9

Torsten Öberg war stellvertretender Chef der Spurensicherung, und es gefiel ihm nicht, dass Leichen in den äußeren Schären herumschwammen, identifiziert oder nicht. Er mochte den Tod nicht. Er mochte Gewalt und Verbrechen nicht. Sein Job wäre viel einfacher, wenn es keine Gewaltverbrechen gäbe. Dann könnte er Pilze sammeln gehen. Oder angeln. Aber angeln mochte er auch nicht, und er hatte noch nie auch nur einen einzigen Pilz aus der Erde gedreht, nicht einmal als Kind, soweit er sich erinnerte, auch Beeren hatte er kaum gepflückt. Das war nicht dieselbe Herausforderung. Sein Job war eine Herausforderung. Man musste ihn nicht lieben, aber Öberg konnte sich schwerlich eine andere Tätigkeit vorstellen. Als Kind hatte er darüber nachgedacht, warum tote Fliegen so aussahen, wie sie aussahen. Grashüpfer, Wespen. Wo sie ihrem Schicksal begegnet sein mochten und wie und vielleicht auch manchmal, warum sie sterben mussten. Aber das »Warum« war nicht seine Abteilung. Ob sie Spuren am Körper oder der Kleidung des Toten gefunden hatten? Nein. Wenn es Spuren von vorher gegeben hatte, so waren sie vom Salzwasser abgespült worden. Salzwasser hatte die perfekte Wirkung. Leg das Resultat deines Verbrechens in Salzwasser, und die meisten Spuren verschwinden. Es wirkt wie Säure.

Er saß an seinem Schreibtisch und studierte die Bilder, die vor ihm lagen. Sie zeigten nicht den Toten an Winters Strand, sondern zwei Zimmer, die einander auf den ersten Blick ähnelten. Aber welches Schlafzimmer ähnelte nicht dem anderen? Sie waren gewissermaßen wie Hotelzimmer. Das Bett sehr dominant. Ein Möbelstück, ein Stuhl. Fußboden, Nachttische, etwas darauf. Etwas an den Wänden. Etwas auf den Betten. Öberg betrachtete eins der Fotos. Der Frauenkörper war mit einem Laken bedeckt. Nur das Gesicht war zu sehen. Es war ganz offensichtlich das Gesicht eines toten Menschen, die Blässe, die Leichenflecken. Das hatte nichts mit Schlaf zu tun.

Einige wenige, sehr undeutliche Druckstellen, die aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Gewicht eines Kissens herrührten, das auf ihr Gesicht gedrückt worden war. Ein minimaler Riss in einem Nasenloch. Sie hatte keinen Widerstand geleistet, es hatte keinen Widerstand gegeben. Sie hatte geschlafen, war bewusstlos gewesen. Sie musste bewusstlos gewesen sein. Er betrachtete ein anderes Bild, ein anderes Gesicht. Hatte auch diese Frau geschlafen? Das Bild strahlte die gleiche Ruhe aus. Auch ihr Gesicht war friedlich im Tod. Das war falsch. Das war der größte Fehler. Es sollte nicht friedlich aussehen. Weitere Personen waren auf den sechs Fotos nicht zu sehen, die vor Öberg lagen, drei aus jeder Wohnung. Aber es waren mehr Personen anwesend gewesen, bevor die Fotos aufgenommen worden waren. Öberg rieb sich die Nasenwurzel. In den vergangenen Tagen plagte ihn dort ein irritierender Juckreiz, vielleicht ausgelöst durch das Licht in diesem Raum. Sie hatten neue Schreibtischleuchten bekommen, moderne mit aggressiverem Licht. Das hing natürlich mit der neuen Zeit zusammen. Heutzutage war das weiche, beruhigende Licht der alten Lampen nur noch Erinnerung.

In den beiden Mordfällen hatte die Spurensicherung die Untersuchungen der Wohnflächen, insbesondere der Schlafzimmer, abgeschlossen, soweit er informiert war. Eingangsbereich, Ausgang, Fingerabdrücke. Waffen, falls man das Kissen dazuzählte, oder die Kissen. Aber aus seinem Blickwinkel war ein Kissen so gut wie wertlos. Blutvorkommen. Ein dämliches Wort. Es gab viele dämliche Wörter in diesem Job. Keine anderen Fingerabdrücke als die des Mannes und der Frau. Keine anderen Spuren als seine und ihre auf den Flächen um das Bett herum, in keiner der beiden Wohnungen.

