Kapitel 2

S ag einfach ja, Ainsley«, flehte Evan und warf seinen Arm in Richtung seines winselnden Cyborg-Hundes vor dem Speisesaal in der Burg Gullington.

»Nein!«, rief sie und verschränkte trotzig die Arme.

»Er tut niemandem etwas«, meinte Evan und sah Sophia hilfesuchend an.

Sie hielt sich aus der Sache heraus. Aus Erfahrung wusste Sophia, dass ein Streit mit der Haushälterin nur Ärger mit sich brachte. Sie würde aufwachen und feststellen, dass ihr Bettzeug durchnässt war, während die Gestaltwandlerin als ein Buckeliger mit einem leeren Eimer aus ihrem Zimmer eilte.

»Ich weigere mich, diesen Köter in den Speisesaal zu lassen«, beharrte Ainsley. »Ich habe vielleicht den Kampf um ihn in der Burg verloren, aber das hier und die Küche sind meine Domäne und ich spreche ein Machtwort. Keine Hunde im Essbereich.«

»Sieh ihn dir doch an«, jammerte Evan und deutete auf den Hund, der den Kopf gesenkt hatte und mit seinem blauen und dem braunen Auge bettelte.

»Nein! Keine Diskussion!« Ainsley schüttelte den Kopf. »Ich will keinen räudigen Köter, der am Tisch um Essensreste bettelt.«

»Er ist nicht räudig«, entgegnete Evan und klang tatsächlich verletzt. »Er haart nicht einmal, weil er hauptsächlich aus Metall besteht. NO10JO ist wahrscheinlich sauberer als ich.«

»Er ist zweifellos sauberer als du«, bemerkte Sophia trocken und fragte sich, wo die übliche Frühstücksauswahl blieb.

Evan warf ihr einen strafenden Blick zu, bevor er die Haushälterin wieder ansah. »Er bettelt nicht. Das verspreche ich. Er ist der wohlerzogenste Hund, den es gibt. Er hat mir das Leben gerettet und ist einfach nur großartig.«

Ainsley drehte sich um und verengte ihre Augen. »Ich bin immer noch verbittert wegen der Sache mit dem Retten deines Lebens.« Sie zeigte mit einem Finger auf NO10JO. »Du solltest deine Metallnase nicht in alles hineinstecken und dich nicht einmischen, wenn das Schicksal versucht, ihn zu erledigen.«

Evan lachte. »Du weißt, dass du mich vermissen würdest, wenn ich weg wäre.«

»Natürlich, Ethan«, sagte sie über die Schulter, während sie in Richtung Küche flitzte.

Sophia warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Evan und NO10JO hatten sich sofort angefreundet und ihre Freundschaft war schön zu beobachten. Coral sah das scheinbar nicht so, aber Sophia war sicher, dass der Drache sich für die Idee erwärmen würde, sobald sie ihre Eifersucht überwunden hatte. Drachen, so sehr sie auch vorgaben, emotionslose Wesen zu sein, waren ziemlich sensibel. Lunis hatte das bewiesen, als sie ihn für ein paar Missionen, an denen er nicht teilnehmen konnte, zurückgelassen oder ihre Freizeit mit Wilder statt mit ihm verbracht hatte.

»Es tut mir leid, Buddy.« Evan winkte dem Hund zu, der auf der anderen Seite der Schwelle zum Esszimmer lag. Er wimmerte wieder und legte seinen Kopf auf die Pfoten.

Mama Jamba, die im Gehen ein Kreuzworträtsel löste, blickte nicht auf, als sie über das Cyborg-Tier in den Speisesaal trat. Sie hob ihr Kinn, als sie fast am Tisch war und schnupperte. »Oh, nein.«

»Oh, was?« Evan neigte seinen Kopf zur Seite.

»Ainsley hat etwas vor«, erklärte sie und setzte sich.

»Wann hat sie das nicht?« Evan beugte sich in seinem Stuhl nach vorne.

