Ich hatte Carans Einladung zu einer seiner »Blockpartys« angenommen. Es sollte die erste sein, an der ich teilnahm.

Alle zwei Monate organisierte er ein Kochfest für seine Gegend. Seine Gegend, das waren die verstreuten Häusergruppen am Fuß des Saint Catherine Mountain, dessen Westseite stufenweise zum Meer abfiel. Eine schmale Straße, gewagt in den Hang geschnitten, verlief zwischen den Ansiedlungen. An diesem Ort mit kühler Bergluft und dichtem Pflanzenbewuchs gediehen Muskatnuss und Muskatblüte, Safran und Nelken, Lorbeer, Ingwer, Kurkuma und Kakao, und das in weltbester Qualität, wie die Camahoer behaupteten. Was ich nur zu gern glaubte!

Das Problem war, dass auf demselben Boden auch das beste Marihuana der Insel gedieh, weshalb Carans Bush Ranger die Anbauer schonungslos vertrieben. Er hatte einmal klipp und klar zu uns gesagt: »Dieses Land ernährt alle. Es sorgt dafür, dass die Kinder zur Schule gehen können. Ich werd nicht zulassen, dass die Menschen hier Hunger leiden müssen, bloß weil ein paar Typen in San Andrews sich zudröhnen wollen.«

Für das Fest, hatte er mir erklärt, schafften die Leute von den äußeren Siedlungen ab dem frühen Morgen Bergyams, gepökeltes Fleisch und einen bunten Karneval an Gemüse herbei – Taro, Tannia, Süßkartoffeln, Eddoes – und türmten alles auf dem Spielplatz auf, der ein paar Meter hinter seinem Haus lag. Die Kinder streiften durch den Wald und kamen mit stapelweise Feuerholz zurück. Dann füllten sie alte Ölfässer mit Quellwasser, während die Jugendlichen ein Bataillon von Töpfen und Pfannen auf Steinen anordneten. Waren sie fertig, übernahmen die Erwachsenen und begannen zu kochen.

Spiderface hatte sich erboten, mich mit dem Boot hinzubringen. Nachmittags um zwei fuhren wir von San Andrews los und folgten dem Küstenverlauf nordwärts. Über allen Ufern erhoben sich mit blau-grüner Vegetation bedeckte Berge, deren Klüfte und Täler in tiefem Schatten lagen.

Das gemeinschaftliche Kochen war schon fast beendet, und ein Duft nach gedämpftem Gemüse und Salzfleisch hing in der Luft, als ich ankam. Gerade noch rechtzeitig, um zwei kleine, wundersame Szenen mitzuerleben: Ein alter Mann mit ostindischen Wurzeln brachte einer Gruppe Teenager bei, wie man mit dem gesägten Rücken einer gebogenen Machete das Fruchtfleisch aus einer aufgebrochenen, ungeschälten Kokosnuss herausholte. Neben ihm saß eine steinalte Frau auf einem umgedrehten Topf und verwandelte das giftige Fleisch der Maniokknolle in gesundes Essen, während sie die jungen Männer ringsherum neckend dazu aufstachelte, den weißen Milchsaft in ihre Blutbahn einzuführen und sich so umzubringen.

Mary, Carans Frau, stand hinter ihm, die Arme locker um seine Schultern gelegt. Ich umarmte sie beide und winkte den anderen vom Ranger-Team zu, die eine kleine, separate Gruppe am Eingang zum Spielplatz bildeten. Die Männer winkten zurück. Die Frau, Toya, nickte nur knapp.

Mary war zu einer Gruppe von anderen Frauen hinübergeschlendert, von wo aus sie Caran immer mal wieder einen Blick zuwarf. Er nickte dann wie zustimmend oder lachte in sich hinein, zog die Augenbrauen hoch. Manchmal ging ein breites Grinsen über sein Gesicht. Die Art, wie die beiden ihre Liebe auslebten, machte mir immer gute Laune. Eine unsichtbare Kraft floss zwischen ihnen, sie strahlten sie aus wie eine Aura.

»Digger, was macht die Queen?«

»Miss Stanislaus geht’s so lala, Caran.«

»Ich hab von ihrem Schlamassel gehört. Meinst du, ihr kriegt das diesmal wieder hin?«

Vermutlich dachte er an unseren letzten »Schlamassel« mit Diakon Bello.

»Müssen wir irgendwie«, sagte ich.

»Wie geht Malan damit um?«

»Er will Miss Stanislaus nicht nur feuern, sondern fertigmachen.«

»Das dürfen wir nicht zulassen«, sagte Caran. »Lass uns was essen gehn.«

Ich folgte ihm zu einer Reihe behelfsmäßiger Tische. Viele Leute lagerten schon auf der Wiese und aßen. Weitere kamen nach und nach herbei, einige aus den Gewürzplantagen ringsherum, die meisten von der Hauptstraße her. Sie grüßten rufend oder winkend: ostindische Familien, teilweise schon in der vierten Generation hier, afroindische Mischlinge, die rothäutigen Nachfahren alter Schotten. Sämtliche Ethnien Camahos versammelten sich auf diesem kleinen Fleckchen Erde namens Mont Sur Mer. Und alle steuerten sie geradewegs auf das Essen zu.

