Totale Verwirrung

 

Die Minuten kamen mir vor wie Jahre, als ich so dastand und die graue Metalltür und die glänzende Klinke anstarrte. Das runde Yaleschloss war wie ein kaltes, hartes Auge, das seinerseits mich anstarrte. Ich hatte die ganze Zeit einen schmerzhaften Klumpen im Bauch, denn gerade in diesem Moment konnte wirklich allerlei schief gehen und alles ruinieren. Ich konnte ja nicht davon ausgehen, dass Espen die Tür, vor der ich jetzt wartete, erreichen konnte. Da unten konnte es andere Türen, andere Schlösser geben … Und wenn er es schaffte, dann brauchte dieses Schloss ja auch nicht so einfach zu sein, wie es aussah. Es sah aus wie ein normales Schnappschloss, aber ich kannte mich damit viel zu wenig aus, um das sicher zu wissen. Und da ich nichts Besseres zu tun hatte als im Regen zu stehen und mich aufzuregen, schrieb ich mir hinter die Ohren, dass ich mich besser über Schlösser informieren müsste, wenn ich mich in Zukunft weiter in anderer Leute Angelegenheiten einmischen wollte. Das gehört doch wohl schon fast zur Grundausbildung jedes Schnüfflers, dachte ich bitter.

Dann bewegte die Klinke sich langsam nach unten, ehe sie mit einem Ruck wieder hochsprang. Und Klinken haben bekanntlich nicht die Gewohnheit, auf eigene Faust irgendetwas zu unternehmen. Irgendwer befand sich hinter der grauen Stahlplatte, das stand jedenfalls ganz fest. Ich konnte nur hoffen, dass es Espen war und nicht irgendein Wächter, der auf dem Dach ein bisschen frisches Regenwasser tanken wollte.

Ich hörte das gedämpfte Klicken des Schlosses und die Tür öffnete sich. In der dunklen Öffnung stand Espen und lächelte von einem Ohr zum anderen, als würde er gleich vor Stolz platzen.

Dazu hatte er auch jeden Grund. Und als ich mich aus dem Regen in Sicherheit brachte, dachte ich, dass es wirklich mehr als Glück war, vorhin vergessen zu haben den Benzinhahn aufzudrehen. Hätte ich bloß ein bisschen mehr Training im Mopedfahren gehabt, dann wäre diese Tür für mich verriegelt und verrammelt geblieben. Espen hatte wirklich die ganze Kiste gerettet!

Die Tür glitt hinter mir zurück und ich zog sie vorsichtig ins Schloss. Hier oben war es stockfinster, aber irgendwo unter uns sickerte schwaches Licht die Betontreppe herauf.

»Komm!«, sagte Espen und begann vorsichtig die Treppe hinunterzugehen. »Aber pass auf, hier ist's schrecklich hellhörig!«

Das brauchte er mir nicht zu erzählen. Selbst wenn er flüsterte, hallte das Echo von den nackten Betonwänden wider.

Am Fuß der Treppe führte ein kurzer Flur zu einer neuen Metalltür, die angelehnt war. Rechts lag die Luke, durch die Espen hereingekommen war.

»Hast du nachgesehen, wie's draußen aussieht?«, fragte ich und zeigte auf die halb geöffnete Tür.

»Ja. Wahnsinnsanblick, kann ich dir sagen. Fast wie auf der Empore in einer Kirche!«

»Hoffentlich gibt's in dieser Kirche heute Nacht kein Orgelkonzert«, sagte ich.

»Wie meinst du das?«

»Alarm. Aber ich glaub, wir brauchen uns erst mal nicht aufzuregen. Wenn hier eine Alarmanlage wäre, dann hätten wir sie schon längst ausgelöst.«

Ich schob die Tür auf.