Noch kein Geständnis, soweit er gehört hatte. Vielleicht war es der Schock. Der traf auch die Betroffenen. Auch ein Totschläger hatte vielleicht Gefühle, aber sicher war es nicht. Ein Mörder. Ein Soziopath vergoss häufig Tränen über das, was er getan hatte, aber nur kurze Zeit, solange die Erinnerung anhielt. Diese beiden Männer hatten vielleicht schon alles vergessen. Sie würden nie gestehen. Wie soll man etwas gestehen, von dem man weiß, dass man es nicht getan hat? Deswegen musste man nicht unbedingt verrückt sein. Es gab Schuldige, die nie gestanden, es war eine Frage des Prinzips, unabhängig von Beweisen. Erneut studierte Öberg die Fotos, nahm sie in die Hand, legte sie wieder hin. Irgendetwas störte ihn auf diesen Bildern, aber er konnte nicht sagen, was es war. Es waren normale Bilder von einem Tatort. Normale Bilder in seiner Welt. Er legte sie zurück auf den Schreibtisch. Wenn diese Kerle doch bloß gestehen würden, damit ich mir das hier nicht mehr anschauen muss. Es gibt anderes, das ich anschauen möchte. Er stand auf.

Als er auf dem Flur war, hörte er das Telefon in seinem Büro klingeln. Er kehrte um und hob ab.

»Ich bin’s nur«, sagte Mogens.

»Doch nicht nur, Bent.«

»Du wolltest mich sprechen.«

»Ja. Da ist etwas auf den Fotos von den Zimmern, das ich nicht begreifen kann«, sagte Öberg.

»Was?«

»Ich sag doch, ich komme nicht dahinter.« Öberg machte eine Pause. Er stand am Schreibtisch. Im Zimmer war es halbdunkel, als würde es draußen dämmern. Aber es war keine Dämmerung. Es war mitten am Tag, fünf Minuten nach zwölf. Jetzt begann die Jahreszeit, in der viele arme Tröpfe eine Lichttherapie brauchten. Er war einer von ihnen. »Sie sehen sich zu ähnlich.«

»Die Zimmer? Die Verbrechen?«

»Beides. Aber ich weiß nicht recht, worauf ich den Finger legen soll.«

»Nein.«

»Aber das ist ja eigentlich auch nicht mein Job. Tja, das Beste für alle wären wohl Geständnisse.«

»Ich habe mit der Mutter des Mädchens gesprochen«, sagte Mogens. »Glorias Mutter. Sie war nicht überrascht.«

»Überrascht wovon?«

»Dass es passiert ist. Dass er sie umgebracht hat.«

»Dann hätte sie doch längst Alarm schlagen sollen.«

»Es wirkte eher so, als sei sie nicht überrascht, dass Erik Lentner zu so einer Tat fähig ist.«

»Warum war sie nicht überrascht?«

»Sie sagte, er habe Gloria grausam behandelt. Den Ausdruck hat sie benutzt. Grausam.«

»Hat er sie geschlagen?«

»Die Mutter glaubt es.«

»Sie glaubt es? Was hat ihr die Tochter erzählt?«

»Nichts.«

»Der Gerichtsmediziner hat keine Spuren von Misshandlung an ihrem Körper gefunden.«

»Nein.«

»Aber man kann ja auch auf andere Art und Weise grausam handeln. Was sagt er selber?«

»Edlund hat ihn nach ihrem Verhältnis ausgefragt. Wenn wir Lentner glauben wollen, war es der reinste Garten Eden.«

»Hm. Aber Eden ist zur Hölle gefahren, oder?«

Winter und Ringmar warteten auf ihren Stammtisch bei Ahlströms. Zwei ältere Frauen hatten ihre Muffins verzehrt und waren gerade bei der zweiten Tasse Kaffee angelangt. Winter und Ringmar versuchten, sich so diskret wie möglich zu verhalten, während sie warteten.

»Ist das zwanghaft?«, sagte Ringmar. »Dass wir in diesem Café immer am selben Tisch sitzen müssen?«

»Ja.«

»Woher kommt so was?«

»Macht der Gewohnheit. Die ist stark. Und ohne sie sind wir gar nichts.«

Die Frauen hatten sich erhoben. Ein Rentnerehepaar, das wie aus dem Nichts auftauchte, war auf dem Weg zu dem Tisch. Sie hatten ihn fast erreicht. Ringmar reagierte schnell. Er durchquerte den Raum und zeigte seinen Dienstausweis.

»Entschuldigung«, sagte er.

»Wird es gleich knallen?«, fragte die Frau. Sie sah aus wie Ringmars Großmutter.

