Tischlergeselle
An Liams sechzehntem Geburtstag geht Willow mit ihm in ein richtiges Restaurant. »Wir müssen mal ernsthaft über deine Zukunft reden«, sagt sie, während er sie über das Steak, das er nur bestellt hat, um sie zu ärgern, hinweg skeptisch ansieht. »Du willst ja nicht ewig mit mir rumzockeln, oder?«
Seine Mutter hat immer gehofft, dass er Künstler wird, ein Naturdichter oder ein Hippie-Mystiker wie der großäugige Mann, mit dem sie zusammen ist. Oder besser noch ein funkensprühender Akademiker: ein marxistischer Soziologie-Professor oder ein bärtiger Baumbiologe oder am besten ein wild entschlossener Anwalt für Umweltrecht, der sein Leben für unentgeltliche Auseinandersetzungen mit Holzfällerkonglomeraten und großen Ölfirmen aufopfert. Aber Liam hat sich nie für Politik interessiert. Oder für Kunst. Oder für nichtgegenständliche Überlegungen. Von Kindesbeinen an hat er Arbeiter bewundert, vor allem solche, die von ihrer eigenen Arbeit leben können wie sein Großvater Harris und seine Großtante Temple. Liam hat überlegt, Holzfäller zu werden, nur um Willow wütend zu machen, aber er weiß, dass die Fäll- und Zusammenrückmaschinen heutzutage die ganze Arbeit machen und ein Wald gerodet werden kann, ohne dass irgendjemand auch nur Hand an ein Stück Rinde legt. Als Liam ihr von seinen Plänen berichtet, bei einem Schreinermeister in die Lehre zu gehen und entsprechende Kurse an der Volkshochschule zu belegen, entgleisen Willows Gesichtszüge, und sie lässt die Rechnung kommen.
»Ich kapiere einfach nicht, wieso du glaubst, so eine Arbeiteridentität annehmen zu müssen«, sagt seine Mutter, als er zwei Monate später im Schein der Taschenlampe noch die örtlichen Bauverordnungen studiert, nachdem sie sich schon hingelegt haben.
»Ich muss einfach arbeiten , Willow«, sagt er erschöpft. »Was hat das denn mit irgendeiner ›angenommenen Identität‹ zu tun?«
»Es gibt viele Arten von Arbeit, weißt du?«, sagt sie. »Was ich mache, ist auch Arbeit. Wichtige Arbeit. Vielleicht die wichtigste überhaupt.«
»Wenn du es Arbeit nennen willst, anderen ihre Lebensgrundlage zu zerstören«, erwidert er und schaltet die Taschenlampe aus, »dann bist du wirklich sehr fleißig.«
Mit achtzehn erwirbt Liam seine Lizenz, least einen großen Pick-up und gründet eine eigene Firma zum Einbau von Oberlichtern, die von Beginn an gut läuft. Innerhalb eines Jahres installiert er in ganz British Columbia Oberlichter. Er expandiert, stellt Männer ein, die doppelt so alt sind wie er, kauft Lieferwagen und kleidet sie mit Schubfächern voller erstklassiger deutscher Elektrowerkzeuge aus. Mit zweiundzwanzig kauft er ein Haus mit sechs Zimmern in einem Vorort von Vancouver namens Langley, löchert die Decken mit Oberlichtern und baut im Garten hinter dem Haus einen Grill von der Größe eines Sargs auf.
Zu Liams Glück gibt es nicht viele Firmen, die Oberlichter einbauen, weil die Versicherungssummen unglaublich hoch sind. Tatsächlich werden alle Oberlichter irgendwann undicht. Über einen Zeitraum von zwei Jahren erledigt Liam fünfhundert Aufträge im Handumdrehen und legt eine Spur undichter – oder bald undicht werdender – Einbauten durch die Provinz. Aber wenn Willow ihm sonst nichts beigebracht hat, dann doch immerhin, wie man sich Schwierigkeiten entzieht, indem man einfach davonfährt und nie zurückschaut. Als Liam sich die Rotatorenmanschette anreißt und sich nicht einmal ein paar Tage freinimmt, um die Verletzung ausheilen zu lassen, bekommt er von einem der alten, an Blessuren gewöhnten Arbeiter etwas Oxycodon.