»Gute Leute«, bemerkte Caran. »Meine Leute. Ich wollt gern, dass du kommst, weil du noch ’n bisschen Entspannung brauchst, bevor es wirklich ungemütlich wird für dich und die Queen.«

Wir wurden von ein paar Jugendlichen abgelenkt, die so etwas wie einen gigantischen Ghettoblaster heranschleppten und in die Mitte des Platzes stellten. Sie schlossen ein paar Kabel und zusätzliche Lautsprecher an.

»Was wird das?«, fragte ich.

»Wirst du noch sehn«, gluckste Caran.

Ich legte mich ins Gras und nickte ein. Irgendwann rüttelte er mich am Bein. Als ich mich aufsetzte, merkte ich, dass ich eine Weile geschlafen haben musste, denn die Sonne färbte das Meer vor uns schon golden. Eine junge Frau ging zu dem Ghettoblaster und schob einen USB-Stick hinein. Plötzlich vibrierte und pulsierte die Luft von tiefen, fetten Basstönen.

»Jetzt pass auf«, sagte Caran grinsend. Jugendliche strömten herbei, drängten sich um das Gerät und fingen an, sich umeinander zu verrenken, ihre Körper vollkommen eins mit der Bassline. Noch aufregender war es zu sehen, wie die kleineren Kinder ihre Bewegungen eine Zeitlang nachahmten, so lange, bis sie den Bogen raushatten und den Tanz mit ihren eigenen Ausdrucksformen bereicherten.

»Das is erst das Aufwärmen«, sagte Caran. »Guck mal.«

Die Ältesten der Versammlung waren aufgestanden. Urgroßmütter mit ihren traditionellen Headwraps und verhutzelte alte Männlein, keiner davon mit geradem Rücken, näherten sich der Musik mit der langsamen Entschlossenheit von Schildkröten. Sie warfen ihre Schuhe ab und begannen, sich eine Weile zum Bassrhythmus zu bewegen, bis etwas in ihnen Feuer fing. Dann legten sie richtig los, waren mit einem Mal wie ausgewechselt, wippten und drehten sich mit flinker, komplizierter Fußarbeit und lösten Beifallsstürme bei den Zuschauern aus. Mir stellten sich die Härchen an den Armen auf.

»Meine Güte!«, sagte ich.

Caran lachte lauthals. »Zieh hierher, Digger, dann tanzt du auch so mit achtzig.«

Auch Spiderface wurde schlagartig von dem Sog der Musik gepackt, der die Alten mitgerissen hatte. Er hüpfte zwischen ihnen herum wie eine fröhliche Grille und schien sich den Teufel um das Gelächter zu scheren, das er auslöste.

Caran stieß mich mit dem Ellbogen an. »Digger, verstehst du jetzt, warum ich diesen Flecken so liebe?«

»Ja«, antwortete ich aufrichtig.

Doch selbst hier, mitten in all dem Spaß, legten er und sein Team ihre Wachsamkeit nicht ab. Von Zeit zu Zeit hoben sie den Kopf und unterbrachen ihre Unterhaltung, um die nähere Umgebung des Spielplatzes mit den Augen abzusuchen.

Ich spürte Carans Blick auf mir.

»Was?«, fragte ich.

»Digger, ich weiß, dass du und die Queen grad ’ne harte Zeit durchmacht. Ich wollt euch nur sagen, dass ich« – er zeigte auf sich, dann auf seine Einheit –, »Carlo, Roy und Toya zu eurer Verfügung stehn. Muss ja nich offiziell sein, wir kommen auch als Freunde, weisde. Anruf genügt.«

Ich nickte und musste wegsehen.

Das Tanzen war vorbei, die Musik aus dem Ghettoblaster abgestellt, das schwindende Abendlicht durch lodernde Kerosinfackeln ersetzt, die um den Platz herum aufgestellt worden waren. Das Meer unten lag schon tintenschwarz da. Ein paar kleine Jungs warfen sich am Rand des Platzes einen Ball zu, und die Stimmen der Älteren klangen durch die warme Luft, als sie aus ihrem Leben erzählten.

Mary kam herbei, klatschte ihren Mann ab und grinste mich schelmisch mit ihrer Zahnlücke an. »Na, wie läuft’s, Ehemann Nummer zwei?«

Ich bekreuzigte mich, hob die Arme und wich mit gespieltem Entsetzen vor ihr zurück.

Caran schüttete sich aus vor Lachen. »Kluger Junge! Weiß, was nich gut für ihn is.«

Ich zeigte aufs Meer. »Wir müssen los, haben keine Scheinwerfer.« Ich bedankte mich bei ihnen mit den Augen. Sie nickten mir gleichzeitig zu.