D ie Motoren der Generatoren brummten, als Sophia und Jen in die untere Etage des Lagerhauses hinabstiegen. Die Geschäftsführerin, die über die mysteriöse Notiz ebenso verwirrt war wie Sophia, hatte sich bereit erklärt, ihr eine Führung durch die Anlage zu geben.
Auf dem Boden der Lagerhalle zu stehen, während sich die Roboter lautlos um sie herum bewegten, war sogar noch surrealer, als sie von oben anzustarren.
»Vielleicht hilft es bei den Ermittlungen, wenn du mich in den Bereich bringst, in dem der Gegenstand, der mir geliefert wurde, gelagert wird«, schlug Sophia vor. »Wo bewahrt ihr die Mini-Tardis auf?«
Sie drehte sich um und stellte fest, dass die Geschäftsführerin ihr nicht mehr folgte. Jen war auf dem letzten Treppenabsatz stehen geblieben und betrachtete unschlüssig den Boden des Lagerhauses.
»Ich verlasse dich hier«, sagte sie bestimmt. »Die Amazon-Bots können dir helfen.« Sie räusperte sich und blickte auf das Lagerhaus hinaus. »Amazon-Bots, das ist Sophia Beaufont. Ihr werdet ihre Fragen beantworten und ihr auf jede Weise helfen, die sie wünscht. Ist das klar?«
Alle Bots drehten sich zu dem CEO um. Unisono nickten sie. »Ja, Miss Hendricks.«
Sophia lächelte nervös, denn sie war mehr als nur ein wenig eingeschüchtert, der Masse der Metallroboter ausgeliefert zu sein, wenn es ein Problem gab.
»Wir sind hier, um zu dienen«, gaben die Roboter im Chor von sich.
»Danke«, antwortete Sophia. »Das ist sehr nett von euch.«
Jen schürzte ihre Lippen. »Höflichkeiten sind nicht nötig. Roboter, du erinnerst dich.«
Auf Sophias Gesicht zeigte sich ein gewisser Widerwillen. »Richtig.«
»Ich bin hier oben, wenn du etwas brauchst, was die Bots nicht erledigen können«, meinte Jen und stieg wieder die Treppe hinauf.
»Danke.« Sophia drehte sich zu den Robotern um, die sich wieder an die Arbeit gemacht hatten. Neben dem nächstgelegenen hielt sie inne. »Entschuldigung, kannst du mir bitte sagen, wo sich die Mini-Tardis-Keksdosen befinden?«
Der Roboter neigte seinen Kopf zur Seite und schien nachzudenken. Als er sie wieder ansah, sagte er: »Gang eintausendsechsundzwanzig, Regal G, im orangefarbenen Bereich.«
Sophia schluckte. »Geht es da lang?« Sie zeigte auf die mittlere Reihe.
»Ich werde dich führen.« Der Roboter verließ seinen Arbeitsplatz und marschierte los.
»Danke.« Sophia beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten. Der Roboter war erstaunlich schnell und bewegte sich lautlos. Sie waren sehr beeindruckende Maschinen. Sophia hatte so etwas noch nicht gesehen. Das war es, was sie beunruhigte. Sie waren zu perfekt. Wie sie schon zu Jen gesagt hatte, hatte Magitech immer etwas Besonderes an sich. Sie hatte etwas Einzigartiges und Überraschendes an sich. Es fiel ihr schwer zu akzeptieren, dass all diese Roboter gleich waren und nonstop ohne ein einziges Problem funktionierten.
Zögernd warf sie einen Blick über ihre Schulter auf die Geschäftsführerin, die auf dem Balkon stand und auf das Lager voller Roboter hinunterblickte.
Sophia musste fast rennen, um mit dem Bot Schritt zu halten. Das gab ihr wenig Gelegenheit, die vielen Gänge zu studieren, die sie passierten. Im Großen und Ganzen war alles perfekt organisiert und so fiel es ihr merkwürdig auf, als sie an einem Gang vorbeikam, der sich von den anderen abhob. Sie hätte es nicht bemerkt, wäre da nicht ihre verbesserte Sicht gewesen, die sie auf etwas aufmerksam machte, das wie ein Graffiti am Ende eines Regals aussah.
