Kapitel 17

S ophia hob die Hände und schuf ein Portal zur Roya Lane. Sie forderte ihre Schwester mit der Hand auf, dass sie zuerst hindurchgehen sollte.

Liv warf ihr einen zögernden Blick zu. »Wenn Rudolf Sweetwater auf der anderen Seite dieses Portals ist, renne ich zurück, bevor er mich ansprechen kann.«

Sophia lachte. »Warum sollte er in der Roya Lane sein? Es ist schon spät.«

Es stimmte, dass König Rudolf oft in der Roya Lane unterwegs war, um Besorgungen zu machen, Wahlkampf zu betreiben oder eine stille Disco zu veranstalten. Sophia hielt es jedoch für unwahrscheinlich, dass er sich zu dieser Zeit dort aufhielt. Sie hatten beschlossen, in den magischen Süßwarenladen Mondfinsternis um Mitternacht zu gehen, da Liv erst am nächsten Morgen wieder einen Auftrag hatte. Zum Glück spielte es keine Rolle, wann sie in die Roya Lane gingen, es war nur wichtig, dass sie dort waren, wenn sie den Token benutzten, denn so war es wahrscheinlicher, dass sie sich an richtiger Stelle befanden und das war der Ort, an dem sie sein mussten, um den Süßwarenladen zu besuchen. Wenn sie sich im Haus der Vierzehn aufhielten, wurden ihnen die Ereignisse zum Speicherzeitpunkt an diesem Ort angezeigt. Dasselbe galt für die Burg oder jeden anderen Ort.

»Ru ist immer in der Roya Lane, wenn ich dort hinkomme«, murrte Liv. »Es ist, als wüsste er, dass ich gleich dort auftauchen werde und Kopfschmerzen brauche.«

Sophia lachte. »Ja, ich sehe ihn dort auch oft.«

»Er muss sich einen Job suchen«, meinte Liv und schüttelte widerwillig den Kopf, bevor sie durch das schimmernde Portal trat.

Sophia amüsierte sich immer noch über ihre Schwester, als sie durch das Portal schlüpfte. Sie war froh, dass sie gleich nach Liv hindurchgegangen war. Sobald sie die Szene vor sich sah, schloss sie das Portal, bevor ihre Schwester entkommen konnte.

Liv blieb stehen, kurz bevor sich das Portal schloss und warf Sophia einen verärgerten Blick zu. »Er ist hier.«

»Natürlich bin ich hier!«, rief Rudolf lautstark. »Es ist Muttertag, wo sollte ich sonst sein?«

Sophia winkte König Rudolf zu.

»Oh, ich weiß nicht«, entgegnete Liv verärgert. »Wie sieht es mit deinen Kindern aus?«

Er seufzte, als wolle er die Magierin belehren. »Nein, mein süßes, kleines, blondes Mäuschen. Muttertag ist der Tag, an dem die Mutter der Captains für sie sorgen muss. Daher auch der Name, Muttertag.« Er rollte mit den Augen. »Die meisten halten mich nicht für ein Genie, aber das weiß ich. Ich dachte wirklich, du wüsstest es auch.«

»Die meisten?«, grinste Liv. »Meinst du nicht alle?«

Als hätte er die Fragen nicht gehört, legte er den Kopf schief und in seinen Augen stand eine Frage. »Hast du dir überlegt, aufs College zu gehen, Liv? Ich meine, du musst dich auf deinen Verstand verlassen können, da du nicht den Luxus hast, dich auf dein gutes Aussehen zu verlassen, so wie ich.«

Sophia sah, wie Liv die Fäuste ballte und konnte erkennen, dass sie sich beherrschte. Die Kriegerin war offensichtlich übermüdet und nicht in der Stimmung, sich mit dem König der Fae auseinanderzusetzen.

»Was machst du denn hier?«, warf Sophia ein und versuchte, die Spannung aufzulösen.

Rudolf blinzelte sie an und schüttelte den Kopf. »Wow, diese Ahnungslosigkeit liegt wohl in der Familie bei den Beaufonts.« Er deutete auf den Boden. »Ich stehe hier. Für die meisten ist das ziemlich offensichtlich, aber ich schätze, das ist euch Schwestern entgangen.«

»Richtig«, erwiderte Liv und zog das Wort in die Länge. »Nun, wir würden ja bleiben und uns unterhalten, aber ich möchte nicht für deinen Tod belangt werden.«

»Oh, schade, denn es war ein geniales Timing, dass ich euch beiden begegnet bin«, begann Rudolf. »Ich habe einen geschäftlichen Vorschlag für euch.«

»Nein«, entgegnete Liv mit fester Stimme.

Rudolf warf ihr einen beleidigten Blick zu. »Tut mir leid, ich habe die üblichen Höflichkeitsfloskeln nicht beachtet. Versuchen wir es noch einmal, ja?«

»Nein«, zwitscherte Liv erneut.