»Setz dich gerade hin«, befahl Mama Jamba. »Du siehst aus wie ein Gnom, wenn du so krumm sitzt.«

Quiet kam bei dieser Aussage gerade herein. Er warf einen Blick auf die alte Frau, die zu viel Haarspray auf ihren Locken hatte. Seine Augen verengten sich und er murmelte etwas, das Sophia nicht verstehen konnte.

Ainsley stürmte durch die Schwingtür aus der Küche und trug einen abgedeckten Teller. »Ich stimme dir zu, Quiet. Er gäbe einen furchtbaren Gnom ab.«

Evan keuchte. »Überhaupt nicht. Ich wäre ein guter kleiner Kerl, nicht dass ich wüsste, wie das gehen sollte.« Er setzte sich aufrechter hin.

Ainsley stellte den Teller mit einem schelmischen Blick auf den Tisch.

»Ich hoffe, du hast auch Pfannkuchen gemacht?«, erkundigte sich Mama Jamba und legte ihr Kreuzworträtsel auf den Tisch.

»Gerade genug für dich, Mama Jamba«, antwortete sie.

»Gut«, erwiderte Mutter Natur mit Erleichterung.

Evan beugte sich nach vorne und schnupperte. »Moment, worauf können wir anderen uns denn freuen? Ich hatte eigentlich auf Eier und Speck gehofft.«

Ainsley schüttelte den Kopf. »Heute nicht.«

»Also Pasteten und Schinken?«, fragte Evan mit einem hoffnungsvollen Ausdruck auf seinem Gesicht.

»Oh, nein«, widersprach Ainsley stolz. »Heute wird nicht gefrühstückt.«

»Aber es ist Frühstückszeit«, beschwerte sich Evan und schmollte.

»Du weißt doch, dass man zum Abendessen auch Frühstücksgerichte zu sich nehmen kann?« Ainsley streckte die Hand aus und griff nach dem Deckel über dem Teller.

»Jaaaa …« Evan zog das Wort zweifelnd in die Länge.

»Nun, ich dachte, wir sollten zum Frühstück richtig speisen«, erklärte Ainsley und riss den Deckel hoch, ein riesiger Haufen Spaghetti mit Fleischbällchen in Tomatensoße kam zum Vorschein.

Evan stöhnte laut. Selbst Sophia sank niedergeschlagen in sich zusammen.

»Das ist nicht wirklich etwas, was du austauschen kannst, Liebes«, meinte Mama Jamba und zeigte Richtung Küche. »Aber die Pfannkuchen nehme ich jetzt.«

Ainsley, die sich von der Kritik nicht beirren ließ, schwirrte zur Schwingtür in die Küche.

»Ich nehme auch Pfannkuchen«, rief Evan ihr hinterher.

Die Elfe schüttelte den Kopf. »Es sind nur genug für Mama Jamba da.«

Evan seufzte. »Ich kann zum Frühstück keine Nudeln mit roter Soße essen. Das ist zu üppig.«

Sophia schürzte ihre Lippen. »Aber du kannst dein nicht unbedingt geringes Gesamtgewicht in Buttercroissants zu dir nehmen?«

»Das ist etwas anderes«, entgegnete er. »Die sind leicht und luftig und für ein Frühstück gedacht. Fleischbällchen sind für ein Abendessen, das man mit einem oder zwei Gläsern Wein genießt.«

»Wenn wir von dir reden, dann meinst du wohl Whiskey«, korrigierte Ainsley und brachte Mama Jamba einen kleinen Stapel Pfannkuchen. »Es sind auch nie nur ein oder zwei Gläser.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe einen stressigen Job.«

»Bei dem du was tust?«, fragte sie. »Auf einer übergroßen Eidechse herumreiten und vor sterblichen Mädchen angeben, die denken, dass deine große Axt bedeutet, dass du …«

»Ein großes Gehirn hast«, unterbrach Mama Jamba und goss Sirup auf die Pfannkuchen. »Alle meine Reiter sind intelligent und haben strenge moralische Ansichten.«

»Also, was ist bei dem hier dann schiefgelaufen?« Ainsley zeigte auf Evan.

Er winkte ab. »Mama Jamba sagt, ich wäre schlau.«

»Alle Mütter denken, dass ihre Kinder kleine Genies sind«, merkte Ainsley an.