Espen hatte nicht gerade übertrieben. Wir befanden uns hoch oben an der Wand einer Halle, die so groß war wie eine Kathedrale. Unter uns standen Hunderte von Kisten und Kästen, Kannen und Metallfässern aufgestapelt. Hier oben, hoch über allem, konnten wir auf ein kompliziertes Wegenetz hinunterblicken, in dem der Gabelstapler operieren konnte. Das reine Labyrinth. Wer hier ein- und ausfahren wollte, musste eine wirre Landkarte im Kopf haben. Bloß in Bezug auf diese »Empore« hatte Espen ein bisschen dick aufgetragen. Sie war nämlich im Grunde nichts anderes als eine schmale Gehbrücke aus Stahl, auf der wir noch dazu über ein Gitter gingen, so dass wir voll auf den Boden fünfzehn Meter unter uns blicken mussten. Diese Gehbrücke zog sich von der Türöffnung, wo wir standen, an der Längswand entlang, vorbei an irgendeiner Schalttafel, bis zu einer Wendeltreppe am anderen Ende der Halle. Der Raum lag in einem schwach grünlichen Licht. Unheimliche Stimmung, fand ich. Aber vielleicht verstärkte das Licht bloß die unheimliche Stimmung, die ich schon hatte.

»Meine Güte!«, stöhnte ich. »Wo sollen wir denn hier anfangen zu suchen?«

Espen gab keine Antwort, starrte bloß mit großen Augen nach unten und hielt die Klappe.

Eins nach dem anderen, schärfte ich mir ein. Zuerst mussten wir unser Funkrendezvous mit Gerd und dem Prof durchziehen. Wir mussten in fünf Minuten auf Sendung gehen.

Wir zogen uns in den Flur zurück und Espen zog die Tür fast ins Schloss. Ich postierte ihn am Türschlitz, wo er die Gehbrücke im Auge behalten konnte, während ich das Gequatsche erledigte.

»Du musst mich sofort unterbrechen, wenn du jemand auf der Treppe siehst. Sofort, kapiert?«

»Sicher. Ruf du nur in Ruhe an.«

»Eine Minute«, sagte ich.

Aber die Uhr des Profs ging offenbar eine Minute schneller als meine. Er rief mich an, ehe ich auf »Sendung« schalten konnte.

»Bin in der Fabrik«, sagte ich. »Scheint so, als hätten wir noch eine Menge zu tun. Der Laden hier ist riesig. Over.«

»Wir!« Das war Gerds Stimme und ich hätte mich verfluchen können. Nun war ich wirklich ins Fettnäpfchen gelatscht - schon wieder.

»Ohne Espen war ich hier nicht reingekommen. Aber die Einzelheiten erfahrt ihr später, ist das okay! Over.«

»Okay.« Das war wieder der Prof. »Hier läuft alles wie geschmiert. Wir sind schon wieder draußen. Die Mottfässer stehen hier. Fünfzehn Stück. Deutlich beschriftet. Blaue Fässer mit gelbem Etikett. Sie stehen am Eingang, zum Abtransport bereit. Was machen wir nun? Sollen wir euch helfen kommen?«

»Spinnst du? Ich weiß nicht mal, wie ich euch erklären sollte, wie ihr hier reinkommt. Nein, das würde bloß Chaos, Prof. Fahrt lieber nach Hause und wartet im Turm auf uns. Aber lasst für alle Fälle den Walkie-Talkie auf Empfang stehen … over.«

»Natürlich. Glaubst du, das wird schwierig?«

»Ja. Die Halle ist so groß wie ein Fußballplatz. Und voll! Setzt schon mal Tee oder Kaffee für uns auf. Over.«

»Teufel auch. Das klingt nicht toll! Wenn ich gewusst hätte …«

»Das ist nicht toll«, sagte ich und drehte das Messer in der Wunde um. »Aber eins sag ich euch: Wenn zu Espen auch nur ein kritisches Wort gesagt wird, dann knallt's. Over und aus!«

»Das werden wir sehen«, sagte Gerd. »Over. Und aus!«

Ich ließ den Walkie-Talkie auf Empfang stehen und wollte ihn gerade wieder in der Plastiktüte verstauen, als Espen voller Panik anfing zu sprechen.