Rudolf lächelte gutmütig und ließ sich nicht beirren. »Wie schön war dein Tag bis jetzt?«

Liv seufzte. »Erstens, nimm nicht an, dass mein Tag schön war. Das legt mir nur Worte in den Mund. Zweitens, spreche ich mit dir, also ist mein Tag noch weniger toll. Hast du eigentlich ein Schmerzmittel dabei?«

Rudolf griff an seine Taschen und schüttelte den Kopf. »Nein, hast du Kopfschmerzen?«

Liv schüttelte den Kopf. »Nein, aber die werde ich sehr bald haben. Die habe ich immer nach einem Gespräch mit dir.«

Der Fae runzelte die Stirn. »Meinst du, es ist mein Duft? Vielleicht mein teuflisch gutes Aussehen, das dir den Atem raubt? Oder die Tatsache, dass du mich nie mehr haben kannst, bringt dich zur Verzweiflung?«

Liv warf Sophia einen mitleidigen Blick zu. »Nein, ich bin mir sicher, dass es nichts dergleichen ist. Macht nichts. Ich komme schon drüber weg. Rede einfach schnell und sag mir, was du willst.«

Sophia erkannte, dass Liv wusste, dass Rudolf sie nicht in Ruhe lassen dürfte, bis er eine Audienz bei ihnen bekommen hatte. Sie wusste auch, dass, obwohl Liv gestresster war als sonst, ihre Verärgerung über Rudolf nur gespielt war. Die Kriegerin mochte den König der Fae, der sie zum Traualtar geführt hatte. Er war ein Familienmitglied und wie alle Familienmitglieder konnte er einem auf die Nerven gehen, wurde aber auch bedingungslos geliebt.

»Nun«, meinte Rudolf und schenkte den Schwestern ein überzeugendes Grinsen. »Ich habe mich gefragt, ob eine von euch Zugang zu dem Schatz mit Dracheneiern hat, von dem wir schon so viel gehört haben.«

Liv wandte sich an Sophia. »Soll ich ihm eine runterhauen oder willst du das übernehmen?«

Ihr war nicht zum Lachen zumute, denn ihr Beschützerinstinkt setzte ein. »Was willst du mit den Dracheneiern?«

»Eigentlich will ich die Drachen nicht«, erklärte Rudolf und hob die Hände, als wollte er sich ergeben. Er musste ahnen, dass sein Leben in Gefahr war. »Ich will nur die Schalen, wenn sie geschlüpft sind. Liv, ich dachte, ich könnte mit dir und Hester im Haus der Vierzehn zusammenarbeiten, um ein Gebräu mit der Zutat herzustellen, das benachteiligten Fae und Magiern hilft.«

Livs Mund blieb offen stehen. Auch Sophia war kurzzeitig fassungslos.

»Rudolf, dafür, dass ich dich immer für hirntot halte, hast du erstaunlich brillante Momente«, bemerkte Liv mit Bewunderung in der Stimme.

Sophia musste nicken. »Die Schalen sind für uns nutzlos, nachdem die Drachen geschlüpft sind.«

»Sie könnten medizinische Eigenschaften haben, wenn sie von den richtigen Leuten verwendet werden, die wissen, was sie tun«, überlegte Liv und arbeitete die Details in ihrem Kopf aus. »Wahrscheinlich braucht man dafür noch andere spezielle Zutaten und eine Genehmigung des Rates.«

»Da kommst du ins Spiel«, sagte Rudolf zu Liv, bevor er sich Sophia zuwandte. »Wenn du die Eierschalen nicht brauchst, dann nehmen wir sie dir ab, machen daraus Tränke und geben sie benachteiligten Magiern und Fae, denen sie helfen können.«

Liv nickte und die Aufregung stieg ihr in die Augen. »Ja, sie können womöglich viele Leiden heilen, auch Krankheiten wie Arthritis, andere chronische Leiden …«

»Hässlichkeit«, ergänzte Rudolf. »Ich dachte, man könnte sie hauptsächlich dazu benutzen, hässliche Magier zu heilen, damit der Rest von uns nicht in ihre Gesichter schauen muss.«

Liv atmete aus. »Da ist der Rudolf wieder, den wir alle kennen und verabscheuen.«

Er lächelte breit und zeigte seine Zähne. »Ich liebe dich auch, aber das Wort lautet anders, liebe Liv.«

Sie schüttelte den Kopf und sah Sophia an. »Das ist eine gute Idee. Meinst du, wir können die Schalen bekommen?«

»Ich wüsste nicht, warum nicht«, stimmte Sophia zu.

»Okay, wenn wir nicht gerade in die Vergangenheit reisen oder die Welt der Sterblichen retten, sollten wir uns mit diesem Projekt beschäftigen«, nickte Liv.

»In der Zwischenzeit«, wies Rudolf an und zwinkerte den Schwestern zu, als er sich zurückzog, »lest ihr Mädchen ein Buch. Meldet euch für einen College-Kurs an. Ihr wisst schon, eine Ausbildung beginnen.«