Die frohe Botschaft
Sofort veranlassten sie alles Erforderliche per Handy, liefen zu ihren Dienstwagen und fuhren mit Blaulicht und Einsatzhorn zu festgelegten Sammelpunkten in der Nähe der Wohnungen, um sich mit dem SEK abzustimmen.
Thorsten meldete sich bei der Einsatzleitstelle der Polizeidirektion Hannover „Hanno“ an, um routinemäßig anzufragen, ob unter der Adresse in der Vergangenheit polizeiliche Einsätze im System hinterlegt waren. Der Beamte in der Einsatzzentrale teilte ihm mit, dass frühere Einsätze nicht verzeichnet waren, aber dass aktuell etwas laufen würde. Kollegen sowie Rettungskräfte seien gerade auf dem Weg in die Wohnung Langer. Dort sollten soeben zwei Leichen aufgefunden worden sein, erklärte er. Es gäbe aber nur die Meldung eines Anwohners und noch keine Bestätigung.
„Okay, Hanno. Ich gebe Bescheid, sobald wir vor Ort sind“, sagte Thorsten über Funk.
Der OFA-Leiter informierte die Spezialkräfte, dass sie direkt und offen zur besagten Wohnung fahren sollten.
Es war nicht notwendig, sich erst am Sammelpunkt zu treffen.
Kristins Team hatte alles mitgehört. „Okay, wir fahren auch durch und gehen rein“, teilte sie ihm mit.
Der OFA-Dienstwagen fuhr über die Nienburger Straße entlang des Georgengartens und bog direkt in die Callinstraße ein. Sie mussten die Hausnummer nicht lange suchen, denn Rettungs- und Notarztwagen blockierten die Straßen, während zwei Streifenwagen sowie die SEK-Fahrzeuge auf dem Bürgersteig abgestellt waren. Zeitgleich mit ihnen traf die erste Besatzung des Kriminaldauerdienstes ein, die für Todesermittlungen zuständig war und auch bei Tötungsdelikten sofort die erste Einsatzleitung vor Ort samt Spurensicherung des gesamten Tatortes übernahm.
Der jungen KDD-Besatzung wurde erklärt, warum die unterschiedlichen Dienststellen samt SEK-Begleitung hier parallel aufschlugen. Als beide Teams das Treppenhaus betraten, kam ihnen die Besatzung des Rettungswagens schon wieder entgegen, schüttelte den Kopf und erklärte, dass der Notarzt oben in der Wohnung wartete. Nachdem geklärt war, dass hier keine Täter mehr vor Ort waren, konnte das SEK abziehen.
Das Team des KDD übte sofort die Tatorthoheit aus und ließ niemanden, auch nicht das involvierte OFA-Team, in die Wohnung. Diese Maßnahme war in 99,9 Prozent aller Fälle gerechtfertigt. Den Profilern ging es allerdings nicht um Tatorttourismus, sondern um die Erkenntnis, wer auf welche Weise zu Tode gekommen war. Die Gefahr, in direkter Folge mit weiteren Taten rechnen zu müssen, war derart hoch, dass es zwingend erforderlich gewesen wäre, dem OFA-Team Zugang in die Wohnung zu verschaffen. Die jungen Kollegen und eine weitere angeforderte KDD-Besatzung waren jedoch vollkommen gelassen und sich ihrer Aufgabe bewusst. Sie ließen sich durch den OFA-Leiter nicht beeindrucken. Die Mordbereitschaft der Kriminalfachinspektion 1 wurde angefordert. Sie musste allerdings erst von zu Hause anreisen. Somit verstrich wieder wertvolle Zeit, die sie eigentlich nicht hatten.
Zwischenzeitlich meldete sich Kristin und teilte mit, niemanden in der Wohnung Noltemeyer angetroffen zu haben.
Thorsten fluchte. Er hatte jahrelang mit dem Leiter der KFI 1 zusammengearbeitet und besaß seine private Handynummer noch, die er umgehend anrief.
„Hallo, Urs, Thorsten hier. Wir sind momentan an einem Tatort mit zwei Leichen, die in direktem Zusammenhang mit der Mordserie in Norwegen stehen, in die wir als OFA involviert waren“, begann er und erklärte in Kurzform die Situation. „Urs, ich bitte dich, mir einfach zu vertrauen. Wir müssen in die Wohnung rein, um schnellstmöglich weitere Maßnahmen anzuschieben, in die ihr genauso mit einbezogen werdet wie wir“, begründete der OFA-Leiter.
Doktor Urs Weber ließ sich den verantwortlichen KDD-Einsatzleiter geben und stimmte mit ihm ab, dass Büthe den Tatort in Vollschutz zu einer reinen Inaugenscheinnahme sowie für Fotos und Videos zusammen mit dem KDD betreten durfte. Er sagte zudem sein Erscheinen am Tatort aufgrund dieser besonderen Fallkonstellation zu.
Thorsten zwängte sich in den weißen Overall, zog sich Schuhüberzieher sowie die Kapuze samt Mundschutz über und betrat mit dem KDD-Kollegen die Tatwohnung. Mit seiner GoPro filmte er die Situation, wobei er im Wohnzimmer versuchte, jedes Detail einzufangen. Er nahm die komplette Diashow auf, um zu verstehen, welche Botschaft hier vermittelt werden sollte, wobei ihm erst jetzt die Dimension dieses Falles richtig bewusst wurde.
Als Thorsten vom Treppenhaus zurück auf die Straße trat und seine Spurenschutzkleidung auszog, war er völlig durchgeschwitzt. Mehrfach musste er tief ein- und ausatmeten. Sein Gesicht wirkte fahl. So kannte Carlotta ihren Kollegen Thorsten überhaupt nicht. In diesem Moment wurde der Psychologin und den beiden norwegischen Kollegen bewusst, dass ihr gemeinsamer Fall das bisher bekannte Ausmaß erneut gesprengt hatte.
Jana hatte zwischenzeitlich sämtliche Dateien geprüft, die Kennzeichen der Fahrzeuge des Ehepaars Langer gecheckt, die bereits vor dem Haus in der Callinstraße und einer Nebenstraße in Herrenhausen sichergestellt und abgeschleppt worden waren. Von Sarah Langer und Henrike Noltemeyer fehlte jede Spur.
Das gesamte OFA-Team konnte nichts weiter ausrichten. Man beschloss, sich um 18 Uhr im Analyseraum zur Fallvorstellung zu treffen, damit alle genau über die Vorkommnisse in der Altstadtwohnung Bescheid wussten.