Eigentum der Kathedrale
Sie finden sie am nächsten Morgen, versteckt hinter einem verrottenden Ammenstamm inmitten der einstmals verbrannten Bäume, die die Personalhütten umstehen. Ihr Gesicht ist mit abgefallenen Zedernnadeln verklebt, die nach Grapefruit riechen, wo sie unter ihrem Wangenknochen zerdrückt wurden.
Jakes dehydrierter Schädel pocht mit jedem Ziehen und Schubsen, als die Waldaufseher sie vom Boden aufheben und durch die Kathedrale führen, vorbei an moosbekränzten Stämmen, über dicke Wurzeln hinweg, die wie Aale aus dem Boden auftauchen. Jeder der fünf Waldaufseher trägt ein kleines, kurzläufiges Maschinengewehr, das durch die geringe Größe nur noch furchteinflößender erscheint. An Jakes Mitarbeiterhütte angekommen, stehen sie vor der Tür Wache, während sie ihre Waldführeruniform auszieht und zum letzten Mal in ihren Spind hängt. Dann wühlt sie in den Tiefen des Spinds, bis sie einen Müllsack zutage gefördert hat, der die zerfledderten Kleider enthält, die sie trug, als sie staubig, ausgehungert und mittellos auf Greenwood Island ankam. Als sie angezogen ist, beginnt sie Knuts Papierbücher einzupacken, steckt die Erstausgaben von John Muir und Carl von Linné in den Pappkarton ihres Vaters, zusammen mit den Werkzeugen und den Schallplatten, die er ihr hinterlassen hat.
Aber der leitende Waldaufseher kommt herein und spricht sie an, als sie den Karton gerade hochheben will. »Das ist Eigentum von Greenwood«, sagt er mit einem Akzent, den Jake nicht einordnen kann. »Das müssen Sie hierlassen.«
»Nein, nein – Liam
Greenwood«, sagt Jake, um einen beherrschten Tonfall bemüht. »Das ist der Name meines Vaters, und er hat nicht das Geringste mit der Kathedrale zu tun.«
Mit dem Lauf seines Gewehrs deutet er auf das Wort Greenwood und sagt: »Eigentum der Kathedrale. Sie können nur mitnehmen, was Ihnen gehört.«
In diesem Moment begreift Jake, dass der Mann wie so viele der Waldaufseher – größtenteils kriegsversehrte Seelen, die aus den verschiedenen staubigen höllischen Landschaften der Welt hergeflogen sind – wahrscheinlich nicht lesen kann und das G nur erkennt, weil er es hier so oft gesehen hat.
Jake ist zu klug, um ihn zu beschämen oder einen Aufstand zu proben, vor allem nach dem, was sie getan hat, also beißt sie die Zähne aufeinander und sagt dem Karton Lebewohl. Knut kann sich neue Bücher besorgen, und die Werkzeuge und merkwürdigen Platten ihres Vaters haben ihr ohnehin nie sonderlich viel bedeutet. Sie bindet sich die Haare zurück und zieht ihre Leafskin-Jacke an.
»Auch Eigentum der Kathedrale«, sagt der Waldaufseher und zeigt jetzt mit seinem Gewehr auf ihren Mantel.
»Der Wind wird mich draußen auf dem Wasser bis auf die Knochen auskühlen«, sagt sie flehentlich. »Bitte, Sir. Es ist meine einzige Jacke.«
Der Waldaufseher sieht zu seinen Kameraden hinüber, die draußen vor der Tür stehen und ihnen nicht zuhören. Offenbar in einem Anflug von Mitleid nickt er. »Gehen Sie.«
Draußen führen sie sie an den Mitarbeiterhütten und dann an der Jurte vorbei. Bald erreichen sie den Anfang des Pfads, wo sich schon ein Grüppchen von Pilgern versammelt hat, die auf ihre morgendliche Führung warten.
Sie sind gerade am Bootsanleger angekommen, als Jake eine breiige gelbe Substanz entdeckt, die auf der Oberfläche der Whirlpools am Ufer treibt. Zuerst hält sie es für Algen, die in der Kathedrale häufiger auftreten, in der Badekleidung von Jetset-Touristen aus anderen Meeren herangetragen. Aber Jake bemerkt auch in der Luft einen dünnen Schleier. Sie wird an Bord des Versorgungsschiffes gezerrt, das bald darauf ablegt, und erst draußen in der Bucht erkennt sie den dicken zitronengelben Dunst, der in den Bäumen hängt wie ein Vorhang, der um ihre Kronen gezogen ist. Es ist Baummast, begreift sie – die Bäume setzen Pollen frei, so reichlich, wie sie es nie gesehen hat, und sechs Monate vor der Zeit. So energisch vermehren sich die meisten Baumarten nur unter erschwerten Bedingungen, wenn sie durch Krankheiten unter Stress geraten oder von Waldbränden angegriffen oder durch Dürre ausgetrocknet sind. Ob sie diesen reproduktiven Schachzug durchführen, weil sie glauben, dass sich die Dinge nach dem Nachlassen der Bedrohung zum Besseren wenden werden oder dass sie nichts mehr zu verlieren haben, nun, da alles zum Teufel ist, hat die Forschung nie mit Sicherheit sagen können. Aber Jake kann nicht anders, als ihren Optimismus zu bewundern.
Sie verreibt etwas von dem feinen Puder zwischen den Händen. Wenn sie ihr Genmaterial über den vom Wind verteilten Pollen ausgetauscht haben, werden die Bäume Samenzapfen austreiben, die sich schließlich öffnen und Samenkapseln freisetzen, die an Propellern auf den Waldboden sinken werden – genau zu der Zeit, zu der sie es nicht tun sollten. Selbst unter den besten Bedingungen erreicht nur ein verschwindend geringer Prozentsatz von Douglasiensamen das Erwachsenenalter. Und zur falschen Jahreszeit werden die Samen auf unfruchtbaren Boden fallen. Sie werden faulen, lange bevor sie auskeimen können. Und nach all den Fehlschlägen, die Jake kürzlich erlitten hat, verliert sie erst jetzt beim Gedanken an diese Bäume, die aus schierer Verzweiflung ihre letzten Reserven mobilisieren, um Millionen von Propellern in den Wind zu entlassen, die Beherrschung. Sie lässt sich auf das Deck sinken, damit die Besatzung des Frachtkahns sie nicht weinen sieht.