»Wir wissen es nicht«, sagte Ringmar.

»Wie aufregend!«

»Es gibt noch einen freien Tisch im Nachbarraum«, sagte Ringmar. »Mein Kollege wird dafür sorgen, dass sie ihn bekommen.«

»Warum können wir nicht hier sitzen?«, fragte der Mann, der wie der Vater der Frau aussah, älter als hundertzwanzig.

»Wir müssen die Straße im Auge behalten«, antwortete Ringmar.

»Das musst du doch verstehen, Albin«, sagte die Frau.

Winter hatte den größten Teil des Gesprächs mitbekommen und war in den Raum vor dem Lichthof gegangen, wo er den leeren Tisch bewachte. Er rückte der Dame den Stuhl zurecht, als das Paar bei ihm ankam.

»Wie höflich die Polizei ist«, sagte sie. »Vielen Dank, junger Mann.«

»Wir danken«, sagte Winter.

»Die Macht der Gewohnheit«, sagte Ringmar, als Winter an den Stammtisch zurückkehrte.

»Herrje, Bertil.«

»Jetzt können wir hoffentlich endlich bestellen«, sagte Ringmar.

»Holländerschnitte?«, fragte Winter.

»Musst du überhaupt noch fragen?«

Gerda Hoffner saß im Streifenwagen und sah die Stadt vorbeigleiten. In den Straßen war schon Weihnachten. Jedes Jahr wurde es früher Weihnachten, bald reichte der November nicht mehr. In einigen Jahren wären sie mitten im Sommer bei Weihnachten angelangt. Dann würde es wie in Australien sein. Im Bikini unterm Tannenbaum. Aber sie besaß keinen Bikini. Sie wollte keinen Bikini tragen. Die Leute waren alle schwarz und braun gekleidet, hier und da ein bisschen rot. Rot war die Weihnachtsfarbe. Gerda Hoffner mochte Weihnachten nicht. Es war schlimm, das zuzugeben. Als Kind hatte sie sich auf Weihnachten gefreut, aber sie war kein Kind mehr. Sie war jetzt einsam. Das Leben eines Erwachsenen brachte Einsamkeit mit sich. So würde es weitergehen, bis sie starb. Mehr war es nicht. Die Kindheit war nur eine kurze Episode. Danach wartete die große Einsamkeit. Es war schrecklich, darüber nachzudenken.

Sie bogen von der Norra Hamngatan ab und fuhren über den Kanal. Johnny Eilig parkte vor der Fischerkneipe. Er sah auf die Uhr.

»Pause«, sagte er und schaute sie an.

»Ach?«

»Ich muss mir die Beine vertreten. Ich bin ganz steif.«

»Ja, es ist wirklich nicht gesund, so lange im Auto zu sitzen.«

»Wir sollten mehr laufen. Zu Fuß patrouillieren. Warum machen wir das eigentlich nicht?«

»Wir können ja die Kungsgatan raufgehen«, sagte sie.

»Gute Idee.«

Sie patrouillierten die Västra Hamngatan hinauf und dann weiter durch die Kungsgatan. Polizisten, die zu Fuß gingen, waren ein relativ ungewohnter Anblick, und die Leute drehten sich nach ihnen um. Es wurde viel ruhiger im Zentrum. Weniger nervös. Gerda Hoffner fing das eine oder andere Lächeln auf. Die Menschen verlangsamten ihr Tempo und verhielten sich etwas freundlicher zueinander. Alkoholiker und Rauschgiftsüchtige bewegten sich etwas sicherer. Straßenmusikanten spielten einen fröhlicheren Göteborgtriller, nicht die übliche slawische Melancholie. Die Stadt wirkte plötzlich viel kleiner. Göteborg war eine Kleinstadt. Jeder kannte gewissermaßen jeden. Es war wie früher. Früher kannte jeder jeden, dachte sie. Als ich Kind war. Und als meine Eltern in Leipzig aufwuchsen. Da kannte die Geheimpolizei jeden. Unter der Stasi waren alle eine einzige große Familie. Alle hatten ein zweites Zuhause, in das sie einkehren konnten, in den Bunker am Dittrichring. Runde Ecke. Sie war dort gewesen, in dem Museum, das aus vorhandenen Requisiten entstanden war. Alles sieht aus wie damals. Ein schreckliches Museum. Eine Stätte der Mahnung, des Gedenkens und des Lernens.

»Wollen wir was essen?«, fragte Eilig.

