Kapitel 35

I rgendwo in Berlins Schloss tickte eine Uhr, als Hiker durch die großen Türen schlüpfte. Er war nach allen Maßstäben ein großer Mann, doch im Vergleich zu den Riesen fühlte er sich wie ein Zwerg, als er in dem Schloss stand. Alles an diesem Ort war auf Riesen zugeschnitten.

Links im Esszimmer stand ein Tisch, der Hiker bis zum Oberkörper reichte. Wenn er sich auf einen der Stühle setzen würde, hatte er das ungute Gefühl, dass seine Füße kaum den Boden berühren konnten. Im gegenüberliegenden Raum standen verschiedene andere Möbelstücke, die alle überdimensioniert waren.

Wie Hiker aufgrund des Geruchs, der aus dem offenen Fenster drang, vermutet hatte, war das Schloss ungepflegt, überall lag Müll herum und die Wände waren mit Schmutz verschmiert. Eine dicke Staubschicht deckte alles zu und ließ ihn die Nase rümpfen, weil ein Niesanfall drohte, ihn zu zerreißen.

Er schüttelte den Kopf und zwang sich, nicht zu niesen, während er über seine Möglichkeiten nachdachte. Aus der Küche hörte er aufgrund seiner verbesserten Hörleistung das Pfeifen der Riesin, während sie kochte. Es roch nach Kartoffeln und intensiv nach Lakritze und Sardinen.

Hiker verzog bei dieser Kombination sein Gesicht zu einer Grimasse. Dabei hatte er angenommen, Ainsleys Kochkünste würden ihn in den Wahnsinn treiben. Er sollte wohl froh darüber sein, dass nicht Berlins Mutter für ihn kochte.

Hiker wusste, dass er für das, was Ainsley für ihn und die Drachenelite getan hatte, dankbar sein sollte, aber in den letzten Jahrhunderten war so wenig Zeit gewesen, alles zu verarbeiten und um sie tatsächlich zu würdigen. Es war schwer, sich daran zu erinnern, wer sie einmal gewesen war. Wer er war. Wer sie waren.

Er schaute aus dem Fenster, durch das er vor einer Minute noch spioniert hatte und sah in der Ferne den Stammbaum. Hiker erkannte Sophia, die von einem Ast sprang und den Vogel, der ihr nachhüpfte. Er wusste nicht, was die junge Drachenreiterin vorhatte, aber er hoffte, dass es ihr gelang, die Goldmünze zurückzuholen.

Hiker lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Treppe und lauschte. Er hörte das Stöhnen einer Matratze aus dem nächsten Stockwerk und nahm an, dass der Riese sich dorthin begeben hatte, um sein Nickerchen zu machen.

So vorsichtig wie möglich begann der Anführer der Drachenelite die Treppe in den zweiten Stock zu erklimmen. Die Stufen waren höher als die, die Hiker gewohnt war, sodass er seine Beine höher anheben musste, um den obersten Absatz zu erreichen. Als er dort ankam, knarrte eine Bodendiele unter seinen Stiefeln.

Hiker erstarrte, lauschte und hielt den Atem an.

»Mutti, bist du das?«, fragte Berlin aus dem nächstgelegenen Zimmer auf der rechten Seite.

Hiker wagte nicht zu blinzeln und blieb ruhig stehen. Er mochte der mächtigste Magier auf dem Planeten sein, aber diese Stärke brachte ein Ungleichgewicht mit sich. Deshalb war er dort. Er wusste ohne Zweifel, dass der Kampf, wenn er dem Riesen gegenüberstand, nicht so entscheidend für ihn wäre. Hiker vermutete, dass er unter den derzeitigen Umständen verloren hätte, bevor der Kampf überhaupt beginnen konnte.

Der Riese murmelte etwas, gefolgt von dem Geräusch von Bettfedern, die wie vor Schmerz quietschten.

Hiker war sich nicht sicher, was er als Nächstes tun sollte und überlegte, ob er ein Versteck bräuchte, bis der Riese eingeschlafen war. Noch bevor er sich einen Plan zurechtlegen konnte, erfüllte lautes Schnarchen das Schloss und ließ den Boden unter seinen Stiefeln vibrieren.