»Zum Henker, Peter - die Bullen kommen! O Himmel, was sollen wir bloß …«

»Fresse halten!«, fauchte ich. Sprang auf und stand innerhalb von zwei Sekunden neben ihm. »Die Bullen. Spinnst du?«

Aber nein, es waren nicht die Bullen. Bloß einer, der haargenau genauso schlimm war. Ein uniformierter Wächter kam die Wendeltreppe am anderen Ende der Halle hoch. Er ging mit schwerem Schritt, setzte einen Fuß vor den anderen, während seine rechte Hand mit einem schweren Schlüsselbund spielte. Aber obwohl dieser Mann ganz offenbar kein Sprinter war, so war doch klar, dass Espen und ich schon wieder ein ernsthaftes Problem hatten. Wir konnten uns davonschleichen, wenn wir jetzt die Beine in die Hand nahmen, das war klar. Aber wenn der Wächter nicht merken sollte, dass sich Unbefugte in der Fabrik befanden, dann mussten wir die Tür oben hinter uns ins Schloss ziehen. Und das bedeutete, dass wir die gefährliche Operation an der Dachluke wiederholen müssten - und das wollte ich ganz einfach nicht. Aber gleichzeitig war ja sonnenklar, dass wir hier auch nicht stehen bleiben konnten.

Und damit war die Sache für uns ja eigentlich entschieden. Wir mussten abhauen und zugleich hier bleiben. Das bedeutete, dass wir uns hinter der grauen Tür verstecken mussten. Aber ohne sie so weit zuzuziehen, dass das Schloss zuschnappte. Wenn der Wächter als Teil seiner Routine auch einen Blick aufs Dach werfen musste, dann mussten wir eben die Tür zufallen lassen und davonrennen, wenn er die Betontreppe erreicht hatte. Wenn er aber von der faulen Sorte war, die Regen im Gesicht nicht toll fand, dann hatten wir eine Chance. Und um das herauszufinden, mussten wir hier warten. Mussten auf unseren Herzschlag hören und auf das Geräusch seiner Schritte warten.

Wir hörten ihn schon aus einiger Entfernung. Er kam tatsächlich angelatscht und pfiff laut und falsch We don't need no education von Pink Floyd, wobei er sich am Geländer mit dem Schlüsselbund begleitete. Aus der Ferne hatte ich den Eindruck gehabt, er wäre reif fürs Altersheim. Aber ansonsten interessierte mich in diesem Moment sein Alter eher weniger. Viel lieber hätte ich gewusst, wohin er wollte. Wenn er auch nur einen Fuß auf die Betontreppe setzte, würde ich die Tür zufallen lassen müssen, sonst würde er das Schloss klicken hören - und dann hätten wir einen ziemlich miesen Vorsprung. Waren diese Typen eigentlich bewaffnet? Ich wusste es nicht. Ich wusste im Grunde verdammt wenig von der Kunst des Schnüffelns.

Nun konnten wir seine Schritte hören. Subb, subb. Er musste schwer und müde sein. Ich hoffte bloß, dass er total erledigt war und auf sein schwaches Herz Rücksicht nehmen musste oder so. Wenn das Herz nicht mehr so recht will, ist das viele Treppensteigen gefährlich, das wusste ich jedenfalls.

Durch den schmalen Spalt konnte ich seine Füße und die Beine bis kurz überm Knie sehen. Sie kamen unten langsam in den Gang, dann blieben sie plötzlich stehen. Ich hielt die Luft an. Der Wächter kämpfte mit dem Atem. Dann schoss sein rechter Fuß vor und ich dachte, jetzt müssen wir abhauen, und wollte gerade die Tür ins Schloss schieben, als ich sah, dass er eine andere Richtung einschlug. Dann ertönte ein Knirschen und dann ein dumpfer Schlag. Natürlich! Er hatte die Luke geschlossen. Jetzt gab es nur noch einen Weg zurück für uns, und zwar durch diese Tür.

Aber ein Weg zum Ziel reicht, solange er offen ist, dachte ich siegessicher, als der Wächter sich wieder entfernte.

