6
Bent Mogens kam in die Kaffeeküche und ging zur Kaffeemaschine. Er drehte sich zu Edlund um.
»Früher gab es auch Kakao«, sagte er.
»Magst du Kakao lieber?«
»Nein.«
Edlund lächelte.
»Dir scheint das Lächeln weh zu tun.«
»Ich bin müde.«
»Schlafprobleme?«
»Eher Probleme mit unseren Verdächtigen.«
»Warum gestehen sie nicht einfach?«
»Das frage ich mich auch. Und sie natürlich.«
Edlund rührte in der Tasse. Er war steif. Es war nicht gesund, stundenlang konzentriert dazusitzen und zuzuhören. Jemandem Worte aus der Nase zu ziehen. Und die Pausen dazwischen. Manchmal waren die Worte nicht so wichtig, es waren die Pausen. Miles Davis hatte gesagt, nicht die Töne seien wichtig, sondern die Pausen dazwischen. Keine weiteren Vergleiche mit Lentner oder Mark Knopfler.
Lentner und Barkner waren am Samstag, als der Bericht über die Punktblutung von Pia Fröberg vorlag, in Untersuchungshaft genommen worden.
»An dem hab ich mir gestern die Zähne ausgebissen«, sagte Edlund. »Lentner. Irgendwie hart, der Typ. Konzentriert, als beobachte er.«
»Was meinst du damit?«
»Ich weiß nicht, was es ist.«
»Wäre es besser, er würde zusammenbrechen?«
»Besser, zusammenzubrechen? Was soll das?«
»Lass deinen Frust nicht an mir aus, Sverker.«
Edlund stand auf. Vor dem Fenster sah er ein Stück von der Skånegatan und dem Katrinlundsgymnasium. Es würde ein schöner Tag werden. Im Südosten kletterte die Sonne über die Berge. Vielleicht war sie im Augenblick in Mölnlycke. Er schaute auf die Uhr. Ja. Bald in Pixbo. Ein goldener Schimmer über dem Stensjön. Ein Goldrand um das Dasein. Hin und wieder brauchen wir alle einen kleinen Goldrand. Guter Kaffee würde schon reichen, aber nicht mal den kriegt man hier.
»Er zeigt keine Reue«, sagte Edlund.
Mogens trat ans Fenster und stellte sich neben ihn.
»Es ist, als wäre er gar nicht … dort gewesen.«
»Ich habe gestern Abend die Verhörprotokolle gelesen«, sagte Mogens. »Er sagt ja, dass er nicht da war. Wenn er damit meint, dass er geschlafen hat.«
»Genau wie bei dem anderen.« Edlund drehte sich zu seinem Chef um. »Martin Barkner hat auch geschlafen. Er hat nichts bemerkt. Verglichen mit Lentner ist er anders. Er bricht leichter zusammen. Er bricht ständig zusammen. Aber er sagt nichts. Er gesteht nichts. Er weiß nichts.«
»Was hältst du davon?«
»Wovon?«
»Dass keiner von beiden gesteht.«
»Eine Erklärung könnte sein, dass sie es nicht getan haben.«
»Glaubst du das?«
Edlund antwortete nicht. Er sah einige Gymnasiasten die breite Straße bei Rot überqueren. Ein Autofahrer hupte. Ein Junge zeigte ihm den Stinkefinger. Die Hupe brüllte wieder. Es war ein lautes, durchdringendes Geräusch, das bis zu ihm drang, wo er stand, mehrere Hundert Meter entfernt vom Geschehen, hinter dem Panzerglas des Präsidiums. Das lag vielleicht an dem schönen Morgen. Der klaren, frischen und durchsichtigen Luft. So war es den ganzen Herbst über gewesen, bis in den November und Dezember hinein. Vielleicht zeigte der Treibhauseffekt endlich einen Effekt. Aber dann würde es doch nicht so kalt sein?
