Kapitel 41

I ch muss mir die Geschichte noch einmal anhören«, meinte Evan, während er sich sein Brötchen schmierte. »Erstens, Ainsley, warum lässt du NO10JO nicht ins Esszimmer?«

Die Haushälterin warf einen Blick auf den Cyborg-Hund. »Weil er sabbert und sich den Hintern leckt.«

»Wir lassen sogar Evan in den Speisesaal«, kommentierte Wilder lachend.

»Lunis durfte hier rein, als er noch ein Welpe war«, merkte Evan an.

»Er ist ein mächtiger Drache«, erwiderte Ainsley, verschränkte ihre Arme und betrachtete den Anführer der Drachenelite. »Ich finde die Geschichte mit der Harfe eigentlich etwas langweilig. Sie lässt dich … so weich aussehen.«

Hiker verharrte mit seinem Blick auf der goldenen Harfe auf dem Esszimmertisch und sagte kein Wort. Er hatte nicht viel gesprochen, seit sie zur Burg zurückgekehrt waren. Sophia hatte die Geschichte von der Bohnenranke und dem Riesen mit dem Schrottplatz erzählt. Die ganze Zeit über hatte sich das Gesicht von Mama Jamba nicht verändert. Sie war offensichtlich nicht überrascht von dem, was sie oben auf der Bohnenranke gefunden hatten.

»Er tut niemandem weh«, beharrte Evan weiter. NO10JO war nicht von seiner Seite gewichen, seit der Cyborg-Hund nach Gullington gekommen war. Sophia musste zugeben, dass er besser war als die meisten Hunde, weil er nicht haarte. Außerdem konnte er sich teleportieren und in eine andere Gestalt verwandeln, was ihn ziemlich cool erscheinen ließ.

»Er macht dich glücklich und das ist sehr enttäuschend«, entgegnete Ainsley und machte sich auf den Weg in die Küche, da sie noch nichts zum Abendessen serviert hatte.

Evan seufzte. »Ist noch jemandem aufgefallen, dass dein sonst so sonniges Gemüt ein wenig getrübt ist?«

Wilder und Mahkah glucksten, denn sie hatten viele Jahrzehnte damit verbracht, mit den mürrischen Launen der Elfe umzugehen.

Sophia streckte ihre Hände in die Höhe, zog sie aber sofort wieder zurück, als ein Krampf durch ihren Rücken fuhr. Ihre Muskeln waren verspannt, seit sie die Bohnenranke und den Stammbaum hinauf- und hinuntergeklettert war. Sie nahm an, dass sie nach ein paar Stunden in der Burg wieder ganz normal wäre, aber sie waren gerade erst angekommen.

»Was ist los?« Wilder warf ihr einen besorgten Blick zu.

»Ich habe mir den Rücken verrenkt«, gab sie zu.

»Wahrscheinlich als du von der Bohnenranke heruntergesprungen bist«, sagte Hiker klar und deutlich. Er klang nicht so mürrisch wie sonst, sondern eher sachlich. »Das waren mindestens zehn Meter.«

Sie nickte.

»Klingt, als könntest du ein Kissen für deinen Rücken gebrauchen«, schlug Evan vor. Wie geplant, verwandelte sich NO10JO auf der anderen Seite des Eingangs zum Speisesaal in ein riesiges Kissen. Das übergroße Kissen war mit braunen Haaren bedeckt, ähnlich wie der Hund, aber es sah ziemlich weich aus.

»Na, wenn das nicht praktisch ist«, meinte Evan mit gespielter Überraschung.

»Zum hundertsten Mal, die Antwort lautet nein«, erklärte Ainsley. Sie warf nicht einmal einen Blick auf den Cyborg-Hund, der als Kissen neben der Tür lag, während sie mit leeren Händen in den Speisesaal zurückkam.

»Dauert das Abendessen noch lange?«, fragte Hiker, die Anspannung in seiner Stimme nahm zu.