Er schien es ausreichend zu finden, dass er den Regen daran gehindert hatte, durch die offene Luke zu strömen. Er war jetzt auf Bridge over troubled water umgestiegen, wie ich hörte. Und schlug nicht mehr mit dem Schlüsselbund auf das Geländer ein.

»Puh! Das war ja haarscharf!«, sagte Espen.

»So ist das oft in diesem Beruf, mein Junge«, sagte ich und versuchte mit tiefem Detektivsbass zu reden.

Er lachte. »Gehen wir wieder runter?«

»Wart noch einen Moment. Wenn wir Schwein haben, können wir vielleicht…« Ich ging über das Dach und versuchte vorsichtig in den Hof hinunterzusehen. Die Lampen am Rand des Parkplatzes ließen den klitschnassen Asphalt glänzen wie Lakritz.

»Was machst du da?«

»Warten, hab ich gesagt.«

Dann kam er. Plötzlich tauchte er aus dem Schatten unter uns auf und überquerte den Parkplatz in Richtung Bürohaus.

»Verdammt!«, sagte ich. »Schau mal.«

Ein riesiger Teufel von einem Rottweiler folgte ihm auf dem Fuß. Er hatte ihn wahrscheinlich unten in der Halle angebunden, während er oben bei uns seine Inspektion ausführte.

Espen räusperte sich. »Das ist ja der reine Bär.« »Ich würde lieber von einem Bären verfolgt als von dem da«, sagte ich.

Wir blieben stehen, bis der Wächter mit seinem Riesenvieh im Bürohaus verschwunden war.

Als wir erst einmal angefangen hatten, war der Job leichter, als wir uns das vorgestellt hatten. Kisten, Kästen und Kannen aller Art konnten wir uns ja schenken. Wir mussten uns über Fässer verschiedenster Sorten und Inhalte informieren und das schränkte die Auswahl doch ganz schön ein. Dass der Mott in Fässern aufbewahrt wurde, stand fast hundertprozentig fest, und nun war es außerdem noch durch das bekräftigt, was Gerd und der Prof bei Inchem gesehen hatten. Aber wo steckten die Giftfässer der CIH? Wir zählten an die dreihundert rote Fässer, die dieses butterartige Produkt enthielten, alle waren klar und deutlich mit einer fast einen halben Meter langen chemischen Formel beschriftet. Kein Problem. Aber wie sahen die Giftfässer aus? Sie müssten eigentlich einen Totenkopf aufweisen, aber konnte ich mich darauf verlassen? Diese ganze Registrierarbeit war noch dazu reichlich nervenaufreibend, die ganze Zeit hatte ich den Anblick des Riesenrottweilers in bester Erinnerung.

Bleib bei der Logik, dachte ich. Die Waren sollen morgen verschifft werden, also muss das Gift ziemlich nah am Tor stehen. Das sagte ich zu Espen und wir gingen hinüber. Es war eins von diesen Toren aus Leichtmetall, die sich beim Offnen unter der Decke aufrollen. Die meisten roten Fässer, die wir untersucht hatten, standen in der Nähe dieses Ausgangs. Sie standen da in Reih und Glied, drei Fässer hoch, acht und zehn Fässer breit.

Mir kam eine Idee. »Verflixt. Vielleicht stehen diese Giftfässer vor unserer Nase, Espen!«

»Aber die sind doch alle rot!«

»Ja, die sind alle rot. Aber wir haben die Aufschrift nicht untersucht. Sie brauchen doch nicht unbedingt eine andere Farbe für die Fässer zu haben, bloß weil sie einige mit Mott füllen.«

»Heißt das, dass wir jedes einzelne Fass überprüfen müssen?«

»Ja, aber wenn es hier überhaupt Giftfässer gibt, dann jedenfalls eine ganze Menge. Und die stehen sicher alle auf einem Haufen. Wir fangen beim Tor an, nun komm schon.«

Jeder suchte sich eine Reihe neben dem Mittelgang aus. Ich sah mir zuerst die Fässer an, die am dichtesten bei der Wand standen, Espen übernahm die innerste Reihe auf seiner Seite.

