Kapitel 4

M ach weiter wie bisher«, befahl Lorenzo Rosario und schüttelte den Kopf über Trudy DeVries, als Sophia hinter Liv eintrat.

Die Krieger des Hauses der Vierzehn mussten beim Betreten der Kammer des Baumes durch die Tür der Reflexion gehen. Sie sollte sie reinigen, indem sie ihnen ihre größten aktuellen Ängste aufzeigte. Das war wahrscheinlich der Grund, warum Liv aussah, als würde sie versuchen, eine dubiose Erinnerung abzuschütteln, als Sophia hinter ihr eintrat.

Genau wie bei all den Gelegenheiten, wenn Sophia den Kuppelraum im Haus der Vierzehn betreten hatte, wurde ihr vom Rat keinerlei Beachtung geschenkt. Selbst die Mitglieder, die als ehrenhaft galten, hatten Schwierigkeiten, sich mit der Tatsache abzufinden, dass die Drachenelite zurück war und die Autorität des Hauses der Vierzehn überstrahlte. Clark war wahrscheinlich die Ausnahme, aber er verstand es hervorragend, seine Rolle zu spielen und den Schein zu wahren.

»Du bist zurück«, meinte Hester DeVries mit überraschtem Gesichtsausdruck, als Liv den Raum betrat.

»Ja und ich habe noch Urlaub übrig«, erklärte Liv. »Ich werde ihn in einem Jahrzehnt oder drei Jahren beantragen.«

Haro Takahashi blätterte durch die Dateien auf seinem Tablet. »Bei der Anzahl der Fälle, die sich auftürmen, könnte es noch drei Jahrzehnte dauern, bis wir auf dich verzichten können.«

Sophia warf einen flüchtigen Blick in die Runde. Liv und Trudy waren die einzigen anwesenden Krieger in der Kammer. Selbst Stefan war nicht da, wahrscheinlich befand er sich auf einer Mission, bei der er Dämonen tötete, wie es seine Aufgabe war.

»Wie ich schon sagte«, mischte sich Lorenzo ein, der ungeduldig klang und seinen Blick wieder auf Trudy richtete. »Es ist irrelevant, dass die sterblichen Behörden uns drängen, entschiedener gegen das Verschwinden von Magiern vorzugehen. Wir werden unsere Pläne so ausführen, wie wir es für richtig halten und sie werden sich damit abfinden müssen.«

Sophia blickte hinauf zur Decke, an der Lichter funkelten, die für die Magier in aller Welt standen. Als sie die helle Oberfläche studierte, erlosch eines der Lichter, was bedeutete, dass der Magier gestorben war – vielleicht durch die Hand von Mika Lenna.

Sie trat vor und räusperte sich, um die Aufmerksamkeit des Rates auf sich zu ziehen.

»Miss Beaufont, dein Termin mit dem Rat ist erst in ein paar Minuten«, sagte Bianca Mantovani in ihrem typischen hochnäsigen Tonfall.

»Mein Termin ist jetzt«, erklärte Sophia selbstbewusst. »Weil ich jetzt hier bin und nicht lange bleiben kann.«

Bianca seufzte. »Wirklich, spielen wir heute wieder Machtspielchen? Das wird nämlich ziemlich ermüdend.«

»Ganz genau«, bestätigte Lorenzo.

»Das machen wir, wenn der Rat es so will«, meinte Sophia. »Meine Informationen betreffen euer aktuelles Thema, das Verschwinden der Magier.«

»Wir brauchen eure Hilfe, um die Beziehungen zu den Regierungen der Sterblichen, die unsere Ermittlungen behindern, zu verbessern«, erläuterte Lorenzo sachlich.

»Mir ist klar, dass ihr wollt, dass sich die Drachenelite für euch einmischt und wie ich bereits erklärt habe, lehnen wir diese Rolle in dieser Angelegenheit ab«, teilte Sophia ihnen mit, was bei vielen der Mitglieder zu überraschten Reaktionen führte.

»Tatsächlich muss die Drachenelite ihren Platz finden«, meinte Haro mit plötzlich strenger Stimme.

»Unser Platz wird dort sein, wo wir uns entscheiden«, schoss Sophia zurück. »Während ihr eure Krieger losgeschickt habt, um mit den Regierungen der Sterblichen zu streiten, bin ich einer Spur nachgegangen, wer hinter dem Verschwinden der Magier stecken könnte.«

Der Rat murmelte daraufhin.

