I ch werde mich nie wieder verlieben«, brüllte Ainsley, als sie an Sophia vorbei die Treppe der Burg hinunterstampfte.
Sophia hielt inne und warf der Haushälterin einen vorsichtigen Blick zu. »Geht es dir gut, Ains?«
Die Gestaltwandlerin drehte sich um, die Farbe ihres Gesichts entsprach beinahe dem Farbton ihrer Haare. »Sieht es so aus, als ob es mir gut ginge?«
Sophias Augen huschten von einer Seite zur anderen. »Nein, deshalb habe ich dich ja gefragt, ob es dir gut geht.«
»Tut es aber nicht«, beschwerte sich Ainsley und zeigte auf den Treppenabsatz der großen Treppe. »Dieser Mann will, dass alles so bleibt wie immer. Er kommandiert mich herum und behandelt mich schlechter als einen gewöhnlichen Dienstboten. Seit Jahrhunderten diene ich ihm und der Drachenelite und bekomme ich ein einziges Dankeschön? Nein! Nein, natürlich nicht. Früher hat mich das geärgert, aber jetzt, wo ich weiß, dass er und ich … Das macht mich noch wütender als sonst.«
Sophia nickte tröstend und versuchte zu überlegen, wie sie die Situation deeskalieren konnte. »Ich kann verstehen, dass du dich aufregst. Das ist für dich eine Menge, mit der du fertig werden musst und jetzt die Erinnerungen zu behalten, aber nicht alle zu haben, muss schwierig sein.«
»Das ist es«, stimmte Ainsley zu, wobei sich ihr Tonfall änderte. »Finde einfach ein Heilmittel für mich, S. Beaufont. Finde einen Weg für mich, hier herauszukommen, denn je länger ich bleibe, weil ich weiß, dass er mich hier gefangen hält, mir mein Gedächtnis und mein Leben stiehlt, desto kürzer wird die mögliche Dauer seines Lebens.«
Sophia nickte. »Ich arbeite daran, Ains. Das tue ich wirklich. Meinen Quellen zufolge muss ich ihm helfen, um dir zu helfen.«
Jetzt lachte Ainsley. »Natürlich tust du das. In der Zwischenzeit werde ich den Wildeintopf machen, den er bestellt hat. Ob er wohl heute Abend eine Portion Chloroform dazu haben möchte?«
»Wahrscheinlich nicht?«, erwiderte Sophia vorsichtig.
Die Haushälterin eilte die Treppe hinunter und schüttelte den Kopf. »Ach, S. Du hast mich falsch verstanden. Ich habe dich nicht gefragt, was du denkst.«
»Da bin ich mir sicher«, entgegnete Sophia. Sie wandte sich dem oberen Ende der Treppe zu und machte sich mit einem tiefen Atemzug auf den Weg zum Büro von Hiker Wallace.
* * *
»Sir«, erkundigte sich Sophia an der Tür zu Hikers Büro, »ist alles in Ordnung?«
Er blickte von einem Berg von Papieren auf seinem Schreibtisch auf und seufzte. Die Sonne war schon längst über Loch Gullington untergegangen. »Nein, die Stadt New York sitzt mir im Nacken, weil diese riesige Bohnenranke die Cornelia Street völlig durcheinanderbringt. Das ist noch nicht einmal ein Bruchteil meiner Probleme.«
»Ja, Ainsley ist ziemlich aufgebracht«, erzählte Sophia.
Sein Gesicht verzog sich vor Verwirrung. »Ainsley? Nein … sie ist ein dauerhaftes Problem, ich meinte die sterblichen Regierungen, die mit dem Haus der Vierzehn wegen des Verschwindens der Magier am Verzweifeln sind. Wie stehst du dazu?«
»Ich arbeite daran«, antwortete sie. »Trin Currante spürt den Aufenthaltsort von Mika Lenna auf. Sobald sie etwas hat, sollten alle Kräfte der Drachenelite eingesetzt werden.«
Er nickte mit Bedauern im Gesicht. »Alle außer mir.«
»Nein«, antwortete sie. »Ich denke, wir werden alle gebraucht. Mika Lenna und Saverus Corporation dürfen nicht unterschätzt werden. Er ist schon mehrmals entwischt.«
»Nun …« Sein Blick fiel auf die Fensterbank, die dunkel war, da kein Mond schien.
»Ainsley ist im Moment sehr aufgebracht«, begann Sophia und beschloss, dass es besser war, später auf die Sache mit Mika Lenna zurückzukommen.