Mutter Natur nahm einen Bissen von ihrem Pfannkuchen und gönnte sich einen Moment Zeit, um die Köstlichkeit zu genießen. »Oh, ich weiß nicht. Ich habe da draußen ein paar ziemlich große Dummköpfe. Ich meine, die Fae sind nicht die Hellsten, aber sie sind hübsch und das zählt schon etwas. Aber die Drachenelite … ihr seid das Beste vom Besten.«

Evan warf Ainsley ein breites Grinsen zu. »Siehst du? Ich bin die Crème de la Crème und ich brauche Eier und Speck, um bei Kräften zu bleiben.«

Sie streckte ihre Nase in die Luft. »Dann komm zum Abendessen wieder. Rate mal, was es gibt?«

»Frühstück.« Er stöhnte und sah zu, wie sich Quiet den Spaghetti mit Fleischbällchen widmete, wobei er sich von dem zum Frühstück angebotenen Menüpunkt keineswegs abschrecken ließ.

»Du bist gar nicht so dumm, wie ich bisher dachte«, meinte Ainsley überrascht.

Evan verdrehte die Augen, als Hiker in den Speisesaal stürmte und NO10JO im Vorbeigehen nicht einmal beachtete. »Sir! Würdest du Ainsley sagen, dass sie aufhören soll, so … nun ja, typisch sie zu sein?«

Hiker lehnte die Bitte sofort mit einem Winken ab und warf eine Zeitung vor Mama Jamba auf den Tisch, Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Du steckst dahinter, nicht wahr?«

Die Schlagzeile auf dem Titelblatt der Zeitung lautete: Riesige Bohnenranke zerstört einen Teil von New York City.

Mama Jamba wischte sich seelenruhig über die Mundwinkel und betrachtete die Zeitung. »Du weißt, dass ich das ohne meine Brille nicht lesen kann.«

Er zeigte auf das Kreuzworträtsel, an dem sie gearbeitet hatte. »Ich nehme an, du brauchst deine nicht vorhandene Lesebrille dafür nicht?«

»Ich denke schon«, bestätigte sie und wandte sich wieder ihren Pfannkuchen zu.

»Ich habe jetzt die Stadt New York an der Backe, die sich mit der ›Vereinigung zur Gesunderhaltung des Regenwaldes‹ streitet und behauptet, sie stecke hinter dieser Sache«, brummte Hiker verärgert. »Es wird nicht einfach sein, dieses Missverständnis zu lösen, da ich vermute, dass du dahintersteckst.«

»Das ist eine ziemlich dreiste Vermutung, mein Sohn.« Mama Jamba ließ sich nicht beirren, obwohl der Wikinger sie überragte und vor Wut schäumte.

»Da steht dein Name ganz groß drauf, Mama«, beharrte Hiker. »Die einzige Frage, die sich mir stellt, ist, was hast du vor?«

Sophia nahm die Zeitung in die Hand und überflog den Artikel. Ihre Augen weiteten sich, als sie den Bericht las.

Die Bohnenranke wächst aus einem kahlen Fleckchen Erde in der beliebten Cornelia Street.

Ihre Augen huschten zu Mama Jamba, die sie anlächelte. »Aber ja, das ist das Ergebnis der Zauberbohnen, die du für mich pflanzen solltest, Sophia.«

»Du hast was?«, stieß Hiker hervor. »Du hast …« Er sah Sophia an und dann Mama Jamba. »Was geht hier vor?«

Mama Jamba stieß sich vom Tisch ab und seufzte leise. »Ich habe unsere kleine Sophia einfach gebeten, die magischen Bohnen in New York City zu pflanzen. Wie ich vermutet habe, hat sie das richtige Stück Land gefunden und sie haben sich gut entwickelt.«

»Du hast einen ganzen Straßenzug zerstört!«, rief Hiker aus. »Was hast du vor, Frau?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, sie würde die Stadt ein wenig verschönern.«

Er schüttelte den Kopf und schaute dann auf die Spaghetti mit Fleischbällchen. Sein Gesicht färbte sich rot, wahrscheinlich wegen der Vorstellung, dass er es gleich mit der Haushälterin zu tun bekommen würde. »Was ist am oberen Ende der Bohnenranke, Mama?«

Sie lächelte süß und sah Quiet zu, wie er seinen ersten Teller leer aß, bevor sie ihren Blick wieder auf Hiker richtete. »Warum muss etwas ganz oben sein, mein Sohn?«

»Weil ich weiß, dass du etwas vorhast«, antwortete er scharf.