Hinter sich hörte Sophia Liv unvermittelt lachen. »Warum wundert ihr euch eigentlich über diese Dinge? Natürlich ist eine Beaufont gekommen, um den Tag zu retten.«

»Olivia«, schimpfte Bianca. »Diese Sache hat nichts mit dir zu tun.«

»Bi, nette Nasen-OP«, schoss Liv zurück. »Ich mochte aber die alte. Sie war zierlicher und du konntest sie leichter in die Luft halten.«

Die Augen des weiblichen Ratsmitglieds weiteten sich vor Verlegenheit. »Jetzt aber, wahre wenigstens etwas Anstand in diesem Raum.«

»Ist dir aufgefallen, dass Jude oder Diabolos diese Aussage von mir nicht als Lüge aufgedeckt haben?«, teilte Liv stolz mit.

Sophia warf einen Blick auf den weißen Tiger und die Krähe, die auf beiden Seiten der Ratsbank saßen. Die Regulatoren des Hauses der Vierzehn hätten einen Hinweis gegeben, wenn irgendetwas von dem, was jemand sagte, falsch gewesen wäre. Ihre unveränderte, stoische Haltung bewies, dass Liv recht hatte und Bianca eine Nasenoperation hatte durchführen lassen, wahrscheinlich von dem berüchtigten Zauberchirurgen in der Roya Lane, Buzz Works.

»Wenn Reiterin Beaufont Informationen über das Verschwinden der Magier hat, sollten wir diese Informationen begrüßen«, schlug Raina Ludwig vor.

»Ich stimme zu«, fügte Hester hinzu. »Es darf keine Rolle spielen, woher die Informationen kommen. Der Schutz unserer Gemeinschaft ist von größter Bedeutung.«

Lorenzo seufzte dramatisch. »Das Problem ist, dass, wenn die Regierungen der Sterblichen herausfinden, dass wir uns auf die Drachenelite verlassen, um uns in dieser Angelegenheit zu helfen, es unseren Ruf nur noch weiter verschlechtert.« Er hob eine Zeitung in die Höhe und deutete auf die Schlagzeile des Tages. Es ging nicht um die riesige Bohnenranke, die durch die Cornelia Street in New York City gewachsen war. Hier ging es um Magier. Die Schlagzeile lautete: Das Haus der Vierzehn versäumt es, seine eigenen Leute zu schützen.

»Ganz meine Meinung.« Haro nickte dem anderen Ratsmitglied zu. »Das entwickelt sich zu einer sehr politischen Situation und die Art und Weise, wie wir damit umgehen, ist entscheidend. Wir waren erst kürzlich in der Lage, die Beziehungen zu den Regierungen der Sterblichen zu verbessern und dies ist ein großer Rückschlag. Sie müssen uns als glaubwürdiges Regierungsorgan sehen, sonst werden die Beziehungen in Zukunft angespannt bleiben.«

Sophia konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Seid ihr mehr um euren Ruf besorgt, als um den Schutz der Magier?«

»Dies ist eine Angelegenheit des Hauses der Vierzehn und wir haben als Rat beschlossen, dass sie unter unserer Kontrolle bleiben muss«, erklärte Bianca.

Clark schaute beschämt drein. Offenbar war es wahr, der Rat hatte über die Angelegenheit abgestimmt. Er hatte offensichtlich verloren. Da der Vorsitz der Sinclairs im Rat nicht ersetzt wurde, waren die Stimmberechtigungen gleichmäßig verteilt. Die Sterblichen Sieben mussten zur Abstimmung hinzugezogen worden sein, obwohl sie zum aktuellen Zeitpunkt nicht anwesend waren. Offenbar ging es auch ihnen darum, den Ruf des Hauses der Vierzehn zu bewahren.

Sophia verstand. Das Einschreiten der Drachenelite in dieser sehr ernsten Angelegenheit ließ das Haus der Vierzehn so aussehen, als könnten sie ihre Gemeinschaft nicht schützen oder die Dinge nicht allein regeln. In Wirklichkeit schien es ihnen weniger um die Sache selbst als um die Wahrnehmung in der Welt zu gehen.

