Kapitel 26

B ruchstellen und tiefe Risse gingen von der Bohnenranke aus, die ihre Wurzeln unter dem Beton in der Cornelia Street ausgebreitet hatte.

Sophia erkannte den Ort nicht wieder, an dem sie und Lunis die Samen von Mamba Jamba eingesetzt hatten. Zuvor war die Straße in New York City durch dichten Verkehr verstopft gewesen, der sich an Geschäften und dicht aneinander gedrängten Gebäuden entlang seinen Weg bahnte. In der schmalen Straße war nicht einmal der blaue Himmel zu erkennen. Das Fleckchen Erde, in das sie die Samen gepflanzt hatten, war so ziemlich das Einzige gewesen, was von der Natur übrig geblieben war. Jetzt …

Ein Mekka aufkeimenden Lebens umgab Sophia und Hiker, als sie durch das Portal in die Cornelia Street traten.

Die Bohnenranke hatte einen Durchmesser von mindestens drei Metern. Sie war so saftig grün wie das Gras im Hochland in Gullington und leuchtete freundlich auf der Straße. Sie war jedoch nicht das einzige Exemplar neuen Lebens.

Aus dem Stängel hatten sich Ranken entwickelt, die sich durch die Luft schlängelten und die Straße überragten. Vögel, Kriech- und Waldtiere huschten hinter großen Blumen oder Steinen in Teichen in geringer Entfernung von der Bohnenranke umher.

Sophia hätte die Straße nie als diejenige erkannt, in die sie die Samen gepflanzt hatte, wenn sie nicht ein paar der Ladenschilder auf dem Bürgersteig wiedererkannt hätte. Sie waren größtenteils von den grünen Ranken verdeckt, die schnell alles zugewuchert hatten. Sie befürchtete, dass sie, wenn sie zu lange stehenblieben, von den Trieben umschlungen und zu einem Teil des neuen Ökosystems werden könnten.

»Wo sind wir?«, fragte Hiker erstaunt und schaute sich in der Umgebung um.

»Nicht in Kansas«, antwortete sie in einem scherzhaften Tonfall.

Er senkte sein Kinn, ganz und gar nicht amüsiert. »Ich meinte, was zum Teufel ist hier passiert?«

Sophia zeigte auf die Bohnenranke, die sich über die Gebäude erhob. Vor den Wolken am Himmel konnte sie zwischen den Gebäuden hindurchsehen, denn sie waren zurückgedrängt worden und ihre Fassaden bröckelten, weil Mutter Natur Platz für mehr Pflanzen und Bäume machte.

»Mama Jamba ist hier passiert«, antwortete sie.

Er seufzte. »Das weiß ich, aber trotzdem.« Hiker schüttelte den Kopf. »Diese verdammte Frau und ihre teuflische Art.«

Sophia schürzte ihre Lippen. »Ich glaube, sie versucht zu helfen.«

»Ich weiß, was sie vorhat«, spuckte er und wurde rot, der Boden unter ihren Füßen begann zu zittern.

Sophia war sich sicher, dass es nicht daran lag, dass eine weitere Bohnenranke aus dem Boden wachsen wollte. Der Boden bebte wegen des Mannes, der vor ihr stand. Hiker musste herausfinden, wie er sein Temperament zügeln konnte, bevor es ihn und alle um ihn herum übermannte. Es wäre das Beste für die Drachenelite und damit für die ganze Welt, wenn Hiker Wallace sich in den Griff bekäme – und zwar lieber früher als später.

»Ich weiß, dass Mama Jambas mysteriöse Art frustrierend sein kann«, begann Sophia und versuchte einen anderen Ansatz. »Das verstehe ich. Sie will das Beste für dich und für uns. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was man sich merken sollte.«

»Nein, Sophia«, entgegnete Hiker. »Sie will nur das Beste für ihren Planeten. Wir sind bloß die Spielfiguren in all dem. Die Drachenelite arbeitet für sie, auch wenn es zu unserem Nachteil gereicht.«

Der Boden bebte noch heftiger. Die Vögel, die zuvor so laut gezwitschert hatten, waren plötzlich still.

»Ich soll einfach blindlings auf eine dumme Bohnenranke klettern und was genau dort oben finden? Alles nur, weil diese Frau irgendeinen Plan für mich hat, weil meine Kräfte angeblich nicht in Ordnung sind!«

Die Fassade der Gebäude bröckelte unter der Macht des Wikingers, die sich in alle Richtungen ausbreitete, auch wenn sie unsichtbar war. Sein Gesicht färbte sich dunkelrot, während er seine Hände zu Fäusten ballte.

»Ich habe es so satt, den Dingen blindlings zu folgen«, dröhnte er. »Ich sollte der Anführer der Drachenelite sein, aber ich habe das Gefühl, dass du nur gekommen bist, um alles auf den Kopf zu stellen. Die Männer folgten mir widerspruchslos, aber sie hatten immer Zweifel. Adam hatte ihn gesät!« Hiker stampfte auf, brachte die Bohnenranke zum Wackeln und ließ alle möglichen Trümmer vom Himmel regnen, wo etwas hoch oben zu wohnen schien. »Dann hast du Mama Jamba zurückgebracht und die hat immer irgendetwas vor.« Er warf den Kopf hin und her, als wolle er eine Mücke vertreiben, die sich auf sein Gesicht stürzte. »Jetzt Ainsley! Ich kann das nicht mehr ertragen! Du hast das getan, Sophia und du wirst mir verdammt noch mal helfen, das in Ordnung zu bringen oder du fliegst aus der Drachenelite! Hast du mich verstanden?«

Sophia betrachtete den wütenden Wikinger einen Moment lang, bevor sie tief durchatmete. Sie wartete darauf, dass die Vögel erneut ihren Chor anstimmten.

»Bist du fertig?«, fragte sie und ihre Stimme klang im Vergleich zu seiner deutlich ruhiger.

Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Nein. Du willst, dass ich in die Vergangenheit zurückkehre. Du willst, dass ich sehe, wer ich war oder was passiert ist oder was auch immer. Weißt du was, ich bin fertig damit, die Dinge so zu tun, wie du oder Mama es wollen.« Hiker zog den Token aus seiner Tasche und hielt ihn in der Hand. »Du kannst ihn zurückhaben, denn ich bin nicht daran interessiert, Dinge zu reparieren. Ich bin nicht einmal mehr daran interessiert, mich zu reparieren. Ihr müsst euch einfach mit meiner Wut und meiner unausgeglichenen Kraft abfinden, denn Hiker Wallace hat es satt, die Dinge so zu machen, wie ihr alle es wollt! Ich kehre zu meinen Ursprüngen zurück!«

Die goldene Münze leuchtete nur eine Sekunde lang im Sonnenlicht, das durch das Blätterdach fiel, als ein Vogel über ihnen krächzte. Sophia beobachtete, wie ein schwarz-weißer Vogel von den Ranken herabstürzte und Hiker das Goldstück aus der Hand stahl, bevor er mitbekam, was geschehen war.

Der Vogel, eine Elster, erhob sich wieder in die Lüfte und schlug auf dem Weg zur Spitze der Bohnenranke rhythmisch mit den Flügeln.