den Abstand zwischen der Unterkante des Radkastens und dem Reifen. Er betrug zum jetzigen Zeitpunkt siebzehn Zentimeter.

Griessel trat ein Stück zurück, ungefähr so weit, wie die Videokamera vom Auto entfernt gewesen war, als es am gestrigen Vormittag zum Tor hinein und wieder herausgefahren war. Dann betrachtete er wieder den Ford, um die siebzehn Zentimeter aus diesem Abstand optisch zu schätzen.

Die Sirene war jetzt ganz nah.

Was er brauchte, war etwas, was ungefähr achtzig bis neunzig Kilo wog. Und das musste ins Auto. Er schätzte, dass Jasper Boonstra ungefähr so viel auf die Waage gebracht hatte, den Fotos nach zu urteilen, die er an der Wand des Arbeitszimmers gesehen hatte.

Die Sirene war jetzt da. Er hörte den Motor des Pick-ups, und dann kam der SAPD–Streifenwagen um die Ecke der Auffahrt, und er sah, dass Vaughn Cupido drinsaß, und er dachte, perfekt, Vaughn konnte ihm helfen, dann konnte er selbst hinten in den Ford klettern, er wog sechsundachtzig Kilo, das musste ihnen einen guten Anhaltspunkt bieten.

Cupido sprang heraus. »Sie können ruhig wieder fahren«, sagte er zu den Kollegen, rannte auf Griessel zu und stieß hervor: »Partner, ich brauche unbedingt deinen Rat! Ich glaube, ein Shitstorm kommt auf uns zu.«

Es herrschte eine ungemütliche Atmosphäre im Wohnzimmer, denn Meinhardt Sarazin und Sandra durften sich Lettie Boonstra gegenüber nicht anmerken lassen, dass sie bereits miteinander geredet hatten. Sie durften durch nichts verraten, dass sie darauf brannten zu erfahren, was der Mann von der Kripo, dieser Griessel, die jeweils andere Partei gefragt oder zu ihr gesagt hatte.

»Was macht der denn da draußen?«, fragte Lettie.

»Er denkt, ich hätte Jasper gestern hier rausgeschmuggelt«, antwortete Sandra.

»Und, haben Sie das?«, fragte Lettie amüsiert.

»Na klar«, sagte Sandra. »Und jetzt sitzt er angekettet bei mir im Keller. Ich werde ihn als Sexsklaven behalten, bis ich ihn satthabe.«

Meinhardt Sarazin rümpfte die Nase über ihren makabren Scherz, aber Lettie Boonstra sah Sandra an und lachte dann tief und herzlich. »Ich mag Sie. Los, erzählen Sie mir alles!«

Sie lehnten am Kühler des EcoSport. Cupido redete überstürzt, aufgeregt und schnell und berichtete Griessel in groben Zügen die wichtigsten Punkte seiner Unterhaltung mit Rolli Parker.

Als er fertig war, sagte Griessel: »Herrje!«, während sein Kopf arbeitete und er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Er musste seine Gedanken sortieren und solange den Boonstra-Fall beiseiteschieben.

»Also, Benna«, sagte Vaughn, »wenn ich das alles in einen logischen Zusammenhang bringe, dann denke ich: Silverton, oder? Ich meine, mit deiner AK47 und dem Smith & Wesson kann es doch gar nicht anders sein, stimmt’s?«

»Stimmt.«

»Und dann ist mir eingefallen, dass mich immer irgendetwas an der Nachricht von Milo April gestört hat, aber ich wusste nicht, was. Ich habe auf der ganzen Fahrt hierher darüber nachgedacht, und jetzt musst du mir sagen, was du von meiner Idee hältst. Denn weißt du, was ich mir jetzt so denke, ist wirklich gefährlich, Benna. Ich knüpfe Verbindungen und frage mich: Bin ich verrückt? Denn wenn das wahr ist, droht uns ein Shitstorm.«

»Okay«, sagte Griessel.

»Gehen wir erst noch mal zurück zu Milos Verlobter, Chriselda Plaatjies. Weißt du noch, wie wir über diesen Colonel sprachen, und sie sagte, sein Name erinnere sie an den Rugby-Trainer der WP-Mannschaft?«

»Ja, klar.«

»Ich habe ›John Dobson‹ gesagt, denn er ist Trainer der WP-Mannschaft, des Curry-Cup-Teams, der Western Province. Aber auf den Weg hierher ist mir etwas eingefallen, Benna. Angenommen, Chriselda kennt sich mit Rugby nicht besonders gut aus? Angenommen, sie weiß nicht, dass die WP-Mannschaft und die Stormers nicht dieselben sind? Sie spielen in einer Liga, der Western Province Rugby Union, aber es sind zwei verschiedene Mannschaften. Die Stormers sind das Superteam, und ihr Coach heißt Robbie Fleck!«

Griessel nickte nur, ohne zu wissen, worauf sein Kollege hinauswollte.