»Ich denke«, begann Hester langsam und diplomatisch. »Es wäre gut, wenn die Drachenelite die Informationen, die sie erhalten hat, an den Rat weitergeben würde und wir von dort aus weitermachen. Obwohl wir deine detektivische Arbeit zu schätzen wissen, wäre es für alle das Beste, wenn unsere Krieger von nun an die Führung übernehmen würden.«

Liv seufzte dramatisch. »Man muss das Haus der Vierzehn einfach lieben. Ein Jahrtausend lang Dinge ineffizient zu erledigen. Das erfordert Talent.«

Clark warf ihr einen missbilligenden Blick zu.

»Ich dachte, wir hätten das bereits geklärt und ihr hättet verstanden, dass ich die Sache übernehme«, antwortete Sophia. »Unsere Fälle sind miteinander verknüpft und ich konnte eine Spur finden, die auf etwas basiert, das ich untersucht habe.«

»Ja, aber die Dinge haben sich weltweit geändert«, erklärte Hester. »Wenn du uns also die Informationen überlassen würdest, können wir die Sache weiterverfolgen. Trudy ist derzeit mit dem Fall betraut.«

»Die Sache ist die«, begann Sophia und versuchte, die Gereiztheit aus ihrer Stimme herauszuhalten und den Anschein von Professionalität zu wahren, »meine Kontaktperson, die mir mitgeteilt hat, wer hinter dem Verschwinden steckt, möchte etwas von mir. Ihr würdet sie brauchen, um die Organisation zu finden, die dahintersteht.«

»Es ist eine Organisation?«, fragte Raina.

Sophia nickte. »Ja und hinter ihr steckt ein Mann namens Mika Lenna.«

Dies führte zu einem Eklat im Rat.

»Ich dachte, er wäre entsorgt worden, als die Luciditen Olento Research zu Fall brachten«, stellte Haro mit Überraschung in der Stimme fest, während er begann, auf seinem Tablet zu blättern.

»Anscheinend ist er wieder da.« Sophia erzählte ihnen, was sie von Trin Currante erfahren hatte.

Hester schüttelte den Kopf, nachdem Sophia die Ereignisse und die von Mika Lenna geschaffenen Cyborgs erklärt hatte. »Das ist unangenehmer, als wir befürchtet hatten. Cyborgs. Unsere armen Magier.«

»Aber es gibt Hoffnung.« Sophia erklärte das mögliche Heilmittel, das die Wirkung der in die Magier installierte Magitech rückgängig machen würde. »Wie ihr seht, werdet ihr die Drachenelite brauchen, ob ihr wollt oder nicht. Trin Currante ist nicht daran interessiert, mit jemand anderem als uns zusammenzuarbeiten. Sie ist der gleichen Meinung wie die Sterblichen, die glauben, dass das Haus der Vierzehn sich von den ihren abgewandt hat.«

»Ach, wirklich«, spottete Bianca. »Das ist doch lächerlich. Wie sollten wir sie vor einer Organisation schützen, von der wir dachten, sie sei verschwunden und vor einem Mann, der angeblich tot war?«

»Nun, sich keine Gedanken um deine hübsche Nase und den Ruf des Hauses der Vierzehn zu machen, wäre ein guter Anfang gewesen«, bemerkte Liv sachlich.

Bianca schoss ihr einen vernichtenden Blick zu. »Das ist eine Frage der Wirtschaft. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst, Olivia.«

Liv, die es vorzog, nicht bei ihrem vollen Namen genannt zu werden, kicherte daraufhin. »Nein, Wirtschaft ist einfach zu viel für mich als Blondine.« Sie warf sich ihre langen Locken über die Schulter und lächelte. »Gut, dass ich dich habe, die für mich denkt. Sag mal, Bi, wie kommt es, dass du mit so einem winzigen Kopf denken kannst?«

Das Gesicht der Rätin färbte sich in einen schrecklichen Rotton, der im Kontrast zu ihrem hochgeschlossenen, schwarzen Kleid stand.

»Wirtschaft sollte hier nicht das Thema sein«, entgegnete Sophia und versuchte, das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema zu lenken.