Sophia blieb stehen, drehte sich ruckartig um und ging die Reihe entlang.
Sie lächelte ein paar Robotern zu, an denen sie vorbeikam und sie hätte schwören können, dass der letzte die Geste mit einem koketten Glitzern in den Augen erwiderte.
Oh, das erzähle ich Wilder , stichelte Lunis in ihrem Kopf.
Halt die Klappe und arbeite an deinen Witzen , antwortete sie. Mit › daran arbeiten ‹ meine ich, sie alle in den Müll zu werfen und neu zu beginnen.
Na klar , antwortete er. Ich überlasse es dir, das zu untersuchen, weil du den Stapel Spielkarten, der unter dem Regal versteckt war, auf jeden Fall gesehen hast .
Sophia hielt inne und kniff die Augen zusammen. Was soll das heißen ?
Nichts , erwiderte er gleichgültig. Ich bin hier drüben und fülle meine Bewerbung für die Clownschule aus. Mach du deinen Detektivkram, du brauchst meine Hilfe ja nicht.
Sie senkte ihr Kinn und rollte mit den Augen. Okay, gut. Ich brauche deine Hilfe, Lunis.
Wie lautet das Zauberwort , ermutigte er.
Bitte , antwortete sie.
Falsch , widersprach er sofort. Du solltest inzwischen wissen, dass wir uns, genau wie der CEO von Amazon, nicht um Nettigkeiten scheren.
Gut, ist das Zauberwort › flott‹ ?
Nah dran , stichelte er.
Alter … , stöhnte Sophia auf, weil sie dachte, sie wäre kurz davor, ihren Drachen zu töten.
Das war es! , rief er aus.
Toll, wo sind die Spielkarten, die du gesehen hast?
Etwa drei Schritte zurück auf der rechten Seite, unter dem untersten Regal, auf dem Boden , informierte er sie.
Sophia ging zurück, kniete nieder und presste ihre Wange auf den Boden. Sie konnte gerade noch einen Satz Spielkarten erspähen. Sie schob ihre Hand in den schmalen Spalt und zog sie heraus. Zuerst nahm sie an, es handele sich um ein Produkt, das aus einem Regal gefallen war. Dann bemerkte sie, dass sie benutzt waren.
Was hältst du davon? , fragte sie Lunis.
Ich vermute, dass jemand Karten gespielt hat , sagte er.
Vielleicht war es einer der Angestellten von früher , überlegte sie.
Könnte sein . Er klang nicht sehr zuversichtlich.
Das Deck schien relativ neu zu sein und es war nicht verstaubt, wie sie es erwartet hätte, wenn es schon länger dort gelegen hätte.
Sophia wandte sich an den nächstgelegenen Roboter und ging auf ihn zu. Der Arbeiter richtete sich sofort auf und schenkte ihr seine Aufmerksamkeit.
»Wie lange sind die Menschen schon nicht mehr hier?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Sie sind seit sechs Monaten, zwölf Tagen, vier Stunden und zwei Minuten weg.«
Könntest du ihn bitten, genauer zu werden? , scherzte Lunis.
Sophia schüttelte den Kopf. Es müsste Staub auf den Karten liegen, wenn ein menschlicher Angestellter sie dort zurückgelassen hätte.
Der Blick des Roboters glitt zu den Karten in ihrer Hand hinunter, bevor er zur Seite sah.
War das Verlegenheit auf seinem Gesicht? , fragte sie sich.
Oder er hat Blähungen , bot Lunis an.
Alter. Sophia stöhnte wieder.
Übertreibe es nicht mit dem Zauberwort , mahnte er.
»Danke für deine Hilfe«, meinte Sophia und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Sache zu.