»Genau. Was mich wieder zu Milos Nachricht zurückbringt. Warum hat er an mich geschrieben: Wir haben einen Verräter in unseren Reihen, gahzie? Ich meine, er kennt mich nicht. Trotzdem schreibt er ›gahzie‹. Warum nicht ›bru‹ oder ›brother‹? So reden wir Farbigen miteinander, wenn wir keine dicken Freunde sind. Noch nie hat jemand mit einem niedrigeren Dienstgrad ›gahzie‹ zu mir gesagt, noch kein einziges Mal in meinen ganzen zwanzig Dienstjahren. Es gibt einen gewissen Respekt, auch wenn wir uns durch die Hautfarbe verbunden fühlen. Und da habe ich mir gedacht, vielleicht war das eine Botschaft, Benna.«

»Was für eine Botschaft?«

»Ein gahzie ist ein Kumpel, Benna. Ein Buddy.« Das letzte Wort betonte er.

Da dämmerte es Griessel, und als es begriff, fluchte er. »Scheiße!«

»Scheiße, allerdings. Buddie Falk. Fleck klingt so ähnlich wie Falk. Und wer ist der befehlshabende Oberst in Silverton?«

»Herrje!«, sagte Griessel.

»Einen Verräter in unseren Reihen, Benna. Das hat Milo gemeint. Blink Buddie Falk. Der Typ, den Callie de Bruin um zwei Millionen erpressen wollte. Dieser Scheißkerl von Buddie Falk.«

Griessel wusste sofort, welche Folgen das haben und wie sehr der Ruf SAPD darunter leiden würde. Schon wieder. »Wir müssen unbedingt mit Witkop Jansen reden.« Und dann wurde ihm plötzlich etwas klar, was schon die ganze Woche in seinem Hinterkopf herumgespukt hatte. »Und mit Mbali. Ich glaube … Nein, ich glaube nicht an Zufall …«

»Was ist, Benna?«

»Vaughn, wir müssen das erst noch mal besprechen, es ist einfach zu …«

»Benna, wie leben in einem verrückten Land. Solche Zufälle gibt es. Also, was ist?«

»Es ist nur, ich weiß nicht … Du weißt doch, was ich darüber gesagt habe, warum wir nicht nach Laingsburg geschickt worden sind? Ich habe gesagt, da will jemand irgendein Problem lösen, indem er uns nach Stellenbosch versetzt. Und damit meinte ich, dass es möglicherweise kein Zufall ist, dass wir hierhergeschickt wurden. Jemand hat uns aus einem bestimmten Grund auf diesem Posten gewollt.«

»Ja, und?«

»Witkop Jansen hat sich doch bitter darüber beklagt, wie schlampig das Waffenregister geführt wird. Und dann … Weißt du was? Ich glaube, dass Callie der Zufall ist. Ein verdammter Zufall, es kann eigentlich nicht sein. Vielleicht …«

»Partner, es tut mir leid, aber ich kann dir nicht folgen.«

»Ich verstehe es ja selbst noch nicht ganz. Als wir gestern Abend bei Mbali waren … Sie hat gesagt … Sie hat gesagt, dass der Commissioner, Khaba, nichts mit dem Smith & Wesson zu tun hätte, sie sei sich ganz sicher. Aber sie müsse uns etwas sagen. Ich glaube, sie wollte uns … Nein, Scheiße, Vaughn, wir müssen erst mit den anderen reden. Ich habe keine Lust, mich zum Affen zu machen.«

»Oh, ich mach das jeden Tag. Und ich glaube, Benna, wir stehen auf demselben Spielfeld, sehen aber nicht denselben Ball.«

»Ich bin hier fast fertig, danach komme ich mit dir. Wir müssen Mbali Bescheid sagen. Buddie Falk! Was für eine Scheiße!«

»Das kann ich dir sagen. Ein Shitstorm. Aber wie sieht’s eigentlich hier bei dir aus?«

»Ich glaube, ich weiß, was hier los ist. Würdest du mir mal kurz helfen? Du musst mal etwas für mich ausmessen.«

Sandra schwitzte. Die Angst drohte sie zu überwältigen.

Und wenn ich die Spurensicherung Ihr Auto auf Haare oder Kleidungsfasern von Boonstra untersuchen ließe?

Woher wusste er das? Woher?

Lettie Boonstra hatte offenbar Lust, mit ihr zu plaudern, sie war freundlich und sympathisch. Sandra musste sich konzentrieren und versuchen, das Hämmern ihres Herzens unter Kontrolle zu bringen. Ob sie ihr ansahen, wie angespannt sie war? Lettie und der Anwalt? Sarazin saß nur da und tippte auf dem Display seines Handys herum.

