Kapitel 50

E ine Nacht ist bei Weitem nicht genug«, erklärte Zac Lunis, als sie den Hügel hinuntergingen und sich dem Tal näherten. »Du brauchst mindestens zwei, um Disneyland richtig zu genießen.«

»Siehst du!«, rief Lunis aus. »Ich habe es dir gesagt, Soph.«

Sie schüttelte den Kopf und versuchte, sich auf den Kompass zu konzentrieren, aber den geschwätzigen Drachen und seinen neuen besten Freund zum Schweigen zu bringen, war ungefähr so, als wollte man Evan dazu bewegen, seine Zähne mit Zahnseide zu reinigen.

»Erzähle mir mehr über Hugh Jackman«, ermunterte Lunis, der sich aufgeregt mit Zac unterhielt. »Riecht er wirklich nach Rosen und singen Engelchen, wenn er geht?«

Zac lachte gutmütig.

Die Kompassnadel machte eine starke Drehung nach Osten und Sophia folgte. Zum Glück passte Wilder auf und lenkte die beiden anderen, die in ihr Gespräch vertieft waren.

»Was glaubst du, wohin dieses Ding uns führt?« Wilder schloss zu ihr auf.

Das war eine gute Frage, denn in etwa hundert Metern Entfernung lag eine Klippe. Sophia hatte nicht vor, dem Kompass blindlings über den Abgrund zu folgen. Es gab Vertrauen und es gab Dummheit und sie fühlte sich schon ein bisschen dumm, weil sie sich auf diese geheimnisvolle Mission mit so wenigen bekannten Details eingelassen hatte.

»Ich denke, wir werden nicht erfahren, wohin er uns führt, bis wir dort sind«, verkündete sie, ohne zu wissen, woher die Antwort kam. Es fühlte sich an, als wäre es die richtige Antwort, als sie sie laut aussprach. Das Leben war eigenartig und lieferte oft Informationen auf diese Weise.

Sie spürte, wie sich ihre Füße weiterbewegten, während ihre Augen auf den Kompass gerichtet blieben und sie sich auf den Tempel konzentrierte, den sie finden mussten. Sophia war zuversichtlich, dass Wilder den Weg vor ihr im Auge behalten und nicht zulassen würde, dass sie gegen ein Hindernis lief. Sie fühlte sich erleichtert, dass es Lunis und Zac gut ging, wenn man ihr Gespräch verfolgte, das in den letzten Minuten scheinbar ohne Unterbrechung geführt wurde.

»Ich glaube, das war’s dann«, meinte Wilder nach einem Moment und sein Tonfall überraschte.

Sophia riss den Kopf nach oben und entdeckte plötzlich einen großen, japanischen Tempel. Er war noch nicht da gewesen, als sie hinten im Tal gestanden hatten. Vor ein paar Minuten, als sie das letzte Mal nach oben geschaut hatte, war er auch noch nicht da. Das Gebäude hatte sich einfach materialisiert, als sie nur noch wenige Meter davon entfernt waren.

»Wow, das ist wirklich cool«, bestätigte Zac erstaunt.

»Wenn du das cool findest«, begann Lunis. »Ich habe meinen eigenen YouTube-Kanal.«

»Außerdem lebt er in einer geheimen, unerforschten Höhle in Schottland, die nur die Drachenelite sehen kann«, führte Sophia trocken fort.

»Hör auf, den Mann zu langweilen, Soph«, rief Lunis.

»Nein, eine geheime Höhle in Schottland ist ziemlich bemerkenswert, Lunis«, gab Zac zu.

Der Drache nickte. »Ja, ich habe meine eigene Bude, weit weg von den anderen, weil sie so aus dem zwanzigsten Jahrhundert sind, wenn du weißt, was ich meine.«

Zac nickte.

Sophia hatte ihre liebe Not mit den beiden, die hinter ihr quatschten. »Es gibt einen Haken an diesem Ort«, überlegte sie.