Und er landete den ersten Treffer, schon nach wenigen Sekunden sogar. Insgesamt dreißig Fässer, die dicht beim Tor standen, trugen einen gut sichtbaren Totenkopf. Schwarzer Druck auf gelbem Grund, auf der Mitte des Fasses aufgeklebt.

»Super!«, sagte ich und bückte mich. Ich sah mir die Fassreihen an, aber nur diese dreißig waren als Gift gekennzeichnet. »Sieh mal die ganze Reihe durch«, sagte ich. »Wir müssen sicher sein, dass das die einzigen Giftfässer auf dieser Seite sind.«

Ungefähr mitten in der Reihe fand ich auch auf meiner Seite dreißig Giftfässer. Wir hatten also alles in allem genau sechzig, wenn Espen nicht noch mehr gefunden hatte.

Das hatte er nicht. Zusammen untersuchten wir die Reihen von roten Fässern weiter hinten in der Halle, aber mehr Gift war nicht zu sehen.

»Da haben wir's doch tatsächlich geschafft!«, sagte er und gähnte. Ich sah, wie klein seine Augen geworden waren, er war ganz einfach hundemüde.

»Wir hauen gleich ab«, sagte ich. »Aber eins will ich noch herausfinden, wo ich schon mal hier bin, nämlich wie dieses berühmte Gift überhaupt aussieht! Das kann vielleicht noch mal nützlich sein.«

»Sei vorsichtig!«, mahnte er.

Ich nickte. Ich hatte vor, verdammt vorsichtig zu sein.

Das erste Problem war natürlich, auf die Fässer zu klettern. Ich konnte ja keines der untersten öffnen, solange zwei volle Fässer auf der Öffnung standen. Und gab es überhaupt eine Öffnung? Das konnte ich auch nicht sicher wissen. Fässer konnten schließlich auch auf dieselbe Weise verschlossen werden wie Konservendosen.

Eine Leiter war nicht zu sehen. Auch kein Werkzeug, und ich würde sicher welches brauchen. Ich bat Espen eine Zange oder so was zu suchen, während ich zwei leere Fässer heranrollte, um mir eine Treppe zu bauen. Es war keine schwere Arbeit, aber es dauerte lange, weil ich so vorsichtig sein musste. Leere Fässer poltern noch mehr als volle - und natürlich durfte kein Getöse hier im Lager zu hören sein. Auch wenn die Produktion in der anderen Halle einen Höllenlärm machte, so nahm ich doch an, dass die Arbeiter da draußen es sehr gut hören würden, wenn leere Stahlfässer hier auf dem Betonboden herumkugelten. Ich stellte zwei Fässer auf den Boden und konnte mit viel Müh und Not einen Kasten daraufheben. Es war immer noch weit bis ganz oben, aber ich war im Klettern allmählich gut trainiert. Das Gewicht der Fässer würde sie stabil bleiben lassen, ich könnte mich nach oben ziehen.

Ich ging Espen suchen. Ich fand ihn unter der Wendeltreppe, wo er in einer öldurchtränkten Pappschachtel herumwühlte.

»Was gefunden?«

»Bloß eine Rohrzange. Aber die ist riesig.« Er zeigte neben sich auf den Boden.

Die Rohrzange war wirklich riesig. Aber ich nahm sie wortlos und ging zu meiner Treppe zurück. Es lohnt sich nicht, sich über das Werkzeug zu beklagen, solange ich nicht gesehen habe, was ich damit machen werde, dachte ich. Die Zange wog so ungefähr zwei Fässer und ich musste sie einfach auf den Kasten legen, ehe ich mich auf das oberste Fass schwang. Das zitterte einen Moment lang ein wenig. Und glücklicherweise hatte das Fass eine Öffnung, und die Öffnung war mit einem Schraubbolzen aus Messing von der Größe meiner Faust verschlossen. Das bedeutete, dass ich sie mit der Rohrzange öffnen könnte. Espen stand unten und starrte gespannt zu mir hoch.