»Ein wenig«, flötete Ainsley mit einem Hauch von Schalk in ihrem Tonfall. »Bringt das deinen Kilt nicht in Wallung? Du willst dich doch einfach nur darüber auslassen, wie inkompetent ich bin und dass ich nie etwas zu essen hinbekomme, oder?«

Hiker holte tief Luft, legte seine Hand auf die goldene Harfe und ignorierte den Versuch der Haushälterin, ihn zu verärgern.

»Also eine winzig kleine Harfe, ja?«, erkundigte sich Wilder. »Musst du das Ding jetzt die ganze Zeit mit dir herumschleppen?«

Mama Jamba, die neugierig auf die Antwort war, blickte mit funkelnden Augen zu Hiker.

»Ich weiß noch nicht, wie es funktionieren soll«, antwortete er. »Es ist alles noch sehr frisch.«

»Das kleine Engelsinstrument beruhigt dich und gleicht deine Kräfte aus, oder?«, erkundigte sich Evan.

Hiker presste die Lippen aufeinander. »Ich weiß es nicht. Ich hatte noch keine Zeit, viel herauszufinden.«

»Erzähl uns die Geschichte noch einmal«, drängte Wilder und wandte sich an Sophia. »Du hast einen Riesen getroffen, der einen Schrottplatz hatte und Hiker musste ihn betäuben, um seine Harfe zu bekommen?«

Sophia blickte Hiker an. Er hatte ihr kurz erzählt, was im Schloss auf der Bohnenranke passiert war. Sie hatte befürchtet, dass es einen Streit gegeben hatte, aber er hatte etwas davon gemurmelt, sich unter dem Bett des Riesen versteckt zu haben und wie der Teufel gerannt zu sein, als er erwischt wurde. Sie vermutete, dass dies der Teil der Geschichte war, von der er nicht wollte, dass die Jungs ihn erfuhren.

»Die Details sind nicht wirklich wichtig«, begann Sophia. »Das Wichtigste ist, dass wir erfolgreich waren.« Sie holte den Token heraus und legte ihn auf den Tisch zwischen sich und dem Wikinger. »Ich vertraue sie eine Weile deinen Händen an.«

Seine hellen Augen glitten unschlüssig zu der Münze.

»Wofür ist die?«, wollte Ainsley skeptisch wissen.

»Eine zweite Chance«, erwiderte Sophia schüchtern.

Hiker ließ den Token für die Rückkehr zum Speicherpunkt auf dem Tisch liegen und nahm ihn nicht an sich.

»Zweite Chancen sind für Verlierer, die es beim ersten Mal nicht richtig machen konnten«, bemerkte Ainsley und marschierte in die Küche.

»Wie hoch schätzt du die Chancen ein, dass sie mit Essen zurückkommt?«, fragte Evan hoffnungsvoll. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Mutter Natur, die Hiker beobachtete. »Mama Jamba, wenn du Ainsley um Essen bittest, wird sie es wahrscheinlich bringen.«

Die alte Frau schüttelte den Kopf, als Quiet ins Zimmer watschelte. »Nein, ich glaube, wenn Hiker sie um Essen bitten würde, könnten wir es bekommen.«

Quiet ließ sich auf einen Stuhl fallen und murmelte etwas Unverständliches.

Mama Jamba nickte. »Ich habe nicht behauptet, dass es etwas sein wird, das wir essen wollen.«

Evan seufzte dramatisch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Hiker, warum kannst du nicht gebratenes Huhn und Gemüse verachten?«

»Oder Würstchen und Kartoffelbrei?«, fügte Wilder hinzu.

»Weil ich einen guten Geschmack habe«, brummte Hiker mit verärgertem Gesichtsausdruck.

Daraufhin hob Mama Jamba eine Augenbraue und warf ihm einen Blick zu, der wie eine Warnung wirkte.

