I ch muss raus in die Dunkelheit«, begann Liv, als Rudolf verschwunden war und die Roya Lane zum größten Teil ihnen gehörte. »Nur um einen magischen Kaugummi zu finden.«
Es schien, als hätte das Haus der Vierzehn sein Versprechen eingehalten und die Magier gezwungen, drinnen zu bleiben, sobald es dunkel wurde. Hoffentlich konnte dies verhindern, dass einer von ihnen durch Mika Lennas Hände zu Tode kam. Obwohl es unwahrscheinlich war, dass der teuflisch böse Mann in die Roya Lane gelangen konnte, da er kein magisches Wesen war und keine Portalmagie besaß, war es das Beste, den verrückten Frankenstein nicht zu unterschätzen.
Aus diesem Grund hatte das Haus der Vierzehn angeordnet, dass sich nach Feierabend keine Magier mehr in der Roya Lane aufhalten durften. Vermutlich hatten sie zugehört und auch andere magische Wesen beherzigten die Warnung, da sich keines von ihnen in der dunklen Straße aufhielt.
Als Sophia den unheimlichen Anblick der leeren Straße genoss, die normalerweise von zwielichtigen Gnomen, die schlechte Geschäfte machten und Hippie-Elfen bevölkert war, verspürte sie den Drang, laut singend die Straße auf und ab zu laufen.
»Jetzt wäre die perfekte Gelegenheit, den Horrorfilm zu drehen, den wir schon lange in Angriff nehmen wollten«, meinte Liv mit einem hinterhältigen Grinsen im Gesicht.
Sophia warf ihr einen verwirrten Blick zu. »Horrorfilm? Ich habe das Memo über diesen Wunsch nicht erhalten.«
Ihre Schwester zuckte mit den Schultern. »Ein Film Noir also? Oder eine Parodie, vielleicht? Ich bin für alles zu haben. Es ist einfach eine gute Gelegenheit, das hier als Filmkulisse zu nutzen.«
Sophia lachte und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, dieses Projekt muss warten. Magischer Kaugummi, schon vergessen?«
Liv seufzte. »Ja, stimmt. Was kann der noch mal?«
»Es soll den Kauer glücklich machen, egal was passiert«, erklärte Sophia. Lee aus der Bäckerei Zur heulenden Katze hatte ihr das gesagt, als sie sie auf die bevorstehende Mission vorbereitete.
»Und was ist der Grund, warum du ihn brauchst?«, fragte Liv.
»Ich weiß es nicht. Lee hat mir noch nichts dazu mitgeteilt und auch nicht, wo ich das magische Katana finden kann, wenn ich alle Zutaten für diese Mission gesammelt habe. Anscheinend muss ich das noch nicht wissen.«
»Da fällt mir ein«, warf Liv ein und kramte in ihrem Umhang. Sie holte verschiedene Dinge heraus und schüttelte den Kopf, da die Gegenstände offensichtlich nicht das waren, wonach sie suchte. »Hier, halte das für mich, während ich nachsehe, wo es ist.« Sie drückte Sophia ein zerbrochenes Jojo, ein Plastikeinhorn und einen Behälter mit Knetmasse in die Hand, bevor sie wusste, was los war.
Sophia kicherte, als sie auf die zufälligen Gegenstände hinunterblickte. »Sag mal, hast du einen Kindergarten-Gruppenraum geplündert? Was ist das alles?«
Liv schüttelte den Kopf. »Streichle das Einhorn nicht, wenn du nicht von seiner echten Gestalt platt gemacht werden willst. Ich habe diesen Fehler schon ein oder zwei Mal gemacht.«
Sophia warf ihrer Schwester einen skeptischen Blick zu. »Das meinst du nicht ernst? Das ist doch kein echtes Einhorn.«
»Nein, momentan nicht«, antwortete Liv und kramte weiter herum. »Streichle es und nenne es Polly, dann lernst du, dass Einhörner sehr schnell sind.«
Sophia schauderte, weil sie sich an die Begegnung mit dem Phantom erinnerte, einem dunklen Einhorn, das sie hatte besiegen müssen, um sich mit dem Schwert ihrer Mutter, Inexorabilis, zu verbinden. »Ich weiß sehr wohl, dass es sie wirklich gibt. Wusstest du eigentlich, dass sie das Nationaltier Schottlands sind?«
Liv nickte und suchte immer noch. »Weil es den Löwen besiegen kann.«
Sophia blinzelte sie erstaunt an und schüttelte den Kopf. »Woher weißt du das und warum müssen sie den Löwen besiegen?«
»Weil ich nicht schlafe«, erwiderte Liv. »Der Löwe wurde üblicherweise als Symbol für das englische Königshaus verwendet.«
»Oh, diese hinterhältigen Schotten«, meinte Sophia bewundernd.
