T reppenabsatz und Boden im zweiten Stock waren aus Mahagoniholz. Überdimensionale Möbel standen an praktisch jeder freien Stelle des verfügbaren Raums. Berlin war nicht nur unordentlich, sondern scheinbar auch ein Messie. Das hätte Hiker angesichts des Schrottplatzes draußen nicht überraschen sollen.
Er hielt vor dem Schlafzimmer inne, aus dem Schnarchen dröhnte. Es war so laut, dass es den Boden erbeben und das Schloss wie ein atmendes Monster wirken ließ.
Hiker war kein Mann, der Angst kannte, obwohl er schon einigen der schlimmsten Bestien auf Mama Jambas Planeten begegnet war. Doch mit der Aussicht, in einem beengten Schlafzimmer mit einem wütenden Riesen gefangen zu sein, wurde er schnell wieder mit diesem Gefühl vertraut. Es war zu lange her, dass Hiker Adrenalin in einem Kampf verspürt hatte.
Er würde es Sophia nicht ohne Weiteres verraten, aber diese Mission mit ihr hatte ihm ein neues Hochgefühl geschenkt. Es war anders, als er seinen Bruder Thad hatte besiegen müssen, was mit Bedauern und Verpflichtung verbunden gewesen war. Als Hiker gegen die Cyborg-Piraten gekämpft hatte, um Gullington zu verteidigen, hatte das auch einen persönlichen Bezug.
Jetzt fühlte es sich an wie ein Kampf in alten Zeiten, als das Ziel klar, der Feind böse und der Weg völlig versperrt war. Hiker bemerkte erst in diesem Moment, wie er das vermisste. Als Anführer der Drachenelite war es nicht seine Aufgabe, in die Schlacht zu ziehen. Das war die Aufgabe seiner Drachenreiter, außer es war wirklich notwendig. Hiker hoffte, dass es eine Zukunft gab, in der er seine Muskeln wieder spielen lassen durfte. Das war einer der Gründe, warum er seine Kräfte ausgleichen wollte. Auch, damit er nicht jeden Morgen aus Versehen seine Kaffeetasse zerdepperte.
Hiker hielt den Atem an, als er in das Zimmer blickte, in dem Berlin schlief. Es war ebenfalls mit unnötigen Möbeln und allem möglichen Schnickschnack vollgestopft. Das Bett, in dem der Riese lag, war eines der größten, das Hiker je gesehen hatte. Es war mindestens einen Meter hoch und hatte die Größe von Bells Bauch, nachdem sie einen Hirsch verschlungen hatte.
Sein Blick wanderte zu dem Nachttisch, auf dem die goldene Harfe lag. Sie befand sich ganz in der Nähe, wo der Kopf des Riesen auf einem Kissen ruhte, den Mund weit aufgerissen und Sabber tropfte herunter.
Hiker wagte einen Schritt nach vorn, hielt dann inne, um abzuwarten, ob er den Riesen aufweckte. Zum Glück nicht. Er machte einen weiteren Schritt und blieb wieder stehen. Er erwartete, dass der Boden unter seinen Füßen knarren und Berlin aufwecken könnte. Als das nicht der Fall war, beschloss Hiker spontan, sich zu beeilen, denn er war besser zu schnell als zu langsam.
Er stolperte nach vorne und griff nach der Harfe. Sie war klein in seiner Hand, aber er fühlte sich sofort besser und ruhiger.
Hiker wirbelte herum und wollte gerade das Schloss verlassen, als eine Stimme von der Treppe heraufrief.
»Berlin! Schläfst du?«, rief die Riesin nach oben.
Hiker verkrampfte sich, die Harfe in der Hand. Die Riesin hörte sich an, als wäre sie bereits auf der Treppe, also konnte er auf diesem Weg nicht hinaus.
Hinter ihm schnarchte Berlin weiter und wachte zum Glück nicht auf.
Ohne einen Moment zu zögern, ließ sich Hiker auf den Boden fallen und verkroch sich schnell und lautlos unter dem Bett. Viel Platz hatte er nicht, denn die Matratze lag gefährlich tief und er streifte sie bei dem Versuch, in sein Versteck zu kriechen. Die Riesin donnerte die Treppe hinauf und betrat das Zimmer.
»Verdammt noch mal, du Taugenichts«, brüllte Berlins Mutter, als sie eintrat. Hiker presste sein Gesicht auf den schmutzigen Boden und konnte ihre ungepflegten Füße sehen.
»W-w-was?«, stotterte Berlin und rappelte sich auf, als seine Mutter über ihm stand.
»Ich habe dir gesagt, du sollst Holz hacken«, maulte sie.
»Das wollte ich«, knurrte Berlin und warf seine Füße in dreckigen Socken über die Bettkante, gefährlich nah vor Hikers Gesicht.
Der Wikinger wich vor dem schrecklichen Gestank zurück und musste fast würgen. Es gab nur wenige Dinge, die so übel rochen wie die Füße dieses Riesen.