»Warum nicht.«

»Lass uns zu Ahlströms gehen.«

Auf der Korsgatan kamen sie an Buttericks vorbei. Im Schaufenster hingen rote Nasen und weiße Bärte, mittendrin stand ein kahlköpfiger Wichtel. Noch keine Zipfelmütze, kein Bart. Die Schaufensterpuppe war jung und gutaussehend, direkt aus dem Fenster von Massimo Dutti oder einer anderen Modeboutique für Männer geholt. Auch Schaufensterpuppen müssen an verschiedenen Plätzen arbeiten, dachte sie. Vielleicht vermittelt von einer Zeitarbeitsfirma.

Sie betraten Ahlströms. Johnny sah sich um.

»Scheint alles besetzt«, sagte er.

»Wir gehen woanders hin«, sagte Gerda Hoffner. »Hier gibt es ja keinen einzigen freien Stuhl.«

»Da hinten am Fenster winkt jemand.«

»Ich sehe es«, sagte Gerda.

»Er kommt mir bekannt vor. Hab ich den nicht schon mal im Haus gesehen?«

»Das ist ein Kommissar … vom Fahndungsdezernat, glaube ich.«

»Kennst du ihn?«

»Seinen Namen habe ich vergessen.«

»Jetzt kommt er auf uns zu.«

»An unserem Tisch gibt es noch zwei freie Plätze«, sagte Ringmar.

»Das ist doch nicht nötig«, antwortete Gerda Hoffner.

»Seid ihr schüchtern?«, fragte Ringmar.

»Nicht mehr als nötig«, sagte Johnny.

»Bestellt euch was und kommt an unseren Tisch.« Ringmar kehrte zu Winter zurück.

»Wer ist der andere?«, sagte Johnny. »Der kommt mir bekannt vor.«

»Erik Winter«, sagte sie.

»Ach, der ist das.«

»Ich weiß nicht, ob ich bei denen sitzen möchte«, sagte sie.

»Warum nicht?«

»Ich weiß nicht …«

»Du kannst sie ja auf das ansprechen, wovon du mir erzählt hast.«

»Niemals.«

»Ach, nein?«

Sie gaben ihre Bestellungen auf und nahmen die Teller mit Kopenhagenern entgegen.

»Möchte mal wissen, woran sie erkannt haben, dass wir Kollegen sind«, sagte Johnny.

»Vielleicht an unseren Uniformen.«

»Aber die tragen doch keine?«

»Ja, komisch, oder?«

»Ich glaube, wir beide werden ein gutes Paar«, sagte Johnny.

»Nur im Dienst«, antwortete sie.

»Vielleicht nur in den Pausen.«

Sie hatten den Tisch fast erreicht. Gerda Hoffner war ein wenig nervös. Sie sah Erik Winter sich ein Handy ans Ohr halten. Sie hatte kein Signal gehört. Langsam erhob er sich, während er immer noch ins Telefon sprach. Der andere war ebenfalls aufgestanden, Ringmar. Winter ließ das Handy sinken und sagte etwas zu Ringmar. Sie verließen den Tisch und trafen Johnny und Gerda Hoffner mitten im Raum.

»Wir müssen leider gehen«, sagte Winter und reichte ihr die Hand. »Nett, Sie kennenzulernen.«

Aber wir haben uns doch gar nicht kennengelernt, dachte sie, während die beiden Kommissare das Café verließen.

Der Tote am Strand hieß Anders Dahlquist. Er hatte in einem der Hochhäuser südlich vom Doktor Fries torg gewohnt, ein sogenannter Alleinstehender. Schließlich hatte doch jemand an ihn gedacht, jemand an seinem Arbeitsplatz. So war das manchmal. Ein Gesicht, das verschwand. Ein unbeantworteter Anruf vielleicht. Ein Besuch bei einer alten Adresse. Nur so zur Kontrolle. Ein kurzer Gedanke. War das nicht er?

»Früher hieß es Junggeselle«, sagte Fredrik Halders.

»Wie jung ist er geworden?«, fragte Aneta Djanali.

Fredrik und Aneta, Winters Kollegen, zwei Kriminalinspektoren, die einander gefunden hatten und zusammengezogen waren, sich fast für immer getrennt hätten und jetzt wieder zusammenlebten. Winter wusste nicht genau, was sie durchgemacht hatten oder was passiert war, aber er hatte den Verdacht, dass es sich um den gleichen Virus handelte, der ihn ebenfalls befallen hatte. Und Bertil und noch andere im Dezernat, vielleicht im ganzen Präsidium. Oder in der ganzen Stadt. Dem Land. Vielleicht ging es um Einsamkeit, er wusste es nicht. Irgendwann fühlt sich jeder mal einsam. Es spielt keine Rolle, wie viele Menschen sich in unmittelbarer Nähe befinden. Es wird still. Und im vergangenen Jahr war es still gewesen, ungewöhnlich still.

