Ich sitze an einem Lektoratsauftrag, der am Nachmittag fertig sein muss. Mein Verstand ist vor Erschöpfung ganz benebelt. Ich bin um zwei Uhr morgens mit Nachtangst aufgewacht – mit rasendem Puls und schweißgebadet – und konnte nicht wieder einschlafen.
»Alles in Ordnung?«, murmelte Scott.
»Schlecht geträumt.«
»Es liegt an der Story«, sagte er. »Du beschäftigst dich wieder mit den Leuten von damals, und dein Körper reagiert darauf. Er erinnert sich.«
»Vielleicht«, flüsterte ich. Im Traum hatte ich mit Ron und Meg im Auto gesessen, und sie hatten abwechselnd versucht, mich dazu zu bringen, aus einer Flasche zu trinken. »Schlaf weiter.«
Stattdessen stand ich auf, um einen Job zu beenden, für den ich bezahlt wurde und den ich liegen gelassen hatte. Ich machte nur eine kleine Pause, um eine Tasse Kaffee zu trinken, die Scott mir eingeschenkt hatte, bevor er zur Arbeit ging.
Als Jenna, meine beste Freundin von der Journalistenschule, mich um zehn anruft, bin ich dankbar für die Unterbrechung.
»Hey«, sage ich.
»Passt es gerade? Ich hab etwas Zeit vor der nächsten Redaktionssitzung.« Jenna ist vor einem Jahr nach New York gezogen, um eine Stelle bei der New York Times anzunehmen. Nachdem sie weg war, ging ich unserem kleinen Kreis von Ex-Kommilitoninnen, die sich hier draußen niedergelassen hatten, verloren. Es ist schwer, sich über ihre Artikel in The Atlantic oder der Times zu freuen, wenn man selbst noch ganz unten kämpft. Meine Mutter drängt mich ständig zu netzwerken. Leute zu treffen. Du kannst dich nicht im Kokon deiner Beziehung mit Scott verstecken und dich ewig auf Jennas Kontakte verlassen.
»Deine Story über Korruption in der New Yorker Staatsanwaltschaft war großartig«, sage ich jetzt zu Jenna.
»Danke. Sie wurde beinahe nicht gebracht. Lange Geschichte. Aber erzähl mal, wie es bei dir läuft. Woran arbeitest du gerade?«
»Meg ist wieder da«, antworte ich.
Sie atmet hörbar ein. »Wirklich? Erzähl mir alles.«
Ich setze sie ins Bild, erzähle ihr von dem Google Alert und dass ich Meg bei einem von Ron Ashtons Spendenveranstaltungen aufgespürt, mich dann als potenzielle Käuferin ausgegeben und mit ihr angefreundet habe. »Sie hat mich als ihre Assistentin eingestellt«, sage ich.
»Wie läuft es?«
»Hängt davon ab, wen du fragst«, antworte ich. Dann erzähle ich ihr von den fehlenden Kontoauszügen. »Scott hält es für möglich, dass sie weiß, wer ich bin, und mich jetzt vielleicht ins Visier nimmt.«
»Könnte ziemlich riskant für sie sein, wenn sie das tut«, sagt Jenna.
»Das denke ich auch. Außerdem hat sich in den zwei Wochen, seit die Auszüge verschwunden sind, nichts geändert. Meg und ich verbringen täglich mindestens vier Stunden zusammen, und ich kann keine Veränderung in ihrem Verhalten mir gegenüber feststellen.«
»Was glaubst du, wo sind die Kontoauszüge?«, fragt Jenna.
»Vielleicht sind sie einfach in der Post verloren gegangen«, erwidere ich. Aber bereits während ich die Worte ausspreche, klingen sie für mich nicht überzeugend. Es ist absolut möglich, dass eine Frau, die bedenkenlos eine junge Reporterin mit Nate zusammenbrachte, genau die Art von Opportunistin ist, für die Scott sie hält.
»Also, nachdem du dich das nun all die Jahre gefragt hast: Wie ist sie so?«
Ich denke darüber nach, was ich darauf antworten soll. Über den vorsichtigen Tanz, den wir beide vollführen – jede von uns lügt, sagt nicht, wer sie ist und was sie will, immer eine unbedachte Bemerkung vom Abgrund entfernt. Dann denke ich an Megs scharfsinnigen Humor. Ihre Verletzlichkeit.
»Wenn ich nicht wüsste, wer sie ist und was sie getan hat, wäre ich wahrscheinlich mit ihr befreundet.«
»Ich glaube, Scott ist zu Recht besorgt«, sagt Jenna. »Ganz egal ob sie weiß, wer du bist, du musst auf jeden Fall vorsichtig sein.«
»Mach dir keine Sorgen.«
Aber mein Bild von Meg hat sich seit ihrer Rückkehr verändert. Sie ist nicht mehr die oberflächliche Trickbetrügerin, die sie viele Jahre in meiner Vorstellung war, sondern eine Frau, die Männer wie Ron genauso hasst wie ich. Die immer darauf besteht, das Mittagessen selbst zu bezahlen, und schließlich noch dreißig Prozent Trinkgeld gibt. Die an der Ampel das Fenster herunterkurbelt, um dem Obdachlosen, der dort steht, fünf Dollar zu geben.