»Ich habe gestern Abend mit Öberg gesprochen«, sagte Mogens. »Lentners Fingerabdrücke sind überall. Und ihre auch. Aber keine anderen.«
»Nein.«
»Bei dem anderen Mord ist es komplizierter. Sie haben keine verwendbaren Fingerabdrücke auf dem Kissen gefunden. Im Großen und Ganzen gesehen, ist es unmöglich, solche Spuren auf Stoff nachzuweisen. Aber die Frau ist aller Wahrscheinlichkeit nach erstickt worden. Schwer vorstellbar, dass es anders gewesen sein sollte. Und dass es jemand anderer als der Lebensgefährte getan hat, Barkner.«
»Der sagt, er habe alles verschlafen.«
»Was beide taten. Oder alle vier, wenn man so will.«
»Ja, Mist.«
»Was uns schwerfällt zu glauben, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und die Gerichtschemie hat keine Spuren von Schlafmitteln in den Körpern gefunden, weder in den lebenden noch in den toten. Nach Öbergs vorläufigen Erkenntnissen gibt es nichts dergleichen.«
Edlund schwieg.
»Woran denkst du, Sverker?«
»An die Lebenden und die Toten. Gibt es nicht so ein Buch? Oder einen Film?«
»Keine Ahnung.«
»Die Nackten und die Toten«, sagte Edlund. »Das ist ein Buch. Ich glaube, ich habe es gelesen. Zweiter Weltkrieg. Der Stille Ozean.«
Er sah eine weitere Horde Schüler über die Straße stürmen. Ein Autofahrer musste gewaltsam auf die Bremse treten, obwohl er Grün hatte. Eines Tages würde dort unten jemand überfahren werden, vielleicht eine halbe verdammte Klasse. Vielleicht würde er es sehen. Ich hab’s ja schon immer gesagt, würde er zu jemandem, der neben ihm stand, sagen können.
Mogens stand neben ihm, aber jetzt ging er weg. Er hatte genug gesehen. Edlund wandte sich vom Fenster ab.
»Es könnte ja noch eine andere Person zugegen gewesen sein«, sagte er zu Mogens’ Rücken.
Mogens drehte sich um.
»Das hätten die Männer zu diesem Zeitpunkt schon erzählt.«
»Sie wussten es nicht.«
»Also jemand, der sich in die Wohnung geschlichen hat, als die Paare schliefen?«
»Möglich wäre es.«
»Ohne dass sie wach wurden?«
»Das ist ein Problem, ich weiß.«
»Jemand, der schon vorher da war?«
»Ja.«
»Von dem die Männer behaupten, dass sie ihn nicht kennen? Der aber da war.«
»Vielleicht.«
»Wer könnte das sein?«
»Tja, vielleicht ein Sexgespiele.«
»Haben die Techniker frisches Sperma gefunden?«
»Ich habe Öberg nicht gefragt. Aber wenn es so gewesen wäre, hätte er es uns schon mitgeteilt.«
»Andere Spuren?«
»Spuren welcher Art meinst du?«
»Irgendwas.«
»Nein, nichts Verdächtiges. Ziemlich ordentliche Wohnungen. Keinerlei verdächtige Anhaltspunkte. Keine Hinweise auf eine andere Person.«
»Das muss nichts bedeuten.«
»Du meinst, er hätte irgendetwas hinterlassen sollen?«
»Oder sie.«
»Oder sie.«
»Eine Person, die sie kannten.«
»Ja.«
»Die er rausgelassen hat.«
»Rausgelassen?«
»Die Türen standen offen. In beiden Fällen waren die Wohnungstüren offen.«
»Für die Polizei.«
»Die junge Polizistin hat nicht gehört, dass unsere verdächtigen Jungs gesagt haben, sie hätten die Tür geöffnet.«
»Ihr junger Kollege meint, es beim ersten Mal gehört zu haben.«
»Aber die Verdächtigen können sich nicht daran erinnern. Sie standen unter Schock. Keiner von beiden erinnert sich, die Tür geöffnet zu haben.«
»Okay. Das wirkt jedenfalls sehr fürsorglich. Oder wie man das nennen soll. Dass sie daran gedacht haben, in den Flur zu gehen und die Tür aufzuschließen, damit die Polizei problemlos eintreten kann.«
»Sie hatten noch Verstand genug, anzurufen.«
»Ja, aber was soll man sonst tun? Was ist verdächtiger? Den Notruf zu wählen oder vom Tatort zu fliehen?«
»Ich weiß es nicht. Schock ist Schock. Den kann man immer vorschieben.«
»Nicht in diesem Fall.«
»Wir glauben also, dass jemand in der Wohnung war?«
»Nicht, solange wir keine Spuren haben.«
»Öbergs Crew arbeitet daran.«
»Wir auch.«
Edlund warf einen Blick auf die düstere Kaffeemaschine. Sie stand im Schatten, immer stand sie im Schatten. Noch nie hatte er sie angeleuchtet gesehen. Es musste einen Sinn haben, eine Art Symbolik, die er nicht richtig verstand.