»Das liegt daran, dass ich sie gebeten habe, für das Abendessen morgen etwas zu kochen, das auch wirklich essbar ist«, erklärte er. »Das ist ihr Job und eigentlich sollte sie dazu in der Lage sein, wenigstens das zu tun.«
Sophias Augenlider flatterten vor Verärgerung. »Du kannst dich doch daran erinnern, dass sie nicht immer schon Haushälterin war. Sie war früher Diplomatin für den Elfenrat.«
Er öffnete den Mund, um ihr zu widersprechen, schüttelte aber stattdessen den Kopf.
»Sie ist nur deshalb Haushälterin, weil es für sie kaum andere Möglichkeiten gibt«, erinnerte Sophia ihn.
»Ich weiß«, brummte er.
»Weißt du es denn wirklich?«, fragte sie nach. »Weißt du noch, wer sie einmal war? Und noch wichtiger: Erinnerst du dich daran, was ihr beide füreinander wart?«
»Lass es«, warnte er mit ernster Stimme.
»Das werde ich«, wagte sie zu sagen. »Ainsley verdient es, ihr Leben zurückzubekommen und du bist der Einzige, der es ihr zurückgeben kann.«
»Ich weiß nicht, wie«, murmelte er. In seiner Stimme lag ein Hauch von Schwäche.
»Zum Glück kenne ich Leute, die das tun.« Sophia zog den Token aus ihrer Tasche und legte sie vor Hiker Wallace auf den Schreibtisch.
»Was ist das?«, knurrte er.
»Das ist kein Fahrgeld für den Bus«, scherzte sie.
Er verstand den kleinen Scherz nicht und starrte sie mit glühendem Blick an.
Sophia seufzte. »Es ist eine Möglichkeit, in die Vergangenheit zu schauen.«
»Das ist nicht zulässig«, entgegnete Hiker.
»Normalerweise ist es das nicht«, stimmte sie zu. »Mit diesem ist es in Ordnung. Papa Creola hat ihn mir irgendwie geschenkt.«
»Irgendwie?«, wiederholte er.
»Nun, ich bin seine Hüterin«, erklärte sie. »Er führt zu dem Zeitpunkt in der Geschichte zurück, kurz bevor der Große Krieg begann.«
Hiker stand plötzlich auf und wich einen Schritt zurück, als wäre der Token eine Giftschlange, die sich auf ihn stürzen wollte. »Warum sollte ich dorthin zurückkehren wollen? Thad … Ainsley … der Krieg …«
»Genau deshalb musst du zurück«, schlussfolgerte Sophia. »Du hast die Vergangenheit vergessen und ohne sie zu kennen, kommst du nicht weiter.«
»Nein.«
»Hör zu«, begann Sophia und versuchte einen anderen Ansatz. »Nimm den Token und überlege dir, ob du ihn benutzen willst. Wenn du willst, gehe ich morgen mit dir auf die Bohnenranke.«
»So war die Abmachung«, bestätigte er mit Überzeugung. »Du hast das verdammte Ding dort platziert und du wirst mir helfen, es loszuwerden.«
»Ich habe getan, was Mama Jamba mir aufgetragen hat«, antwortete sie. »Sag mir nicht, dass du dich ihr verweigert hättest.«
Er seufzte. »Das ist so eine Sache. Ich kann mich ihr nicht widersetzen und ich verstehe, dass du es auch nicht kannst. Sie befiehlt mir, auf die Bohnenranke zu klettern, also muss ich es tun. Wer weiß, was sie sonst noch für mich geplant hat? Ich kann davon ausgehen, dass es nicht nach meinem Geschmack sein wird.«
»Aber«, konterte Sophia, »sie sagte, das gehöre dazu, um deine Kräfte auszugleichen. Ich denke, wir müssen ihr vertrauen.«
Er hob die goldene Münze auf und betrachtete sie eingehend. »Ich vertraue Mutter Natur bedingungslos, aber das bedeutet nicht, dass mir gefällt, was mir bevorsteht.«
Sophia verstand, dass Hiker Angst vor dem hatte, wovor sich die meisten Menschen fürchteten, nämlich vor Veränderung.
Er hatte die letzten Jahrhunderte damit verbracht, sich vor der Vergangenheit zu verstecken und jetzt auch vor der Macht, die er geerbt hatte. Nun musste er sich einer Zukunft stellen, in der er entweder seine Dämonen besiegte oder zuließ, dass sie ihn auffraßen.