Lettie stellte ihr Fragen und reagierte jedes Mal begeistert auf ihre Antwort. Verheiratet? Kinder? Zwillinge? Ach, wie schön! Wie alt? Süß! Und was macht Ihr Mann? Ein Schriftsteller! Toll! Als Sandra vollkommen erschöpft war von der Anstrengung, ruhig und freundlich zu sein, fragte sie, ob es vielleicht ein Badezimmer gebe, das sie benutzen könne.

»Natürlich. Gleich um die Ecke, das Gästebad.« Sandra flüchtete, schloss die Tür hinter sich und überprüfte ihr Aussehen im Spiegel. Sie sah den Schweiß auf ihrer Stirn und auf ihrer Oberlippe; der Stress war ihr deutlich anzumerken. Was sollte sie bloß tun?

Sie fuhr sich mit einem kalten Waschlappen übers Gesicht. Dann stützte sie sich mit beiden Händen auf dem Waschbecken ab und ließ den Kopf hängen. Griessel würde Spuren von Jaspers DNA und Haare von ihm in ihrem Auto finden; sie hätte es zumindest staubsaugen müssen. Sie war eine Idiotin, aber sie hatte einfach keine Zeit dazu gehabt. Und wie hätte sie es Josef erklären sollen, wenn er entdeckt hätte, dass sie in der Garage ihr Auto staubsaugte? Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie gar nicht so weit gedacht. Oh, mein Gott! Ihr war danach zumute, zu weinen, zu schreien, sie wollte raus hier! Nur weg.

Sie sah es deutlich vor Augen: sie in einem orangefarbenen Overall vor Gericht, wie die Kriminellen im Fernsehen. Man führte sie in Handschellen ab.

Sie würde ihre Kinder niemals wiedersehen, und das war der einzige Halt, an den sie sich jetzt klammerte: ihre Kinder. Sie musste an Anke und Bianca denken. Sie musste jetzt stark sein, ihretwegen. Positiv denken. Dieser Ermittler hatte keinerlei Beweise. Nichts. Nur Vermutungen. Bestimmt dauerte es eine Weile, DNA-Proben zu nehmen und zu analysieren. Und wenn er etwas fand, konnte sie sich damit herausreden, dass Jasper ihr etwas geschenkt hatte. Wein. Eine Kiste von seinem Wein. Er hatte sie hinten in ihren Kofferraum geladen, und dabei waren Haare von ihm mit hineingeraten.

Griessel hatte nichts.

Außer Charlies Anruf. Charlie, dieses Schwein! Ein weiterer Grund, jetzt stark zu bleiben. Sie würde diesem widerlichen alten Lustmolch nicht die Genugtuung gönnen …

Allmählich beruhigte sich Sandra. Sie ging zur Toilette, wusch sich die Hände und stellte ihre Handtasche an den Rand des Waschbeckens. Dann tupfte sie sich vorsichtig den Schweiß ab und nahm sich die Zeit, sorgfältig ihr Make-up zu richten.

Dann kehrte sie ins Empfangszimmer zurück. Sie sah Lettie Boonstra und Meinhardt Sarazin an der Haustür stehen, bei dem Ermittler und einem farbigen Mann, der wesentlich attraktiver und jünger war als Griessel, etwas größer und leicht übergewichtig.

»Ich lasse es Sie wissen, wenn ich Sie noch einmal brauche«, sagte Griessel gerade zu Sarazin und Lettie Boonstra. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«

Als Lettie Sandra sah, sagte sie zum Abschied: »Es war sehr nett, Sie kennenzulernen. Ich bin sicher, dass wir uns noch einmal treffen und ausführlicher unterhalten.« Dann winkte sie ihr zu und beide gingen hinaus, der Anwalt und die freundliche Spießerin in Jeans und Turnschuhen.

»Brauchen Sie mich noch?«, fragte Sandra Griessel. Ihr fiel auf, dass der farbige Mann sie intensiv beobachtete.

»Noch einen Augenblick, bitte«, sagte Griessel.

Wieder krampfte sich ihr Magen zusammen. »Natürlich«, sagte sie.

Sie setzte sich, und er tippte eine Nummer in sein Handy.

Sie hörte, wie er zu jemandem sagte: »Erin … Ich habe mir überlegt … Könntest du mir einen Gefallen tun? Ich muss mit Vaughn zusammen zur Wache. Könntest du bitte für mich vorne zur Security gehen …« Sandra sah jetzt, wie beide Ermittler sie anschauten, »… und dir die Aufnahmen von gestern noch einmal ansehen. Um neun und um zwölf ist ein Ford EcoSport zum Tor hinein- und dann wieder herausgefahren. Schau doch bitte für mich nach, ob du erkennen kannst, ob das Fahrzeug bei der Ausfahrt tiefer lag, also schwerer war als vorher. Und lass die Aufnahmen zur SpuSi schicken.«

Sandra war wie gelähmt.