»Fünfunddreißig«, sagte Ringmar.

»Jesus ist dreiunddreißig geworden«, sagte Halders.

»Was hat das denn mit dem Fall zu tun?«, fragte Aneta Djanali.

»Ist mir nur so durch den Kopf geschossen«, antwortete Halders.

»Dahlquist ist kurz vor seinem Tod auf keiner Beerdigung gewesen«, sagte Winter.

»Das klingt ja fast komisch«, sagte Halders.

»Nicht alle teilen deinen Sinn für Humor«, sagte Ringmar.

»Vielleicht sind im Augenblick weiße Schlipse in«, sagte Halders.

»Auf keinen Fall«, sagte Aneta Djanali.

»Tragen nicht alle Typen in den Gangsterfilmen der siebziger Jahre weiße Schlipse?«, fragte Halders.

»Ein Punkt für dich!«, sagte Ringmar.

»Vielleicht ist er ein Gangster«, fuhr Halders fort. »Vielleicht ist das sein Stil.«

»Aus den Siebzigern?«, fragte Aneta Djanali.

»Er hat seinen Stil und alles Drum und Dran mit in das neue Jahrtausend genommen.«

»Da er fünfunddreißig ist, wurde er 1973 geboren«, sagte Aneta Djanali.

»Na und?«

»Er war Immobilienmakler«, sagte Ringmar.

»Hab ich’s nicht gesagt, dass er Gangster war«, sagte Halders.

»Vorsicht«, warnte Winter.

»Magst du Immobilienmakler, Erik?«

»Man kann nicht alle über einen Kamm beurteilen.«

Aneta Djanali kicherte.

»Über einen Kamm scheren, heißt das«, korrigierte Halders.

»Das habe ich gerade selbst erfunden«, sagte Winter. »Es klingt besser.«

Halders strich sich über den kahlen Schädel. Auf einem rollenden Stein wächst kein Moos. Endlich war er ein Mann und all das geworden. Er musste nichts mehr verbergen.

»Vielleicht hat er jemandem eine Bruchbude angedreht, und der hat sich durch Erwürgen an ihm gerächt«, sagte er. »So einfach ist das.«

»Dann hätten wir aber viele Morde«, sagte Ringmar.

»Haben wir das nicht auch?«

»Nicht aus diesem Grund.«

»Wo hat er gearbeitet? Was war sein Gebiet?«

»Zentrum, City nennt man das heute wohl«, sagte Winter. »Maklerbüro an der Avenyn. Es heißt Morenius. Exklusiv.«

»Ja, pervers«, sagte Halders. Er sah Winter an. »Ist die Spurensicherung fertig mit seiner Wohnung?«

»Ja.«

»Wollen wir dann mal los?«

Die Aussicht über Göteborg vom fünften Stock war sehr hübsch. Sie waren umgeben von Fenstern. Die Wohnung bestand aus drei großen Zimmern, einer modernen Küche, die nicht billig wirkte. Einem Balkon, der stabil zu sein schien. Halders wagte ein paar vorsichtige Schritte hinaus. Der Balkon hielt.

»Nicht schlecht.« Er drehte sich um.

Winter betrachtete das offene Wohnzimmer, wenn man es so nennen konnte. Es ging über in den nächsten Raum. Das Ganze wirkte wie ein luftiges Loft.

Die Spurensicherung hatte nichts gefunden, was auf den ersten Blick verdächtig wirkte. Kein Verdacht, dass in dieser Wohnung ein Verbrechen stattgefunden haben könnte.

Nirgendwo gab es weiße Schlipse. Im Schrank hingen nur ein paar Anzüge. Ein Oscar Jacobson, der an den Anzug erinnerte, den der Tote getragen hatte. Einige von Boss, aber nichts Teureres. Winter trug an diesem Tag selber einen Oscar Jacobson. Er hatte ihn schon länger nicht mehr getragen.

Alles war sehr ordentlich.

»Ein Pedant«, stellte Halders fest, der den Balkon verlassen und einen Rundgang durch die Wohnung unternommen hatte. »Es ist so verdammt ordentlich.«

Winter nickte.

»So ordentlich kann es nur bei jemandem sein, der allein lebt.«

Wieder nickte Winter.

»Kein Leben«, sagte Halders.