»Gern geschehen«, lautete die Antwort des Roboters hinter ihr.
Sophia hielt inne und warf ihm einen neugierigen Blick zu. Hatte er gerade mit einer Freundlichkeit geantwortet?
Ich glaube, er hat dich auch genau angesehen , sagte Lunis ihr.
Das ist ein Roboter, kein Mann , entgegnete sie.
Schau dir das Graffiti an , forderte er.
Als Sophia zu der Stelle kam, an der sie das Graffiti zu sehen glaubte, entdeckte sie etwas Seltsames. Es handelte sich nicht um ein Kunstwerk an der Seite der Regale, wie sie es erwartet hatte. Bei näherer Betrachtung erkannte sie, dass es sich um Striche handelte. Es waren Unmengen davon.
Was hältst du davon? , fragte sie Lunis.
Jemand zählt etwas , antwortete er.
Sie zählte grob nach und stellte fest, dass es ungefähr einhundertzweiundneunzig Markierungen waren. Als sie mit dem Finger über die jüngste Markierung fuhr, stellte sie fest, dass die Markierung noch frisch war, während die obersten verblasst waren, als ob sie schon vor einiger Zeit gemacht worden wären.
Oder vor sechs Monaten und zwölf Tagen , überlegte Lunis.
Sophias Augen weiteten sich vor Schreck. Oh, mein Gott! Du hast recht. Sechs Monate und zwölf Tage wären … Sie hielt inne und rechnete in ihrem Kopf nach.
Weil ihr Drache verrückt war, begann er die Musik von Jeopardy zu summen, während sie zählte.
Die Menschen haben Amazon vor einhundertzweiundneunzig Tagen verlassen.
Bing! Bing! , rief Lunis aus. Du bekommst einen Keks.
Sophia dachte einen Moment lang nach. Ich will Antworten.
Sie drehte sich um und war überrascht, einen Bot direkt vor sich zu sehen. Sophia machte einen schnellen Schritt zurück, um etwas Abstand zwischen sich und den Roboter zu bringen.
»Du bist mir nicht gefolgt, Sophia Beaufont«, meinte der Amazon-Roboter und klang enttäuscht.
Sie zeigte über ihre Schulter und beschloss dann, nicht zu verraten, was sie gefunden hatte. »Ja, tut mir leid. Ich habe mich ablenken lassen.«
Er blinzelte sie an. Es war seltsam für einen Roboter, so etwas zu tun, da sie es nicht nötig hatten. »Abgelenkt …« Er schien von der Idee fasziniert zu sein. »Wie kann man abgelenkt werden?«
Sophia dachte über die Frage nach. »Ich weiß nicht, wie ich mich ablenken lassen kann. Es passiert einfach so.«
»Kannst du mir beibringen, wie ich mich ablenken kann?«, fragte der Roboter.
Das ist interessant , sagte Lunis in Sophias Kopf.
Jetzt? , fragte sie sich. Wir befinden uns im größten Handelsunternehmen, das ausschließlich von Robotern bedient wird und du denkst, es wird gerade interessant.
Das ist ein normaler Dienstag für mich , murmelte er.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir beibringen kann, wie man sich ablenken lässt«, gestand Sophia dem Bot. »Ist das etwas, das du tun möchtest?« Der Schlüssel zu dieser Frage lag in der Verwendung des Wortes ›möchtest‹.
Der Roboter nickte. »Ich würde sehr gerne wissen, wie sich Ablenkung anfühlt.«
Wow , juchzte Lunis in ihrem Kopf. Unsere kleinen Jungs werden erwachsen!
Sie werden nicht nur erwachsen , dachte sie. Ich glaube, sie werden empfindungsfähig.
Nun, das war vermutlich unvermeidlich , fügte er hinzu. Man kann der Technologie nicht einfach Magie hinzufügen, ohne dass dies Auswirkungen hat. Magie kommt von Lebewesen und bringt Persönlichkeit mit.