Griessel und Cupido sahen Sandra Steenberg nach, als sie in ihrem EcoSport davonfuhr.

»Benna, die ist so heiß, ich hätte fast einen Hitzschlag gekriegt! Wieso hast du mich nicht gewarnt?«

»Ich habe gedacht, du und Desiree, ihr wärt …«

»Partner, ich bin ein One-Woman-Man, ich sag ja nur. Am liebsten würde ich die Feuerwehr rufen, so heiß ist die. Also, wenn ich Milliardär wäre, dann hätte ich mir auch Sie ausgesucht, um mein Weingut zu verkaufen.«

Sie gingen zum Auto. »Ist dir auch aufgefallen, wie sie geschwitzt hat?«, fragte Griessel.

»Weil sie so heiß ist! Entschuldige, Benna, war ein blöder Witz. Auf mich hat sie ziemlich gefasst gewirkt, aber ich war ja auch nicht ganz bei der Sache. Und du glaubst, sie hätte Boonstra im Auto rausgeschmuggelt?«

»Das ist so ungefähr die einzige Möglichkeit, die mir noch einfällt. Ich glaube, er hat sie dafür bezahlt, dass sie es gemacht hat. Aus dem Haus fehlt nichts als eine Reisetasche aus seinem Schlafzimmer und dazu Boonstras Pass, sein Ausweis und eine Kladde, in der er über seine krummen Geschäfte Buch geführt hat.«

»Aber das ist kein Gesetzesverstoß, Benna. Der Mann ist bisher nicht mal offiziell angeklagt.«

»Das ist ja das Blöde. Wir verschwenden hier unsere Zeit, während wir eigentlich nach Callie de Bruin suchen müssten.«

»Du hast recht. Übrigens habe ich, was Callie angeht, ein ganz mieses Gefühl, Benna.«

»Ich weiß … Lass uns jetzt erst mal mit Witkop Jansen über Buddie Falk reden. Und wir müssen Mbali anrufen.«

»Yebo, yes«, sagte Cupido und holte sein Handy heraus. »So was von heiß«, murmelte er, während er anrief. »Da schlagen alle Rauchmelder an.«

Natürlich würde man erkennen, dass sie etwas im Kofferraum gehabt hatte. Und dafür gab es eine einfache Erklärung: Jasper Boonstra hatte ihr eine Kiste Wein geschenkt. Zwei Kisten. Drei?

Sandra fuhr, ohne eine Ahnung zu haben, wohin. In Richtung Stadt. Ihre Gedanken wollten sich einfach nicht in geordnete Bahnen lenken lassen.

Und wo ist der Wein jetzt? Zeigen Sie ihn mir.

Sie hatte ihn verschenkt.

Nein.

Sie könnte jetzt, unterwegs, Wein kaufen. Ihn ins Büro stellen. Hier ist er, Leutnant Griessel. Den hat Jasper mir geschenkt.

Sie betete, zum ersten Mal seit Jahren. Hilf mir, o Herr!

Sie sah Callie de Bruins Gesicht an einem Laternenpfahl.

Ihr Gewissen sagte ihr, dass sie nicht einerseits um Hilfe beten und andererseits verschweigen konnte, dass sie möglicherweise etwas über diesen verschwundenen jungen Mann wusste.

Aber was? Doch wenn sie jetzt Griessel anrief und ihm sagte, sie wüsste, wo Callie ist … Das würde zu viele Fragen aufwerfen. Warum sagte sie das jetzt erst? Ach, das war also, kurz nachdem Sie Boonstra verlassen hatten? Was haben Sie in dem Haus in der Brandwachtstraat gemacht?

Sie musste etwas unternehmen.

Ein anonymer Anruf.

Die Polizei speicherte garantiert alle Gespräche, und sie konnten heutzutage jede Telefonnummer zurückverfolgen.

Sie würde ein anderes Telefon verwenden müssen als ihr eigenes. Und bei der Universität anrufen.

Heute Morgen in den Eikestadnuus war eine Universitätsnummer aufgeführt worden, bei der man ebenfalls anrufen konnte, wenn man Hinweise auf Callies Verbleib hatte.

Zur Linken tauchte das Hotel Lanzerac auf.

Wenn sie von dort aus anriefe … Gegenüber den Leuten dort konnte sie behaupten, ihr Handy sei gestohlen worden und fragen, ob sie deren Telefon benutzen dürfe, sie würde auch für den Anruf bezahlen.

Ja, das würde sie machen! Das war die Lösung!

Am Telefon erzählte Cupido Mbali Kaleni alles, was er wusste.

»Hayi!«, stieß sie hervor.

»Yebo, Colonel«, pflichtete er ihr bei.