»Wirklich, wenn jemandes Seelentier ein Einhorn sein sollte, dann für dich«, plapperte ihre Schwester geistesabwesend vor sich hin und überreichte weitere Gegenstände.
»Warum ein Einhorn? Warum nicht ein Drache? Das wäre für mich die naheliegendste Wahl.«
»Drache?« Liv sah verwirrt auf. »Warum ein Drache?«
Sophia seufzte und schüttelte den Kopf. »Weil ich einen Drachen habe. Du weißt schon, weil ich ein Drachenreiter bin.«
Liv starrte sie einen Moment lang ausdruckslos an, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Taschen richtete. »Oh, Gerald. Richtig, den habe ich völlig vergessen.«
»Lunis«, korrigierte Sophia.
»Ich habe gesagt, dass dein Seelentier – oder wie auch immer du es nennen willst – ein Einhorn sein sollte, weil es für das steht, was es repräsentiert«, fuhr Liv fort.
»Reinheit und Stärke?«, fragte Sophia.
»Ja«, stimmte Liv zu. »Aber in wenigen Darstellungen des Einhorns konnten sie sich dafür entscheiden, seine Macht und Stärke zu nutzen, um ihre Feinde zu besiegen, aber die meiste Zeit nutzten sie seine Gaben, um anderen zu helfen. Glaubt man den Überlieferungen, so hätte das Einhorn alle anderen Tiere beherrschen können und doch hat es seine Kräfte nicht für solche Dinge eingesetzt.«
Sophia lächelte ihre Schwester an, die immer noch damit beschäftigt war, ihren Umhang zu durchwühlen, der ungefähr so wirkte wie die Reisetasche von Mary Poppins. »Danke. Das ist wirklich schön zu hören.«
»Ich habe es nicht gesagt, um nett zu sein«, bemerkte Liv sachlich. »Bam! Hier ist er ja!« Mit einem breiten Grinsen zog sie einen kleinen Kompass heraus.
»Das ist der von den Elfen gefertigte Kompass?« Sophia hatte die Hände voll mit all den Dingen, die Liv ihr gereicht hatte.
Liv erkannte das Problem, als sie versuchte, ihn ihr zu geben und strich mit der Hand darüber, woraufhin alle Gegenstände aus Sophias Händen verschwanden. »Ja und ich leihe ihn dir für die kommende Mission aus.«
Sophia lächelte, als sie das kompakte Gerät entgegennahm. Sie wusste nicht, warum sie einen magischen Kompass brauchte, um an das Katana zu gelangen. Sie wusste auch nichts anderes über die Mission, zum Beispiel, warum sie Zac Efron oder einen magischen Kaugummi brauchte. »Ich danke dir. Ich werde ihn gut aufbewahren«, versprach sie und steckte den Kompass in ihren eigenen Umhang, der nicht so voll war wie der ihrer Schwester. In ihren Taschen befand sich nur ein weiterer Gegenstand, den sie brauchten, um den Süßwarenladen Mondfinsternis um Mitternacht zu besuchen.
Sophia holte den goldenen Token aus ihrer Tasche und zeigte ihn Liv.
»Ein bisschen bescheiden für das, was er kann, oder?«, fragte ihre Schwester beeindruckt.
»Ja.«
Liv lachte. »Ich denke, dasselbe kann man auch von uns behaupten. Auf jeden Fall von dir.«
Sophia lächelte zärtlich und reichte ihrer Schwester die Hand. »Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, wie du mit mir zurückreisen kannst.«
Liv blinzelte. »Bist du sicher, dass du nicht nur meine Hand halten möchtest?«
»Nein«, stichelte Sophia. Sie aktivierte die Münze auf dieselbe Weise, wie sie sie in der Burg und im Haus der Vierzehn benutzt hatte. Das Ziel war, in die Vergangenheit zum Speicherpunkt zu reisen, der kurz vor dem Ausbruch des Großen Krieges lag. Er lag auch zufällig in der Nacht einer Mondfinsternis, der einzigen Zeit, in der der Süßwarenladen geöffnet hatte.
Zu Sophias Überraschung sah die Goldmünze anders aus. Vorher waren darauf das Haus der Vierzehn, die Burg und die Große Bibliothek abgebildet. Jetzt war oben rechts eine Straße zu sehen, die sie als Roya Lane erkannte. Über allen Bildern stand das Wort ›Gegenwart‹.
Sophia drehte die Münze in ihren Fingern um und las die andere Seite: Speicherpunkt.
Sie blickte auf und fragte sich, ob es funktioniert hatte. Zuerst dachte sie, es hätte nicht geklappt, aber dann sah sie die verräterischen Anzeichen, dass es funktioniert hatte und spürte eine Welle der Erleichterung.