Vielleicht ist es ein Teil von Willows finsterem Erbe, aber in seinen Neurorezeptoren hat immer eine brennende Gier gesteckt, eine Schwäche für chemische Verzückung und, schlimmer noch, die Wiederholung dieser Verzückung. Als Erstes kamen die zuckerhaltigen Getränke der großen Firmen, die seine Mutter auf den Index setzte. Er stahl sie während der Tankstopps und trank sie auf der Weiterfahrt. Dann ihr Gras, das sie ihm bereitwillig anbot, als er das reife Alter von dreizehn Jahren erreicht hatte. Dann kurzzeitig Zigaretten und Alkohol, was sie beides verurteilte, obwohl sie selbst reichlich Gebrauch davon machte. Nichts aber war mit dem wunderbaren Zergehen einer Oxy in seinem Magen zu vergleichen, deren Wärme sich in ihm ausbreitete und ihm ein Gefühl des Trostes und der Vergebung gab, wie er es noch nie erlebt hatte. Es ist wie Liebe. Oder so, wie Liebe sich angeblich anfühlen soll, ohne es je wirklich zu tun. Bald nimmt Liam mehrere Tabletten am Tag und arbeitet achtzig Stunden in der Woche ohne irgendwelche Beschwerden.
Doch als die Schadenssachbearbeiter ihn schließlich zu fassen bekommen und sein Haus, seine Lieferwagenflotte und seine sämtlichen Werkzeuge beschlagnahmen, kippt Liam in die Abwärtsspirale einer zügellosen Abhängigkeit, die sich wie ein Waldbrand durch seine verbliebenen Ersparnisse frisst. Nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt wegen Drogenbesitz zieht Liam suchtkrank und pleite wieder im VW-Bus ein. Willow ist inzwischen Anfang sechzig und hat sich auf harmlosere Arten von Aktivismus verlagert: Sie druckt im Copyshop Pamphlete und stößt E-Mail-Kampagnen an. Sie fährt mit Liam zu einer ihrer Feenfarmen hinaus, und in der ersten Woche seines Entzugs ist er stumm vor Scham. Glücklicherweise verliert sie kein Wort über ihre vorangegangenen Warnungen vor den Fallstricken des Kapitalismus und der freien Marktwirtschaft sowie seiner unklugen Berufswahl.
Zur Zerstreuung spielt sie ihm einige alte Platten vor, auf denen ein Mann Gedichte rezitiert. »Die haben deinem Großvater gehört«, sagt sie mit uncharakteristischem Ernst. »Ich habe sie schon seit Jahren, aber ich habe sie nie laufen lassen, als du klein warst.« Auch wenn er die Gedichte größtenteils nicht versteht, beruhigt der einlullende Rhythmus der Stimme seine zerfetzten Nerven, und mit der Zeit wird Liam das Leben von einem Augenblick zum anderen beinahe erträglich. Nach einem Monat mit Willows Brennnesseltee, ihren Kichererbsen, ihrer Sojamilch, ihren Sandelholzräucherstäbchen, ihren nichtssagenden Hippie-Weisheiten, ihren Gedichtschallplatten und vor allem den vielen erholsamen inmitten der Bäume verbrachten Abenden ist Liam wieder er selbst. Als er ausreichend gestärkt ist, gehen sie Pfifferlinge sammeln und verdienen genug Geld, um ihm ein Paar Stiefel mit Stahlkappen und ein gutes Maßband zu kaufen, und er schließt sich einer Gruppe von Bauarbeitern an, die in Vancouver Fundamente für Bungalows legen. Es ist eine erniedrigende Arbeit, der unterste Höllenkreis des Zimmerhandwerks: fünf Tage in der Woche durch Schlamm waten und Gerüste zusammenhämmern, die ohnehin wieder eingerissen werden, sobald der Zement ausgehärtet ist, die Finger und Zehen durchgehend verschrumpelt wie die eines Kindes, das ewig in der Badewanne sitzt. Alles nur, um Glastürme mit tausend Designerschränken im Inneren hochzuziehen, die weit außer Liams finanzieller Reichweite liegen.