»Was wollen Sie jetzt unternehmen?«, fragte sie.

»Wir müssen Colonel Jansen informieren.«

»Wir treffen uns bei ihm.« Sie legte auf.

Es dauerte einen Moment, bis Cupido begriff, dass niemand mehr in der Leitung war. »Das ist der Hammer, Benna«, sagte er. »Wir treffen uns bei ihm, sagte die Blume und legte auf.«

»Sie weiß etwas, Vaughn«, sagte Griessel. »Ich glaube nicht an Zufälle.«

»Es gibt sie aber, Benna. Das ist so wie mit den schwarzen Schwänen; sag nicht, es gibt sie nicht, nur weil du sie noch nie gesehen hast.« Da klingelte sein Handy. Eine unbekannte Nummer. Er meldete sich.

»Vaughn, hier ist Rowen Geneke«, sagte ihr Vorgesetzter. »Oberstleutnant Witkop hat uns gebeten, die Liste der Fahrzeugkennzeichen, die wir von der Campus-Security bekommen haben, durch die Verkehrsdatenbank zu schicken.«

»Richtig, Cappie, die Autos, die am Freitagabend am Wohnheim von Callie de Bruin vorbeigefahren sind.«

»Ich weiß. Ich habe die Liste hier. Kann ich sie euch vorbeibringen?«

»Vielen Dank, aber wir sind noch auf dem Weg zurück zur Wache.« Dann gab Cupido einen Schuss ins Blaue ab: »Cappie, nur so aus Interesse, da steht nicht zufällig ein Falk auf eurer Liste?«

»Komisch, dass du das fragst«, antwortete Geneke. »Der einzige Mietwagen, den wir haben. Ein Chevrolet Spark. Freitag, von Thrifty Car Rentals am Capetown International Airport. Ein Mister Christoffel Lodewyk Falk. Aus Pretoria.«

»Bingo«, sagte Cupido. »Bin-fucking-go! Cappie, ich muss Sie um einen großen Gefallen bitten. Können wir eine Fahndung nach diesem Fahrzeug einleiten? Und zwar unverzüglich?«

Oberstleutnant Witkop Jansen bedeutete ihnen, ihm gegenüber Platz zu nehmen, und sagte dann: »Ich habe Kaptein Geneke gebeten, mit der Fahndung nach Falks Mietwagen noch zu warten.«

Cupido war wie vor den Kopf geschlagen. »Aber warum denn, Oberstleutnant?«

»Setzen Sie sich erst mal, dann warten wir auf Kaleni. Berichten Sie mir in der Zwischenzeit, wie weit Sie in dem Boonstra-Fall gekommen sind.«

»Oberstleutnant, bei allem Respekt, aber wir müssen Buddie Falk suchen: Er muss wissen, wo Callie de Bruin steckt! Unser Problem ist: Wenn wir Silverton anrufen, schöpfen die Kollegen dort Verdacht. Denn ich glaube nicht, dass Oberst F allein dahintersteckt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er irgendwelche Datenbanken manipulieren konnte, weder IBUS noch das Waffenregister. Er brauchte dafür einen Computerspezialisten, und ich geh mal davon aus, dass es die da oben scharenweise gibt.«

»Oberstleutnant Kaleni hat bereits in Silverton angerufen, um mit Falk zu reden. Man hat ihr gesagt, er habe Urlaub eingereicht. Sie wissen nicht, wo er ist.«

»Da haben wir’s! Umso mehr Gründe, nach ihm zu suchen.«

»Nein. Wir warten auf Oberstleutnant Kaleni. Der Boonstra-Fall …« Jansen sah Griessel an.

Griessel berichtete: »Gestern Vormittag war eine Immobilienmaklerin namens Sandra Steenberg bei Boonstra, drei Stunden lang. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sie ihn hinausgeschmuggelt hat. Die einzige Möglichkeit, wie wir das beweisen können, sind die Aufnahmen der Überwachungskameras von ihrem Auto während ihrer Ein- und Ausfahrt. Wir müssen kontrollieren, wie tief ihr Wagen in den Federn hing. Sergeant Riddles kümmert sich gerade darum, aber wir werden die Kollegen von der KTU bitten müssen, das für uns zu überprüfen. Ich weiß, die Beweislage ist ein bisschen dünn, aber mehr haben wir zurzeit nicht.«

»Was glauben Sie, wo er ist?«

»Boonstras Anwalt hat bestätigt, dass er Immobilien auf den Markt gebracht hat, und seine Frau hat gesagt, dass er vorhatte, das Land zu verlassen. Sieht so aus, als könnte sie recht haben. Sein Pass ist weg – und ein Buch, das Informationen über all seine Vermögenswerte enthält.«

»Verdammt!«, fluchte Witkop Jansen. »Man wird uns kreuzigen. Dafür, dass er noch nicht vor Gericht gestellt wurde.«

»Sie werden uns kreuzigen, wenn dieses Buddie-Falk-Schlamassel rauskommt, Oberstleutnant.«

Jansen seufzte tief und rieb sich über den Schnurrbart. »Ich weiß.«

»Oberstleutnant, können Sie uns sagen, warum wir auf die Blume … Auf Oberstleutnant Kaleni warten?«

Griessels Handy klingelte.