»Der erste Mann ist am Boden zerstört«, sagte er. »Der heult sich die Augen aus dem Kopf.«
»Hm.«
»Warum zum Teufel gesteht er nicht? Er hätte schon längst gestehen müssen!«
Mogens schwieg.
»Ich habe kein gutes Gefühl, Bent.«
»Und der andere?«
»Er wird nie gestehen. Er würde sich eher die Zunge abbeißen, als zu gestehen.«
»Du bist dir deiner Sache gar zu sicher.«
»Er sich auch.«
»Sicher, dass er unschuldig ist?«
»Sicher, dass wir glauben sollten, er sei unschuldig.«
»Das ist aber ein großer Unterschied.«
»Er ist sich seiner selbst sicher.«
»Auch in dieser Situation?«
»Ja.«
»Wahrscheinlich ist er total durchgeknallt.«
»Mir ist bis jetzt nichts aufgefallen, was darauf hindeuten könnte. Ich meine, in seinem Umfeld.«
»Früher oder später kommt es heraus.«
Gerda Hoffner hatte bis weit in den Nachmittag geschlafen. Draußen war das Licht auf dem Wege, jenseits des Meeres herabgezogen zu werden. Sie sah die glühende Sonne Muster auf die Wand neben dem Bett malen. Gerda Hoffner war erst seit wenigen Minuten wach. Die Sonne bewegte sich weiter über die Wand wie ein bewegliches Gemälde. Eine Installation an meiner Wand.
Im Zimmer wurde es rasch dunkel, was bewirkte, dass die Installation stärker leuchtete, aber nur einen kurzen Moment. Sie sah die Sonne an der Wand versinken. Ein versinkendes Gemälde.
Eine Wand. Ein Gemälde. Eine Wand.
Mit einem Ruck richtete sie sich auf.
Was hatte sie gesehen? Was war das? Woran hatte sie gedacht?
Ein Gemälde.
Eine Wand.
Zwei Gemälde.
Zwei Wände.
In beiden Wohnungen.
Sie stellte die Füße auf den Boden, der sich angenehm unter ihren Fußsohlen anfühlte. Ihr Vormieter hatte die Holzfußböden bearbeitet und sie weich und warm geschliffen.
Die Wohnungen.
Die beiden Wohnungen in Vasastan.
Wie war es gewesen?
Als sie darin gestanden hatte?
Hatte sie die Taschenlampe eingeschaltet?
Ja. In der ersten Wohnung. Im Zimmer hatte Licht gebrannt, aber sie hatte ihre Taschenlampe benutzt.
Der Lichtkegel war über die Wand geglitten.
Über dem Bett hatte ein Bild gehangen, links vom Bett.
Es war berührt, bewegt worden.
Jetzt erinnerte sie sich, dass sie das Gleiche später in der anderen Wohnung in der Götabergsgatan wahrgenommen hatte. Ein Bild am Bett, das verschoben, berührt worden war.
Wie waren die Bilder bewegt worden? Woher wusste sie das?
Gerda Hoffner stellte sich hin. Sie schloss die Augen, versuchte, in die schrecklichen Zimmer zurückzukehren, sie im Geist erneut vor sich zu sehen. Die Bilder. Das erste Bild. Der Lichtkegel der Taschenlampe darauf. Der untere Teil. Unter dem Bild war ein Strich gewesen, dunkler als die Wand.
Das Gleiche in der anderen Wohnung.
Ein Strich unter dem Bild.
