Nachrichten

 

Als der Prof und ich am nächsten Tag zum Frühstück nach unten gingen, waren die Verhältnisse ziemlich chaotisch. Dem Tischtuch war anzusehen, dass einige im Stehen ein Frühstück eingeworfen hatten, das nur aus schwarzem Kaffee und sonst gar nichts bestanden hatte. Nur Daniel Düsentrieb und Gerd waren in der Küche. Daniel las in einem Buch über Astrologie und Gerd kaute auf einem Brot herum und machte ein geheimnisvolles Gesicht.

»Gibt's was Neues?«, wollte ich wissen. Wir setzten uns und der Prof begann das Brot zu schneiden. Gerd warf mir einen Blick zu, der mir zu verstehen gab, dass ich ganz schnell meine Klappe wieder dichtmachen sollte. Teufel auch. Ich hatte mich blamiert. Dass sie uns von ihrem Plan erzählt hatte, bedeutete schließlich nicht, dass sie auch die Erwachsenen eingeweiht hatte. Natürlich nicht!

»Gut geschlafen da oben?« Daniel schaute von seinem Buch hoch.

»Wie die Steine«, antwortete ich.

»Der alte Großhändler Evensen hat keinen Ärger gemacht?«

»Die Toten halten wenigstens die Klappe.« Der Prof lachte.

»Im Gegensatz zu gewissen anderen«, sagte ich. »Wo sind Mutter und der Rest der Bande?«

»In der Sauna. Lise und ich haben hinter der Scheune eine finnische Sauna gebaut. Schaut auch mal rein und schwitzt allen Dreck aus.«

»Nicht alle hier haben gleich viel Dreck auszuschwitzen«, sagte ich und warf einen Blick auf eine imponierende Sammlung von leeren Flaschen, die an der Tür aufgereiht standen. Und zehn wilde Pferde würden mich nicht in eine Sauna voller rosa Hintern und Busen und Bäuche und Schenkel bringen. Jetzt saß die ganze Blase sicher da unten und war tierisch frei, während alle sich heimlich aus ihren blutunterlaufenen Kateraugen kritische Blicke zuwarfen. Gerd und der Prof dachten offenbar ähnlich, jedenfalls schienen auch sie sich nicht bewegen zu wollen.

Daniel stopfte sich grunzend das Astrologiebuch in die Tasche und ging hinaus.

»Für einen Bauernhof herrscht hier aber eine ziemlich gelassene Atmosphäre«, sagte der Prof. »Ich dachte, Bauern würden vor Sonnenaufgang aufstehen, um zu melken und auszumisten und so?«

»Das ist hier ja auch kein echter Bauernhof«, erklärte Gerd. »Zwei Schafe und acht Katzen. Und ein Fetzen Boden, wo wir unser Gemüse anpflanzen.«

»Und die Kohle?«, wollte ich wissen.

»Reino und Lise arbeiten hier in der Nähe auf einer Lachsfarm. Und Daniel hat alle möglichen Jobs. Meine Mutter webt Teppiche und Decken. Sie kommen zurecht. Hier draußen gibt's ja auch nicht viele Verlockungen.«

»Blöd von mir, dass ich vorhin die Klappe aufgerissen hab«, sagte ich. »Tut mir Leid.«

»Das war nicht so schlimm. Ich fand bloß, es hätte keinen Zweck, das von der Aktion herumzuschreien.

»Gibt's denn nun Neuigkeiten?«, fragte der Prof.

»Hmm. Im Lokalradio haben sie gesagt, es gäbe keine Anzeichen dafür, dass die Fabrik Mott in den Fjord wirft. Später bringen sie natürlich einen genaueren Bericht, aber ich glaube, wir können davon ausgehen, dass sich das Ergebnis nicht mehr ändert.« Sie lachte. »Und dann gab es ein kurzes Interview mit einem putzmunteren Aby.«

»Klar war der munter«, sagte ich. »Jetzt wird er ja von allen Vorwürfen rein gewaschen.«

»Werden wir sehen«, sagte Gerd mit schlauem Lächeln. »Gibt's noch mehr Makrelen in Tomate?«

»Ich hab mir was überlegt«, begann der Prof.