»Wir werden es Ihnen erklären, sobald sie hier ist«, versprach Jansen.

Bennies Display zeigte, dass es Erin Riddles war. Er stand auf, während er sich meldete, und ging hinaus.

»Auf dem Video sieht es aus, als ob das Auto beim Rausfahren etwas tiefer gehangen hätte«, sagte sie.

»Wie deutlich ist das erkennbar?«

»Das Video vom Tor ist nicht besonders gut, aber dann habe ich mir noch die Aufnahmen der Garagenkameras angesehen. Das Auto war näher dran, und man kann sehr gut erkennen, dass es tiefer hing, als die Maklerin rückwärts rausfuhr.«

»Danke, Erin, gute Arbeit!«

»Sollen wir die Hunde trotzdem weiter die Farm absuchen lassen?«

»Ja, aber nur, um ganz sicherzugehen. Das wird zumindest die Presse eine Weile beschäftigen.«

Griessel sah Mbali Kaleni die Treppe heraufkommen, eilig und keuchend. »Ich muss jetzt leider auflegen, Erin, ich melde mich später noch mal.«

»Ich wollte Ihnen das schon gestern Abend erzählen«, sagte Kaleni, als sie zu viert um Jansens Schreibtisch saßen. »Aber dann kam diese Sache mit Boonstra. Also, Sie sind nicht zufällig nach Stellenbosch versetzt worden. Vielleicht sollten Sie alles von Anfang an erzählen, Witkop«, sagte sie.

»Kann ich Afrikaans sprechen? Sie wissen ja, mein Englisch taugt nur zur Selbstverteidigung.«

»Selbstverständlich.«

Witkop Jansen lehnte sich nach vorn, rieb sich den Schnauzer und sagte: »Der erste Einbruch geschah vor achtzehn Monaten hier in Mostertsdrift, und es wurden ausschließlich Waffen gestohlen. Der Besitzer ist Jäger und Waffennarr; die Einbrecher haben drei Pistolen und sieben Jagdwaffen mitgenommen. Sie wussten genau, wo der Gewehrschrank stand und wie sie in aufkriegten. Das waren Profis, blitzschnell rein und wieder raus. Die Überwachungskameras haben fünf Männer gezeigt, bewaffnet und alle mit Sturmhauben vermummt. Vier Wochen später genau dasselbe: vermummte Einbrecher, morgens, als niemand zu Hause war, die Waffen geholt, rein und raus. Die Einbrecher haben nie dasselbe Fahrzeug benutzt; aber es war immer ein gestohlener Wagen mit falschen Kennzeichen. Ein weiterer Einbruch wurde vereitelt, bei einem Anästhesisten hier in Dalsig, der zufällig zu Hause war. Die Männer sind geflüchtet. Aber es gab noch fünf weitere Einbrüche in verschiedenen Vierteln von Stellenbosch, und soweit wir feststellen konnten, kannten sich die Einbrecher mit dem Überwachungssystem überall in Privathäusern in Stellenbosch und Umgebung gut aus. Nach dem fünften Bruch war ich ziemlich sicher, dass irgendjemand das Syndikat mit Informationen aus dem Feuerwaffenregister fütterte, denn die Einbrecher machten keine Fehler; jedes Mal brachen sie in ein Haus mit mindestens vier Feuerwaffen ein, und der Modus Operandi war jedes Mal derselbe. Ich hatte die starke Vermutung, dass ein Mitglied der Polizei darin verwickelt war, entweder hier bei mir oder auf der Wache in der Innenstadt. Ich habe daraufhin überprüft, wer alles einen Zugang zu den Datenbanken hat, aber dann hörten die Einbrüche genauso plötzlich auf, wie sie begonnen hatten. Ich musste mich auf andere Fälle konzentrieren und habe die Sache erst einmal ruhen lassen. Dann, im Januar, waren wir auf einem Seminar am Kap, und der Kripochef aus Durbanville erzählte, dass bei ihnen genau dasselbe passierte. Einbrüche auf mehreren Weingütern, knapp außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs, und in ein paar Wohnhäuser. Jedes Mal nur dort, wo mehrere Waffen zu holen waren. Als hätte jemand gewusst, dass es sicherer war, sich für eine Weile nicht in Stellenbosch blicken zu lassen, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Und an diesem Punkt habe ich mich an Oberstleutnant Kaleni gewandt.« Mit einem Nicken bedeutete er ihr, dass sie weitererzählen solle.