»Geht's?«

»Glaub schon«, sagte ich und setzte die Zange an. »Wenn das bloß nicht zu fest zugedreht ist.«

Aber das war es. Ich setzte all meine Kräfte ein, aber für diese Situation schien ich einfach nicht kräftig genug zu sein.

»Soll ich dir helfen?« Espen sah wohl, dass ich langsam blau anlief.

»Hat keinen Zweck«, stöhnte ich. »Zwei Mann können die Zange nicht fassen.«

Und so wäre ich fast Hals über Hintern auf den Beton unter mir gefallen. Denn plötzlich hatte der verdammte Messingverschluss beschlossen doch mal ein bisschen nachzugeben. Ich legte die Zange weg und drehte mit den Händen weiter, aber da hatte ich den Verschluss unterschätzt. Ich musste die ganze Zeit die Zange benutzen, bis der Bolzen sich schließlich schön auf die Seite legte.

Es war überhaupt nichts zu sehen. Ein schwarzes Loch!

»Schmeiß mal ein Stöckchen oder so was rauf«, flüsterte ich zu Espen hinunter. Er zog sein Taschenmesser hervor und nach zwei Versuchen konnte er einen langen Span von einem Brett im Kasten unter mir absäbeln.

»Gut!« Ich nahm den Span und schob ihn ins Loch. Spürte zähen Widerstand. Als ich ihn wieder herauszog, klebte daran eine zähe, buttergelbe Masse.

Ich begriff überhaupt nichts. Soviel ich sehen konnte, war das derselbe Stoff, den wir durch das Dachfenster in der Produktionshalle gesehen hatten. Ich schaute durch

den Zwischenraum an den Fässern hinunter, aber nein - ich hatte mich nicht geirrt. Das Fass war klar und deutlich als »Gift« ausgezeichnet. Ich drehte den Verschluss wieder zu und kletterte zu Espen hinunter; in einer Hand den Holzspan, in der anderen die Rohrzange.

»Sieh dir das mal an!«

»Aber du hast ja die falsche Tonne erwischt«, sagte er verzweifelt. »Das ist doch kein Mott!«

»Sicher?«

»Neunundneunzig Prozent. Ich war mit Gerd im Natur & Jugend-Büro. Die haben Mottproben. Das sieht aus wie Öl.«

»Ich bin auch sicher«, sagte ich. »Wollte bloß hören, was du meinst. Und noch was: Ich hab nicht das falsche Fass erwischt! Na los! Wir sehen uns mal ein Fass auf der anderen Seite an.«

Er half mir die Fässer rüberzurollen, deshalb ging es diesmal schnell. Neues Fass, neue hoffnungslose Messingschraube, neuer Span.

Aber diesmal hatte ich das Gefühl, den Span in Öl zu stecken. Der Stoff, der danach daran klebte, sah auch aus wie Öl. Aber er stank nach Tod und grünen Erbsen. Ich war völlig davon überzeugt, dass Mott so und nicht anders roch.

Und als ich unten auf dem Boden stand und die beiden Holzspäne in ein Stück Plastik einpackte, das ich gefunden hatte, ging mir auf, dass ich mich wahrscheinlich in meinem ganzen Leben noch nicht so verwirrt gefühlt hatte.

Warum machten sich die Leute hier in der Fabrik die Mühe, Verkaufsware in Fässer zu packen, die mit »GIFT« beschriftet waren ?

Aber ich hatte keine Zeit, noch länger darüber nachzugrübeln. Denn plötzlich begann das Tor sich mit Gepolter langsam aufzurollen. Und wir standen zwischen zwei Fassreihen mitten auf der Fahrbahn! Bei dem plötzlichen Krach hatte ich vor Schreck einen Luftsprung gemacht. Aber ich merkte gar nicht, dass ich wieder auf den Boden aufkam. Wahrscheinlich weil meine Knie zu Pudding geworden waren.

Natürlich, dachte ich verzweifelt. Das wäre ja auch fast zu glatt gelaufen!