Was bedeutet das? Sie presste die Augen fest zusammen. Es hat etwas zu bedeuten. Was? Sie öffnete die Augen, ging durch ihr Zimmer. An der Wand hing ein Bild, eine Dalí-Reproduktion. Uhren, die in der Sonne schmolzen. Das Bild hing ein wenig schief. Sie richtete es gerade.
Dadurch entstand unter dem Bild ein Strich.
Eine Spur von Staub, dunkler als die Wand. Das Bild musste schon lange schief gehangen haben, sonst wäre nicht eine so deutlich sichtbare Linie entstanden.
Ein frisches Zeichen.
Das hatte sie gesehen.
Jemand hatte gerichtet, was gerichtet werden musste. Schiefes sollte gerade werden.
Und es war an beiden Tatorten geschehen. Erst kürzlich. Es musste kürzlich gewesen sein, denn sonst wäre der Staub verschwunden gewesen. Kürzlich. Wieder schloss sie die Augen. Sie versuchte, die beiden Wohnungen vor sich zu sehen, sich zu erinnern. Wie aufnahmefähig war sie gewesen? Was hatte sie gesehen? Neben dem Furchtbaren im Zentrum. Darüber hatten sie an der Polizeihochschule gesprochen: wie wichtig es war, so viel wie möglich gleichzeitig zu erfassen, alles zu registrieren, wenn man ein Zimmer betrat. Sich nicht allzu sehr von einem Zentrum, dem eigentlichen Anlass verwirren zu lassen, aus dem man hier war, falls es nicht darauf ankam, sich selbst zu verteidigen. Sein Leben zu verteidigen. Aber das war in keiner der beiden Wohnungen nötig gewesen. Angst um ihr Leben hatte sie nicht gehabt. Es war unheimlich gewesen, schrecklich unheimlich, doch nicht lebensbedrohlich.
Wie hatte es in den Zimmern ausgesehen? In beiden Wohnungen hatte eine Art … charmante Nachlässigkeit geherrscht. Wie man es sich bei Leuten, die Geld besaßen, vorstellte. Junge erfolgreiche Menschen, die sich um nichts zu kümmern brauchten. Sie lebten nicht im Chaos, aber sie konnten sich eine gewisse Schlampigkeit leisten, die hip wirkte. Nicht dass sie in vielen »richtigen« Wohnungen gewesen wäre, und nie privat. Gerda Hoffner hatte keine schicken Freunde, nicht in dieser Schicht. Aus dieser Gesellschaftsschicht zu stammen und Polizist zu werden wurde von denen vermutlich für fast kriminell gehalten. Wenn nicht für noch Schlimmeres. Manche Liberalen waren sozusagen schick kriminell, und darauf waren sie auch noch stolz. Wie manche Leute stolz darauf waren, dass sie nie Bücher lasen. Oder Bilder kauften, weil ihnen gerade diese Bilder gefielen.
Diese Wohnungen passten zu schief hängenden Gemälden. Oder umgekehrt.
Es waren ein paar Kleidungsstücke im Zimmer verstreut gewesen, in den Zimmern, einiges auch im Flur, ein Schal, ein Pullover. Überall hatten Sachen herumgelegen. Nichts war rechtwinklig angeordnet. Sie schloss die Augen wieder. Presste sie zusammen.
Es war etwas anderes.
An beiden Orten hatte sie noch etwas gesehen.
Plötzlich hatte sie Angst. Wovor? Warum zerbreche ich mir eigentlich den Kopf darüber? Sie riss die Augen auf, als fürchtete sie, mit geschlossenen Augen nicht zu wissen, wo sie sich befand oder was sie tat.
Ich bin die Einzige, die an beiden Orten gewesen ist.
Beim ersten Mal mit Johnny Eilig, das zweite Mal mit Alexander. Es waren verschiedene Leute von der Spurensicherung da gewesen, die erste Crew war aus Uddevalla gekommen. Beim zweiten Mal war es nicht dieselbe Gerichtsmedizinerin gewesen, sondern ein Mann.
Ich bin allein. Mit diesen Fragen bin ich allein.
Wieder sah sie die Bilder vor sich, die Frauen im Bett, die Männer daneben. Das Verhalten der Männer. Das unterschiedliche Verhalten, der eine war zutiefst schockiert, der andere wirkte ruhiger. Trotzdem hatte er sich blutig gekratzt.