»Wie Sie sich sicher vorstellen können, habe ich die Angelegenheit sehr ernst genommen«, sagte Mbali. »Einer unserer Kollegen, der Informationen an die Syndikate weitergibt! Deswegen habe ich angefangen, die Statistiken im Auge zu behalten. Im Mai ist dieselbe Sache im Distrikt Paarl passiert, also wiederum knapp außerhalb des Zuständigkeitsbereichs von Stellenbosch, als sei man ganz gezielt so vorgegangen. Ich habe Sergeant Reginald Davids mit Nachforschungen beauftragt, weil ich wissen wollte, ob wir feststellen konnten, wer von den Computern der Polizei Stellenbosch aus Zugang zum Waffenregister hat. Davids meinte, es sei wesentlich leichter, wenn wir mit den Systemadministratoren der Datenbank zusammenarbeiten würden, aber ich wollte zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass irgendjemand Bescheid wusste. Also musste es Sergeant Davids auf die harte und langsame Tour versuchen. Ich verstehe die technischen Einzelheiten nicht, aber das Problem war, dass er mir nichts weiter sagen konnte, als dass der Zugriff tatsächlich von Stellenbosch aus erfolgte. Näheres konnte er nicht in Erfahrung bringen, ohne die Datenbankleute mit einzubeziehen. Witkop und ich glaubten immer noch, es sei ein Mitglied der Kripo Stellenbosch, doch wir wussten nicht, wem wir trauen konnten und wem nicht. Es hätte jeder sein können. Als ich dann hörte, dass der Commissioner Sie beide nach Laingsburg schicken wollte, war das meine Chance. Jeder wusste, dass Sie eine Disziplinarstrafe erhielten, daher würde es die Hacker nicht misstrauisch machen, dass zwei Ex-Hawks hierhergeschickt wurden. Ich wusste, dass wir Ihnen vertrauen können, und wir wollten, dass Sie sich die ganze Sache einmal ansahen. Witkop und ich hatten eigentlich vor, zu warten, bis Sie sich ein wenig eingewöhnt hatten, und Sie dann auf den Fall anzusetzen. Doch dann verschwand dieser Student …«

»Wie haben Sie es geschafft, den Commissioner dazu zu überreden, uns hierherzuschicken, Oberstleutnant?«, fragte Cupido. »Er schien extrem angep…, ich meine, wütend auf uns zu sein.«

»Leicht war das nicht. Aber ich habe ihm versprochen, dass wir, wenn wir den Hacker in unseren Reihen erwischen würden, die Sache intern und unauffällig regeln würden. Die Alternative war, es an die große Glocke zu hängen, was ein sehr schlechtes Licht auf Khabas Provinz und sein Kommando geworfen hätte. Und das ist das Einzige, was unser Commissioner auf den Tod nicht leiden kann: etwas, was ihn in den Augen des Präsidenten schlecht dastehen lässt.«

Stirnrunzelnd fragte Griessel: »Also war es wirklich nichts als Zufall, Oberstleutnant, dass Callie einen Tag vor unserer Ankunft entführt wurde?«

»In der Tat.«

Griessel schüttelte den Kopf. »Ich glaub’s einfach nicht.«

»Ein schwarzer Schwan, Partner, das Leben ist chaotisch«, bemerkte Vaughn.

»Das erste Mal seit zwanzig Jahren«, sinnierte Griessel.

Cupidos Handy klingelte. Es war Veronica Adams von der Campus-Security. Zunächst drückte er sie weg. »Sorry«, sagte er.

»Sehen Sie es doch mal so, Bennie«, fuhr Kaleni fort. »Wir haben endlich mal ein bisschen Glück. Witkop hat sich seit achtzehn Monaten mit diesem Problem befasst, Sergeant Davids und ich tun es seit fast sechs Monaten, und die Einbrüche hören einfach nicht auf. Endlich kommen wir der Lösung dieses Falls näher.«

»Verstehe, Colonel, aber warum rufen wir keine Fahndung nach Buddie Falk aus? Der Student könnte vielleicht noch leben.«

»Warum wir keine Fahndung ausrufen? Überlegen wir mal. Sie haben Witkop erzählt, dass Sie glauben, Oberst Falk sei nicht der einzige Kollege in Silverton, der an der Sache beteiligt ist. Das bedeutet, wenn wir eine Fahndung einleiten, ist es sehr wahrscheinlich, dass Falk gewarnt wird. Wenn der Junge noch lebt, würde ihn das in große Gefahr bringen. Außerdem wissen wir, wie schnell die Presse Wind von so etwas bekommt. Und wir haben schon einen Zirkus in der Stadt … Und drittens musste ich, um zu verhindern, dass Sie nach Laingsburg geschickt wurden, Commissioner Khaba versprechen, diskret vorzugehen. Ich habe vor, dieses Versprechen so weit wie möglich zu halten«