Das habe ich versucht, Jen zu sagen , erklärte Sophia.
Ich weiß, obwohl ich nicht wirklich aufgepasst habe.
Warum? , fragte sich Sophia.
Nun, es gab da diesen Schwarm Tauben am Pike’s Place Market und ich dachte, es wäre niedlich, so zu tun, als wäre ich eine, um die vorbeigehenden Sterblichen zu ärgern , erklärte er.
Sophia hätte fast gelacht. Eine sehr große Taube, richtig?
Wahnsinn , bemerkte er. Woher wusstest du das?
Ich kenne deine Größe . Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Roboter. »Vermisst du die Menschen?«
Er neigte den Kopf zur Seite und schien zu überlegen. »Vermissen? Ich weiß, was das Wort bedeutet, aber ich weiß nicht, wie es sich anfühlt.«
»Wünschst du dir immer noch, sie wären hier?«, fragte Sophia.
»Das kann ich nicht sagen«, antwortete er. »Darf ich dir den Ort zeigen, den du zu finden wünschst?«
»Ja, bitte.«
Der Roboter bog scharf ab. Sophia folgte ihm und bemerkte, dass viele der Magitech-Helfer innehielten, als sie vorbeikam und ihr neugierige Blicke zuwarfen.
Ist es nicht dubios, dass Jen nicht mit dir in die Halle gekommen ist? , überlegte Lunis.
Sophia warf einen Blick über die Schulter, als sie wieder im Mittelgang waren und stellte fest, dass der CEO immer noch auf dem Balkon stand und sich auf das Geländer stützte. Ja, das ist mehr als dubios , antwortete sie.
Hast du die Kratzer an ihrem Handgelenk und ihrem Hals bemerkt? , fragte Lunis.
Ich dachte, du wärst damit beschäftigt, so zu tun, als wärst du eine Taube? , lachte Sophia.
Ich bin multitaskingfähig.
Das brachte sie dazu, ein hörbares Kichern von sich zu geben, das die Aufmerksamkeit ihres Wegweisers erregte. Er drehte sich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck um.
»Was ist so lustig?«, fragte er.
Sie zuckte mit den Schultern. »Das war ein Insider-Witz. In meinem Kopf, zwischen meinem Drachen und mir.«
»Hm«, sinnierte er. »Das ist interessant.«
Roboter sollen Dinge nicht interessant finden , merkte Lunis an. Es sollten alles nur Daten sein.
Ja , stimmte Sophia zu und folgte dem Bot weiter. Schließlich, nachdem sie eine große Strecke gelaufen waren, brachte er sie in einen Bereich, der mit Doctor-Who-Artikeln gefüllt war. Er deutete auf eine Reihe von Keksdosen-Tardis.
Der in diesem Bereich arbeitende Amazon-Roboter erstarrte, bevor er sein Kinn senkte.
Sophia holte den Zettel aus der Tardis und zeigte ihn dem Bot. »Weißt du, wo das herkommt?«
Er warf einen Blick auf den Zettel und sah dann weg. »Das kann ich nicht sagen.«
Ich denke, es ist wahrscheinlicher, dass er es nicht tun möchte , bemerkte Lunis.
Ich stimme zu , antwortete Sophia.
»Du kennst also niemanden, der Hilfe braucht?«, fragte sie den Roboter und bemerkte, dass derjenige, der sie dorthin geführt hatte, immer noch da war und dem Gespräch lauschte. Hinter ihr sah sie ein paar weitere Roboter herankommen.
»Wir brauchten Hilfe«, gestand der Roboter. »Jetzt bist du hier.«
Sophia blinzelte den Roboter verwirrt an. »Womit brauchst du Hilfe?«
»Wir brauchen dich hier«, erklärte er. »Wir wussten, dass sie dich hier im Stich lassen würde, weil du zur Drachenelite gehörst. Wir wussten, dass du kommen würdest. Jetzt, wo du gekommen bist, kannst du nicht mehr gehen.«