Mutter Natur schaute auf ihr Handgelenk, als befände sich dort eine Uhr. Da war aber keine. »Eigentlich ist da oben noch nichts. Die Bohnenranke ist gerade erst gewachsen. Bald wird die richtige … oder besser gesagt, die falsche Person sie finden.«

Hiker schnaubte. »Ich lasse sie vorher umhacken.«

Sie schüttelte den Kopf. »So etwas wirst du nicht tun. Sie ist Teil meines Verschönerungsprojekts für die Stadt New York.«

»Erzähle mir einfach, was du vorhast«, forderte Hiker.

Sophia beschloss, dass dies der perfekte Zeitpunkt war, sich aus dem Speisesaal zu schleichen, zumal die Aussicht auf Frühstück hoffnungslos war. Außerdem hatte sie eine Verabredung im Haus der Vierzehn, zu der sie erscheinen musste. Sie schlüpfte von ihrem Platz und machte sich auf den Weg zum Ausgang. NO10JO schaute hoffnungsvoll auf, als sie sich näherte.

»Du weißt, dass ich das nicht tun kann, mein Sohn«, antwortete Mama Jamba.

»Ich weiß, dass du das nicht tun wirst«, erklärte er.

»Wenn du Zeit hast, liebe Sophia«, meinte Mama Jamba und lenkte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf ihre Flucht aus dem Speisesaal.

Am Ausgang erstarrt, drehte sich Sophia um. »Ja?«

»Wenn du das nächste Mal Zeit hast, könntest du Hiker zu der Bohnenranke bringen, die du gepflanzt hast?«

»Ich?«, fragte Sophia.

Gleichzeitig rief Hiker: »Sie?«

Mama Jamba nickte stolz. »Du willst wissen, was los ist, also sieh es dir selbst an, mein Sohn. Sophia kann dich hinbringen.«

»Dort hin?« Sophias Enttäuschung war in ihrer Stimme deutlich zu hören.

»Ja, wenn dein Zeitplan es zulässt, sollte das Timing ungefähr hinkommen«, informierte Mama Jamba.

»Du meinst, das Monster, das dort oben eingezogen ist, wird dann bereit sein, mir die Zähne einzuschlagen«, korrigierte Hiker.

Sie lächelte unschuldig. »Nun, es geht darum, dir zu helfen, deine Zwillingskräfte auszubalancieren und dein Temperament zu zügeln, also hoffen wir, dass er das nicht schafft.«

Hiker betrachtete Mutter Natur einen Moment lang, bevor er den Kopf schüttelte. »Ich hätte wissen müssen, dass du etwas mit mir vorhast.«

»Das hättest du wirklich tun sollen«, antwortete sie.

Sophia stand wie eine Statue neben dem Cyborg-Hund und suchte nach einer Möglichkeit, sich aus der Mission mit dem hitzköpfigen Wikinger zu befreien. Bevor ihr etwas einfiel, sah Hiker sie mit einem strengen Gesichtsausdruck an.

»Nachdem du dich mit dem Haus der Vierzehn getroffen und deine anderen Termine wahrgenommen hast, möchte ich, dass du hierher zurückkommst«, befahl er. »Wir werden auf die Bohnenranke klettern und den Dingen auf den Grund gehen.«

Sophia nickte gehorsam und musste einsehen, dass es keinen Ausweg aus dieser Misere geben würde. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass eine Mission mit Hiker Wallace gar nicht so schlecht wäre. Ihr rationaler Verstand konnte allerdings nicht die Tatsache außer Acht lassen, dass das Erklimmen einer geheimnisvollen Bohnenranke mitten in New York mit Schwierigkeiten verbunden war.