»Das verstehe natürlich, Colonel, ehrlich. Aber es gibt noch etwas anderes, das mir sehr große Sorgen bereitet.«

»Und das wäre, Leutnant?«

»Der Kerl, der in Callie de Bruins Wohnheim und in sein Zimmer eingedrungen ist, ist ein Mitglied der Trojaner, der Gangster aus Elsie River. Der Smith & Wesson, den Milo April konfisziert und nach Silverton geschickt hat, stammte von den Restless Ravens – einer anderen Cape-Flats-Gang. Bennie glaubt nicht an Zufälle, und meistens hat er recht. Für mich sieht es so aus, als ob Buddie Falk konfiszierte Waffen an die Gangs aus den Ebenen verkauft hat. Und dass er ihre Mitglieder dazu benutzt hat, ihm bei der Entführung von Callie de Bruin zu helfen. Wobei Callie laut Roland Parker gewisse Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hat. Parker hat sie als ›Datenbomben‹ bezeichnet. Vielleicht enthalten sie Informationen, die die ganze Sache ans Licht bringen, falls ihm etwas passiert. Deshalb hat Falk ein Mitglied der Trojaner in Callies Zimmer geschickt. Um seine Festplatte zu klauen, weil sie glaubten, keine Festplatte, keine Datenbombe, oder so ähnlich.«

»Verstehe«, sagte Kaleni nachdenklich.

Cupido hörte, dass er eine WhatsApp erhielt, sah sie sich aber nicht an. Er sagte: »Deswegen müssen wir Falk sehr, sehr schnell finden, Colonel. Weil die Gangs Callie, ohne mit der Wimper zu zucken, umbringen werden.«

Kaleni nickte gemessen. »Besorgen wir uns eine 205, um Falks Handy zu überprüfen«, sagte sie. »Versuchen Sie, ihn zu orten. Witkop, wie sieht es mit den Überwachungskameras in Stellenbosch aus? Könnten die uns etwas nutzen?«

»Könnte sein«, sagte Jansen schulterzuckend.

»Callies letzter bekannter Aufenthaltsort war Paradyskloof«, sagte Griessel. »Wenn es dort Kameras gibt …«

»Die Nachbarschafts-Security hat Kameras«, sagte Witkop Jansen. »Sie arbeitet mit den privaten Sicherheitsdiensten zusammen. Es könnte sich lohnen, sich ihr Material einmal anzusehen.«

Sandra fuhr zum Tops–Spirituosenladen im Einkaufszentrum Die Boord, um dort Wein von Jasper Boonstra zu kaufen. Als Beweis, falls dieser Leutnant Griessel Spuren von Jasper in ihrem Auto fand.

Sie hatte vom Lanzerac-Hotel aus bei der Campus-Security der Universität angerufen, außer Atem und ängstlich, ohne Einleitung, denn in ihrer Stimme kanalisierten sich in dem Moment all ihre Befürchtungen. Sie hatte improvisiert. Das musste sie, um die Aufmerksamkeit von dem Haus der Schoemans in der Brandwachtstraat abzulenken, das sie verkaufen wollte. Sie hatte behauptet, sie sei am Freitagabend durch diese Straße gefahren und habe dabei zwei Männer gesehen, die Callie de Bruin aus einem Auto gezerrt hätten. Ja, ja, sie sei sich ganz sicher, dass es sich um den jungen Mann handelte, sie habe sein Gesicht deutlich gesehen, als er aus dem Auto geschleift wurde, mit dem die Männer vorgefahren waren. Sie war ganz dicht an ihnen vorbeigekommen. Heute Morgen hätte sie die Plakate mit seinem Foto gesehen, und deswegen rufe sie jetzt erst an, denn man wolle sich ja nicht einfach in irgendetwas einmischen, aber als sie dann dieses Gesicht gesehen habe … Ja, sie sei sich ganz sicher.

Sandra hatte dreimal deutlich den Straßennamen und die Hausnummer genannt. Dann legte sie auf, bevor man sie fragen konnte, wer sie war, und fuhr schnell weg.

Sie stieg aus dem Auto und ging auf den Spirituosenladen zu.

Ihr Handy klingelte. Eine unbekannte Nummer.

»Hallo, hier ist Sandra.«

»Hallo, Sandra, hier ist Lettie Boonstra. Ich möchte Sie gerne ins ›Decameron‹ zum Essen einladen.«

»Gerne, wann denn?«

»Jetzt gleich.«

»Oh, vielen Dank, aber das geht leider nicht.«

»Ich glaube schon, dass das geht, Sandra. Wissen Sie, ich weiß über Sie und Jasper Bescheid. Und über das, was gestern Morgen auf der Treppe passiert ist.«