»Ich glaub sogar, ich weiß, was du dir überlegt hast«, sagte Gerd und schmierte sich ein dickes Makrelenbrot. »Du hast dich gefragt, ob wir nicht dabei sein können, wenn sie morgen früh die Fässer ausgraben.«

»Ja«, sagte der Prof. »Wenn da überhaupt Fässer liegen. «

Gerd nickte eifrig. »Darauf kannst du Gift nehmen. Ich habe heute früh angerufen. Die anderen sind heute Nacht fündig geworden.«

»Und?«, fragte ich.

»Natürlich könnt ihr einen diskreten Blick auf die Aktion werfen.«

Es wurde ein öder Tag. Nun, wo wir wussten, dass vor uns ein spannender Tag oder gar eine spannende Nacht lag, war es schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Es gab auch nicht viel, worauf wir uns konzentrieren konnten. Die Erwachsenen latschten mit Kater und ausgefransten Nerven durch die Gegend und hatten in der finnischen Sauna offenbar doch nicht alles ausgeschwitzt. Mutter war stumm wie ein Fisch, Vater wuselte planlos über den Hof. Asa ließ sich nicht sehen, wir konnten aber hören, dass sie irgendwo im Haus ziemlich brutal mit ihrem Webstuhl umsprang. Beim Essen tauten alle ein bisschen auf, aber es war klar, dass die munteren Festlöwen von gestern heute früh ins Bett wollten. Das passte uns ausgezeichnet.

»Aber wie kommen wir denn zur Fabrik?«, fragte ich, als wir so taten, als ob wir uns zum Schlafengehen fertig machten. »Das ist doch ziemlich weit?«

»Macht euch keine Sorgen«, sagte Gerd. »Wir fahren mit dem Rad. Ich bereite alles vor und komme so gegen halb zwölf zu euch nach oben. Dann müssen wir ein paar Stunden warten, aber zusammen geht das doch besser, oder? Hat ja keinen Zweck, ins Bett zu gehen. Wir müssen um halb sechs da sein, um alles mitzukriegen.«

»Schön. Aber hören die Alten uns nicht, wenn wir durchs Haus schleichen?«

»Wenn du dir noch mehr Sorgen machst, dann spuck sie lieber gleich aus.«

»Nein, nein. Ich verlass’ mich auf dich. Natürlich.«

»Gut. Ich kann Leute mit Magengeschwür nicht brauchen, verstehst du!«

Sie erschien Punkt halb zwölf und brachte einen fertig gepackten Tourenrucksack mit. Genug zu essen für alle drei, zwei Thermosflaschen mit glühend heißem Tee - eine, um uns die Wartezeit hier zu verkürzen, und eine, um uns nachher aufzuwärmen.

Wir quatschten über alles Mögliche, während die Zeit vor sich hin schlich, und der Prof las ziemlich komische Aufzeichnungen aus Großhändler Evensens wunderlichem Leben vor.

Aber gegen vier war es dann an der Zeit zum Aufbruch.

»Jetzt zeig ich euch, wie wir aus dem Turm rauskommen, ohne dass irgendwer auch nur einen Mucks hört«, sagte Gerd und zog eine Matratze mitten ins Zimmer. Wir hatten ja die Tür in der Wand gesehen, von einem Geheimgang oder so was konnte deshalb keine Rede sein. Aber Daniel Düsentrieb hatte uns doch erklärt, dass die Treppe blockiert war. Das sagte ich dann auch.

»Das bildet er sich bloß ein«, antwortete Gerd. »Die Erwachsenen bilden sich immer ein, sie hätten alles unter Kontrolle. Espen und ich haben uns unter den ganzen Kartons und Kisten eine Art Tunnel gebohrt. Wir müssen auf allen vieren kriechen, aber das geht.«

Der Prof warf mir einen zweifelnden Blick zu, als er hinter ihr in der Dunkelheit verschwand, aber zum Glück brauchte ich ihn unterwegs nicht freizuschaufeln. Nach wenigen Minuten standen wir draußen und spuckten Staub und Spinnweben. Die beiden Räder, die der Prof und ich leihen konnten, waren alt und abgenutzt, aber

neulich erst vom »Fummler« Düsentrieb überholt, wie Gerd sagte. Wir sprangen auf und strampelten hinter ihrem Rücklicht her.