Hester nickte mit Bedauern im Gesicht. »Ich stimme zu, aber eine strenge Warnung an die Magier auszusprechen und sie aufzufordern, bestimmte Grenzen einzuhalten, um Gefahren zu vermeiden, war keine praktikable Option.«

»Und stattdessen, Soph«, beendete Liv, »haben wir die Hände in den Schoß gelegt und einfach zugelassen, dass unsere eigenen Leute verschwinden. Du verstehst das doch, oder?«

Sophia schüttelte den Kopf, verärgert darüber, dass der Rat in dieser Angelegenheit so selbstgefällig war. »Trin Currante hat sich bereit erklärt, mit der Drachenelite zusammenzuarbeiten. Wir bieten ihr ein mögliches Heilmittel an und im Gegenzug hat sie zugestimmt, uns bei der Suche nach Mika Lenna und der Saverus Corporation zu helfen. Die Drachenelite wird diesen Fall ab jetzt übernehmen. Darüber wird es keine Diskussion geben. Ihr werdet außerdem in der magischen Welt anordnen, dass für alle Magier eine Ausgangssperre gilt, in Paaren zu reisen ist und die Geschäftszeiten eingeschränkt werden, bis die Angelegenheiten geklärt und die Schuldigen dingfest gemacht sind. Wir werden nicht zulassen, dass noch mehr Magier verschwinden.«

Lorenzo verengte seine Augen. »Du hast zwar die Befugnis, diesen Fall zu übernehmen, aber das ist auch alles. Du kannst dem Rat nicht befehlen, solche Regeln durchzusetzen.«

»Doch, das habe ich gerade«, betonte Sophia selbstbewusst. »Wenn das ein Problem darstellt, könnt ihr das mit dem obersten Boss besprechen.«

Bianca schüttelte unbeeindruckt den Kopf. »Der Ruf von Hiker Wallace ist derzeit so fadenscheinig wie unser eigener. Es gibt ein Gerücht, dass er sich wegen eines Machtungleichgewichts versteckt.«

»Hiker führt von Gullington aus«, merkte sie an, wobei sie Jude und Diabolos aufmerksam beobachtete und hoffte, dass sie nicht bemerkten, dass das, was Bianca sagte, wahr war. »Ich habe mich auf seinen Chef bezogen.«

Sophia bluffte zum Teil. Mama Jamba mischte sich fast nie in solche Dinge ein, aber das Haus der Vierzehn musste das über Mutter Natur nicht wissen. Hoffentlich würde ihre Andeutung ausreichen, um die Regulierungsbehörden davon abzuhalten, ihren Bluff zu erkennen. Sie blieben stoisch, während sie den Atem anhielt.

»Mutter Natur?«, keuchte Hester. »Ich glaube nicht, dass das Haus der Vierzehn noch mehr schlechte Presse vertragen kann. Wenn sie uns im Nacken sitzt und die Regeln der Drachenelite durchsetzt, wird das das Bild, das die Welt von uns hat, nur noch weiter verschlechtern.«

Clark nickte. »Ich denke, angesichts der neuen Informationen und der Rolle der Drachenelite in dieser Angelegenheit sollten wir eine Strategie entwickeln, wie wir die Informationen an die Öffentlichkeit bringen können. Es muss so aussehen, als würden wir mit der Drachenelite zusammenarbeiten. Die Bekanntgabe eines Dekrets an unsere Gemeinschaft ist längst überfällig.«

Sophia seufzte und war dankbar, dass sie die Unterstützung ihres Bruders hatte.

Viele Ratsmitglieder nickten zögernd.

»Sehr gut«, meinte Raina und sah Trudy an. »Du wirst der Polizei in den Gebieten zugewiesen, in denen die Magierbevölkerung am dichtesten ist und die Ausgangssperre und die Maßnahmen durchsetzen.«

Die Kriegerin nickte.

»Dann müssen wir eine Pressemitteilung über die neue Strategie ausarbeiten, ohne dabei Informationen hinsichtlich Saverus Corporation preiszugeben«, sagte Hester. »Wir wollen ja nicht, dass Mika Lenna weiß, dass wir ihm auf der Spur sind.«

»Wir erwarten regelmäßige Informationen von dir«, forderte Haro von Sophia.

Liv trat neben ihre Schwester und stieß sie spielerisch mit dem Ellbogen in die Seite. »Ich glaube, das soll heißen, danke, dass du uns den Arsch gerettet hast.«