Die Betten. Es waren Doppelbetten gewesen oder Twin beds, wie die auf Schwedisch hießen. Jedenfalls hatten sie nebeneinander gestanden, mitten im Zimmer, nicht an die Wand gerückt, die Gemälde hingen links an der Wand. Ja, beide hatten links gehangen. Sie hatte den Strahl der Taschenlampe nach links gerichtet. Was hatte sie dann getan? Sie hatte die Betten angeleuchtet, neben die Betten geleuchtet, eine einzige Armbewegung, die Taschenlampe war ihr gefolgt, der Lichtkegel war über die Betten geglitten, dann über den Boden, wieder über die Wände, ein Stuhl, hier und da hatten Sachen herumgelegen, vielleicht war das gemütlich, sympathisch schlampig, sie hatte … wieder auf die Betten geschaut, nein, nicht nur, es war noch etwas anderes, neben den Betten, die Nachttische. Darauf hatten auch Sachen gelegen. Auf Nachttischen liegt immer etwas, Bücher, mehrere Bücher auf beiden Tischen, Bücher, die man liest, keine Coffeetablebücher, nicht diese großen, anderen Bücher, vier, fünf, sechs auf jedem Tisch. Ja, sie hatte es gesehen und … irgendetwas stimmte nicht richtig mit dem übrigen Zimmer oder etwas anderem im Zimmer überein, etwas, das …
Gerda Hoffner öffnete die Augen. Sie stand im Dunkeln. Die Sonne war hinter dem Meer versunken wie ein glühendes Stück Kohle, über dem Sannabacken lag nur noch schwarzer Dezember. Nicht einmal Straßenbahnen fuhren mehr. Keine Autoscheinwerfer. Sie war allein mit ihren Bildern. Die Nachttische. Ein paar Bücher. Bücher. Ordentliche Stapel. Ordentlich ausgerichtet. Fünf oder sechs Bücher. Auffallend ordentlich gestapelt. Das hatte sie gesehen. Jetzt reagierte sie darauf. Es hatte … anders ausgesehen. Ihr fiel ein, dass sie es schon in dem Moment seltsam gefunden hatte. Aber sie hatte es nicht bewusst registriert. Und in der zweiten Wohnung? Auch dort hatte sie es irgendwie registriert. Vielleicht ein bisschen stärker. Jetzt fiel der Groschen. Was immer das wert war. Wahrscheinlich war es gar nichts wert.
Eine Flasche auf einer Arbeitsplatte.
Himmel, nun mal ganz ruhig, kleine Gerda. Ja, du hast im Vorbeigehen vom Flur aus in beiden Küchen eine Flasche auf einer Arbeitsplatte stehen sehen. War eine von ihnen geöffnet? Hab ich nicht gesehen. Sie sah das Glas vor der Flasche. Ja, in beiden Küchen hatte ein Glas neben der Flasche gestanden. Nur jeweils ein Glas an beiden Orten.
Ganz ruhig. Sicher stehen in jeder Küche in Göteborg Weinflaschen auf Arbeitsplatten.
Ein Glas. Warum war es nur ein einziges Glas? War die Flasche geöffnet gewesen oder nicht? War Wein im Glas gewesen? Sie drehte sich um und ging zurück ins Schlafzimmer. Endlich kroch eine Straßenbahn mit glitzernden Lichtern den Sannabacken herauf, die Lichter huschten über die Wand. Sie hatte den ganzen Tag verschlafen, den ganzen Nachmittag mit Nachdenken verbracht. Sie war gezwungen gewesen, den Tag zur Nacht zu machen, das brachte der Job nun einmal mit sich. Kein Grund zum Klagen. Die Gemälde. Die Bücher. Die Flaschen. Was soll ich tun? Nachdenken, ich muss noch ein bisschen nachdenken. Sie folgte einem weiteren Straßenbahnlicht mit dem Blick. Es glitt wie ein Suchscheinwerfer über ihre Wand und floss abwärts, zu ihrem Bett. Es strich über den Nachttisch. Den Nachttisch. Jetzt gehe ich zum Telefon und rufe an, dachte sie.