Er nahm den Hinweis an, hob die kleine Harfe hoch und hielt sie neben sich, als Ainsley mit leeren Händen aus der Küche kam.

Hiker richtete seine Aufmerksamkeit auf sie und sagte: »Könntest du uns das Abendessen bringen? Wir haben noch etwas zu erledigen.«

»Oh, du wartest auf das Abendessen?«, fragte Ainsley. »Ich hatte ja keine Ahnung. Ich dachte, ihr sitzt einfach nur so zusammen. Ich werde mich sofort darum kümmern, Sir, da ich jetzt weiß, dass du etwas zu tun hast. Ich wüsste nicht, wie das wäre, da ich Gullington nicht verlassen kann, ohne zu sterben … dank jemandem.«

Sie drehte sich auf den Fersen um und stürmte durch die Schwingtür zurück, während Hikers Finger die goldene Harfe fest umklammerten.

»Da wir gerade von Dingen sprechen, die erledigt werden müssen«, begann Sophia und wandte sich Wilder zu, »ich hatte gehofft, du könntest mich auf eine Mission begleiten.«

Evan zwinkerte Wilder zu und stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Mission, was? Ist das der Code für Knutschen am Strand?«

Sophias Augen blitzten verärgert auf. »Nein, das ist der Code für eine Mission, für die ich einen Waffenexperten brauche.«

»Ich bin dabei.« Wilder schenkte ihr ein Lächeln.

»Was ist das für ein Auftrag?« Hikers Verärgerung wuchs.

»Ich muss ein geheimnisvolles und magisches Katana finden«, erklärte Sophia. »Zuerst muss ich Zac Efron holen.«

»Was ist ein Zac Efron?«, fragte Hiker ganz ernst.

Sophia hätte beinahe gelacht. »Er ist ein Mensch und nein, ich weiß nicht, warum ich ihn für die Mission brauche.«

»Erkläre mir das«, befahl Hiker.

»Ich soll ein Katana für Lee aus der Bäckerei Zur heulenden Katze besorgen, weil sie mir einen magischen Cupcake gebacken hat«, gestand Sophia.

»Warum?« Seine Augen verengten sich.

»Nur so konnte die magische Zutat Verwendung finden, die ich aus dem Hindu-Tempel gestohlen hatte«, fuhr sie eilig fort.

»Oh, das wird ja immer besser«, brummte er. »Erzähl mir mehr von den dubiosen Nebenquests, die du machst, obwohl du eigentlich Judikatorenmissionen durchführen solltest.«

»Nun, das Kraut verlängert das Leben der Sterblichen und ich brauchte es, um König Rudolf mit seiner Frau Serena zu helfen«, antwortete Sophia. »Um den Deal mit Lee einzuhalten, muss ich ein Katana für sie besorgen und sie sagte, ich bräuchte Wilder, Zac Efron, magischen Kaugummi, einen von Elfen hergestellten Kompass und einen knallharten Drachen.«

»Bis zu diesem letzten Teil hast du dich gut geschlagen«, scherzte Evan. »Willst du dir Coral ausleihen?«

Sie schüttelte den Kopf wegen dieser Bemerkung. »Wenn ich beleidigt werden wollte und all meine guten Witze verpuffen, würde ich das machen, aber ich brauche einen Drachen, der die Arbeit mit einem Lächeln erledigt.«

»Warum vergeudest du so viel Zeit mit lächerlichen Aufgaben?«, wollte Hiker gereizt wissen. Sein Gesicht wurde rot, obwohl er die goldene Harfe in der Hand hielt. Auch er spürte das Problem, denn sein Blick glitt zu dem Instrument in seinen Händen hinunter, als würde er es auffordern, zu arbeiten und ihn zu beruhigen.