»Warum sagst du das?«, wollte Wilder an ihrer Seite wissen.

Sie blitzte ihn grinsend an. »Weil es immer einen Haken gibt. Das ist wie eine dubiose Vereinbarung, die ich mit dem Leben getroffen habe, bevor ich geboren wurde.«

Er nickte. »Ich hatte denselben Gedanken. Ich bin mir nicht sicher, was wir uns dabei gedacht haben, aber zumindest denken wir gleich.«

Der japanische Tempel inmitten des unberührten Tals war atemberaubend. Mehrere Etagen ragten in den Himmel und wurden immer kleiner, je höher sie kamen. Die blauen Ziegel auf dem Dach waren genau so, wie Sophia sie mit japanischen Bauwerken assoziierte. Das Gleiche galt für die weißen Wände und die schwarzen Balken. Ein Aspekt stimmte nicht mit dem überein, was sie sich unter einem japanischen Tempel vorstellte.

»Da!« Sie zeigte auf den Eingang, der mit einer dicken Eisschicht überzogen war.

»Der Haken«, stimmte Wilder zuversichtlich zu. Er streckte seine Hand aus und schickte einen ordentlichen Feuerball auf das Hindernis. Er traf, durchdrang es, hinterließ aber nur ein kleines Nadelöhr.

»Bei diesem Tempo haben wir keine Magie mehr, bevor wir fertig sind«, erkannte Sophia.

»Ich glaube, wir wissen jetzt, warum du mich brauchst«, meinte Lunis und trat vor.

Sophia schenkte ihm ein Lächeln. »Ja, natürlich. Du sollst …«

»Dir zur Aufmunterung die beste Version von It’s Never Enough aus The Greatest Showman vorsingen«, unterbrach Lunis, räusperte sich und begann zu singen. »I’m trying to hold my breath. Let it stay this way. Can’t let this moment end. You set off a dream in me …«

»Würdest du diese Tür mit Feuer beschießen?« Sophia unterbrach das schreckliche Gejaule ihres Drachen.

Er sah sie mit großen Augen an. »Ach, wirklich? Ich war noch nicht einmal beim Refrain angelangt.«

»Lunis!«, warnte sie.

»Okay, gut«, schmollte er. »Ich schätze, ich wurde eher wegen meiner langweiligen magischen Fähigkeiten als wegen meiner fantastischen Bühnenfähigkeiten hierher gebracht. Was für eine Verschwendung.«

Der uralte Drache öffnete sein Maul und entließ einen prachtvollen Strahl aus orangefarbenem und rotem Feuer, der das Ziel perfekt traf und das Eis auf einen Schlag schmolz. Eine große Tür kam zum Vorschein und öffnete sich sofort, als wollte sie die vier willkommen heißen.

Sophia lächelte breit. »Das war brillant. Gut gemacht, Lun.«

Er war enttäuscht. »Ich schätze, es war einfach nur in Ordnung.«

Zac nickte beeindruckt. »Das war das Coolste, was ich je gesehen habe.«

Das heiterte Lunis wieder auf. »Ich kann ein ganzes Schaf verschlucken, ohne zu kauen. Willst du das später sehen?«

»Später«, tröstete Sophia ihren Drachen. »Jetzt müssen wir erst einmal herausfinden, wie wir das Katana bekommen und dazu müssen wir in diesen Tempel.« Sie warf Lunis einen nachdenklichen Blick zu.

Er verstand scheinbar auf Anhieb sofort. »Mach dir keine Sorgen. Ich bleibe hier draußen und halte Wache. Pass auf Zac auf. Lass nicht zu, dass ihm etwas zustößt.«

Sophia nickte. »Ich werde auf mich aufpassen, Lunis. Hör auf, dich um mich zu sorgen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Bring mir etwas mit.«

Wilder warf dem Drachen einen unsicheren Blick zu. »Ein Souvenir etwa?«

»Oder einen Hotdog«, schlug Lunis vor. »Ich habe Hunger.«