Dennoch hat die heimliche Schwäche seiner Mutter für Luxus einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und die Jungs auf der Baustelle johlen, wenn Liam mit seinem mit Brie belegten Baguette für zehn Dollar aus dem schicken Bistro zurückkommt. Jedenfalls so lange, bis der Eigentümer des Bistros an Liam Gefallen findet und ihn anheuert, um ihm einen Tresen aus wiedergewonnenem Holz zu fertigen. Nach der Arbeit läuft Liam panisch in die öffentliche Bibliothek, wo er die Nase in jedes Buch über Holzbearbeitung steckt. Das beste dieser Bücher stammt von George Nakashima, einem Meister seines Fachs, der in den Wäldern um Spokane herum aufgewachsen ist, wo auch Liam als Junge einige Zeit verbracht hat. Liam beschließt, einfach Nakashimas Entwürfe abzukupfern, und stürzt sich in die Arbeit. Als Erstes schleppt er mit Willows Bus illegal ein Stück einer umgefallenen Altholztanne aus dem Stanley Park. Bei Nakashima stößt Liam zum ersten Mal auf die Idee, seine Bretter zu »stürzen«, indem er zwei unmittelbar nacheinander aus demselben Baumstamm gesägte Bretter nimmt und die beiden nahezu identischen Stücke dann spiegelverkehrt aneinanderlegt, um den fast unheimlichen Effekt eines aufgeschlagenen Buchs zu erzielen.
Nachdem er die mit Baumkante gesäumten Bretter durch Schwalbenschwanzkeile verbunden sowie mehrere Schichten Tungöl und zwei Lagen Polyurethan aufgetragen hat, leuchten die Maserung, die Knoten und die honiggoldenen Holzfasern lebendig wie ein Sonnensystem, das jahrhundertelang in dem Holz eingefroren war und nun zum Vorschein kommt. Es ist ein Stück fragiler und doch bombensicherer Schönheit, und der Bistrobesitzer behauptet, seit dem Einbau habe sich die Zahl seiner Gäste verdoppelt. Ein paar Designgrößen sehen sich Liams Werk an, und einen Monat später hat er eine eigene Wohnung und die Fundamentarbeit an den Nagel gehängt, um sich ganz der Holzverarbeitung zu widmen. Er gestaltet Restaurants, Brauhäuser und Cafés neu, täfelt sie mit Brettern von altem Holz, das im Wald unbeachtet herumlag. Er zahlt seine Einkünfte auf ein Konto ein, auf das er ohne Zustimmung seiner Mutter keinen Zugriff hat, und erstickt jede Gefahr eines Rückfalls durch unablässige Arbeit im Keim.
Bald darauf lässt ihn eine Gruppe von Investoren nach New York einfliegen, um ein beliebtes Café im Stadtteil Park Slope zu renovieren. Bei der Arbeit hört er die jungen Stammgäste über ihre Studentendarlehen, ihre scheiternden Indie-Bands, ihre nutzlosen Ph. D.s und ihre unbezahlten Praktika klagen, und mit achtundzwanzig fühlt Liam sich schon uralt, wie ein sagenumwobenes Waldgeschöpf, das sich in eine Großstadt verirrt hat. Die Angestellten des Cafés wirken mit ihren altmodischen Segeltuchschürzen, leinenen Arbeitshemden, sorgfältig abgetragenen Stiefeln und nach biologischem Glättserum duftenden Bärten, als wären sie soeben einem Steinbeck-Roman entstiegen. Aber Liam schaut nicht auf sie herab. Es sind harte Zeiten. Nicht so hart wie in den Dreißigern, als seine Großtante Temple auf ihrer Farm eine Suppenküche betrieben hat, aber auf eine andere Weise hart, selbst an einem wohlhabenden Ort wie New York. Und in harten Zeiten sehnen sich die Menschen nach dem Trost anderer harter Zeiten, ganz gleich ob diese in der Vergangenheit oder einer imaginären zerstörten Zukunft liegen, um das Leiden an der Gegenwart zu lindern, in der sie feststecken. Er ist kein Experte, aber seiner Meinung nach hat Willows Generation diesen jungen Leuten nur noch Brosamen übriggelassen, und hätte Liam kein Gewerbe und wäre er kein geborener Greenwood, durch dessen Adern Baumsaft fließt, dann wäre er ebenso verloren wie sie.
Nach dem Café bekommt er den Auftrag, Konferenztische mit gestürzten Platten für verschiedene Firmensitze in Manhattan zu bauen, darunter die von Holtcorp, Shell und Weyerhaeuser – Unternehmen, die Willow ihr Leben lang bekämpft hat. Als er schon seit zwei Jahren in New York lebt und wieder einmal eine Kleinbrauerei mit teurem Altholz-Redwood renoviert, lernt er Meena Bhattacharya kennen, die den Besitzer, einen langjährigen Freund von ihr, bei der Inneneinrichtung berät. Obwohl sie miteinander bekannt gemacht worden sind, steckt Liam die Nase in die Arbeit, wann immer er Meena sieht, die auf hundert verschiedene ungekannte Arten entzückend ist.