»Weil wir zwanzig Millionen Dollar für die LIDAR-Ausrüstung brauchten, mit der wir die Dracheneier gefunden haben, Sir.« Sophia achtete darauf, den Sarkasmus aus ihrer Stimme zu verbannen, als sie ihm die Nachricht übermittelte, die ihn in die Schranken weisen sollte.

Evan besaß nicht ihren Anstand. Er zischte durch die Zähne, bevor er den Kopf schüttelte. »Wow. Das ist hart. Ich wette, du kommst dir blöd vor, weil du Soph befragt hast, obwohl sie ihre Zeit damit verbracht hat, Gefallen zurückzuzahlen, die uns so sehr geholfen haben.«

Hiker senkte das Kinn, Mordlust stand ihm in den Augen, während er weiterhin die goldene Harfe umklammerte. »Ich bin nicht derjenige an diesem Tisch, der sich wie ein Narr fühlen sollte.«

Evan blickte die anderen an, als erwarte er, dass einer von ihnen die Hand hob und zugab, dass er es war. Schließlich zeigte er auf Quiet. »Er! Nicht wahr?« Er schaute den Gnom an. »Wir verstehen kein Wort von dem, was du sagst, kleiner Mann.« Er artikulierte jedes Wort sorgfältig, als würde er mit einem Fremden sprechen.

Der Geländewart hob seine Faust und schüttelte sie vor Evans Gesicht, während er etwas murmelte.

»Könnt ihr mal aufhören, euch zu streiten?«, rief Hiker, wobei die Hand, die die goldene Harfe nicht umklammerte, auf den Tisch hämmerte und alle zusammenzucken ließ.

Sie verharrten alle wie versteinert und starrten den wütenden Anführer der Drachenelite an, als Ainsley mit einem Tablett voller Essen durch die Küchentür kam. Sie lächelte strahlend. »Nun, da ist der Hiker, den wir alle kennen und hassen.«

Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an, als sie das Tablett mit den gerollten Lebensmitteln abstellte, die fein säuberlich angeordnet waren. »Was ist das?«

Sie schenkte ihm ein verschlagenes Grinsen. »Sushi, Sir. Deine Lieblingsspeise.«

»Ich liebe Sushi«, meinte Evan, griff mit den Fingern nach einem und steckte es sich in den Mund.

»Uuuuund«, kommentierte Ainsley und zog das Wort in die Länge. »Meine Sushi-Zubereitungskünste sind ziemlich schlecht, also bin ich sicher, dass dies eine Mahlzeit sein wird, die du nicht vergessen wirst … besonders später.«

»Warte, wie?«, schrie Evan auf. Er schluckte schnell und sah sich nach Wasser um, aber es gab keins.

Hiker wirkte wie immer, wenn er auf Ainsley losgehen wollte. Dann nahm er die Hand vom Tisch und klimperte auf der Harfe, wobei sie einen sanften Ton von sich gab. Alle sahen ihm zu und waren gespannt, was er als Nächstes tun würde. Sophia befürchtete, er könnte die goldene Harfe in eine Waffe verwandeln und zuerst Ainsley, dann Evan und hinterher wahrscheinlich die anderen töten.

Zur Überraschung aller nickte Hiker einfach. »Solange es kein Fisch-Lakritz-Eintopf ist, ist es mir recht.« Er beugte sich vor und begutachtete das Sushi. »So etwas habe ich noch nie probiert, also ist das wohl überfällig.«

Alle machten große Augen, als der Anführer der Drachenelite eine der Sushi-Rollen nahm. Er hielt sie Ainsley hin. »Könntest du uns etwas Wasser holen, wenn du Zeit hast?«

Die Haushälterin war wütend, als sie in die Küche marschierte. »Wirklich! Ich habe mich stundenlang für eine Mahlzeit abgeschuftet, die du hassen solltest und das ist der Dank dafür?«

Hiker blickte auf die Harfe, die er immer noch in der Hand hielt und warf dann einen Blick Richtung Küche. »Oh und eine Flasche Whiskey bitte auch. Danke.«