»Wem wirst du die Geschichte anbieten? Und wann?«
»Ich weiß nicht«, antworte ich ausweichend. Ich habe an Vanity Fair oder Esquire gedacht. Es ist genau die Art von großer, sensationeller Story, die ihnen gefallen würde – eine schöne, geheimnisvolle Trickbetrügerin –, aber alles, was ich bisher habe, sind ein paar Behauptungen von vor zehn Jahren und viele Leerstellen. »Ich muss wissen, wo sie gewesen ist und was sie gemacht hat, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was sie jetzt macht.«
»Wo, sagt sie, war sie?«
»Michigan. Hat dort Immobilien verkauft«, antworte ich. »Sie hat eine Website mit Fotos von Häusern, die sie verkauft hat, und Kundenbewertungen.
»Gefälscht?«
»Beinahe sicher. Aber es ist eine Sackgasse.« In den Wochen seit Megs Rückkehr habe ich kein Unternehmen in Michigan finden können, das unter dem Namen Ann Arbor Realty operiert. Eine Bildersuche der Angebote auf ihrer Website führte immer zu Zillow oder Redfin, mit anderen Maklernamen versehen. »Ich komme nicht weiter«, gebe ich zu. »Auf keinem Portal finde ich irgendetwas, von dem Meg nicht will, dass es gefunden wird.«
»Ich werde einen von unseren Rechercheuren darauf ansetzen, ganz inoffiziell. Mal sehen, was wir finden können.«
Ich habe gehofft, dass sie das anbieten würde. »Wirklich?«, sage ich. »Das wäre toll. Ich brauche nur einen Hinweis – einen Namen, einen Ort. Den Rest kann ich übernehmen.«
»Deiner Mutter gefällt das alles bestimmt«, sagt sie.
Ich seufze und starre aus dem Fenster. »Sie sitzt mir ständig im Nacken, textet mich mit Vorschlägen voll und bietet mir an zu lesen, was ich geschrieben habe. Als ich ihr erzählte, dass ich undercover arbeiten würde, bekam sie praktisch Zustände.«
Jenna lacht. »Sie meint es gut.«
Ich weiß, dass Jenna recht hat, aber die Sache mit meiner Mutter geht tiefer. Die Erwartungen, die ich nie erfülle, die Enttäuschung darüber, dass mein großer Durchbruch bei der L.A. Times nur von kurzer Dauer war, während meine ehemaligen Kommilitoninnen heute für bedeutende Medien schreiben. Statt sich für Jenna zu freuen, als sie bei der New York Times angestellt wurde, war das Erste, was meine Mutter sagte: »Warum hast du dich nicht für den Job beworben?«
»Und wie geht es Scott?«
»Es geht ihm gut«, sage ich.
»Wann wollt ihr heiraten?«, fragt sie. »Ich will sichergehen, dass ich dann auch Urlaub habe.«
»Ich weiß es nicht. Wir sind beide so beschäftigt. Vielleicht können wir uns endlich um einen Termin kümmern, nachdem ich die Meg-Geschichte verkauft habe.«
»Das klingt, als würdest du einen Termin beim Gynäkologen machen. Versuch, dich ein bisschen zu freuen.«
Ich muss lachen. »Ich freue mich ja. Ich habe nur viel zu tun. Im Grunde habe ich zwei Jobs.«
Jenna schweigt eine Weile, als würde sie darüber nachdenken, was ich ihr gerade erzählt habe. »Solange das alles ist … Ich weiß, ich hab’s schon mal gesagt, aber es ist keine Schande, seine Meinung zu ändern.«
»Scott geht es großartig«, sage ich. »Hält sich an das Programm. Alles ist gut, ich schwöre.«
Jenna wartet kurz, bevor sie sagt: »Ich muss mich beeilen. Rufst du mich am Wochenende an?«
»Mach ich.«
Nachdem sie aufgelegt hat, starre ich das Telefon an. Mir fehlt eine Freundin. Eine, die ich zum Mittagessen oder kurz auf einen Kaffee treffen kann. Bei der ich nicht immer auf der Hut sein muss, ob Lügen und Manipulation in die Gespräche einfließen. Das ständige Täuschen und Schauspielern fordert einen emotionalen Tribut. Ich muss wieder daran denken, was Scotts Freund, der verdeckte Ermittler, immer sagte. Wenn man nicht aufpasst, verliert man nach einer Weile die Grenze aus den Augen. Dann sagt man nicht mehr ich oder sie, sondern nur noch wir.