»Sollten Sie nicht besser Handschuhe tragen?«, fragt sie Liam eines Tages, als er sich für einen heiklen Schnitt über seine Tischsäge beugt. »Was, wenn Sie mit der Hand an das Sägeblatt kommen? Ohne Finger werden Sie keine schönen Dinge mehr schaffen können.«
»Das Ding hier verspeist Handschuhe zum Frühstück«, sagt Liam und deutet auf das Sägeblatt. »Und mit Handschuhen kann man schnell leichtsinnig werden, also arbeitet man besser ohne. Außerdem arbeite ich gern dicht am Holz.«
Am Tag darauf lädt sie ihn nach der Arbeit zu einem Kaffee ein, und sie sitzen in einem gut besuchten Café aneinandergedrängt an einem Tresen, den Liam gezimmert hat, auch wenn er zu schüchtern ist, um es zu erwähnen. Es ist seit Monaten das erste Mal, dass er länger sitzt, ohne sich in einem Auto, einem Flugzeug oder auf der Toilette zu befinden. »Freut mich, dass noch alle Finger dran sind«, sagt sie, und er blickt auf ihre Hände, die genauso schwielig und von Sehnen durchzogen sind wie seine eigenen. Er erfährt, dass sie Erste Bratschistin im Los Angeles Symphony Orchestra ist und für eine sechsmonatige Reihe von Auftritten im Lincoln Center gebucht wurde. Sie ist klug, lustig und nimmt kein Blatt vor den Mund, wobei ihre politischen Ansichten ganz und gar vernünftig oder zumindest in der Wirklichkeit verankert zu sein scheinen. Sie ist das einzige Kind ehrgeiziger Eltern, die in einem Vorort von Delhi leben. »Ich habe mich für die E-Gitarre entschieden und meine Eltern für die Bratsche«, sagt sie trocken. »Meine Mutter meinte, in ihren Augen sei das schon ein Kompromiss.«
Am darauffolgenden Wochenende geht Liam mit Meena ins Museum of Natural History, um sich den Querschnitt eines Riesen-Mammutbaums anzusehen, der in dem Wald geschlagen wurde, in dem Willow und er oft zelten waren. In der U-Bahn erzählt er Meena zum ersten Mal von seiner Mutter, wobei er ihren Aktivismus in seiner Schilderung eher idealistisch als fanatisch und ihre fahrige Mutterrolle eher exzentrisch als verletzend erscheinen lässt. Doch im Museum muss er enttäuscht feststellen, dass der Mammutbaum mit Holzlack behandelt wurde, sodass sie die prächtigen Gerbstoffe in dem von Natur aus moderbeständigen Redwood nicht riechen können. Meena ist trotzdem beeindruckt und lädt ihn anschließend zum ersten Mal in ihre Wohnung ein.
In den Monaten danach fahren Liam und Meena jedes Wochenende ins Umland von New York, um Material für seine Aufträge zu sammeln. Sie kaufen verwitterte Bretter oder Balken und beladen den Lieferwagen damit, während die Farmer ihnen zusehen, als wären sie entlaufene Geisteskranke. Anfangs ist sie wagemutig genug, um einen Nagelheber zu nehmen und ihm beim Abreißen einiger alter Zäune und Ställe zu helfen, aber nachdem sie sich den Daumen so heftig gequetscht hat, dass sie eine Tetanusspritze braucht und beinahe einen Auftritt absagen muss, gibt sie sich damit zufrieden, sich auf ein Zaungeländer zu setzen und ihm bei der Arbeit zuzuschauen.
»Ich mag die Bezeichnung ›wiedergewonnenes Holz‹ nicht«, sagt Meena, als sie eines Samstags in die Stadt zurückfahren.
»Geht das wieder los?«, sagt Liam und legt ihr eine Hand aufs Knie, um ihr zu bedeuten, dass er es nicht ernst meint.
»Da stellt sich doch die Frage: von wem wiedergewonnen? Von Menschen, die es falsch einsetzen. Armen Menschen. Menschen ohne Geschmack. Menschen, die es nicht verdienen.«
Menschen wie mir, denkt Liam, sagt es aber nicht.