»Ja, ganz sicher«, brummte die Riesin. »Du wirst jetzt sofort deinen faulen Hintern bewegen und mein Holz hacken.«
»Gut!«, schrie Berlin und schlüpfte in seine Stiefel, immer noch zu nah vor Hikers Gesicht.
»Ich schwöre, auf dich ist kein Verlass!«, beschwerte sich die Riesin.
»Ach, hör doch auf«, antwortete er und atmete tief ein. »Was riecht hier so?«
Hiker hielt den Atem an, sowohl wegen der Füße des Riesen als auch aus Angst.
»Fee! Fie! Fo! Fum! Ich rieche das Blut eines Magiers«, sang Berlin und schnürte seine Stiefel.
Seine Mutter schnalzte mit der Zunge. »Nein, was du riechst, ist deine Oberlippe, mein Sohn. Es würde dich nicht umbringen, wenn du dir ab und zu das Gesicht waschen würdest.«
Er seufzte. »Ich habe mein Gesicht letzte Woche gewaschen, als ich mein monatliches Bad nahm.«
Hiker schnitt eine Grimasse und nahm sich vor, Evan nie wieder vorzuwerfen, dass er nicht regelmäßig duschte. Berlin ließ den jungen Drachenreiter mit seinen unregelmäßigen Hygienepraktiken sehr gepflegt erscheinen.
»Geh hinunter und hacke das Holz«, befahl die Riesin. »Das Feuer unter meinem Eintopf geht beinahe aus, dank dir.«
Das Bett ächzte und die Federn, die fast in Hikers Gesicht drückten, hoben sich ein wenig. »Gut, aber wenn ich fertig bin, erwarte ich ein Abendessen.«
»Du bekommst etwas, wenn es fertig ist«, meinte seine Mutter kurz angebunden.
Berlin holte noch einmal tief Luft. »Es riecht wirklich fischig, als ob sich hier irgendwo ein Mann verstecken würde.«
Von seinem Platz unter dem Bett aus, eine Gesichtshälfte auf den Boden gedrückt, sah Hiker, wie die Riesin ungeduldig mit dem Fuß tippte. »Oh, würdest du aufhören zu trödeln? Wahrscheinlich riechst du den Fisch-Lakritz-Eintopf.«
Hiker rümpfte die Nase. Nachdem er den schrecklichen Eintopf gerochen hatte, war er dankbar, dass er bald der zweifelhaften Geruchsmischung entfliehen konnte. Er hatte die Harfe. Jetzt mussten nur noch die Riesen verschwinden, dann konnte er auch gehen.
Die Stiefel des Riesen donnerten über den Boden und bewegten sich schnell auf die Tür zu. Auf der Schwelle blieb Berlin stehen. »Warte! Einen Moment noch!«
Hiker verkrampfte sich und zog seine Arme näher an sich heran, weil er befürchtete, dass man ihn unter dem Bett entdeckt hatte. »Wo ist meine Harfe?«
»Oh, Berlin«, beschwerte sich die Riesin. »Der Eintopf wird kalt ohne Feuer. Gehst du endlich an deine Arbeit?«
»Mum, meine Harfe! Ich weiß, dass ich sie auf den Nachttisch gelegt habe, bevor ich eingeschlafen bin. Wo ist sie?«
»Willst du wirklich darüber reden, dass du dich lieber zum Schlafen verkrochen hast, anstatt das zu tun, worum ich dich gebeten habe, Berlin?«, fragte seine Mutter.
»Aber …«
»Wahrscheinlich hast du sie in deinem Schweinestall auf dem Hof verloren«, unterbrach die Riesin.
Der Riese kratzte mit seinen Fingernägeln über seinen Kopf, was sich anhörte, als würden grobe Sandpapierblätter aneinander gerieben. »Ja, vielleicht habe ich sie fallen lassen. Ich muss mal nachsehen.«
»Zuerst wirst du das Holz hacken oder du gehst hungrig ins Bett. Ist das klar?«
»Ja, Mama.« Berlin stapfte an der Riesin vorbei, seine Schritte wurden leiser, als er die Treppe hinunterging.
Hiker hielt weiterhin den Atem an und beobachtete, wie Berlins Mutter neben der offenen Tür stand und nicht, wie er erwartet hatte, ihrem Sohn sofort folgte.
Sie seufzte leise. »Wenn sich hier ein Magier herumtreibt, sollte er verschwunden sein, bevor mein Sohn, dieses Monster, vom Holzhacken zurückkommt. Denn wenn es etwas gibt, das er mehr mag als meinen Eintopf, dann sind das die Knochen eines Magiers, die er gerne zermahlt und auf sein Brot streut.«
Hikers Augen weiteten sich sowohl vor Überraschung, dass die Riesin ihm half, als auch bei dem Gedanken, eine Beilage für den Riesen zu werden. Er rührte sich nicht, als Berlins Mutter verschwand und denselben Weg wie ihr Sohn einschlug.