»Wie kommt es, dass die Reichen immer das bisschen zurückkaufen wollen, was sie den Armen einmal überlassen haben? Um sie daran zu erinnern, dass ihnen nichts gehört, nicht wirklich?«
Aber trotz Meenas eigensinniger Ansichten könnte sie sich nicht stärker von Willow unterscheiden: Sie ist diszipliniert, geerdet, bedächtig, bewegt sich langsam und hält sich mit chemischen Substanzen zurück – der Rausch nach einem Glas Weißwein ist der verwegenste, dem sie sich je hingibt. Liam liebt es, wie sie ihm unmittelbar nach dem Einsteigen in seinen Transporter immer ihren Ohrhörer ins Ohr steckt und es mit Musik flutet. Ihrer klassischen Ausbildung zum Trotz erträgt sie in ihrer Freizeit keine Orchestermusik. Ihre ganze Liebe gilt dem Soul der Sechziger. Sie dreht die Musik laut auf und swingt neben ihm auf ihrem Sitz herum. »Be My Baby«, »Baby Love«, »Baby I Need Your Loving«. Für eine Frau, die behauptet, das Kinderkriegen aufschieben zu wollen, bis ihre Karriere richtig in Schwung geraten ist, so neckt er sie, sei das ein besorgniserregender Haufen Babys.
Auf diesen Autofahrten kommt ihm erstmals der Gedanke, sich irgendwo auf dem Land, weitab von der Stadt, ein eigenes Atelier einzurichten, in dem er Möbel nach seinen eigenen Entwürfen fertigt, so wie George Nakashima es in New Hope, Pennsylvania, getan hat.
»Deine Tresen und Tische sind wunderschön, Liam«, sagt Meena und berührt ihn im Nacken, als er ihr von seiner Idee erzählt. »Aber ich kann mir gar nicht vorstellen, welche Wunder du in einem richtigen eigenen Atelier vollbringen wirst, wo dir kein schnöseliger Raumgestalter über die Schulter guckt.«
Liam findet es herrlich, dass Meena seiner Tischlerei ein solches Interesse entgegenbringt, das frei von jeder Herablassung ist, so als wären ihre Berufe kulturell gleichwertig. Zu seiner Überraschung betrachtet sie ihr eigenes Musizieren als eine Art Schwerstarbeit und widmet sich einem unerbittlichen Übungsplan, hinter den alles andere zurücktreten muss, darunter auch ihre gemeinsame Zeit. Mit dem Ergebnis, dass Liam sich danach verzehrt, jede wache Minute, die sie nicht arbeitet, mit ihr zu verbringen.
Nach sechs Monaten läuft Meenas Engagement in New York aus, und sie gibt ihre Wohnung auf und schickt sich an, nach Los Angeles zurückzukehren. Weil Liam noch immer in einem winzigen Zimmer über einer Autowerkstatt in Crown Heights lebt, kann sie nicht bei ihm unterkommen, wenn sie in der Stadt ist, also hebt er seine gesamten Ersparnisse ab, um eine Anzahlung für eine Doppelhaushälfte am »aufstrebenden« Rand von Fort Greene zu leisten. Zum Glück weiß Meena die große Geste zu schätzen und verspricht ihm, ihre Zeit zwischen L.A. und New York aufzuteilen.
Doch ihre beruflichen Verpflichtungen hindern sie daran, so häufig zu ihm zu kommen wie geplant, und aus der Hälfte der Zeit wird bald ein Viertel. Liam weiß zwar, dass es vielleicht an seiner eigenen Unsicherheit liegt, aber mit der Zeit wächst seine Überzeugung, dass ihr sein Haus nicht gefällt, weil sie so sehr an feine Hotels und opulente Konzerthallen gewöhnt ist. In seiner Freizeit entkleidet er daher die Wände bis auf die Stützbalken und renoviert das Haus komplett in Altholzdouglasie und Redwood. Das Rohmaterial allein verdoppelt seine Schulden, und auch wenn Meena seine Arbeit bewundert, besucht sie ihn dennoch seltener als erhofft. Und als sie sich für ein zweimonatiges Engagement in Prag verpflichtet, stürzt Liam in eine schwarze, luftleere Höhle und träumt zum ersten Mal seit Jahren von Oxycodon.